Produktdetails
- Verlag: Bruckner & Thünker
- ISBN-13: 9783905208269
- ISBN-10: 3905208261
- Artikelnr.: 25149475
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.1997Chinesisch kochen lernen
Teig in vielerlei Händen: James Joyce und die Interpreten
James Joyce hat einmal gesagt, er habe in sein Werk genug Rätsel und Geduldsspiele eingebaut, um die Professoren für die nächsten zweihundert Jahre zu beschäftigen - dies sei heutzutage die einzige Methode, um seine Unsterblichkeit zu sichern. Er hatte damit nicht nur recht, es ist ihm auch gelungen. Die Beschäftigung mit Joyces Werk auf akademischer Ebene ist mehr denn je weltweit und intensiv. Für den gewöhnlichen Leser folgt daraus allerdings nicht unbedingt gesteigertes Verständnis; es muß weiterhin als zweifelhaft angesehen werden, ob auch noch so viele Kommentare und Neuinterpretationen den ebenso rasenden wie pedantischen Modernismus von Teilen des "Ulysses" und des ganzen "Finnegans Wake" in eine Art von üblicher Lesbarkeit verwandeln können, wie wir sie vom Großteil der übrigen Literatur als gegeben annehmen.
Den riesigen Bücherberg, der um diesen Säulenheiligen der Avantgarde bereits aufgeschichtet wurde (so als hielten die Gelehrten solche Stütze für nötig), vermehren für den deutschen Sprachraum nun zwei weitere Bände: Da ist zunächst der prächtig illustrierte Band "James Joyces Irland" des in York lehrenden David Pierce. Im Sinne der angesprochenen problematischen Vermittlungsaufgabe hätte man sich hier zu den schönen Bildern einen instruktiven und im Zweifelsfall eher schlichten biographischen Text gewünscht. Statt dessen schlägt man sich mit einem Absud von dem herum, was offensichtlich an den Universitäten als "Cultural Studies", "Gender Studies" und dergleichen seinen Siegeszug durch die Geister angetreten hat.
So hört man nun weniger als früher vom Einfluß Thomas von Aquins, Giambattista Vicos oder Henrik Ibsens auf Joyce, dafür um so mehr vom britischen und - anläßlich von Triest - sogar vom österreichischen Imperialismus, von "irischer Identität" und von der bedeutsamen Frage nach dem "Männlichen" und dem "Weiblichen". Letzteres wird vorrangig verkörpert durch die Gattin Nora, denn Joyce war, "als er Nora begegnete, auf eine bedeutende Materialquelle für sein Schreiben und auf den lebendigen Brennpunkt für eine Laufbahn als Schriftsteller gestoßen". Nora figuriert geradezu als Ko-Autorin des "Ulysses", vor allem des großen Monologs; daß sie dem Treiben ihres Mannes streckenweise eher reserviert gegenüberstand und "Finnegans Wake" als "das Chop Suey, was du da schreibst" charakterisierte, irritiert da keineswegs. Schließlich sei Nora "eine patente Frau" gewesen, und "auch intelligent".
Die aktuelle akademische Diskussion bewegt sich hingegen in anderen Sphären: "Julia Kristeva bewundert Joyce hingegen nicht, weil er das Weibliche in der Literatur zum Ausdruck bringt, sondern weil er eine Art femininer Literatur schreibt . . . Christine van Boheemen (bietet) eine Lektüre von ,Ulysses' im Sinne der Theorien Jacques Lacans und zeigt dabei, wie der Text ,auf der Strategie beruht, die gelungene Einschreibung des "Anderen" als Akt der Legitimation für die neue Praxis des Bedeutens zu nutzen'." Diese vollkommene Absonderung von der sonst üblichen literarischen Wahrnehmung äußert sich auch in der Feststellung des Autors Pierce, daß manche seiner Studenten die "Dubliner" langweilig fänden, während gleichzeitig "Finnegans Wake" Gegenstand einer klassischen identifikatorischen Lektüre werden kann: "Soll man sich nun mit Jute oder mit Mutt solidarisieren?" heißt es da, als sei von Oliver Twist die Rede.
Der Vorteil des Almanachs "Was nun, Herr Bloom?", von Jörg W. Rademacher dem "Ulysses" zum 75. Geburtstag präsentiert, liegt in der Vielzahl der hier versammelten Stimmen. Darunter sind einige Perlen wie die Skizze "Begegnung mit James Joyce" von Wolfgang Hartmann, am 11. August 1932 in der "Frankfurter Zeitung" erschienen, oder die Mutmaßung Gerhart Hauptmanns (den Joyce verehrte): "Will man sich vornehmen, einen einzigen Tag seines Lebens genau zu schildern, würde man schwer fertig werden." Insgesamt ist als erstaunlich zu resümieren, in welchem Ausmaß das Kollegium kluger Leute, das sich zum Teil lebenslang mit einem der besessensten Sprachschmiede und Wörterziselierer der Literatur befaßt, von Joyces linguistischer Sorgfalt unberührt geblieben ist. Selbst der seinerseits aus dem Kolleg herausragende Fritz Senn kann offenbar nicht umhin zu berichten, das Haus in der Eccles Street, Wohnsitz des "Ulysses"-Helden, sei mittlerweile einem "gesichtslosen Backsteinbauwerk" gewichen.
