Die Anatomie einer toxischen Partnerschaft.
Mit »Das Mädchen« und »April« - beide auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis - schrieb Angelika Klüssendorf die Geschichte einer starken jungen Frau, die ihren Weg geht unter widrigen Umständen. »Jahre später« erzählt nun von der intensivsten, aber auch zerstörerischsten Beziehung des erwachsenen Mädchens April - ihrer Ehe.
Auf einer Lesung lernt sie einen Mann kennen, der April zunächst durch seine dreist raumnehmende Art auffällt. Es ist nicht Sympathie, die sie zusammenführt. Es ist eine andere Form der Anziehung: Intensität. Angelika Klüssendorf erzählt, wie eine Liebe zwischen zwei radikalen Einzelgängern entsteht, die beide mit ihren eigenen Mitteln versuchen, ins Soziale zu finden und zu sich selbst. Es ist eine Geschichte von der Bereitschaft, sich zu öffnen, von glühender Gemeinsamkeit, aber auch den unaufhaltsamen Fliehkräften, die das Paar auseinandertreiben. Ohne jemals Partei zu ergreifen oder seine Figuren zu denunzieren, entwickelt »Jahre später« die Anatomie einer toxischen Partnerschaft. Als Leser wünscht man bis zuletzt, dass es gelingen möge, und zugleich, dass es endlich ein Ende hat mit den beiden. Ein Buch, das keinen Moment lang unberührt lässt.
»Lebensprall und traurig, unsentimental und präzise, mit großer Lakonie: ein Meisterwerk« Die Jury des Deutschen Buchpreises 2014 über Angelika Klüssendorfs »April«
Mit »Das Mädchen« und »April« - beide auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis - schrieb Angelika Klüssendorf die Geschichte einer starken jungen Frau, die ihren Weg geht unter widrigen Umständen. »Jahre später« erzählt nun von der intensivsten, aber auch zerstörerischsten Beziehung des erwachsenen Mädchens April - ihrer Ehe.
Auf einer Lesung lernt sie einen Mann kennen, der April zunächst durch seine dreist raumnehmende Art auffällt. Es ist nicht Sympathie, die sie zusammenführt. Es ist eine andere Form der Anziehung: Intensität. Angelika Klüssendorf erzählt, wie eine Liebe zwischen zwei radikalen Einzelgängern entsteht, die beide mit ihren eigenen Mitteln versuchen, ins Soziale zu finden und zu sich selbst. Es ist eine Geschichte von der Bereitschaft, sich zu öffnen, von glühender Gemeinsamkeit, aber auch den unaufhaltsamen Fliehkräften, die das Paar auseinandertreiben. Ohne jemals Partei zu ergreifen oder seine Figuren zu denunzieren, entwickelt »Jahre später« die Anatomie einer toxischen Partnerschaft. Als Leser wünscht man bis zuletzt, dass es gelingen möge, und zugleich, dass es endlich ein Ende hat mit den beiden. Ein Buch, das keinen Moment lang unberührt lässt.
»Lebensprall und traurig, unsentimental und präzise, mit großer Lakonie: ein Meisterwerk« Die Jury des Deutschen Buchpreises 2014 über Angelika Klüssendorfs »April«
buecher-magazin.deEine unglückliche Kindheit hat Angelika Klüssendorf im Roman "Das Mädchen" beschrieben, eine schwierige Jugend in "April". Da darf man im dritten Teil des Zyklus nicht eitel Sonnenschein erwarten. Aber ein wenig Hoffnung und Vertrauen, vielleicht gar Liebe wird zunächst gesät. Aus dem Mädchen mit Namen April ist eine Schriftstellerin geworden. Bei einer Lesung lernt sie Ludwig kennen, einen Arzt, der ihr einigermaßen seltsam vorkommt. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb fühlt sich April sofort mit ihm verbunden und vertraut. Tatsächlich entsteht daraus eine Ehe, eine Familie mit einem gemeinsamen Kind. Und zugleich eine riesige Überforderung. Ludwig zieht sich abends vor den Computer mit lärmenden Kriegsspielen zurück, April versucht sich in der Rolle einer fürsorglichen Gattin und Mutter. Das kann nicht gutgehen. Ludwig erweist sich zunehmend als menschenverachtender Dämon: "Ich werde dich zertreten wie einen Parasiten", droht er April. Wie Angelika Klüssendorf die zarten und hoffnungsvollen Triebe dieser ungleichen Beziehung schildert und schließlich die nicht mehr zu kittenden Zerwürfnisse und das Ende einer Ehe, ist in seiner Radikalität von großer Eindringlichkeit: eine schnörkellose, glasklare, schonungslose Prosa, wie sie nicht oft zu lesen ist.
