Die demokratischen Verfassungsstaaten der Gegenwart sehen sich im Weltmaßstab einer Vielzahl diktatorischer Regime gegenüber. Aber auch innerhalb freiheitlicher Demokratien wirkende extremistische Kräfte und Strömungen liefern den Beweis, daß Prinzipien wie Menschenrechte, Toleranz und politischer Pluralismus keineswegs unangefochten sind.
Das Jahrbuch will die Beschäftigung mit dem Themenkreis Extremismus fördern. Es versteht sich als Diskussionsforum, Nachschlagewerk und Orientierungshilfe zugleich. In den Rubriken "Analysen", "Daten, Dokumente, Dossiers" und "Literatur" werden die wichtigsten aktuellen Entwicklungen und Problemfelder des deutschen Extremismus und seiner internationalen Bezüge beleuchtet.
Das Jahrbuch will die Beschäftigung mit dem Themenkreis Extremismus fördern. Es versteht sich als Diskussionsforum, Nachschlagewerk und Orientierungshilfe zugleich. In den Rubriken "Analysen", "Daten, Dokumente, Dossiers" und "Literatur" werden die wichtigsten aktuellen Entwicklungen und Problemfelder des deutschen Extremismus und seiner internationalen Bezüge beleuchtet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2000Klärwerk der Trübstoffe
Rechts- und Linksextremismus in der Demokratie
Uwe Backes, Eckhard Jesse (Herausgeber): Extremismus & Demokratie. 11. Jahrgang 1999. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000. 521 Seiten, 76,- Mark.
Der elfte Jahresband "Extremismus & Demokratie" liegt vor. Von Steffen Heitmann bis Iring Fetscher, von Klaus von Beyme bis Imanuel Geiss zeigt sich das gesamte Ensemble in antitotalitärer Äquidistanz zum Rechts- wie Linksextremismus. So hat es seinerzeit das Bundesverfassungsgericht aus dem Geist des Grundgesetzes mit der Verbotsbegründung gegenüber SRP 1952 und KPD 1956 zur Bürgerpflicht gemacht.
Auch das neue Jahrbuch bewährt sich als Klärwerk der Trübstoffe aus politischen und medialen Immissionen des Zeitgeistes, welche militante Extremisten, die Moralismus-Boheme, die antifaschistischen Brummkreisel und das intellektuelle Flagellantentum absondern. "Zur real existierenden BRD passen die Reps wie der Arsch auf den Eimer", heißt es etwa in einem Buch des Marburger Professors Georg Fühlberth (DKP). Gesäßhaftes Marxismus-Niveau bescheinigt Stefan Wolle solchen Ausführungen.
Literaturberichte und Rezensionen, eine kommentierte Bibliographie und Tagungshinweise machen die zweite Hälfte des Bandes aus. Die erste Hälfte versammelt umfassende Analysen extremistischen Wahlverhaltens, Veränderungen im Elektorat, dazu Dokumente und Dossiers über Spannungslagen zwischen Diktatur und Demokratie. Man findet, solide von Eckhard Jesse kommentiert, die Auflösungserklärung der RAF. Matthias Mletzko untersucht Motive für "expressive" oder "instrumentelle" Gewaltbereitschaft. Armin Pfahl-Traughbers Studie über den zweiten Frühling der NPD oder Axel Brückoms Darstellung über das Eindringen der PDS in die Mehrheitskultur der neuen Bundesländer via "Magdeburger" und "Schweriner Modell" werfen die Frage nach dem Ende der Eindeutigkeit auf. Gerät die Marginalisierung von Überzeugungstreue durch Machtvermarktung zur Routine? Immerhin attestiert das Bundesamt für Verfassungsschutz der PDS weiterhin "ein zwiespältiges Verhältnis zum parlamentarischen System".
Seinen kenntnisreichen Bericht über Geschichte, Gestalt und Aktualität der Extremismen in Frankreich schließt Uwe Backes mit der Prognose, daß in Frankreich die Voraussetzung für eine vergleichende Extremismusforschung entstehen könnte. Backes beobachtete bei seinem Forschungsaufenthalt im Nachbarland, daß sich bei der Diskussion über die parallelen totalitären Massenverbrechen der Krampf etwas gelockert hat, Vergleiche würden für Gleichsetzungen disponibel - und zwar dank des hohen Prestiges von François Furet.
