Seit fast 40 Jahren gibt das »Jahrbuch der Lyrik« Einblick in neueste Entwicklungen der Poesie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Für die 32. Ausgabe konnte Christoph Buchwald den vielfach ausgezeichneten Lyriker Nico Bleutge als Mitherausgeber gewinnen. Gemeinsam haben sie die besten zeitgenössischen Gedichte gefunden und in thematischen Kapiteln zusammengestellt.
Das Gedicht ist der Ort, wo sich Einzelheiten zu Landschaft ausweiten. Es eilt über Terrassen, besucht Museen oder wandert durch sprachliche Wurzelsysteme. Alles kann hier zu Rhythmus werden: Marder, Falken und Pottwale, die verschiedenen Formen der Liebe ebenso wie die Orte zwischen Kleingartensiedlung und ländlichem »mundraum«. Dichterinnen und Dichter der unterschiedlichsten Generationen machen das Knacken in den Kapseln des Alltags fühlbar und zeigen uns die Spuren der Geschichte - auf dass die Wörter leuchten.
Vervollständigt wird der Band durch ein Kapitel mit von Lyrikern übersetzten Gedichten und der Bibliografie der neuesten erschienenen Lyrikbände.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Das Gedicht ist der Ort, wo sich Einzelheiten zu Landschaft ausweiten. Es eilt über Terrassen, besucht Museen oder wandert durch sprachliche Wurzelsysteme. Alles kann hier zu Rhythmus werden: Marder, Falken und Pottwale, die verschiedenen Formen der Liebe ebenso wie die Orte zwischen Kleingartensiedlung und ländlichem »mundraum«. Dichterinnen und Dichter der unterschiedlichsten Generationen machen das Knacken in den Kapseln des Alltags fühlbar und zeigen uns die Spuren der Geschichte - auf dass die Wörter leuchten.
Vervollständigt wird der Band durch ein Kapitel mit von Lyrikern übersetzten Gedichten und der Bibliografie der neuesten erschienenen Lyrikbände.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.08.2018Wenig
Jetztgefühl
Über das zweiunddreißigste
„Jahrbuch der Lyrik“
Vom Comeback der Lyrik ist seit Jahren zu lesen. Von einem regelrechten „Lyrikboom“ sei mittlerweile die Rede. So der Lyriker und Literaturkritiker Nico Bleutge in seinem Nachwort zum diesjährigen „Jahrbuch der Lyrik“. Gemeinsam mit Christoph Buchwald hat Bleutge 151 Gedichte für die zweiunddreißigste Ausgabe des Jahrbuchs zusammengestellt. Trotz des „Booms“ aber, so Buchwald, nehme die Sichtbarkeit der Lyrik selbst in den Lieblingsbuchhandlungen ab, würden immer weniger Gedichtbände verkauft. Die Frage ist also: Wo zeigt sich der „Lyrikboom“? Wo zeigt sich die neue Lebendigkeit der deutschsprachigen Dichtung?
In diesem Band zum Beispiel, so jedenfalls sehen es die beiden Herausgeber. Tatsächlich vereint ihre Zusammenstellung die verschiedensten Stile, Themen und Sphären. So wird man etwa von Dana Rangas „Draußen“ auf direktem Weg ins All geschickt, gemeinsam mit dem im vergangenen Jahr gestorbenen sowjetischen Kosmonauten Georgi Grechko. Und in kurzen Versen, die so zerbrechlich sind wie der Mensch da oben: „Draußen / trennt einen nur eine Schicht / von Resin oder Gummi / vom All. Als ich draußen war / dachte ich / die Erde ist 400 km weit weg / und um mich herum / ist / das / Nichts.“
Zurück auf der Erde bewegt man sich in vertrauteren Sphären. Wobei sich der lyrische Horizontalblick mit dem immer stärker aufkommenden Trend zum Nature Writing derzeit grundlegend verändert. Mit Sabine Scho beispielsweise begibt man sich im Jahrbuch auf Augenhöhe mit einem gestrandeten Pottwal. Mit Marion Poschmann bewegt man sich durch klang- und bildlich beeindruckende Geröll-, Roll- oder Quellwolken. Für das neue Sprechen über und vor allem mit der Natur steht schließlich auch das Gedicht Silke Scheuermanns. Im umstandslosen Prosasound wird „der Wald“ vor der Verklärung und Ausbeutung durch den Menschen bewahrt: „Immer noch sind Tag und Nacht die Besitzer, Regen und Licht. / Die Sonne gibt Tageskommandos, Interpretation erst bewirkt / die Illusion klarer Verhältnisse.“
Es folgen andere Themen, bekannte Namen. Da ist das lapidare und trotzdem beunruhigende Gedicht „Ihr werdet die Pferde der Daten sein“ von Monika Rinck oder der vertraute Sound der lyrischen Schnappschüsse Jürgen Beckers. Da sind die souveränen, aber selten überraschenden Gedichte der vielfach Ausgezeichneten: Friederike Mayröcker, Herta Müller, Lutz Seiler und Jan Wagner.