© BÜCHERmagazin, Jeanette Stickler
© BÜCHERmagazin, Jeanette Stickler
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2018Lebenslädiert geht es hinein in die Liebesfalle
Wie wirklichkeitsnah ist das? Angelika Klüssendorf setzt mit "Jahre später" ihren autobiographisch grundierten Romanzyklus fort
Protagonisten eines Eheromans können einem nur leid tun. Ihr Schicksal ist stets besiegelt, bevor ihre Liebe auch nur erblühen kann. Von glücklichen Ehen lässt sich nicht erzählen. Eheromane leben vom Scheitern. Da kennt die Gattungsvorgabe keine Gnade, wie sollte sich sonst auch die für Eheromane charakteristische Mitleidsästhetik entfalten?
Wenn es also von April und Ludwig, den Hauptfiguren von Angelika Klüssendorfs Eheroman "Jahre später", nach nur vierzehn Seiten Erzählzeit heißt: "Heirat. Das ist Ludwigs nächster Plan", würde man dem Paar gerne ein warnendes "Langsam, Langsam" zuflüstern. Und wenn die Chronik der Gefühle nur zwei Seiten später Vollzug vermeldet und die beiden ironischerweise ausgerechnet im Wedding heiraten lässt, ist es um das Paar geschehen. Von jetzt an bleibt nur die Frage, warum ihre Ehe in die Brüche gehen wird und welchen Akzent dieser Eheroman im Vergleich zu seinen zahlreichen Vorgängern setzen wird.
"Jahre später" setzt Klüssendorfs Erfolgsromane "Das Mädchen" (2011) und "April" (2014) fort. Die Titelfolge bietet ein Erzählextrakt: es geht in dieser Trilogie um das Mädchen April. Wobei der dritte Band jetzt nach einem gehörigen Zeitsprung einsetzt, und zwar im Jahr 1989, kurz vor dem Mauerfall, "Jahre später", nachdem April die zerstörerischen Kräfte ihrer Kindheit in Familie und Heim, die Repressalien der DDR und die Schwierigkeiten nach ihrer Ausreise in den Westen Berlins einigermaßen lebenslädiert überstanden hat. Aus dem Mädchen April ist die junge Frau April geworden, getrennt lebend, Mutter eines elfjährigen Sohnes. Sie steht kurz davor, ihr Romandebüt zu veröffentlichen. Den Chirurgen Ludwig lernt sie bei einer ihrer Lesungen in Hamburg kennen.
April ist eine der faszinierendsten, weil sprödesten, wütendsten und unnahbarsten weiblichen Figuren, die eine Autorin der deutschsprachigen Literatur in jüngster Zeit geschenkt hat. April also gehört das Mitleid der Leser. Ihr gelten Empathie und Sorge, wenn ihr die Liebe zu Ludwig einen steilen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht, wenn sie noch einmal Mutter wird, sich gleichzeitig als Literatin etabliert und doch auf den unausweichlichen Ehebruch zusteuert.
Welchen Grund bietet der Roman für das Scheitern der Ehe? Seine offensichtliche Antwort lautet: Ludwig und April sind zu extrem. Bei April liegt es an den vielen Wunden, die sie von ihrer Kindheit und Jugend mit sich trägt. Ludwig hingegen wird als hochgradig narzisstisches Kraftgenie gezeichnet, glanz- und anerkennungssüchtig, eingesponnen in einen Kokon aus Lügen, die nicht einmal mehr darauf abzielen, das Gegenüber zu überzeugen. Vielmehr kalkulieren sie dreist mit ein, dass der andere aus Rücksicht, Loyalität und Angst darauf verzichten wird, das Lügengebäude einzureißen. Da treffen sich zwei, bei denen es nur krachen kann. Und die Pointe des Romans besteht darin, dass das Scheitern der Ehe direkt in die weibliche Autorschaft mündet. Denn aus den Ehetrümmern erhebt sich zuletzt der Anfangssatz von Klüssendorfs Roman "Das Mädchen". Figur und Autorin fallen für einen Moment in eins, das Ende der Liebe wird zum Anfang des literarischen Erzählens.
