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Produktdetails
  • Verlag: Wernersche Verlagsges.
  • Seitenzahl: 312
  • Abmessung: 250mm
  • Gewicht: 1130g
  • ISBN-13: 9783884621257
  • Artikelnr.: 06337187
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.1997

Die Hubertus-Jagd ist zu Ende
Im Namen des Bruders: Der Kunsthistoriker Volker Herzner blickt auf den Genter Altar und entlarvt das Phantom van Eyck

Gent im Jahre 1460: Auf dem Kirchhof von Sankt Bavo hängt ein eisernes Behältnis mit einem Unterarmknochen. An ihm, so sagen die Kanoniker der Kathedrale, habe sich einst die kunstfertige Hand des großen Malers Hubert van Eyck, des Schöpfers des Genter Altars, befunden. Der Kult um das Genie macht auch vor der Vijd-Kapelle, wo der Altar steht, nicht halt. Im Boden ist die Grabplatte des Malers eingelassen, der 1426 starb. Darunter findet sich, wie spätere Nachforschungen ergeben, von Hubert van Eyck keine Spur. Der Altar selbst wird noch zum Zeugen aufgerufen: Ein Vierzeiler auf dem Rahmen versichert, daß er von dem größten Maler seiner Zeit, Hubert van Eyck, begonnen und von seinem Bruder Jan, der in der Kunst der zweite war, 1432 vollendet wurde.

Das Spiel scheint perfekt. Das berühmteste Kunstwerk der Niederlande schöpft aus der Reliquie neue Anziehungskraft und verspricht ein einträgliches Geschäft. Besucher, überwältigt von der Schönheit des Altars, lassen für den Maler Totenmessen lesen. Huberts Ruhm dringt bis über die Alpen. 1568 beschließt Vasari, den Flamen in die zweite Auflage seiner Künstlerviten aufzunehmen - als Erfinder der Ölmalerei. Hubert ist kanonisiert.

Zweifel an Huberts Autorschaft sind jedoch nie gänzlich verstummt. Dürer etwa schenkte den Kanonikern keinen Glauben. Er notierte am 10. April 1521, daß er "des Johannes taffel", "ein köstlich gemähl" gesehen habe. Wahrscheinlich war die Erinnerung an den 1441 gestorbenen Jan van Eyck als Begründer der Niederländischen Malerei damals noch wach. Dann stieg Huberts Ruhm auf, allerdings nur, bis die Wirren des Bildersturms einsetzten. Der Altar wurde zum Spielball politischer und pekuniärer Interessen, hin- und hergerissen zwischen den Niederlanden, Frankreich und Deutschland. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Tafeln wieder vereint. Während seiner Wanderschaft löschte eine unbekannte Hand die Inschrift mit dem Pinsel aus. Jan van Eycks Stern erstrahlte aufs neue, Huberts versank im Nichts.

Die dicke Schicht aus Ölfarbe konnte die Kunstgeschichte nicht auf Dauer vor neuen Trugschlüssen bewahren. 1823 wurde der Vierzeiler freigelegt und Huberts Wiederentdeckung gefeiert. Auf die Euphorie folgte die Ernüchterung: Der Maler Hubert van Eyck wurde in keinem anderen Gemälde greifbar. Auch die vermeintliche stilistische Uneinheitlichkeit des Genter Altars, insbesondere die Größenunterschiede in den beiden Registern, führte nicht zur klaren Zuschreibung. Wo Panofsky drei von Hubert begonnene Werkkomplexe sah, die Jan vereint und vollendet haben sollte, schlossen sich für Friedländer die Tafeln wie "flüssige Materie" zusammen. Er war es, der 1924 den Anstoß gab, die Echtheit der Inschrift zu bezweifeln. Ihn irritierte das Pathos der Künstlersignatur, das an ein Denkmal oder an einen Grabstein gemahne. Damit näherte er sich der Lösung eines der am heftigsten diskutierten Probleme der Kunstgeschichte. Eine Laboruntersuchung in den Jahren 1950-51 sollte seine Vermutung im nachhinein bestätigen: Die Inschrift war später hinzugefügt worden.

Doch selbst diese Entdeckung ließ die Wissenschaft unberührt. Nun mehr wurde behauptet, daß die Inschrift einen ursprünglichen Vierzeiler wiedergebe. Das Ringen ging weiter. Immer wieder obsiegte Hubert. Er schien alles vorwegzunehmen, was Jans Ruhm begründen sollte: die suggestive Wirkung der Stoffe und kostbarer Materialen und nicht zuletzt die Stifterporträts, die zu den bestechendsten der frühen niederländischen Malerei zählen.

Jan, der Hofmaler Philipps von Burgund, hätte sich demnach der Hand seines Bruders bis ins letzte Detail anzupassen gewußt. Wer war Hubert van Eyck? Über einen der berühmtesten Maler der Niederlande fließen die Quellen nur spärlich. Er lebte bescheiden, wie zwei Eintragungen in den Kassenbüchern der Stadt bezeugen. Auf die Hinterlassenschaft mußten seine Erben nur eine geringe Summe begleichen. War das Genie ein Asket oder gar ein Prasser, der sein Vermögen verschleuderte?

Mitnichten. Volker Herzner ist es in seinem Buch "Jan van Eyck und der Genter Altar" nun geglückt, das Knäuel der Mutmaßungen zu entwirren. Mit kriminalistischem Gespür zeichnet er die Geschichte einer Fälschung nach, die die Kassen der Kanoniker klingeln ließ und die Kunsthistoriker bis heute narrt. Die Namensgleichheit brachte die Kanoniker auf den Gedanken, den mediokren Künstler Hubert van Eyck, der zufällig auf dem Kirchhof von Sankt Bavo seine letzte Ruhe gefunden hatte, mit dem berühmten Maler zu verschwistern. Als 1460 das Grab einem Umbau der Kathedrale weichen mußte, wurde Huberts Unterarmknochen wie eine Reliquie erhoben. Hubert hat tatsächlich gelebt, Jan van Eycks Bruder aber ist ein Phantom. Es entschlüpfte der Trickkiste mittelalterlicher Reliquienmanipulation.

Dem Kult um Hubert rückte Van Asperen de Boer 1979 mit der Infrarotreflektographie zu Leibe. Unverkennbar zeigt die Unterzeichnung des Altars die Handschrift Jan van Eycks. Auch Pächt, der in der vermeintlichen perspektivischen Unsicherheit ein Merkmal der frühen niederländischen Malerei erkannte, wird nun bestätigt. Herzner geht noch einen Schritt weiter. Die Datierung 1432 sei ebenfalls eine Fälschung, um die Entstehung des Altars an Huberts Todesjahr heranzurücken. 1432 wurde die Kapelle geweiht, erst drei Jahre später der Altar aufgestellt.

Herzner ist bewußt, daß seine Entdeckungen der Forschung über Jan van Eyck neue Lichter aufsetzen werden. Er selbst will das Frühwerk, das weitgehend im dunkeln liegt, erhellen. Doch die ausführlichen Darlegungen zum Madrider "Lebensbrunnen" und zum "Turin-Mailänder-Stundenbuch" überzeugen nicht. Es scheint, als hätte ein zweiter Autor das Wort ergriffen. Den Kriminalisten Herzner bringt sein Alter ego, das Ikonographie und Stilkritik ohne Methode betreibt, fast um das Verdienst, eines der größten Rätsel der Kunstgeschichte gelöst zu haben. BETTINA ERCHE

Volker Herzner: "Jan van Eyck und der Genter Altar". Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 1996. 312 S., Abb., geb., 118,- DM.

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