Doch es sind vor allem die weniger geläufigen Namen, die für die Höhepunkte sorgen. So wie Saskia Warzecha mit ihren Gedichten voll fragender Neugier und, angesichts der krisenhaften Gegenwart, überraschender Offenheit. „und also:“, endet einer der beiden im Band enthaltenen Texte der 1987 geborenen Autorin, „immer noch ein wenig weicher / werden vor der welt. meine kleine sammlung blackboxen, ich / verstecke sie gewissenhaft. konfligierende affekte, gutschreiben. die / anderen: eher varianten. ihr nur aphoristischer gebrauch.“
Überhaupt beschreiben auffällig viele der Gedichte dystopische Szenarien oder gleiten erschreckend nahtlos von der Realität in zuckende virtuelle Welten hinüber. Es sind diese Texte, in denen das Jetzt aufblitzt, roher und kräftiger als in den stilistisch oft abgerundeten Gedichten der bekannten Autorinnen und Autoren. Es sind die vibrierenden Verse Özlem Özgül Dündars, die gerade beim Bachmannpreis für ihren Prosatext „und ich brenne“ ausgezeichnet wurde, oder Katharina Schultens, in denen sich die technologischen, politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Zeit deutlich bemerkbar machen.
Es ist schade, dass diese jüngeren und bisher unbekannteren Stimmen im diesjährigen Jahrbuch nicht mehr Raum erhalten haben. Dass der Drive und die Unruhe der aktuellen deutschsprachigen Lyrik, ihre inhaltliche, aber auch formale Diversität, ihr Spielen und Arbeiten mit den verschiedenen Sprachen, dass der „Boom“ eben oft nur erahnt werden kann. Zumal andere spannende junge Stimmen im Band gar nicht erst zu finden sind. Martin Piekar, Kinga Tóth oder Moritz Gause zum Beispiel, die zuletzt beachtenswerte Gedichtbände bei Independent-Verlagen vorgelegt haben.
Aber auch Hannes Bajohr, dessen „digitale Lyrik“ im Frühjahr bei Suhrkamp erschienen ist und seitdem für Diskussionen gesorgt hat. Das ist natürlich mit dem Auswahlverfahren der Anthologie zu erklären. Die Schreibenden müssen ihre Gedichte selber einreichen. Die Menge der Texte, aus denen die Herausgebenden wählen können, ist also begrenzt.
Dabei hätte es den Raum für mehr neuen Sound schon noch gegeben. Denn auf die den Abschluss des Bandes bildende Zusammenstellung von ins Deutsche übertragenen Gedichten – deren Auswahl an keiner Stelle erwähnt oder erläutert wird und deshalb einigermaßen willkürlich wirkt: warum jetzt Robert Frost? – hätte man gut verzichten können.
MORITZ MÜLLER-SCHWEFE
Christoph Buchwald, Nico Bleutge (Hrsg.): Jahrbuch der Lyrik 2018. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2018. 232 Seiten, 22 Euro.