Die Verklammerung von Autorin und Figur zeigt, dass Klüssendorf wie bei den beiden Vorgängerromanen schon mit der Auto(r)fiktion spielt, also mit der Tatsache, dass das Dargestellte sich so nah an das Leben der Autorin anschmiegt, wie es nur geht, ohne mit der Wirklichkeit identisch zu werden. Ein gravierender Unterschied besteht allerdings zwischen der autobiographischen Anlage dieses dritten Bandes und den beiden vorherigen Büchern: "Jahre später" erzählt von einer Zeit, in der Klüssendorf als Autorin bereits eine öffentliche Person war, zumal sie in dieser Zeit mit Frank Schirrmacher verheiratet war, der dann Herausgeber dieser Zeitung wurde. Ist "Jahre später" also ein Schlüsselroman, der die Geheimnisse eines in der Öffentlichkeit stehenden Paares lüftet?
Nein, und zwar sprechen vor allem drei Gründe dagegen. Erstens bleibt der Roman zu gezielt im Allgemeinen und zählt statt individueller Eigenschaften längst bekannte Topoi auf. Zweitens liegt das Augenmerk des Erzählens dafür zu deutlich und zu einseitig auf der Psychologie und Sichtweise der weiblichen Hauptfigur. Und drittens spricht die Verwendung des epischen Präsens gegen diese Lesart. Denn das Präsens sorgt im Gegensatz zum epischen Präteritum dafür, dass man sich als Leser nicht vorbehaltlos in die erzählte Geschichte vertieft, sondern regelmäßig auf deren Konstruktion und Gemachtheit hingewiesen wird.
Dennoch führt Klüssendorfs autobiographische Schreibweise zu einer Grundsatzfrage, die sich allen mit möglichst geringem Fiktionalitätsanteil arbeitenden Romanen stellt. Verschleißt sich dieses Wirklichkeitsmaterial nicht, wenn man wie in diesem Fall - juristisch sicher gut beraten - aus der Ehe zwischen prominentem Feuilletonisten und literarischer Debütantin ein Nachfolgepaar von Charles und Emma Bovary macht? Es ist von anderer Sprengkraft, wenn sie Beckett verehrt und er eben nicht nur als Chirurg ein weiterer Fan ist, sondern als Literaturchef behauptet, mit dem Autor in Freundschaft verbunden zu sein. Und die Konfliktlinie verläuft ebenfalls anders, wenn eine aufstrebende Literatin ausgerechnet dem Feuilletonisten und nicht irgendeinem Arzt den Schreibtisch aufräumt.
Jenseits des Autobiographischen zeigt sich Klüssendorf jedoch abermals auf der Höhe ihrer Erzählkunst. Sie ist eine Meisterin des episodischen Erzählens, die gekonnt einzelne Ereignisse aus dem Lebensfluss isoliert, um ihnen so eine enorme symbolische Strahlkraft zu geben. Durch ihre stark raffende Erzählweise, die nur einmal erzählt, was vielfach geschehen ist, gewinnt sie dem Alltäglichen klare Konturen ab. Und in dichten Passagen durchlaufen die knappen, präzisen Sätze auf engstem Raum die Spannbreite von äußerlichen Phänomenen bis zu Erscheinungen des verborgenen Inneren: "Sam rasiert sich die Kopfhaut kahl. Die Tage haben keine Farben. Ihre Atemzüge fühlen sich bleiern an." So entschlackt und nüchtern kann das nur Klüssendorf.
