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"Ich möchte die Kenntnis von Litauen und den Sieg des Geistes vervollständigen und weiterführen. Ich möchte Verbindungen zwischen Menschen festigen, wie wir sie in jenen Tagen (des Januars 1991, in denen es der sowjetischen Blockade Litauens standzuhalten galt) über weite Entfernungen hinweg gespürt haben. Sie sind das Wichtigste, sie können die Welt retten - Litauen war damals nur ein Auslöser, ein Faktor, diese Verbindungen sichtbar werden zu lassen." (Vytautas Landsbergis)

Produktbeschreibung
"Ich möchte die Kenntnis von Litauen und den Sieg des Geistes vervollständigen und weiterführen. Ich möchte Verbindungen zwischen Menschen festigen, wie wir sie in jenen Tagen (des Januars 1991, in denen es der sowjetischen Blockade Litauens standzuhalten galt) über weite Entfernungen hinweg gespürt haben. Sie sind das Wichtigste, sie können die Welt retten - Litauen war damals nur ein Auslöser, ein Faktor, diese Verbindungen sichtbar werden zu lassen." (Vytautas Landsbergis)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.1997

Umsturz und altes Liedgut
Erinnerungen des litauischen Parlamentspräsidenten Landsbergis

Vytautas Landsbergis: Jahre der Entscheidung. Litauen auf dem Weg in die Freiheit. Eine politische Autobiographie. Aus dem Litauischen von Irena Ülkekul. Edition Tertium, Ostfildern 1997. 432 Seiten, Abbildungen, 48,- Mark.

Es ist kein glattes Bild, das sich dem Leser bietet, der an der Entstehung der Volksbewegung Sajudis interessiert ist, der wissen möchte, was den baltischen Weg ausmachte, die "singende Revolution", oder der Näheres erfahren will über die Rolle der Künstler in den Grenzen der Sowjetunion vor dem politischen Umbruch, Ende der achtziger Jahre. Der Autor polarisiert und schildert die Alltagserscheinungen recht ungeschminkt. So beispielsweise, wo es um die Frage geht: Was konnte der einzelne tun angesichts strikter Gängelung und konsequenter Überwachung? Welche Möglichkeiten eines gemeinsamen Vorgehens bestanden, und wie ließen sich überhaupt die staatlich festgelegten Maßnahmen umgehen unter Beibehaltung der sogenannten Spielregeln?

"Zu den Wahlen" unseres Verbandes, schildert der Musikwissenschaftler, "kam der Leiter der Kulturabteilung des Zentralkomitees der litauischen kommunistischen Partei oder ein ähnlich hoher Beamter, der sie auch leitete. Den Mitgliedern der Künstlerorganisation suggeriert man, daß Protest sinnlos sei, weil die Leitung sowieso ihren Willen durchsetzen würde und man damit nur in Ungnade fallen und somit keinen Platz mehr ,am Tisch' erhalten könne - was für einen Komponisten den Verlust von Aufträgen oder Gehaltsaufbesserungen bedeutete."

Mit der Zeit waren immer mehr Künstler und Wissenschaftler über die "unechten, mechanischen und marionettenhaften Wahlen" erbost, stellten selbst Kandidaten zur Wahl auf, planten frühzeitig mit und verloren allmählich ihre Angst, Kritik zu äußern. Doch es war nicht einfach, den typischen Betrug zu umgehen. Dazu stand man vor der Frage: Konformismus oder Verlust einer Auslandsreise. Bezugscheine für einen Kühlschrank oder Absetzung von der Teilnahme an einer Delegation?

Einmal, so erinnert sich Landsbergis, "als der entscheidende Moment gekommen war, schrak unser Gewährsmann zurück und schwieg mit gesenktem Haupt. Es war mir sehr unangenehm - sind wir denn alle so schwach? -, und ich erhob meine Hand: ,Ich empfehle einen anderen Kandidaten.' Die Routine des Gehorsams war durchbrochen. Ein einflußreicher Vertreter versuchte, mich lächerlich zu machen, indem er arrogant ausrief: ,Einen Kandidaten stellt das Zentralkomitee der Partei und das Kultusministerium auf, einen anderen Genosse Landsbergis.' Der Versuch scheiterte, beide Kandidaten lehnten ab. Die Prozedur mußte unterbrochen werden, und zwei Wochen später hatten wir einen dritten - den neuen Vorsitzenden des Komponistenverbandes. Es stellt sich heraus, daß ein Fuß in die Tür zur Demokratie gestellt worden war."

Der Kampf um die Kultur bedeutete stets Politik. Ob bei der jährlichen Konferenz der Kulturwissenschaftler, wo man versuchte, für die geopolitische Gemeinsamkeit der drei Länder Estland, Lettland und Litauen einzutreten, oder einfach beim Schreiben einer Kritik: alles Gedachte zu sagen blieb persönlich unvorteilhaft und bedeutete stets den Verzicht auf den besagten Kühlschrank.