Dessen Briefwechsel mit Ernst Nolte wird von Brigitte Seebacher-Brandt und von Peter Steinbach abgehandelt. Für Steinbach beschränkt sich die "Feindliche Nähe", so der Titel der Briefe-Edition, auf die totalitäre Selbstermächtigung Stalins und Hitlers zu Massenvernichtungen. In der Frage des Prius, der Geburt der Auschwitz-Tragödie aus dem Feindschaftsprinzip gegen den revolutionären Universalismus von 1917, zeige sich Furet gegen Nolte ebenso verschlossen wie gegen dessen Theorie von der immanenten Rationalität einer Putativ-Notwehr. Während Steinbach verhaltensklug das Besteck wissenschaftlicher Obduktion führt, sprüht Seebacher-Brandt viel Geist mit wenig Kondition: "Furet versäumte die einmalige Gelegenheit, ohne die hochmütige Borniertheit deutscher Nolte-Gegner - mit dem Kommunismus meist auch noch die deutsche Teilung entschuldigend - die Gedankengebäude des Briefpartners auf ihr Fundament hin zu untersuchen." Die Rezensentin tut das selbst auch nicht. Sie bescheinigt vielmehr den Geschichtstheorien Furets und Noltes so viele "fundamentale Fehler, daß man glaubt, Gespenster zu sehen". Werden solche Gespenster aber nicht eher herbeibemüht als vertrieben, wenn der Schlußsatz der Autorin mahnt: "Daß Vergleiche stets wertende Rangfolgen in sich bergen und zur Annahme von Monokausalitäten verleiten, muß der Geschichtsschreibung erst wieder bewußt werden." Tatsächlich? Haben nicht vielmehr alle Monokausalitäten ihre Ursprünge in der Dialektik selbst?
Da sich Wissenschaft nicht aus der Abkehr von, wohl aber aus der Distanz zur Welt legitimiert, sollten sich die Themenfelder des nächsten Jahrbuchs weniger den Konjunkturen anpassen. Zu Recht bestimmen Rechtsextremismus und vergleichende Totalitarismusanalysen das Forschungsinteresse. Aber darin müßte endlich stärker die geistige Auseinandersetzung mit fundamentalistisch-extremistischen Bestrebungen von Ausländern einbezogen werden. Laut Schilys Verfassungsschutzbericht haben deren sicherheitsgefährdende Organisationen zur Zeit 59 700 Mitglieder mit steigender Tendenz. Eine Zahl, welche die der deutschen Rechtsextremisten (51 400) und Linksextremisten (34 200) übertrifft, problematisiert die Integration als Segregation.
MANFRED FUNKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rechts- und Linksextremismus in der Demokratie
Uwe Backes, Eckhard Jesse (Herausgeber): Extremismus & Demokratie. 11. Jahrgang 1999. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000. 521 Seiten, 76,- Mark.
Der elfte Jahresband "Extremismus & Demokratie" liegt vor. Von Steffen Heitmann bis Iring Fetscher, von Klaus von Beyme bis Imanuel Geiss zeigt sich das gesamte Ensemble in antitotalitärer Äquidistanz zum Rechts- wie Linksextremismus. So hat es seinerzeit das Bundesverfassungsgericht aus dem Geist des Grundgesetzes mit der Verbotsbegründung gegenüber SRP 1952 und KPD 1956 zur Bürgerpflicht gemacht.
Auch das neue Jahrbuch bewährt sich als Klärwerk der Trübstoffe aus politischen und medialen Immissionen des Zeitgeistes, welche militante Extremisten, die Moralismus-Boheme, die antifaschistischen Brummkreisel und das intellektuelle Flagellantentum absondern. "Zur real existierenden BRD passen die Reps wie der Arsch auf den Eimer", heißt es etwa in einem Buch des Marburger Professors Georg Fühlberth (DKP). Gesäßhaftes Marxismus-Niveau bescheinigt Stefan Wolle solchen Ausführungen.
