Cyril Pedrosa entwirft ein Kaleidoskop von Personen, deren Wege sich im Laufe eines Jahres kreuzen. Jede Jahreszeit hat eine eigene grafische Identität, jede Stimme ebenso. In episodischen Momentaufnahmen zeigt er mal gewöhnliche, mal bedeutsame Augenblicke aus dem Leben seiner Figuren mit ihren Sehnsüchten und Ängsten, ihren Träumen und Nöten. Das verbindende Element: eine Fotografin, die im Hintergrund ihre Linse direkt ins Herz der Figuren zu richten scheint, wie es einst Vivian Maier meisterhaft verstand.
Dass Cyril Pedrosa ein Meister der Zwischentöne ist, hat er bereits in seinem 2012 erschienenen Band "Portugal" bewiesen. Mit "Jäger und Sammler" wagt der Comiczeichner nun erzählerisch wie grafisch ein Experiment: Er verwebt prächtige Zeichnungen, dichte Textpassagen und klassische Comicsequenzen zu einem feinsinnigen Geflecht aus Farben und Poesie.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Dass Cyril Pedrosa ein Meister der Zwischentöne ist, hat er bereits in seinem 2012 erschienenen Band "Portugal" bewiesen. Mit "Jäger und Sammler" wagt der Comiczeichner nun erzählerisch wie grafisch ein Experiment: Er verwebt prächtige Zeichnungen, dichte Textpassagen und klassische Comicsequenzen zu einem feinsinnigen Geflecht aus Farben und Poesie.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Ralph Trommer hat ein seltenes Stück gezeichnete Literatur zu annoncieren. Cyril Pedrosas Graphic Novel scheint ihm aus dem Rahmen des Genres zu fallen, indem der Autor hier unter Verzicht auf Dialoge verschiedene eher unspektakuläre Lebenswege, erzählt als innere Monologe, anreißt und schließlich aufeinander zu führt. Für Trommer ein Erlebnis von erzählerischer Tiefe, da es dem Autor gelingt, seine feinen, detaillierten, dem Animationsfilm verwandten Zeichnungen auf die Texte zu beziehen und so die subtilen Wandlungen der Figuren erfahrbar macht. Stimmungs- und gefühlvoll, als hätte Pedrosa dem Leben selbst die Geschichten abgezeichnet, meint der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2016Die Brandung hinter dem Fenster
Mit „Jäger und Sammler“ lotet Cyril Pedrosa die Möglichkeiten der Comic-Kunst aus: Manche Passagen seiner
Graphic Novel sind reiner Fließtext, andere bestehen nur aus Bildern – ein spannendes Experiment
VON THOMAS VON STEINAECKER
Hand aufs Herz: Was gucken Sie zuerst in einem Comic an? Den Text oder die Bilder? Bei den meisten Lesern dürfte es wohl Letzteres sein. Tatsächlich wird die Wortebene dieses so einfach wirkenden, aber in Wirklichkeit doch so hochkomplexen Medienhybrids namens neunte Kunst chronisch unterschätzt. Allein wunderbar präzise Onomatopoetika wie „ffritsch“ für das Aufreißen eines Kartons oder „bipdip“ für das Tippen und Abschicken einer SMS laufen oft bei der Lektüre als bereichernder, aber kaum beachteter Klangteppich nebenher. Ganz zu schweigen von der kunstvollen Kürze der Dialoge, die in Comics allein schon durch ein Platzproblem bedingt ist: Irgendwie müssen die Sprechblasen ja in die winzigen Panels passen, ohne dass das Bild völlig verdeckt ist. Doch eigentlich ist diese visuelle Vorherrschaft auch logisch: Comics ohne Worte gibt es gar nicht mal wenige, viele davon sind fantastisch wie Shaun Tans „Ein neues Land“. Aber Comics mit einem höheren Text- als Bildanteil?
Tatsächlich ist es ein äußerlicher Aspekt, der als erstes an Cyril Pedrosas neuem Buch ins Auge sticht: Der Comic wird regelmäßig unterbrochen von Passagen, die entweder keine Worte oder aber einen mehrseitigen Text im Blocksatz enthalten. Und wie bei allen formalen Experimenten hängt der Erfolg des Konzepts von der Beantwortung der Frage ab, inwieweit es sich bloß um eine Spielerei handelt oder das Formale an den Inhalt gekoppelt ist.