Der Herausgeber, von dem auch zahlreiche Texte in dem Band stammen, hat von Joyce nur eins gelernt, nämlich die eigene Biographie über alle Maßen wichtig zu nehmen. Diese bei einem Schriftsteller wohl unvermeidliche Haltung wirkt bei einem Geisteswissenschaftler allerdings stellenweise erheiternd, stellenweise peinlich. Versucht er Forschungsergebnisse zu referieren, so stößt er auf ähnliche Schranken der Kommunikation wie David Pierce: "Vor dem Hintergrund, daß die Ereignisse des Jahres 1989 von großkopfeten Berufshistorikern emphatisch als ,das Ende der Geschichte, wie wir sie kennen', gekennzeichnet wurden, muß man es als ironische Entwicklung sehen, daß die jüngere Joyce-Kritik außerhalb des deutschsprachigen Raumes eine willkommene Kehrtwendung in Richtung Historie vorgenommen hat."
So mischen sich in Rademachers Almanach das Banale, das an der Sache Vorbeiformulierte mit dem Hochgestochenen und Verstiegenen so, daß der Rezensent, des Brimboriums schließlich müde, zum Regal geht, um ein wirksames Gegengift herauszusuchen, nämlich die wunderbare Joyce-Biographie des irischen Autors Stan Gébler Davies, auf deutsch 1987 im Wilhelm Heyne Verlag erschienen, die, mit liebender Strenge, also anhebt: "Ein genialer Schriftsteller - James Joyce hat es bewiesen - kann der Welt ein Buch als Meisterwerk unterjubeln, das er von A bis Z nach einem selbsterfundenen System verrätselt hat und das jedem Leser unverständlich bleiben muß, der nicht das Glück hatte, bei seiner Entstehung dabeizusein." WALTER KLIER
David Pierce: "James Joyces Irland". Aus dem Englischen übersetzt von Jörg W. Rademacher und Cristoforo Schweeger. Bruckner & Thünker, Köln und Basel 1996. 296 S., geb., 160 Abb., 68,- DM.
Jörg W. Rademacher (Hrsg.): "Was nun, Herr Bloom?". "Ulysses" zum 75. Geburtstag. Ein Almanach. Daedalus Verlag, Münster 1996. 328 Seiten, br., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Teig in vielerlei Händen: James Joyce und die Interpreten
James Joyce hat einmal gesagt, er habe in sein Werk genug Rätsel und Geduldsspiele eingebaut, um die Professoren für die nächsten zweihundert Jahre zu beschäftigen - dies sei heutzutage die einzige Methode, um seine Unsterblichkeit zu sichern. Er hatte damit nicht nur recht, es ist ihm auch gelungen. Die Beschäftigung mit Joyces Werk auf akademischer Ebene ist mehr denn je weltweit und intensiv. Für den gewöhnlichen Leser folgt daraus allerdings nicht unbedingt gesteigertes Verständnis; es muß weiterhin als zweifelhaft angesehen werden, ob auch noch so viele Kommentare und Neuinterpretationen den ebenso rasenden wie pedantischen Modernismus von Teilen des "Ulysses" und des ganzen "Finnegans Wake" in eine Art von üblicher Lesbarkeit verwandeln können, wie wir sie vom Großteil der übrigen Literatur als gegeben annehmen.
Den riesigen Bücherberg, der um diesen Säulenheiligen der Avantgarde bereits aufgeschichtet wurde (so als hielten die Gelehrten solche Stütze für nötig), vermehren für den deutschen Sprachraum nun zwei weitere Bände: Da ist zunächst der prächtig illustrierte Band "James Joyces Irland" des in York lehrenden David Pierce. Im Sinne der angesprochenen problematischen Vermittlungsaufgabe hätte man sich hier zu den schönen Bildern einen instruktiven und im Zweifelsfall eher schlichten biographischen Text gewünscht. Statt dessen schlägt man sich mit einem Absud von dem herum, was offensichtlich an den Universitäten als "Cultural Studies", "Gender Studies" und dergleichen seinen Siegeszug durch die Geister angetreten hat.
So hört man nun weniger als früher vom Einfluß Thomas von Aquins, Giambattista Vicos oder Henrik Ibsens auf Joyce, dafür um so mehr vom britischen und - anläßlich von Triest - sogar vom österreichischen Imperialismus, von "irischer Identität" und von der bedeutsamen Frage nach dem "Männlichen" und dem "Weiblichen". Letzteres wird vorrangig verkörpert durch die Gattin Nora, denn Joyce war, "als er Nora begegnete, auf eine bedeutende Materialquelle für sein Schreiben und auf den lebendigen Brennpunkt für eine Laufbahn als Schriftsteller gestoßen". Nora figuriert geradezu als Ko-Autorin des "Ulysses", vor allem des großen Monologs; daß sie dem Treiben ihres Mannes streckenweise eher reserviert gegenüberstand und "Finnegans Wake" als "das Chop Suey, was du da schreibst" charakterisierte, irritiert da keineswegs. Schließlich sei Nora "eine patente Frau" gewesen, und "auch intelligent".
