James Carroll war ein Fotograf mit einem besonderen Blick für Details. Der Band „The Lives of Others“ enthält mehr als 100 Fotografien aus seinem reichen Portfolio, mit einem zeitlichen Schwerpunkt zwischen 1965 und 1972. Da war Carroll Mitte zwanzig bis Anfang dreißig und entwickelte seinen Stil,
der immer etwas ungezwungen Voyeuristisches hatte. Die Personen auf seinen Bildern wirken…mehrJames Carroll war ein Fotograf mit einem besonderen Blick für Details. Der Band „The Lives of Others“ enthält mehr als 100 Fotografien aus seinem reichen Portfolio, mit einem zeitlichen Schwerpunkt zwischen 1965 und 1972. Da war Carroll Mitte zwanzig bis Anfang dreißig und entwickelte seinen Stil, der immer etwas ungezwungen Voyeuristisches hatte. Die Personen auf seinen Bildern wirken unbeobachtet, schauen kaum jemals direkt in die Kamera und sind oft gedankenverloren oder völlig absorbiert von einem Spiel oder Gespräch. Ein wiederkehrendes Motiv ist der Mensch auf der Suche nach Orientierung. Kinder und Heranwachsende hatten es ihm daher besonders angetan, deren Unbekümmertheit und Freiheit Carroll als Chronist seiner Zeit dokumentierte. In den sparsamen Textkommentaren zu den Bildern äußert er allerdings Zweifel daran, ob die heutige durchorganisierte Kindheit diesem Ideal der kindlichen Freiheit noch entspricht.
Carroll betont immer wieder die Verbindung zwischen dem Fotografen und dem Motiv, das in seinen Bildern allerdings nur in eine Richtung geht: Die Beziehung baut der Fotograf auf, das Motiv ahnt nichts davon und gerade deshalb übertragen sich die Emotionen unmittelbar auf den Betrachter. Die Gefühle sind völlig unverstellt und man beginnt instinktiv damit, Geschichten um die Szene zu weben. Sie besitzen eine soghafte Dynamik, die oft gestalterische Ursachen hat: Carroll war ein Meister des Anschnitts, wodurch er Teile des Motivs nach außen verlagerte und damit automatisch die Phantasie des Betrachters anregt. Das Nicht-Gesehene wie das Nicht-Gehörte konstruiert die eigentliche Geschichte für jeden neu und anders.
„The Life of Others“ hat James Carroll noch selbst konzipiert und die Probedrucke noch in Händen gehalten. Aber er ist 14 Tage vor der Veröffentlichung gestorben. Das emotional berührende Buch, das wie aus der Zeit gefallen scheint, wurde sein Vermächtnis.
(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)