Den drei in sich abgeschlossenen Beiträgen ist eines gemeinsam: die Intensität der auf das Künstlerindividuum und sein Werk konzentrierten Beobachtungsarbeit.Im _uvre Vermeer van Delfts arbeitet der Autor im Zuge einer exemplarisch konzipierten Gemäldeanalyse verborgene künstlerische Aspekte heraus, wie z.B. die Ironie des Malers und seine Entmythologisierung klassischer und christlicher Themen. Der Aufsatz über Pieter Bruegel bereichert die Liste des graphischen Werks dieses Meisters mit der Zuschreibung der bezaubernden »Kleinen Dorf- und Stadtansichten«, die in der bisherigen Forschung recht stiefmütterlich behandelt wurden. Über das Selbstbildnis Rogier van Weydens auf der gegen 1450 entstandenen Tapisserie mit den »exempla justitiae« des Kaisers Trajan und des Grafen Herkinbald, heute im Historischen Museum Bern, fällt neues Licht auf die Identität des großen Brüsseler Malers mit dem sogenannten »Meister von Flémalle«. Alle drei Aufsätze werden kontroverse Diskussionen auslösen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2005Wer nur seiner eigenen Zunft recht widerstreitet
Reinhard Liess fördert aus den Goldgruben der niederländischen Kunst Altes und Neues zutage
Einst hatte ihn Horst Gerson als "Wachhund" in den Diskussionen auf einem Rubens-Kongreß erlebt, und auch bei Lektüre der beiden vorliegenden Bücher fällt auf, daß Reinhard Liess den anderen Fachgelehrten nichts schenkt. Im Vorwort der Studien zu Vermeer, Bruegel und Rogier van der Weyden geht Liess auf diese Verhältnisse ein und bricht eine Lanze für den "polemos" wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Von dem Grundsatz ausgehend: "Wissenschaft hat etwas mit Charakter zu tun", sieht er das damit einhergehende Risiko: "Von dieser anderen Seite aus betrachtet, muß sich die Tugend langfristiger Beharrlichkeit und Geduld vor der ihr selbst drohenden Gefahr der Insistenz und Erstarrung hüten und mit einer neuen, ihr scheinbar widersprechenden Tugend wappnen, der ständigen Bereitschaft zu ebenso streitbarer wie selbstkritischer Diskussion und Kontroverse."
Damit läßt Reinhard Liess etwas von dem großen Zugriff spüren, den er auf seine Themen wagt, etwas von der programmatischen Suche nach der "Wahrheit" seiner Gegenstände. Zu ihrer skeptischen Erörterung steht ihm eine die Fährnisse, aber auch die Unerbittlichkeit der Deutung reklamierende Eloquenz zu Gebote: "Die Wahrheit ist, wenn sie durchs Dunkel ans Licht dringt, per se polemisch. Je stärker einer seine Erkenntnisse nicht nur durch fremde, sondern auch durch seine eigenen Skrupel und Irrtümer hindurchgekämpft hat, um so unbiegsamer und geschärfter wird er sie auch vortragen."
Bereits im Vorwort zu seinem streitlustigen Buch über Velázquez hatte Liess geradewegs und ohne falsche Rücksichtnahme seine Zunft kritisiert: "Die Überzeugungskraft des originalen Werks basiert auf jener Einfachheit, die im Begriff seiner formalen und geistigen Perfektion liegt und jeder von Vernunft und Logik bestimmten Kunstschöpfung innewohnt. Ungeachtet der daraus auch für die Forschung resultierenden Verpflichtung, sich streng an den Phänomenen des gemalten Werks zu orientieren und darauf überhaupt die Disziplin ihrer Wissenschaft zu begründen, entwichen viele Deutungen auf außerkünstlerische Nebenschauplätze der Spezial- und Zeitgeschichte oder ins Reich der Phantasie und philosophischen Spekulation."
Dem gestellten Anspruch werden beide Bücher mit vorzüglichen Bildanalysen gerecht, machen es aber dem eiligen, auf Summarisches zielenden Leser nicht leicht. Also zwei geduldige Bücher für einen langsamen Leser? Tatsächlich breitet Liess ohne methodologischen Schutt eine Gedankenarbeit aus, die so eng an die sinnliche Anschauung gebunden ist, daß eine Rezeption der Ergebnisse nicht gelingen wird, wenn nicht die Aufweise ständig an Abbildungen nachvollzogen werden. Darin liegt die Schwierigkeit, genauer die Unhandlichkeit dieser schmalen Bände. Der Verlag hat sie bedauerlicherweise nur mit dürftigem Bildmaterial ausgestattet, so daß der Leser die absurde Lage empfindet, Bildbände heranziehen zu müssen, deren Texte weit unter dem Niveau des hier vorliegenden bleiben. Die grassierende Nonchalance, ja Lieblosigkeit im publizierenden Handwerk wird insoweit just auch in dem Band greifbar, in welchem sie vom Autor zu Recht vielfältig beklagt wird.
