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Produktdetails
  • Nexus Bd.51
  • Verlag: Nexus, Fr. / Stroemfeld
  • Seitenzahl: 251
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 516g
  • ISBN-13: 9783861091516
  • ISBN-10: 3861091518
  • Artikelnr.: 08686983
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2002

Schielt der Schöpfer?
Der Spiegel als Auge Gottes: Yvonne Yiu macht ihre Leser sehend, indem sie Jan van Eyck zuschaut

In einem imaginären Wettbewerb der von der Kunstgeschichte meisterforschten Bilder hätte Jan van Eycks Arnolfini-Doppelporträt gute Chancen, den ersten Preis davonzutragen - knapp vor Botticellis "Primavera" und Raffaels "Schule von Athen", deutlich vor Velázquez' "Hoffräulein". Die junge Basler Kunsthistorikerin Yvonne Yiu hat sich von der Fülle der Vormeinungen zu van Eycks Gemälde nicht abhalten lassen und es aufs neue zum Prüfstein für die Tragfähigkeit kunsthistorischer Methodik gemacht. Ihr Ansatz ist im besten Sinne avanciert, wie bereits der programmatische Untertitel ihrer Untersuchung, "Reflexionen über die Malerei", ahnen läßt: Überlegungen zu selbstreflexiven und autopoietischen Strukturen in Gemälden haben seit Victor I. Stoichitas "Selbstbewußtem Bild" wissenschaftlich Konjunktur.

Rudolf Preimesberger hat in seinem berühmten Aufsatz über van Eycks Verkündigungsdiptychon der Sammlung Thyssen-Bornemisza gezeigt, daß und wie nördliche Kunst ihren Wettstreit, ihren Paragone, bildintern und damit anschaulich-begriffslos in den Gemälden selbst austrägt, da es im Norden nicht wie in Italien einen die Kunstproduktion begleitenden Theoriediskurs gab. Kunsttheoretische Überlegungen sind im Norden integraler Bestandteil der Bilder, die mit malerischen Mitteln über Malerei reflektieren. Yiu schließt sich diesen Überlegungen an und konzentriert ihr Interesse am Arnolfini-Porträt auf den zentral angebrachten Konvexspiegel, die darin enthaltenen gemalten Reflexionen des Bildes und der von ihm abgebildeten Außenwelt.

Doch bevor sie ihre eigene Deutung vorträgt, führt sie den Leser - darstellungsstrategisch durchaus geschickt, gleichwohl etwas schulmeisterlich - in einem Forschungsrückblick durch das Dickicht früherer Deutungen des Gemäldes. Dabei kommt sie auch bei van Eyck nicht am Altmeister der Zunft, Erwin Panofsky, vorbei, obwohl die heutige Forschung eine Vielzahl von Indizien zusammengetragen hat, die seine Deutung des Bildes als eines gemalten Ehevertrages mit zwei Zeugen, der einer heimlichen Eheschließung rechtliche Verbindlichkeit sichern soll, widerlegen. Auch Yiu unterstützt zu Recht eher die von Edwin Hall 1994 vorgetragene Meinung, daß eine Verlobung dargestellt sei, was auch den Schwurgestus des Mannes plausibel erklärt. Hierbei greift sie den methodisch richtungweisenden Ansatz auf, Gestik in Gemälden als Trägerin der "historia", der dargestellten Handlung, zu interpretieren.

Yiu scheut vor deutlichen Urteilen nicht zurück. Die ganze Absurdität des "Gelehrtenstreites zur Eyckschen Perspektive" beispielsweise, der in den achtziger Jahren um Fluchtpunkte oder Fluchtbereiche der Perspektive im Bild geführt wurde, offenbart sich durch eine einzige vernichtende Beobachtung: Die zunehmende Verkleinerung der für die perspektivische Rekonstruktion verwendeten Reproduktion habe oftmals die Chance der Konvergenz von Fluchtlinien in präzisen Fluchtpunkten deutlich erhöht. Nach der berechtigten Zurückweisung dieser und ähnlicher Deutungsansätze allerdings wird die Autorin unnötig bescheiden: Statt nun nämlich ihre eigene Analyse als Dechiffrierung der dominanten Sinnstruktur des Gemäldes zu bieten, zieht sie sich übervorsichtig auf die mögliche Vielzahl von gleichberechtigten Deutungen im Sinne postmoderner Polysemie zurück. Zwar postuliert sie die Beibehaltung gewisser "Bedeutungsschwerpunkte" im Bild, doch wären hier methodisch stabilere, objektiv-hermeneutische Rettungsanker gewesen als ausgerechnet Panofskys "historical methods" und sein "common sense", mit denen er intersubjektive Überprüfbarkeit von Deutungen zu gewährleisten glaubte.

Yius "Deutungsschwerpunkt" ist das Spiegelmotiv in van Eycks Gemälde, das auf das eigentliche Bildthema verweise: das Sehen des Bildes durch den Betrachter. Der Konvexspiegel an der hinteren Bildwand eröffnet einen neuen Bildraum, indem er zwei Figuren im gemalten Spiegelbild zeigt, die auf dem Gemälde selbst nicht zu sehen sind. Durch die Spiegelung wird das Bild zum Betrachter hin erweitert. Malerei thematisiert sich hier selbst, indem sie im Spiegelmotiv das prekäre Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit, von Wirklichkeit und gemalter gespiegelter Wirklichkeit augenfällig werden läßt.