Die Bücher des Franzosen Cyril Pedrosa durchzog immer schon eine tiefe Melancholie angesichts der eigenen Vergänglichkeit und der vergeblichen Suche nach einem Sinn. In seinem Debüt „Drei Schatten“ strickte er daraus ein im Mittelalter angesiedeltes Märchen. Deutlich war den niedlichen Figuren anzumerken, dass ihr Zeichner die hohe Schule Walt Disneys absolviert hatte; unter anderem hatte er an „Der Glöckner von Notre-Dame“ mitgearbeitet. Das machte Pedrosa mit seiner Mischung aus amerikanisch perfektioniertem Story-Telling und europäischer Nachdenklichkeit zu etwas Besonderem in der Comicszene. „Drei Schatten“, ebenso herzzerreißend wie witzig, gewann auf Anhieb den wichtigen Preis als „Bestes Album“ in Angoulême. Pedrosas bislang letztes, autobiografisches Buch, „Portugal“, zeigte ihn als Suchenden: im Buch selbst als Autor in der Schaffenskrise, der sich wehmütig an seine Kindheit erinnert, und als Zeichner zwischen dem putzigen Disney-Stil und einem erwachseneren, nervösen Strich. All das war, wie schon „Drei Schatten“, so meisterhaft und episch ins Bild gesetzt, dass Pedrosa mit Leichtigkeit den Gefahren der Rührseligkeit entging.
Den eingeschlagenen Weg geht Pedrosa auch in „Jäger und Sammler“ weiter. Nicht zufällig beginnt das Werk im Herbst. „Ich habe das Gefühl, mein Leben lang gekämpft zu haben, aber ich weiß nicht mehr, wogegen, oder warum überhaupt.“ Der Gedanke steht exemplarisch für die Stimmung der drei Hauptfiguren in einer Stadt in der Bretagne. Er stammt von Louis, dem Alt-68er, dessen Ehe zerbrach, als sein kleiner Sohn starb. Seither vergrub er sich in seine Bücher und betätigte sich als Mentor von Aktivisten. Und obwohl es einer seiner Zöglinge gerade ins Ministerium geschafft hat, befällt ihn ein überwältigendes Gefühl der Sinnlosigkeit. Ebenso den ruppigen Kieferorthopäden Vincent, der seinem nach der Scheidung außer Kontrolle geratenem Leben genauso gleichgültig zusieht wie der Brandung durch die Fenster seines Hauses. Und schließlich ist da noch die junge Camille, die sich vom Leben treiben lässt. Den einzigen Halt bietet ihr das Fotografieren; bei jedem Bild denkt sie sich Geschichten zu den abgelichteten Menschen aus.
An diesen Stellen verwandelt sich das Buch in reinen Fließtext – der größtmögliche Gegensatz zu den kurzen wortlosen Episoden um die Erlebnisse eines jungen Jägers in der Urzeit, die jedem Kapitel vorangestellt sind. Der Text Camilles scheint hier für den modernen, verkopften Menschen zu stehen; die reinen Bilderfolgen hingegen für das unmittelbare Erleben. Was die unterschiedlichen Handlungsstränge eint, ist also ein abstraktes Konzept und der vergebliche Versuch aller Figuren, dem eigenen Leben doch noch irgendwie eine Bedeutung zu geben. Pedrosa findet dafür wunderbar atmosphärische Bilder der Verlorenheit, etwa wenn Louis in seiner verschneiten Hütte oder Vincent in seiner Glasvilla am Meer sitzt.
Das Problem ist nur: Auch wenn das Buch nach vielen dahinplätschernden Episoden im letzten Drittel Fahrt aufnimmt und dann sogar auf ein geradezu glorioses Finale zusteuert, verdeutlicht doch gerade dieses starke Ende, was zuvor fehlte. Anders als bei anderen als Kaleidoskop angelegten Werken haben die Figuren nahezu keinen direkten Kontakt miteinander; und die vagen Überthemen sind zu allgemein gehalten, als dass sie das Ganze befriedigend zusammenhalten könnten. Die formale Idee, Textpassagen zwischenzuschalten, gewinnt dadurch eine Dominanz, die dem Buch nicht guttut; denn gerade hier zeigt sich, wie überlegen der Comic- dem Prosaautor Pedrosa doch ist. „Der Schein der Lampe tanzt auf dem Asphalt. Als wäre die Welt auf diesen flackernden Lichtkegel reduziert.“ Man kann sich diese Beobachtung sofort als wunderbar dahingetupfte Zeichnung vorstellen; als bloßer Text wirkt sie recht banal.