Von der Bevölkerung unterstützt, entstand dann 1988 unter dem Namen Sajudis in Litauen eine politische Bewegung, der es bald gelang, den großen Druck des sowjetischen Totalitarismus zu überwinden. Dabei rechnete man auf Unterstützung aus allen Nachbarländern, besonders von seiten der polnischen Solidarnosc. Gorbatschows Perestrojka wurde zum Steigbügelhalter, indem man sich in der öffentlichen Kritik auf all diejenigen konzentrierte, die gegen die Umgestaltung waren. So propagierte man keinen antikommunistischen Kreuzzug, sondern schlicht Reformen. Gläubige und Atheisten, Unabhängige und Umweltschützer sollten ihren Platz darin finden. Am Ende, so resümiert der Autor wörtlich, "verdankt Sajudis paradoxerweise den Ideen des Kreises um den weit entfernten Gorbatschow viel für den Aufbau einer Opposition, die den Traditionen der westlichen Demokratie entspricht".

Heute, ziemlich genau sechs Jahre nach dem faktischen Ende des osteuropäischen Imperiums unter dem Kürzel UdSSR, heute, wo man sich anschickt, allmählich auch die baltischen Staaten in die westeuropäischen Bündnissysteme aufzunehmen, da mögen derartige Schilderungen aus den späten achtziger Jahren vielleicht schon fremd oder übertrieben wirken, und nicht wenige könnten versucht sein, den litauischen Freiheitskämpfer nun in die rechte Ecke zu stellen und als politischen Moralisten abzutun.

Tatsächlich und bedauerlicherweise gibt das Buch von Vytautas Landsbergis, dem heutigen Parlamentspräsidenten Litauens, Anlaß zur Kritik: Da ist die streckenweise eigenwillige und holprig ablaufende Übersetzung, die gerade im Anfangsteil, besonders bei der Darstellung des Jahres 1991, ein recht holzschnittartiges Bild vermittelt und den Lesefluß sowie das Verständnis mitunter stark beeinträchtigt. Zwar bat der Verfasser öffentlich um Verständnis für die vielen Mängel, da er als aktiver Politiker ohne Ghostwriter nicht genügend Zeit habe, sich der Schriftstellerei und dem Nachforschen in der üblichen Weise zu widmen. Doch wäre dem Autor ein erfahrenes Lektorat zu wünschen gewesen.

Andererseits bieten Gliederung und Aufmachung der gesamten Abhandlung, die vom Jahre 1992 bis an den Anfang des Jahrhunderts zurückreicht, die Möglichkeit, gezielt Informationen aufzusuchen und aus dem bunten Gemisch von politischen Beobachtungen brauchbare Schlußfolgerungen zu ziehen, die für das Auffüllen der Wissenslücken zwischen Ost und West sehr hilfreich sind. Sei es zur Einschätzung des Traditionsbewußtseins, zum Versuch einer Etikettierung von "rechts" und "links" oder in wesentlichen ökologischen Fragen wie der Bedrohung der Natur.

In den Erfahrungen mit seinem Vater, einem erfahrenen Architekten, der im Kriege erst nach Deutschland und dann nach Australien verschlagen wurde, lernte Landsbergis die Zerstörung historischer Gebäude und Stadtkerne zu beurteilen, die oft einfach nur dem Bau von Hotels oder Lenin-Denkmälern geopfert wurden. Im Strom der Zeit, der mal langsam, mal schnell dahinfließenden Ereignisse zeichnet der Autor am Beispiel seiner Familie ein Bild, das stellvertretend für viele andere Zeugnis ablegt von der jüngeren litauischen Geschichte und ihrer weitreichenden Verwurzelung in Mitteleuropa. Dabei spielen Kunst im allgemeinen und die Musik im besonderen eine ganz wichtige Rolle. Früh hatten Landsbergis und seine Altersgenossen, das sind die heute Sechzigjährigen, erkannt, wie wichtig die Wiederbelebung des Volksliedes war. "Jeder Mensch kennt Volkslieder", schreibt er damals und fährt fort, "jeder denkt jedoch, sie seien altmodisch, so daß keiner mehr singt, sondern nur moderne Dummheiten trällert, um sich damit unter Seinesgleichen fühlen zu können. Einfältiger Nichtigkeiten wegen verzichtet man auf ein echtes Geschenk." Jahrzehntelang war behauptet worden, daß das Volkslied alte Zeiten widerspiegele und daher nicht mehr zeitgemäß sei. Landsbergis und andere hat das herausgefordert, damals in den siebziger Jahren. Sie wollten den Ideologen beweisen, daß Kunst nicht nach dem Entstehungsdatum zu bewerten ist. Damit waren sie erfolgreich, denn als am 13. Januar 1991 sowjetische Panzer durch Vilnius rollten, leisteten die Litauer passiven Widerstand, indem sie Volkslieder sangen. So entstand weltweit das Bild von der singenden Revolution, ein Bild, hinter dem "die Geschicke des Staates und der Gesellschaft durchschimmern", wie Landsbergis hofft. JULIAN WYSZNSKI-TRZYWDAR

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