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Im ausgehenden 18. Jahrhundert gehörte Jakob Philipp Hackert (1737-1807) zu den bedeutendsten und gefragtesten Künstlern Europas. Mit seinen Ansichten der südlichen Landschaft prägte er ein Bild von Italien, das den Kunstliebhabern und Gelehrten seiner Zeit stets als ein Wirklichkeit gewordenes Ideal vor Augen stand. Nicht nur der außerordentlich reichhaltige Bestand an Gemälden und Zeichnungen Hackerts rechtfertigt eine kunsthistorische Würdigung dieses Landschaftsmalers der Goethezeit, sondern auch die Wirkungsgeschichte eines Künstlers und seiner Werke im Umbruch einer Epoche. Die…mehr

Produktbeschreibung
Im ausgehenden 18. Jahrhundert gehörte Jakob Philipp Hackert (1737-1807) zu den bedeutendsten und gefragtesten Künstlern Europas. Mit seinen Ansichten der südlichen Landschaft prägte er ein Bild von Italien, das den Kunstliebhabern und Gelehrten seiner Zeit stets als ein Wirklichkeit gewordenes Ideal vor Augen stand. Nicht nur der außerordentlich reichhaltige Bestand an Gemälden und Zeichnungen Hackerts rechtfertigt eine kunsthistorische Würdigung dieses Landschaftsmalers der Goethezeit, sondern auch die Wirkungsgeschichte eines Künstlers und seiner Werke im Umbruch einer Epoche. Die Widersprüche jener wechselvollen Jahrzehnte vor und nach der Französischen Revolution treten im Leben wie in seinen Bildern beispielhaft zutage. Als hochdekorierter Hofmaler ganz in die Traditionen einer künstlerischen Existenz des 18. Jahrhunderts eingebunden, organisierte er zugleich nach unternehmerischen Gesichtspunkten einen erfolgreichen Kunstbetrieb.
Autorenporträt
Prof. Dr. Reinhard Wegner lehrt neuere Kunstgeschichte an der Universität Jena.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.1995

Rote Röcke auf sandigen Wegen
Wo das Naive mit dem sentimentalischen eins wird: Der Maler Jakob Philipp Hackert / Von Ernst Osterkamp

Nach fast zwei Jahrhunderten der Geringschätzung erlebt das Werk des Landschaftsmalers Jakob Philipp Hackert, der zu seinen Lebzeiten (1737-1807) als "der reichste wohllebendste Künstler von Europa" (so ein Reisender im Jahre 1802) galt, eine unvermutete Renaissance. Von Rom bis Düsseldorf präsentieren Ausstellungen seine Werke, auf dem Kunstmarkt erzielen seine Gemälde und Zeichnungen teilweise abenteuerliche Preise, und nun liegen endlich auch zwei gewichtige Werkmonographien vor. Die Gründe für dieses plötzliche Interesse an Hackert sind wohl in unserem eigenen problematischen Verhältnis zur Landschaft zu suchen.

Sehnsüchtig fällt der Blick angesichts der umfassenden Landschaftszerstörung in der Moderne zurück auf einen Naturprospekt, der sich wie ein einziger großer Garten durchwandern ließ. Gemächlich schreiten in Hackerts Bildern rotröckige Milordi mit ihren Hunden auf Sandwegen einher. Unter dem ewigen Blau des Hackertschen Himmels ruhen Hofdamen im sonnendurchfluteten englischen Garten von Caserta, ohne an Ozonwerte denken zu müssen. Und doch waren schon damals, an der Schwelle zum Industriezeitalter, auch in Italien die Bilder einer ungestörten, harmonischen Natur schwer genug zu erlangen. Als der Sechzigjährige seine Erfahrungen in theoretischen Fragmenten zusammenfaßte, riet er den Landschaftsmalern, "die Sommermonate in öden Gegenden" zuzubringen, "wo die Natur von Menschenhänden noch nicht verstümmelt ist".

Das Nachleben Hackerts ist von dem Namen Goethes nicht zu trennen. Goethes im Jahre 1811 veröffentlichte Biographie Hackerts, "nach dessen eigenen Aufzeichnungen entworfen", bildet bis heute die wichtigste Quelle zu Leben und Werk des Malers. Freilich war Goethes Hackert-Biographie schon bei ihrem Erscheinen ein durch und durch unzeitgemäßes Werk, mit dem der Dichter, im antiromantischen Affekt, sein Bekenntnis zur klassischen Landschaftsmalerei des Südens zu erneuern gedachte. Die vernichtenden Urteile der Kunstgeschichtsschreibung des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts über Hackert lassen sich auch als Antwort auf Goethes Bekenntnis zu Hackerts Landschaftsauffassung lesen: Es ist, als habe man Hackert nachträglich dafür bestrafen wollen, daß Goethe den Weg zur großen romantischen Landschaftsmalerei Caspar David Friedrichs nicht fand.