Doch so ausgefeilt ihre psychologische Schreibweise einerseits funktioniert, so erschreckend wirkt andererseits, wie limitiert die psychologische Kompetenz der beiden Ehepartner ausfällt. Schon als Verliebte finden sich April und Ludwig eigentlich nur dann, wenn sie sich infantilisieren: Ihre Liebe beweisen sie sich, indem sie sich zu Ladendiebstählen überreden, Tiere im Zoogeschäft befreien oder bunte Telefonstreiche mit - ach, wie aufregend - verstellten Stimmen machen. Das soll intime Kommunikation eines erwachsenen Paares sein?
Fatale Phantasietristesse bestimmt die Figuren auch bei der Einrichtung des eigenen Lebens. Treffen sich zwei exzentrische Figuren, die voneinander wissen, wie eigen sie sind. Und prompt richten sie ihr Leben im Biedermeier-Stil ein: Heirat, Kind, Wohnung, Haus. Sein beruflicher Aufstieg lässt sie zwischen Herd, Kinderzimmer und Schreibtisch zurück. Der Mann verkörpert brav hegelianisch "nach Außen das Mächtige und Bethätigende", und die Frau findet angeblich in der Familie "ihre substantielle Bestimmung". Das kann doch ein so eigenwilliges Paar selbst nicht glauben. Und schon gar nicht so tun, als gebe es zu diesem Lebensentwurf keine Alternative.
Wer sich selbst ins Wertegefängnis sperrt und beflissentlich ignoriert, dass da längst keine Mauern mehr stehen, kann auf das Mitleid anderer nur begrenzt hoffen. Wenn es im Eheroman aber am Mitleid bröckelt, dann gefährdet dies die gesamte Konstruktion. Oder führt es die Konstruiertheit des ganzen Wertesystems vor Augen? Sicher kann man sich in diesem Punkt bei Angelika Klüssendorfs Erzählen nicht sein. Und das ist ein klares Manko dieses starken, aber nicht auf allen Ebenen hochkarätigen Romans.
CHRISTIAN METZ
Angelika Klüssendorf: "Jahre später". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 160 S., geb., 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie wirklichkeitsnah ist das? Angelika Klüssendorf setzt mit "Jahre später" ihren autobiographisch grundierten Romanzyklus fort
Protagonisten eines Eheromans können einem nur leid tun. Ihr Schicksal ist stets besiegelt, bevor ihre Liebe auch nur erblühen kann. Von glücklichen Ehen lässt sich nicht erzählen. Eheromane leben vom Scheitern. Da kennt die Gattungsvorgabe keine Gnade, wie sollte sich sonst auch die für Eheromane charakteristische Mitleidsästhetik entfalten?
Wenn es also von April und Ludwig, den Hauptfiguren von Angelika Klüssendorfs Eheroman "Jahre später", nach nur vierzehn Seiten Erzählzeit heißt: "Heirat. Das ist Ludwigs nächster Plan", würde man dem Paar gerne ein warnendes "Langsam, Langsam" zuflüstern. Und wenn die Chronik der Gefühle nur zwei Seiten später Vollzug vermeldet und die beiden ironischerweise ausgerechnet im Wedding heiraten lässt, ist es um das Paar geschehen. Von jetzt an bleibt nur die Frage, warum ihre Ehe in die Brüche gehen wird und welchen Akzent dieser Eheroman im Vergleich zu seinen zahlreichen Vorgängern setzen wird.
"Jahre später" setzt Klüssendorfs Erfolgsromane "Das Mädchen" (2011) und "April" (2014) fort. Die Titelfolge bietet ein Erzählextrakt: es geht in dieser Trilogie um das Mädchen April. Wobei der dritte Band jetzt nach einem gehörigen Zeitsprung einsetzt, und zwar im Jahr 1989, kurz vor dem Mauerfall, "Jahre später", nachdem April die zerstörerischen Kräfte ihrer Kindheit in Familie und Heim, die Repressalien der DDR und die Schwierigkeiten nach ihrer Ausreise in den Westen Berlins einigermaßen lebenslädiert überstanden hat. Aus dem Mädchen April ist die junge Frau April geworden, getrennt lebend, Mutter eines elfjährigen Sohnes. Sie steht kurz davor, ihr Romandebüt zu veröffentlichen. Den Chirurgen Ludwig lernt sie bei einer ihrer Lesungen in Hamburg kennen.