„Jäger und Sammler“ mag als Experiment gescheitert sein. Dennoch gebührt Pedrosa großer Respekt dafür, dass er es riskiert, etwas bewusst zu machen, das immer noch in zu wenigen Werken reflektiert wird: dass Comics nicht nur aus Bildern bestehen.
Cyril Pedrosa: Jäger und Sammler. Aus dem Französischen von Marion Herbert. Reprodukt, Berlin 2016. 336 Seiten, 39 Euro.
Pedrosa findet wunderbar
atmosphärische Bilder für die
Verlorenheit seiner Figuren
Die junge Camille (Mitte) streift mit ihrer Kamera durch die Stadt und denkt sich Geschichten zu den abgelichteten Menschen aus.
Foto: Reprodukt
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Mit „Jäger und Sammler“ lotet Cyril Pedrosa die Möglichkeiten der Comic-Kunst aus: Manche Passagen seiner
Graphic Novel sind reiner Fließtext, andere bestehen nur aus Bildern – ein spannendes Experiment
VON THOMAS VON STEINAECKER
Hand aufs Herz: Was gucken Sie zuerst in einem Comic an? Den Text oder die Bilder? Bei den meisten Lesern dürfte es wohl Letzteres sein. Tatsächlich wird die Wortebene dieses so einfach wirkenden, aber in Wirklichkeit doch so hochkomplexen Medienhybrids namens neunte Kunst chronisch unterschätzt. Allein wunderbar präzise Onomatopoetika wie „ffritsch“ für das Aufreißen eines Kartons oder „bipdip“ für das Tippen und Abschicken einer SMS laufen oft bei der Lektüre als bereichernder, aber kaum beachteter Klangteppich nebenher. Ganz zu schweigen von der kunstvollen Kürze der Dialoge, die in Comics allein schon durch ein Platzproblem bedingt ist: Irgendwie müssen die Sprechblasen ja in die winzigen Panels passen, ohne dass das Bild völlig verdeckt ist. Doch eigentlich ist diese visuelle Vorherrschaft auch logisch: Comics ohne Worte gibt es gar nicht mal wenige, viele davon sind fantastisch wie Shaun Tans „Ein neues Land“. Aber Comics mit einem höheren Text- als Bildanteil?
Tatsächlich ist es ein äußerlicher Aspekt, der als erstes an Cyril Pedrosas neuem Buch ins Auge sticht: Der Comic wird regelmäßig unterbrochen von Passagen, die entweder keine Worte oder aber einen mehrseitigen Text im Blocksatz enthalten. Und wie bei allen formalen Experimenten hängt der Erfolg des Konzepts von der Beantwortung der Frage ab, inwieweit es sich bloß um eine Spielerei handelt oder das Formale an den Inhalt gekoppelt ist.
Die Bücher des Franzosen Cyril Pedrosa durchzog immer schon eine tiefe Melancholie angesichts der eigenen Vergänglichkeit und der vergeblichen Suche nach einem Sinn. In seinem Debüt „Drei Schatten“ strickte er daraus ein im Mittelalter angesiedeltes Märchen. Deutlich war den niedlichen Figuren anzumerken, dass ihr Zeichner die hohe Schule Walt Disneys absolviert hatte; unter anderem hatte er an „Der Glöckner von Notre-Dame“ mitgearbeitet. Das machte Pedrosa mit seiner Mischung aus amerikanisch perfektioniertem Story-Telling und europäischer Nachdenklichkeit zu etwas Besonderem in der Comicszene. „Drei Schatten“, ebenso herzzerreißend wie witzig, gewann auf Anhieb den wichtigen Preis als „Bestes Album“ in Angoulême. Pedrosas bislang letztes, autobiografisches Buch, „Portugal“, zeigte ihn als Suchenden: im Buch selbst als Autor in der Schaffenskrise, der sich wehmütig an seine Kindheit erinnert, und als Zeichner zwischen dem putzigen Disney-Stil und einem erwachseneren, nervösen Strich. All das war, wie schon „Drei Schatten“, so meisterhaft und episch ins Bild gesetzt, dass Pedrosa mit Leichtigkeit den Gefahren der Rührseligkeit entging.
