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Mit einem Mal liegt er da. Irgendein Brocken. Beim Bau des Frankfurter Riederwald-Tunnels ist er ausgebuddelt und achtlos liegen gelassen worden. Eine Masse Kalkstein, Zeugnis tieferer Schichten. Ein Fund, der stört. Nutzlos. Konturlos. Bedeutungslos. Zwischen den mit Graffiti verzierten Pfeilern einer Brücke, über die unaufhörlich der Autoverkehr strömt, wartet er auf seinen Abtransport. "Den können sie haben, der muss eh weg", diese Worte hätten von dem Mann der Baufirma stammen können. Dem sprachlosen Stein ist es gleichgültig. Dem Bildhauer nicht. Er macht sich auf, Tag für Tag, um mit…mehr

Produktbeschreibung
Mit einem Mal liegt er da. Irgendein Brocken. Beim Bau des Frankfurter Riederwald-Tunnels ist er ausgebuddelt und achtlos liegen gelassen worden. Eine Masse Kalkstein, Zeugnis tieferer Schichten. Ein Fund, der stört. Nutzlos. Konturlos. Bedeutungslos. Zwischen den mit Graffiti verzierten Pfeilern einer Brücke, über die unaufhörlich der Autoverkehr strömt, wartet er auf seinen Abtransport. "Den können sie haben, der muss eh weg", diese Worte hätten von dem Mann der Baufirma stammen können. Dem sprachlosen Stein ist es gleichgültig. Dem Bildhauer nicht. Er macht sich auf, Tag für Tag, um mit Hammer und Meißel alles Fixe in dem Brocken erbeben zu lassen.Text: Katharina Bahlmann, Andreas Bee, Stephan Berg, Christiane Cuticchio, Sandra Danicke, Brigitte Kolle, Michael Lommel, Thomas Pohler, Annett Reckert, Jan Schmidt, Wolfgang Ullrich, Thomas Wagner
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2021

Sein und Zeit
Das Buch zur Schnecke

FRANKFURT. So langsam, möchte man meinen, so langsam wird es Zeit. Für eine Ausstellung, die sich genau darum dreht: die Zeit. Immerhin sind wir in den vergangenen zwei Jahren wiederholt an jenem Fels vorbeigekommen, mit dem die Arbeit von Jan Schmidt begann. An einem Findling, wie auch immer unter der Brücke der Autobahn gelandet, die dem Frankfurter Künstler Block sein sollte für eine nachgerade klassische Skulptur, sahen ihn kleiner und immer kleiner werden, bis schließlich nichts blieb als zwei, drei Eimer mit Geröll. Und genau 509 darin eingeschlossene Schneckenhäuser, die Schmidt mit Hammer, Meißel und unendlich viel Geduld allmählich freilegte.

Tag um Tag um Tag, unterm Dach der zum Freilichtatelier gewordenen A 661. Die Skulpturen, so lehrte die Arbeit den 1973 geborenen Schüler von Ansgar Nierhoff und Ayse Erkmen, sie waren schließlich längst schon da. Unsichtbar, mag sein, und dem Auge des Betrachters wie des Künstlers gut verborgen. Doch seit Millionen von Jahren in dem Kalksteinbrocken eingeschlossen und wie für alle Zeiten dicht an dicht buchstäblich aufgehoben. Als hätten sie nur darauf gewartet, dass eines Tages jemand kommt, die Form zu bergen und zu präparieren. Allein, wie soll man derlei nichts weniger als alle Zeit, als Werden und Vergehen, gleichsam die Bildhauerei und die Skulptur als solche vorstellende Miniaturen präsentieren?

In einer Vitrine? In Schaukästen wie in einer naturhistorischen Sammlung? Mit dem Schutt, der für die Zeit und für die Arbeit steht, oder als der Schönheit reine, aus der harten steinernen Fassung ans Licht geholte Form? Eingemauert vielleicht in Museumswänden, wie der frühere stellvertretende Leiter des Museums für Moderne Kunst, Andreas Bee, es überlegte, um den Kreis aus Natur und Kunst zu schließen? Nun, stattdessen ist erst einmal ein feines kleines Büchlein daraus geworden. Haben Bee und Schmidt mit Thomas Wagner, Sandra Danicke und Wolfgang Ulrich, mit Katharina Bahlmann, Stephan Berg oder Christiane Cuticchio Künstler, Kuratoren und Autoren eingeladen, mit ihnen gemeinsam schlicht ein wenig nachzudenken.

Über die Zeit, die Kunst, das Sein naturgemäß und keineswegs zuletzt die Relativität von alledem. Entstanden sind kleine, mal philosophisch, mal anekdotisch motivierte Texte, mal auf die große Kunst, mal auf ein Schneckenhaus bezogen, die wie die Arbeiten Jan Schmidts vor allem eine Frage stellen: Was das denn sei, die Zeit. Was ihr Wesen, was das Warten und Erinnern, der hehre Augenblick und alle Ewigkeit; was es wohl auf sich habe mit Versuch und Scheitern, wie es Form wird und vergeht, und was vielleicht am Ende bleibt von alledem. Kurzum: ein wunderbares Buch.

schü.

ANDREAS BEE (HRSG.),

Zeitschnecken. Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln, 18 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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