Literaturberichte und Rezensionen, eine kommentierte Bibliographie und Tagungshinweise machen die zweite Hälfte des Bandes aus. Die erste Hälfte versammelt umfassende Analysen extremistischen Wahlverhaltens, Veränderungen im Elektorat, dazu Dokumente und Dossiers über Spannungslagen zwischen Diktatur und Demokratie. Man findet, solide von Eckhard Jesse kommentiert, die Auflösungserklärung der RAF. Matthias Mletzko untersucht Motive für "expressive" oder "instrumentelle" Gewaltbereitschaft. Armin Pfahl-Traughbers Studie über den zweiten Frühling der NPD oder Axel Brückoms Darstellung über das Eindringen der PDS in die Mehrheitskultur der neuen Bundesländer via "Magdeburger" und "Schweriner Modell" werfen die Frage nach dem Ende der Eindeutigkeit auf. Gerät die Marginalisierung von Überzeugungstreue durch Machtvermarktung zur Routine? Immerhin attestiert das Bundesamt für Verfassungsschutz der PDS weiterhin "ein zwiespältiges Verhältnis zum parlamentarischen System".
Seinen kenntnisreichen Bericht über Geschichte, Gestalt und Aktualität der Extremismen in Frankreich schließt Uwe Backes mit der Prognose, daß in Frankreich die Voraussetzung für eine vergleichende Extremismusforschung entstehen könnte. Backes beobachtete bei seinem Forschungsaufenthalt im Nachbarland, daß sich bei der Diskussion über die parallelen totalitären Massenverbrechen der Krampf etwas gelockert hat, Vergleiche würden für Gleichsetzungen disponibel - und zwar dank des hohen Prestiges von François Furet.
Dessen Briefwechsel mit Ernst Nolte wird von Brigitte Seebacher-Brandt und von Peter Steinbach abgehandelt. Für Steinbach beschränkt sich die "Feindliche Nähe", so der Titel der Briefe-Edition, auf die totalitäre Selbstermächtigung Stalins und Hitlers zu Massenvernichtungen. In der Frage des Prius, der Geburt der Auschwitz-Tragödie aus dem Feindschaftsprinzip gegen den revolutionären Universalismus von 1917, zeige sich Furet gegen Nolte ebenso verschlossen wie gegen dessen Theorie von der immanenten Rationalität einer Putativ-Notwehr. Während Steinbach verhaltensklug das Besteck wissenschaftlicher Obduktion führt, sprüht Seebacher-Brandt viel Geist mit wenig Kondition: "Furet versäumte die einmalige Gelegenheit, ohne die hochmütige Borniertheit deutscher Nolte-Gegner - mit dem Kommunismus meist auch noch die deutsche Teilung entschuldigend - die Gedankengebäude des Briefpartners auf ihr Fundament hin zu untersuchen." Die Rezensentin tut das selbst auch nicht. Sie bescheinigt vielmehr den Geschichtstheorien Furets und Noltes so viele "fundamentale Fehler, daß man glaubt, Gespenster zu sehen". Werden solche Gespenster aber nicht eher herbeibemüht als vertrieben, wenn der Schlußsatz der Autorin mahnt: "Daß Vergleiche stets wertende Rangfolgen in sich bergen und zur Annahme von Monokausalitäten verleiten, muß der Geschichtsschreibung erst wieder bewußt werden." Tatsächlich? Haben nicht vielmehr alle Monokausalitäten ihre Ursprünge in der Dialektik selbst?
Da sich Wissenschaft nicht aus der Abkehr von, wohl aber aus der Distanz zur Welt legitimiert, sollten sich die Themenfelder des nächsten Jahrbuchs weniger den Konjunkturen anpassen. Zu Recht bestimmen Rechtsextremismus und vergleichende Totalitarismusanalysen das Forschungsinteresse. Aber darin müßte endlich stärker die geistige Auseinandersetzung mit fundamentalistisch-extremistischen Bestrebungen von Ausländern einbezogen werden. Laut Schilys Verfassungsschutzbericht haben deren sicherheitsgefährdende Organisationen zur Zeit 59 700 Mitglieder mit steigender Tendenz. Eine Zahl, welche die der deutschen Rechtsextremisten (51 400) und Linksextremisten (34 200) übertrifft, problematisiert die Integration als Segregation.
MANFRED FUNKE
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