April ist eine der faszinierendsten, weil sprödesten, wütendsten und unnahbarsten weiblichen Figuren, die eine Autorin der deutschsprachigen Literatur in jüngster Zeit geschenkt hat. April also gehört das Mitleid der Leser. Ihr gelten Empathie und Sorge, wenn ihr die Liebe zu Ludwig einen steilen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht, wenn sie noch einmal Mutter wird, sich gleichzeitig als Literatin etabliert und doch auf den unausweichlichen Ehebruch zusteuert.
Welchen Grund bietet der Roman für das Scheitern der Ehe? Seine offensichtliche Antwort lautet: Ludwig und April sind zu extrem. Bei April liegt es an den vielen Wunden, die sie von ihrer Kindheit und Jugend mit sich trägt. Ludwig hingegen wird als hochgradig narzisstisches Kraftgenie gezeichnet, glanz- und anerkennungssüchtig, eingesponnen in einen Kokon aus Lügen, die nicht einmal mehr darauf abzielen, das Gegenüber zu überzeugen. Vielmehr kalkulieren sie dreist mit ein, dass der andere aus Rücksicht, Loyalität und Angst darauf verzichten wird, das Lügengebäude einzureißen. Da treffen sich zwei, bei denen es nur krachen kann. Und die Pointe des Romans besteht darin, dass das Scheitern der Ehe direkt in die weibliche Autorschaft mündet. Denn aus den Ehetrümmern erhebt sich zuletzt der Anfangssatz von Klüssendorfs Roman "Das Mädchen". Figur und Autorin fallen für einen Moment in eins, das Ende der Liebe wird zum Anfang des literarischen Erzählens.
Die Verklammerung von Autorin und Figur zeigt, dass Klüssendorf wie bei den beiden Vorgängerromanen schon mit der Auto(r)fiktion spielt, also mit der Tatsache, dass das Dargestellte sich so nah an das Leben der Autorin anschmiegt, wie es nur geht, ohne mit der Wirklichkeit identisch zu werden. Ein gravierender Unterschied besteht allerdings zwischen der autobiographischen Anlage dieses dritten Bandes und den beiden vorherigen Büchern: "Jahre später" erzählt von einer Zeit, in der Klüssendorf als Autorin bereits eine öffentliche Person war, zumal sie in dieser Zeit mit Frank Schirrmacher verheiratet war, der dann Herausgeber dieser Zeitung wurde. Ist "Jahre später" also ein Schlüsselroman, der die Geheimnisse eines in der Öffentlichkeit stehenden Paares lüftet?
Nein, und zwar sprechen vor allem drei Gründe dagegen. Erstens bleibt der Roman zu gezielt im Allgemeinen und zählt statt individueller Eigenschaften längst bekannte Topoi auf. Zweitens liegt das Augenmerk des Erzählens dafür zu deutlich und zu einseitig auf der Psychologie und Sichtweise der weiblichen Hauptfigur. Und drittens spricht die Verwendung des epischen Präsens gegen diese Lesart. Denn das Präsens sorgt im Gegensatz zum epischen Präteritum dafür, dass man sich als Leser nicht vorbehaltlos in die erzählte Geschichte vertieft, sondern regelmäßig auf deren Konstruktion und Gemachtheit hingewiesen wird.
Dennoch führt Klüssendorfs autobiographische Schreibweise zu einer Grundsatzfrage, die sich allen mit möglichst geringem Fiktionalitätsanteil arbeitenden Romanen stellt. Verschleißt sich dieses Wirklichkeitsmaterial nicht, wenn man wie in diesem Fall - juristisch sicher gut beraten - aus der Ehe zwischen prominentem Feuilletonisten und literarischer Debütantin ein Nachfolgepaar von Charles und Emma Bovary macht? Es ist von anderer Sprengkraft, wenn sie Beckett verehrt und er eben nicht nur als Chirurg ein weiterer Fan ist, sondern als Literaturchef behauptet, mit dem Autor in Freundschaft verbunden zu sein. Und die Konfliktlinie verläuft ebenfalls anders, wenn eine aufstrebende Literatin ausgerechnet dem Feuilletonisten und nicht irgendeinem Arzt den Schreibtisch aufräumt.