Auch deshalb verschiebt es die historischen Proportionen, wenn Hackert nach wie vor, wie im Untertitel zur Monographie von Krönig und Wegner, mit einem ohnehin problematischen Epochenbegriff als "der Landschaftsmaler der Goethezeit" verkauft wird. Hackert, der Deutschland 1765 mit 28 Jahren verlassen hatte, um über Paris nach Italien zu gehen, war eine Gestalt von europäischer Statur, seine Auftraggeber saßen in Paris, London und St. Petersburg, und als ihn Goethe 1787 in Neapel besuchte, galt Hackert längst als der gefeiertste Landschaftsmaler seiner Zeit.

Es gehört zu den Vorzügen des Buchs von Krönig und Wegner, daß es sich sehr rasch von der Goetheschen Perspektive befreit und Hackert im europäischen Kontext situiert. Der unlängst verstorbene Kölner Kunsthistoriker Wolfgang Krönig, der seit den sechziger Jahren mit zahlreichen Aufsätzen die Fundamente für alle jüngere Hackert-Forschung gelegt hat, stellt Hackerts Gesamtwerk nicht historisch, sondern systematisch-typologisch nach seinen Darstellungsmitteln vor. Hackerts zentrales künstlerisches Anliegen war die Landschaft nach der Natur: die "Landschaftsvedute", bei der sich aufklärerischer Empirismus mit einer an der Tradition der idealen Landschaft geschulten künstlerischen Landschaftsauffassung verband. Denn Hackerts Ehrgeiz gab sich nicht damit zufrieden, Landschaften als getreues Erinnerungsbild für Italienreisende auf der Leinwand nachzubuchstabieren, sondern er suchte sie zugleich durch die Wahl des richtigen Blickpunktes, durch effektvoll inszenierte Bäume und Ruinen als Seitenbegrenzungen oder durch die Staffage künstlerisch zu komponieren, um so den aufgeklärten Wirklichkeitssinn seiner Zeit und die Sehnsucht nach dem Schönen und Gefälligen zugleich befriedigen und den "besten Effect" erzielen zu können. Schlüssig charakterisiert Krönig Hackerts Verfahren als "Synthese von objektiver Dokumentation und bildmäßiger Komposition". Damit aber werden die Grenzen zwischen realistischer Landschaftsvedute und idealer Landschaft durchlässig, und tatsächlich hat Hackert von der Möglichkeit, die von ihm in zahllosen Zeichnungen vor der Natur akribisch aufgenommenen Elemente der Landschaft zu neuen, nie gesehenen Naturszenerien zusammenzufügen, den Wünschen seiner Auftraggeber gemäß oft genug Gebrauch gemacht.

So ersinnt er noch im Alter ein "neu Genre von Landschafften": "Nehmlich ich Componire Englische Gärten." Vorder- und Mittelgrund des Bildes füllt ein am Vorbild des Parks von Caserta orientierter englischer Landschaftsgarten, dahinter öffnet sich der Blick auf den Golf von Pozzuoli oder eine andere wirklichkeitsgetreu wiedergegebene Landschaft, so daß die Grenze zwischen Garten und "bloßer Natur" (Hackert) aufgehoben erscheint. Hier ist das Naive mit dem Sentimentalischen identisch geworden, das Bild der freien, harmonischen Natur wird zur künstlerischen Fiktion.

Rastlos hat Hackert ganz Italien auf der Suche nach immer neuen Landschaftsprospekten durchreist und sie in detailgetreuen Sepiazeichnungen von hohem dokumentarischen Wert festgehalten. Am Ende seines Lebens konnte er Goethe stolz berichten, "daß ich beinahe den Kirchenstaat und das Königreich Neapel und Sizilien in meine Portefeuls habe". Die Tendenz zur systematischen Dokumentation, die sich hierin spiegelt, charakterisiert auch Hackerts Darstellungsprinzipien: seine Neigung zum Zyklischen und zu Bildpaaren, wobei er schon in seinen Berliner Jugendjahren mit der "Kehrtwendung der Blickrichtung" (Krönig) - eine Landschaft wird in zwei von entgegengesetzter Seite aufgenommenen Bildern wiedergegeben - ein besonders schlüssiges Verfahren zur systematischen Erfassung einer topographischen Situation entwickelt hatte.