Den eingeschlagenen Weg geht Pedrosa auch in „Jäger und Sammler“ weiter. Nicht zufällig beginnt das Werk im Herbst. „Ich habe das Gefühl, mein Leben lang gekämpft zu haben, aber ich weiß nicht mehr, wogegen, oder warum überhaupt.“ Der Gedanke steht exemplarisch für die Stimmung der drei Hauptfiguren in einer Stadt in der Bretagne. Er stammt von Louis, dem Alt-68er, dessen Ehe zerbrach, als sein kleiner Sohn starb. Seither vergrub er sich in seine Bücher und betätigte sich als Mentor von Aktivisten. Und obwohl es einer seiner Zöglinge gerade ins Ministerium geschafft hat, befällt ihn ein überwältigendes Gefühl der Sinnlosigkeit. Ebenso den ruppigen Kieferorthopäden Vincent, der seinem nach der Scheidung außer Kontrolle geratenem Leben genauso gleichgültig zusieht wie der Brandung durch die Fenster seines Hauses. Und schließlich ist da noch die junge Camille, die sich vom Leben treiben lässt. Den einzigen Halt bietet ihr das Fotografieren; bei jedem Bild denkt sie sich Geschichten zu den abgelichteten Menschen aus.
An diesen Stellen verwandelt sich das Buch in reinen Fließtext – der größtmögliche Gegensatz zu den kurzen wortlosen Episoden um die Erlebnisse eines jungen Jägers in der Urzeit, die jedem Kapitel vorangestellt sind. Der Text Camilles scheint hier für den modernen, verkopften Menschen zu stehen; die reinen Bilderfolgen hingegen für das unmittelbare Erleben. Was die unterschiedlichen Handlungsstränge eint, ist also ein abstraktes Konzept und der vergebliche Versuch aller Figuren, dem eigenen Leben doch noch irgendwie eine Bedeutung zu geben. Pedrosa findet dafür wunderbar atmosphärische Bilder der Verlorenheit, etwa wenn Louis in seiner verschneiten Hütte oder Vincent in seiner Glasvilla am Meer sitzt.
Das Problem ist nur: Auch wenn das Buch nach vielen dahinplätschernden Episoden im letzten Drittel Fahrt aufnimmt und dann sogar auf ein geradezu glorioses Finale zusteuert, verdeutlicht doch gerade dieses starke Ende, was zuvor fehlte. Anders als bei anderen als Kaleidoskop angelegten Werken haben die Figuren nahezu keinen direkten Kontakt miteinander; und die vagen Überthemen sind zu allgemein gehalten, als dass sie das Ganze befriedigend zusammenhalten könnten. Die formale Idee, Textpassagen zwischenzuschalten, gewinnt dadurch eine Dominanz, die dem Buch nicht guttut; denn gerade hier zeigt sich, wie überlegen der Comic- dem Prosaautor Pedrosa doch ist. „Der Schein der Lampe tanzt auf dem Asphalt. Als wäre die Welt auf diesen flackernden Lichtkegel reduziert.“ Man kann sich diese Beobachtung sofort als wunderbar dahingetupfte Zeichnung vorstellen; als bloßer Text wirkt sie recht banal.
„Jäger und Sammler“ mag als Experiment gescheitert sein. Dennoch gebührt Pedrosa großer Respekt dafür, dass er es riskiert, etwas bewusst zu machen, das immer noch in zu wenigen Werken reflektiert wird: dass Comics nicht nur aus Bildern bestehen.
Cyril Pedrosa: Jäger und Sammler. Aus dem Französischen von Marion Herbert. Reprodukt, Berlin 2016. 336 Seiten, 39 Euro.
Pedrosa findet wunderbar
atmosphärische Bilder für die
Verlorenheit seiner Figuren
Die junge Camille (Mitte) streift mit ihrer Kamera durch die Stadt und denkt sich Geschichten zu den abgelichteten Menschen aus.
Foto: Reprodukt
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de