Jenseits des Autobiographischen zeigt sich Klüssendorf jedoch abermals auf der Höhe ihrer Erzählkunst. Sie ist eine Meisterin des episodischen Erzählens, die gekonnt einzelne Ereignisse aus dem Lebensfluss isoliert, um ihnen so eine enorme symbolische Strahlkraft zu geben. Durch ihre stark raffende Erzählweise, die nur einmal erzählt, was vielfach geschehen ist, gewinnt sie dem Alltäglichen klare Konturen ab. Und in dichten Passagen durchlaufen die knappen, präzisen Sätze auf engstem Raum die Spannbreite von äußerlichen Phänomenen bis zu Erscheinungen des verborgenen Inneren: "Sam rasiert sich die Kopfhaut kahl. Die Tage haben keine Farben. Ihre Atemzüge fühlen sich bleiern an." So entschlackt und nüchtern kann das nur Klüssendorf.
Doch so ausgefeilt ihre psychologische Schreibweise einerseits funktioniert, so erschreckend wirkt andererseits, wie limitiert die psychologische Kompetenz der beiden Ehepartner ausfällt. Schon als Verliebte finden sich April und Ludwig eigentlich nur dann, wenn sie sich infantilisieren: Ihre Liebe beweisen sie sich, indem sie sich zu Ladendiebstählen überreden, Tiere im Zoogeschäft befreien oder bunte Telefonstreiche mit - ach, wie aufregend - verstellten Stimmen machen. Das soll intime Kommunikation eines erwachsenen Paares sein?
Fatale Phantasietristesse bestimmt die Figuren auch bei der Einrichtung des eigenen Lebens. Treffen sich zwei exzentrische Figuren, die voneinander wissen, wie eigen sie sind. Und prompt richten sie ihr Leben im Biedermeier-Stil ein: Heirat, Kind, Wohnung, Haus. Sein beruflicher Aufstieg lässt sie zwischen Herd, Kinderzimmer und Schreibtisch zurück. Der Mann verkörpert brav hegelianisch "nach Außen das Mächtige und Bethätigende", und die Frau findet angeblich in der Familie "ihre substantielle Bestimmung". Das kann doch ein so eigenwilliges Paar selbst nicht glauben. Und schon gar nicht so tun, als gebe es zu diesem Lebensentwurf keine Alternative.
Wer sich selbst ins Wertegefängnis sperrt und beflissentlich ignoriert, dass da längst keine Mauern mehr stehen, kann auf das Mitleid anderer nur begrenzt hoffen. Wenn es im Eheroman aber am Mitleid bröckelt, dann gefährdet dies die gesamte Konstruktion. Oder führt es die Konstruiertheit des ganzen Wertesystems vor Augen? Sicher kann man sich in diesem Punkt bei Angelika Klüssendorfs Erzählen nicht sein. Und das ist ein klares Manko dieses starken, aber nicht auf allen Ebenen hochkarätigen Romans.
CHRISTIAN METZ
Angelika Klüssendorf: "Jahre später". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 160 S., geb., 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Wenn er Grau als Farbe für Angelika Klüssendorfs neuen Roman "Jahre später" bestimmt, meint Rezensent Paul Jandl das nicht im geringsten negativ: Es ist in seinen Augen nur nach wie vor die Farbe der unsicheren Protagonistin April, die man schon aus den beiden letzten Romanen Klüssendorfs kennt. So sei auch die Bilanz grau getönt, die April in "Jahre später" über ihre gescheiterte Ehe ziehe. Gut gefallen hat Jandl die feinsinnige Typologie: Ein genialischer Ehemann, der "die niedrigsten Impulse nicht im Griff hat", und eine in sich gekehrte Ehefrau, deren Einigelungsstrategie auf Dauer nicht mit dem Narzissmus des Ehemanns zu vereinen ist. Wie ein Felsen liegt dieser Roman für Jandl in der Gegenwartsliteratur.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Klüssendorfs minimalistische Prosa ist wie die Axt, die das Wichtige vom Unwichtigen trennt, sie ist schmucklos und große Kunst. [...] Angelika Klüssendorf [gehört] zu den wichtigsten Autorinnen ihrer Generation.« Thomas Andre Hamburger Abendblatt 20180208