Seit Katharina die Große im Jahre 1772 für Hackert im Hafen von Livorno eine alte Fregatte hatte in die Luft jagen lassen, um ihm im Rahmen eines Zyklus über den russischen Sieg in der Seeschlacht bei Tschesme die Möglichkeit zur realistischen Wiedergabe brennender Schiffe zu geben, drängten sich die Auftraggeber aus der Hocharistokratie Europas in seinem Atelier. Schon früh hatte Hackert die Bedeutung der Druckgraphik für die Ausweitung seiner geschäftlichen Erfolge erkannt und deshalb seinen Bruder Georg nach Rom geholt, der als Stecher Hackerts Landschaften in eindrucksvollen Zyklen reproduzierte. Zu Recht wird im Abbildungsteil des Buches dieser Teil der Hackertschen Produktion großzügig dokumentiert.

Mit seiner Ernennung zum "ersten Königl. Landschafts-, See- und Jagdmaler" in Neapel, an Europas konservativstem Hof, hatte Hackert 1786 den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht. Mit erstaunlicher Sicherheit paßte er sich den Wünschen seines künstlerisch nicht eben feinsinnigen Auftraggebers Ferdinand IV. an und wurde dessen Ratgeber und Vertrauter. In dem glänzenden Kapitel über Hackerts Zyklus "Die Häfen des Königreichs" in der großen Einleitung zu ihrem Werkverzeichnis weist Claudia Nordhoff nach, wie genau Hackerts Bilderzyklen für Ferdinand IV. auf die kraftlosen Modernisierungsprogramme, die der König beider Sizilien für seinen heruntergekommenen Feudalstaat ersonnen hatte, abgestimmt waren.

Nach dem Einmarsch der Franzosen floh Hackert 1799 aus Neapel und ging nach Florenz. Dort konnte er allerdings an die großen Erfolge seiner früheren Jahre nicht mehr anschließen. Hackert war der große Landschaftsmaler des Ancien régime, seine Kundschaft die Aristokratie Alteuropas. Noch in Hackerts Todesjahr 1807 begann Caspar David Friedrich mit der Arbeit am Tetschener Altar: als erstes großes Beispiel romantischer Subjektivierung der Landschaft Ausdruck einer erschütterten Weltordnung. Krönig, der gern das Adjektiv "romantisch" auf einzelne Bilder oder Bildmotive Hackerts anwendet, verdeckt damit den geschichtlichen Bruch, der Hackerts objektive Naturszenerien aus dem Geiste der Aufklärung von der romantischen Landschaftsbeseelung nach der Jahrhundertwende trennt.

Krönig und Wegner haben auf ein Werkverzeichnis verzichtet, weil man "von einer vollständigen Erfassung aller Gemälde oder gar Zeichnungen noch weit entfernt" sei. Nur wenig später hat Claudia Nordhoff einen Katalog von Hackerts Gemälden und Zeichnungen in zwei hinreißend schönen, verschwenderisch ausgestatteten Bänden vorgelegt. Im Anschluß an eine aus den Quellen erarbeitete Einleitung, die sich zumal durch einen klaren Blick für die politischen und sozialen Hintergründe von Hackerts Schaffen auszeichnet, stellt Nordhoff 478 Gemälde und über achthundert Zeichnungen in Beschreibungen und Kurzanalysen vor: einzigartiges Anschauungsmaterial, unverzichtbar für die Forschung und für jeden Freund italienischer Landschaftsmalerei.

Verwunderlich bleibt dennoch, daß Claudia Nordhoff mit keinem Wort über die Systematik ihrer Recherchen, ihre methodische Vorgehensweise, ihre Kriterien für Zu- und Abschreibungen (die fast zweihundert Abschreibungen erfolgen ohne Begründung) und ihre Auswahlprinzipien Auskunft gibt. Denn auch ihr Werkkatalog ist keineswegs vollständig; wer die 162 Abbildungen bei Krönig/Wegner durchsieht, wird bereits dort auf manches Bild stoßen, das bei Nordhoff nicht verzeichnet ist. Im Fall Hackert bleibt noch viel zu tun.

Wolfgang Krönig/Reinhard Wegner: "Jakob Philipp Hackert". Der Landschaftsmaler der Goethezeit. Mit einem Beitrag von Verena Krieger. Böhlau Verlag, Köln, Weimar und Wien 1994. 271 S., 162 Abb., geb., 148,- DM.

Claudia Nordhoff/Hans Reimer: "Jakob Philipp Hackert 1737-1807". Verzeichnis seiner Werke. 2 Bände. Akademie Verlag, Berlin 1994. 469 und 536 Seiten, 671 Abb., geb., zus. 298,- DM.

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