Die aktuelle akademische Diskussion bewegt sich hingegen in anderen Sphären: "Julia Kristeva bewundert Joyce hingegen nicht, weil er das Weibliche in der Literatur zum Ausdruck bringt, sondern weil er eine Art femininer Literatur schreibt . . . Christine van Boheemen (bietet) eine Lektüre von ,Ulysses' im Sinne der Theorien Jacques Lacans und zeigt dabei, wie der Text ,auf der Strategie beruht, die gelungene Einschreibung des "Anderen" als Akt der Legitimation für die neue Praxis des Bedeutens zu nutzen'." Diese vollkommene Absonderung von der sonst üblichen literarischen Wahrnehmung äußert sich auch in der Feststellung des Autors Pierce, daß manche seiner Studenten die "Dubliner" langweilig fänden, während gleichzeitig "Finnegans Wake" Gegenstand einer klassischen identifikatorischen Lektüre werden kann: "Soll man sich nun mit Jute oder mit Mutt solidarisieren?" heißt es da, als sei von Oliver Twist die Rede.
Der Vorteil des Almanachs "Was nun, Herr Bloom?", von Jörg W. Rademacher dem "Ulysses" zum 75. Geburtstag präsentiert, liegt in der Vielzahl der hier versammelten Stimmen. Darunter sind einige Perlen wie die Skizze "Begegnung mit James Joyce" von Wolfgang Hartmann, am 11. August 1932 in der "Frankfurter Zeitung" erschienen, oder die Mutmaßung Gerhart Hauptmanns (den Joyce verehrte): "Will man sich vornehmen, einen einzigen Tag seines Lebens genau zu schildern, würde man schwer fertig werden." Insgesamt ist als erstaunlich zu resümieren, in welchem Ausmaß das Kollegium kluger Leute, das sich zum Teil lebenslang mit einem der besessensten Sprachschmiede und Wörterziselierer der Literatur befaßt, von Joyces linguistischer Sorgfalt unberührt geblieben ist. Selbst der seinerseits aus dem Kolleg herausragende Fritz Senn kann offenbar nicht umhin zu berichten, das Haus in der Eccles Street, Wohnsitz des "Ulysses"-Helden, sei mittlerweile einem "gesichtslosen Backsteinbauwerk" gewichen.
Der Herausgeber, von dem auch zahlreiche Texte in dem Band stammen, hat von Joyce nur eins gelernt, nämlich die eigene Biographie über alle Maßen wichtig zu nehmen. Diese bei einem Schriftsteller wohl unvermeidliche Haltung wirkt bei einem Geisteswissenschaftler allerdings stellenweise erheiternd, stellenweise peinlich. Versucht er Forschungsergebnisse zu referieren, so stößt er auf ähnliche Schranken der Kommunikation wie David Pierce: "Vor dem Hintergrund, daß die Ereignisse des Jahres 1989 von großkopfeten Berufshistorikern emphatisch als ,das Ende der Geschichte, wie wir sie kennen', gekennzeichnet wurden, muß man es als ironische Entwicklung sehen, daß die jüngere Joyce-Kritik außerhalb des deutschsprachigen Raumes eine willkommene Kehrtwendung in Richtung Historie vorgenommen hat."
So mischen sich in Rademachers Almanach das Banale, das an der Sache Vorbeiformulierte mit dem Hochgestochenen und Verstiegenen so, daß der Rezensent, des Brimboriums schließlich müde, zum Regal geht, um ein wirksames Gegengift herauszusuchen, nämlich die wunderbare Joyce-Biographie des irischen Autors Stan Gébler Davies, auf deutsch 1987 im Wilhelm Heyne Verlag erschienen, die, mit liebender Strenge, also anhebt: "Ein genialer Schriftsteller - James Joyce hat es bewiesen - kann der Welt ein Buch als Meisterwerk unterjubeln, das er von A bis Z nach einem selbsterfundenen System verrätselt hat und das jedem Leser unverständlich bleiben muß, der nicht das Glück hatte, bei seiner Entstehung dabeizusein." WALTER KLIER
David Pierce: "James Joyces Irland". Aus dem Englischen übersetzt von Jörg W. Rademacher und Cristoforo Schweeger. Bruckner & Thünker, Köln und Basel 1996. 296 S., geb., 160 Abb., 68,- DM.
Jörg W. Rademacher (Hrsg.): "Was nun, Herr Bloom?". "Ulysses" zum 75. Geburtstag. Ein Almanach. Daedalus Verlag, Münster 1996. 328 Seiten, br., 39,80 DM.
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