„und also: immer noch
ein wenig weicher /
werden vor der welt.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jetztgefühl
Über das zweiunddreißigste
„Jahrbuch der Lyrik“
Vom Comeback der Lyrik ist seit Jahren zu lesen. Von einem regelrechten „Lyrikboom“ sei mittlerweile die Rede. So der Lyriker und Literaturkritiker Nico Bleutge in seinem Nachwort zum diesjährigen „Jahrbuch der Lyrik“. Gemeinsam mit Christoph Buchwald hat Bleutge 151 Gedichte für die zweiunddreißigste Ausgabe des Jahrbuchs zusammengestellt. Trotz des „Booms“ aber, so Buchwald, nehme die Sichtbarkeit der Lyrik selbst in den Lieblingsbuchhandlungen ab, würden immer weniger Gedichtbände verkauft. Die Frage ist also: Wo zeigt sich der „Lyrikboom“? Wo zeigt sich die neue Lebendigkeit der deutschsprachigen Dichtung?
In diesem Band zum Beispiel, so jedenfalls sehen es die beiden Herausgeber. Tatsächlich vereint ihre Zusammenstellung die verschiedensten Stile, Themen und Sphären. So wird man etwa von Dana Rangas „Draußen“ auf direktem Weg ins All geschickt, gemeinsam mit dem im vergangenen Jahr gestorbenen sowjetischen Kosmonauten Georgi Grechko. Und in kurzen Versen, die so zerbrechlich sind wie der Mensch da oben: „Draußen / trennt einen nur eine Schicht / von Resin oder Gummi / vom All. Als ich draußen war / dachte ich / die Erde ist 400 km weit weg / und um mich herum / ist / das / Nichts.“
Zurück auf der Erde bewegt man sich in vertrauteren Sphären. Wobei sich der lyrische Horizontalblick mit dem immer stärker aufkommenden Trend zum Nature Writing derzeit grundlegend verändert. Mit Sabine Scho beispielsweise begibt man sich im Jahrbuch auf Augenhöhe mit einem gestrandeten Pottwal. Mit Marion Poschmann bewegt man sich durch klang- und bildlich beeindruckende Geröll-, Roll- oder Quellwolken. Für das neue Sprechen über und vor allem mit der Natur steht schließlich auch das Gedicht Silke Scheuermanns. Im umstandslosen Prosasound wird „der Wald“ vor der Verklärung und Ausbeutung durch den Menschen bewahrt: „Immer noch sind Tag und Nacht die Besitzer, Regen und Licht. / Die Sonne gibt Tageskommandos, Interpretation erst bewirkt / die Illusion klarer Verhältnisse.“
Es folgen andere Themen, bekannte Namen. Da ist das lapidare und trotzdem beunruhigende Gedicht „Ihr werdet die Pferde der Daten sein“ von Monika Rinck oder der vertraute Sound der lyrischen Schnappschüsse Jürgen Beckers. Da sind die souveränen, aber selten überraschenden Gedichte der vielfach Ausgezeichneten: Friederike Mayröcker, Herta Müller, Lutz Seiler und Jan Wagner.
Doch es sind vor allem die weniger geläufigen Namen, die für die Höhepunkte sorgen. So wie Saskia Warzecha mit ihren Gedichten voll fragender Neugier und, angesichts der krisenhaften Gegenwart, überraschender Offenheit. „und also:“, endet einer der beiden im Band enthaltenen Texte der 1987 geborenen Autorin, „immer noch ein wenig weicher / werden vor der welt. meine kleine sammlung blackboxen, ich / verstecke sie gewissenhaft. konfligierende affekte, gutschreiben. die / anderen: eher varianten. ihr nur aphoristischer gebrauch.“
Überhaupt beschreiben auffällig viele der Gedichte dystopische Szenarien oder gleiten erschreckend nahtlos von der Realität in zuckende virtuelle Welten hinüber. Es sind diese Texte, in denen das Jetzt aufblitzt, roher und kräftiger als in den stilistisch oft abgerundeten Gedichten der bekannten Autorinnen und Autoren. Es sind die vibrierenden Verse Özlem Özgül Dündars, die gerade beim Bachmannpreis für ihren Prosatext „und ich brenne“ ausgezeichnet wurde, oder Katharina Schultens, in denen sich die technologischen, politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Zeit deutlich bemerkbar machen.
