"Viele Wendungen und Bilder haben eine Ladung und Strahlkraft wie sonst nur in Gedichten. Ein Wort von Merz ist wie der kleine Finger dieser Wundermasseure, die eine unauffällige Stelle an der Fußsohle antippen, und der ganze Rücken wird uns warm. Oder kalt." (Andreas Isenschmid, Die Weltwoche) "Jakob schläft" ist die Geschichte einer Familie in den fünfziger und frühen sechziger Jahren in einem Schweizer Dorf, die von Lukas, dem mittleren Sohn, erzählt wird. Der älteste Bruder, der eigentlich Jakob heißen sollte, ist bei der Geburt gestorben. Der jüngste kommt mit einem Wasserkopf zur Welt. Epileptische Anfällte strecken den Vater immer wieder zu Boden, und Depressionen verdüstern im Lauf der Zeit die Seele der Mutter. Doch trotz allen Unglücks, von dem das Buch erzählt, bleibt der Eindruck von einer ungeheuren Leichtigkeit: Den Blick seines inneren Auges auf die Details gerichtet, rückt der Erzähler die Ereignisse in ein oft ungewohntes, überraschendes Licht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.1997Familie Unglück
"Jakob schläft" von Klaus Merz
Der Schweizer Klaus Merz hat sich in den letzten zehn Jahren mit einigen schmalen Büchern den Ruf eines lakonischen, aber tiefgründigen Erzählers erworben. Auch sein neues Buch zählt nur fünfundsiebzig Seiten, abzüglich der Titelei achtundsechzig, abzüglich der sechs Bilderseiten noch zweiundsechzig. Man liest es bequem in zwei Stunden; aber lange noch geht einem das Gelesene durch den Kopf.
In einer Bäckerfamilie sind alle Mitglieder mit "Bresten" verschiedener Art behaftet. Der Vater des Erzählers wird von epileptischen Anfällen heimgesucht; die Mutter leidet unter Depressionen; der kleine Bruder hat einen Wasserkopf; der Onkel ist ein Abenteurer und findet ein unglückliches Ende. Hinzu kommen die beengten Verhältnisse der Nachkriegszeit und der Zwang zu harter Arbeit. Entsprechend dunkel ballen sich die Figuren von Heinz Eggers Zeichnungen. Und doch wird dieses Leben nicht im Ton des Jammers als niederdrückende Misere geschildert; vielmehr zeigt der Autor, wieviel Erfahrung von Glück auch unter diesen Umständen möglich war.
Aber nicht nur die ungewöhnliche Verschränkung von Leidens- und Glücksbericht läßt diese Familiengeschichte einnehmend und merkwürdig werden. Dafür sorgt auch der poetische, bisweilen fast lyrische Ton, in dem diese Abbreviatur eines Romans gehalten ist. Für alle "Bresten" und Unglücksfälle, für die Anfälle des Vaters wie für den Wasserkopf des Bruders, findet der Erzähler Namen und Bilder von eindrucksvoller, wenn auch beklemmender Schönheit. Das weckt zunächst ein gewisses Unbehagen. Man fürchtet, daß es dem Verfasser nur um die ästhetische Ausbeutung des Leids oder um den aufmerksamkeitheischenden Effekt der Groteske gehen könnte. Doch immer deutlicher wird spürbar, daß sich die Poesie dieses Büchleins unbefangener Zuwendung verdankt und Ausdruck liebevollen Eingedenkens ist. HELMUTH KIESEL
Klaus Merz: "Jakob schläft". Eigentlich ein Roman. Mit Zeichnungen von Heinz Egger. Haymon Verlag, Innsbruck 1997. 75 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Jakob schläft" von Klaus Merz
Der Schweizer Klaus Merz hat sich in den letzten zehn Jahren mit einigen schmalen Büchern den Ruf eines lakonischen, aber tiefgründigen Erzählers erworben. Auch sein neues Buch zählt nur fünfundsiebzig Seiten, abzüglich der Titelei achtundsechzig, abzüglich der sechs Bilderseiten noch zweiundsechzig. Man liest es bequem in zwei Stunden; aber lange noch geht einem das Gelesene durch den Kopf.
In einer Bäckerfamilie sind alle Mitglieder mit "Bresten" verschiedener Art behaftet. Der Vater des Erzählers wird von epileptischen Anfällen heimgesucht; die Mutter leidet unter Depressionen; der kleine Bruder hat einen Wasserkopf; der Onkel ist ein Abenteurer und findet ein unglückliches Ende. Hinzu kommen die beengten Verhältnisse der Nachkriegszeit und der Zwang zu harter Arbeit. Entsprechend dunkel ballen sich die Figuren von Heinz Eggers Zeichnungen. Und doch wird dieses Leben nicht im Ton des Jammers als niederdrückende Misere geschildert; vielmehr zeigt der Autor, wieviel Erfahrung von Glück auch unter diesen Umständen möglich war.
Aber nicht nur die ungewöhnliche Verschränkung von Leidens- und Glücksbericht läßt diese Familiengeschichte einnehmend und merkwürdig werden. Dafür sorgt auch der poetische, bisweilen fast lyrische Ton, in dem diese Abbreviatur eines Romans gehalten ist. Für alle "Bresten" und Unglücksfälle, für die Anfälle des Vaters wie für den Wasserkopf des Bruders, findet der Erzähler Namen und Bilder von eindrucksvoller, wenn auch beklemmender Schönheit. Das weckt zunächst ein gewisses Unbehagen. Man fürchtet, daß es dem Verfasser nur um die ästhetische Ausbeutung des Leids oder um den aufmerksamkeitheischenden Effekt der Groteske gehen könnte. Doch immer deutlicher wird spürbar, daß sich die Poesie dieses Büchleins unbefangener Zuwendung verdankt und Ausdruck liebevollen Eingedenkens ist. HELMUTH KIESEL
Klaus Merz: "Jakob schläft". Eigentlich ein Roman. Mit Zeichnungen von Heinz Egger. Haymon Verlag, Innsbruck 1997. 75 S., geb., 29,80 DM.
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