Van Eyck hat sein Gemälde direkt über dem Spiegel signiert mit der interpretationswürdigen Inschrift "Johannes de eyck fuit hic 1434". War er "hier" oder war er "es", der - so müßte man ergänzen - dieses Bild gemalt hat? Yiu vergleicht die Signatur mit grafittiartigen Anwesenheitsnotizen der frühen Neuzeit und kann überzeugend darlegen, daß van Eyck nicht etwa seine Anwesenheit als Zeuge einer Verlobung oder Hochzeit bestätigt. Vielmehr bezeugt die Signatur zuallererst einmal die Anwesenheit des Malers beim Malakt. Überzeugend weist Yiu die vielvertretene Hypothese zurück, eine der beiden im Spiegel dargestellten Personen stelle ein implizites Selbstporträt van Eycks dar. Keine der beiden Personen ist hinreichend individuiert oder mit Malerattributen versehen, um diese Behauptung zu stützen. Die höchste Kunst der Mimesis liegt hier gerade in der Unschärfe, die der Feinmaler van Eyck natürlich ebenso präzise beherrschte wie realitätsabbildende illusionistische Effekte: Van Eyck malte die beiden Figuren bewußt verschwommen, um so jedem zukünftigen Betrachter des Gemäldes die Identifikation mit dem Spiegelmotiv zu ermöglichen. Er selbst war zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt, den er mit der perfektisch formulierten Signatur fixiert, zugleich der Maler und der Betrachter seines Bildes. Jeder spätere Betrachter setzt die bildinterne Dynamik einer Selbstthematisierung von Malerei immer wieder neu in Gang, indem er sich selbst im Spiegel des Gemäldes entdeckt. Denkt man Yius Deutungsansatz weiter, so sicherte gerade diese Zukunftsoffenheit die Unsterblichkeit des Bildes. Die stete Anwesenheit des Künstlers van Eyck im Bild stellt seine eigentliche Künstlersignatur dar.

Zur Stützung ihrer Deutung vergleicht Yiu das Arnolfini-Bild mit anderen Selbstthematisierungen im Werk van Eycks, wobei ihre Interpretation der Rolin-Madonna zu den Glanzstücken des Buches gehört. Hätte sie nach dieser gekonnten Analyse des Bildes ihren Text enden lassen, wäre der Leser rückhaltlos begeistert. Doch leider macht Yiu Teile ihrer Deutungsleistung selbst zunichte, indem sie versucht, die hermeneutische Schraube noch eine Windung weiterzudrehen: Sie spricht dem Spiegel selbst die Fähigkeit des aktiven Sehens zu. Hier werden in einem nicht unmodischen kulturwissenschaftlichen Dreh Metaphorik und Realität des Spiegelns in eins gesetzt: Nicht nur der Betrachter sehe das Bild, sondern der Spiegel sehe auch den Betrachter an. Da sich im Spiegel das Fensterkreuz abbilde (eine Dürer-Anspielung sehr avant la lettre), und da er sich in derjenigen Position im Bild befände, in der oftmals in Porträts Augen zu sehen seien, sei der Spiegel selbst als konvex gewölbtes Auge zu betrachten.

Aber wessen Auge soll das sein? In einer längeren Indizienkette versucht Yiu nachzuweisen, daß es sich hierbei nur um das Auge Gottes handeln könne, von dem Cusanus etwa dreißig Jahre später schreiben sollte, es sei kugelhaft, von unendlicher Vollkommenheit und nehme mit einem Blick zugleich alles und jedes einzelne wahr. Auf dem schwankenden Grund dieses anachronistischen Belegs glaubt sie daher schließen zu dürfen, daß der Spiegel in van Eycks Bild "die älteste erhaltene visuelle Darstellung des spiegelnden Auge Gottes" sei. Doch gerade die visuelle Evidenz hätte diesen Schluß bei genauerer Betrachtung vereiteln müssen: Wäre der Spiegel tatsächlich das Auge Gottes, so würde Gott schielen!

CHRISTINE TAUBER.

Yvonne Yiu: "Jan van Eyck". Das Arnolfini-Doppelbildnis. Reflexionen über die Malerei. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main, Basel 2001. 252 S., 79 S/W-Abb., 8 Farbtaf., br., 24,54 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christine Tauber zeigt sich in ihrer außerordentlich sachkundigen Rezension beeindruckt von Yvonne Yius "im besten Sinne avancierten" Reflexionen über Jan van Eyck Arnolfini-Doppelbildnis. Sie hebt hervor, dass sich Yiu von der Fülle der Vormeinungen zu van Eycks Gemälde nicht einschüchtern lässt und es aufs neue zum "Prüfstein für die Tragfähigkeit kunsthistorischer Methodik" macht. Wie die Rezensentin ausführt, konzentriert sich Yiu bei ihrer Deutung - ausgehend von der These Rudolf Preimesbergers wonach kunsttheoretische Überlegungen bei van Eyck integraler Bestandteil der Bilder sind, die mit malerischen Mitteln die Malerei selbst reflektieren - auf den zentral angebrachten Konvexspiegel, die darin enthaltenen gemalten Reflexionen des Bildes und der von ihm abgebildeten Außenwelt. Yius "Deutungsschwerpunkt" ist laut Rezensentin das Spiegelmotiv in van Eycks Gemälde, das auf das eigentliche Bildthema verweist: das Sehen des Bildes durch den Betrachter. Die Rezensentin lobt die "gekonnte Analyse" des Bildes. Yius Versuch, den Konvexspiegel an der hinteren Bildwand des Bildes als Auge Gottes zu interpretieren, geht der Rezensentin dann allerdings zu weit. Hier wäre weniger mehr gewesen: Hätte Yiu ihren Text nach ihrer Analyse des Bildes enden lassen, wäre der Leser "rückhaltlos begeistert", meint die Rezensentin, mit ihrer Auge-Gottes-Interpretation aber mache Yiu leider "Teile ihrer Deutungsleistung selbst zunichte".

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