Es ist schade, dass diese jüngeren und bisher unbekannteren Stimmen im diesjährigen Jahrbuch nicht mehr Raum erhalten haben. Dass der Drive und die Unruhe der aktuellen deutschsprachigen Lyrik, ihre inhaltliche, aber auch formale Diversität, ihr Spielen und Arbeiten mit den verschiedenen Sprachen, dass der „Boom“ eben oft nur erahnt werden kann. Zumal andere spannende junge Stimmen im Band gar nicht erst zu finden sind. Martin Piekar, Kinga Tóth oder Moritz Gause zum Beispiel, die zuletzt beachtenswerte Gedichtbände bei Independent-Verlagen vorgelegt haben.
Aber auch Hannes Bajohr, dessen „digitale Lyrik“ im Frühjahr bei Suhrkamp erschienen ist und seitdem für Diskussionen gesorgt hat. Das ist natürlich mit dem Auswahlverfahren der Anthologie zu erklären. Die Schreibenden müssen ihre Gedichte selber einreichen. Die Menge der Texte, aus denen die Herausgebenden wählen können, ist also begrenzt.
Dabei hätte es den Raum für mehr neuen Sound schon noch gegeben. Denn auf die den Abschluss des Bandes bildende Zusammenstellung von ins Deutsche übertragenen Gedichten – deren Auswahl an keiner Stelle erwähnt oder erläutert wird und deshalb einigermaßen willkürlich wirkt: warum jetzt Robert Frost? – hätte man gut verzichten können.
MORITZ MÜLLER-SCHWEFE
Christoph Buchwald, Nico Bleutge (Hrsg.): Jahrbuch der Lyrik 2018. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2018. 232 Seiten, 22 Euro.
„und also: immer noch
ein wenig weicher /
werden vor der welt.“
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»Das verlässliche Projekt eröffnet dem Leser Entdeckungen in der Gegenwart, zugleich fungiert es historisch als Bilanzbuch.«
Münchner Feuilleton
»Diese imposante Bestandsaufnahme dichterischen Schaffens im deutschsprachigen Raum.«
Insa Wilke, WDR 3 Gutenbergs Welt
»Das 'Jahrbuch der Lyrik' ist so wertvoll und lesenswert, weil es so viele facettenreiche AutorInnen und ihre vielfältigen Gedichte präsentiert.«
Heiko Buhr, Lebensart im Norden
»Jedes Mal ist es erneut ein reichhaltiger Blumenstrauß dessen, was die deutschsprachige Poesie an Könnerschaft zu bieten hat.«
Björn Hayer, Berliner Zeitung
»Es fällt auf, wie sorgsam die Herausgeber bei der Anordnung vorgegangen sind, wie die Gedichte ineinander übergehen, sich thematisch aufeinander beziehen, zum Ganzen verwoben sind.«
Maximilian Mengeringhaus, literaturkritik.de
»Das 'Jahrbuch der Lyrik' ist spannend, aufschlussreich und gewichtig.«
Matthias Ehlers, WDR
Münchner Feuilleton
»Diese imposante Bestandsaufnahme dichterischen Schaffens im deutschsprachigen Raum.«
Insa Wilke, WDR 3 Gutenbergs Welt
»Das 'Jahrbuch der Lyrik' ist so wertvoll und lesenswert, weil es so viele facettenreiche AutorInnen und ihre vielfältigen Gedichte präsentiert.«
Heiko Buhr, Lebensart im Norden
»Jedes Mal ist es erneut ein reichhaltiger Blumenstrauß dessen, was die deutschsprachige Poesie an Könnerschaft zu bieten hat.«
Björn Hayer, Berliner Zeitung
»Es fällt auf, wie sorgsam die Herausgeber bei der Anordnung vorgegangen sind, wie die Gedichte ineinander übergehen, sich thematisch aufeinander beziehen, zum Ganzen verwoben sind.«
Maximilian Mengeringhaus, literaturkritik.de
»Das 'Jahrbuch der Lyrik' ist spannend, aufschlussreich und gewichtig.«
Matthias Ehlers, WDR