Der Abschnitt über das Dresdner Bild Vermeers "Bei der Kupplerin" ist zunächst als eine ausgiebige Bildmonographie angelegt, die einzelne Aspekte von der Ikonographie, Farbe, Bildkomposition bis zu technischen Fragen und der Interpretation der Figuren sowie der Einordnung in Vermeers Werk sorgfältig erörtert. Dem Verhältnis zu Rembrandt, dessen Atelier der Maler intensiver begegnet sein dürfte als den Utrechter Caravaggisten, geht der Autor auf feinfühlige Weise nach. Eindringlich deutende Beschreibungen erstrecken sich über das im Zentrum stehende Bild hinaus auf etliche Werke Vermeers. Der Gewinn liegt in einem aus der Anschauung gewonnenen, präzise erläuternden Verständnis seiner Kunst, das so in der Literatur noch nicht zur Sprache kam.
Mit der Arbeit über den älteren Bruegel und die sogenannten Meister der kleinen Landschaften knüpft Liess an eine umfangreiche eigene Untersuchung vom Anfang der achtziger Jahre an. Hier werden die "Kleinen Landschaften" und die Gruppe der "Kleinen Stadtansichten" mit guten Gründen wieder an Pieter Bruegel gegeben, darunter eine spektakuläre Beobachtung, die das Motiv des "Knüppelwerfens auf eine Gans" in einer der Stadtlandschaften der New Yorker "Kornernte" wie auch auf einer Zeichnung in Chatsworth nachweist.
Der Rogier-Aufsatz geht von einem durch Hans Kauffmann bekannt gemachten Selbstbildnis auf der Trajan-Herkinbald-Tapisserie in Bern aus, packt aber nichts Geringeres als eine der größten kunstgeschichtlichen Streitfragen an: die nach dem Umfang des Rogier-Werkes. Liess attackiert die verbreitete Ansicht, der "Meister von Flémalle" sei mit Rogiers Lehrer Robert Campin identisch, dem sogar schon die Autorschaft an der Madrider Kreuzabnahme Rogiers zugetraut wurde. Auch hier sind es eine Fülle von Indizien, die den Autor zu dem Schluß bringen, das Werk des Flémallers beziehungsweise Campins dem jungen Rogier zuzuweisen.
Der als Rubens-Forscher seit 1977 bekannte Liess erweist hier das Selbstbildnis Rogiers auf den Brüsseler Gerechtigkeitsbildern als Urbild hinter dem Selbstbildnis Rubens' auf der "Vermählung der Maria Medici in Procuratione". Auf dem von der Werkstatt des Meisters weitgehend ausgeführten Werk werden die Figur Hymens und jenes Selbstporträt als eigenhändig erkannt.
Der Sinn für die Kunst des Rubens hat den Autor in seinem Buch über Velázquez nach den Rubens-Gemälden fragen lassen, die Velázquez in dem Saal des Palastes Alcázar zeigt. Auch wenn es sich um Kopien Mazos handelt, ist auffällig, daß sie bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt und nahezu unbeleuchtet sind. Liess schließt hier nachvollziehbar auf einen Paragone zwischen den Malern, der den am spanischen Hof hochangesehenen Rubens abwerten sollte.
Die vorgestellten Arbeiten Liess' machen deutlich, wie unerschöpflich die Goldadern auch bei oft untersuchten Kunstwerken sind, wenn ein unkonventioneller Blickwinkel jenseits der eingefahrenen Zunftgrenzen gelingt. In diesem Sinne wissen wir uns mit dem Autor einig, daß zu weiterer ertragreicher Schürfarbeit eingeladen werden muß.
THOMAS GÄDEKE
Reinhard Liess: "Im Spiegel der ,Meninas'". Velázquez über sich und Rubens. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003. 118 S., br., 22,90 [Euro].
Reinhard Liess: "Jan Vermeer van Delft. Pieter Bruegel d. Ä. Rogier van der Weyden". Drei Studien zur niederländischen Kunst. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. 156 S., 12 Abb., br., 26,90 [Euro].
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Reinhard Liess fördert aus den Goldgruben der niederländischen Kunst Altes und Neues zutage
Einst hatte ihn Horst Gerson als "Wachhund" in den Diskussionen auf einem Rubens-Kongreß erlebt, und auch bei Lektüre der beiden vorliegenden Bücher fällt auf, daß Reinhard Liess den anderen Fachgelehrten nichts schenkt. Im Vorwort der Studien zu Vermeer, Bruegel und Rogier van der Weyden geht Liess auf diese Verhältnisse ein und bricht eine Lanze für den "polemos" wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Von dem Grundsatz ausgehend: "Wissenschaft hat etwas mit Charakter zu tun", sieht er das damit einhergehende Risiko: "Von dieser anderen Seite aus betrachtet, muß sich die Tugend langfristiger Beharrlichkeit und Geduld vor der ihr selbst drohenden Gefahr der Insistenz und Erstarrung hüten und mit einer neuen, ihr scheinbar widersprechenden Tugend wappnen, der ständigen Bereitschaft zu ebenso streitbarer wie selbstkritischer Diskussion und Kontroverse."
Damit läßt Reinhard Liess etwas von dem großen Zugriff spüren, den er auf seine Themen wagt, etwas von der programmatischen Suche nach der "Wahrheit" seiner Gegenstände. Zu ihrer skeptischen Erörterung steht ihm eine die Fährnisse, aber auch die Unerbittlichkeit der Deutung reklamierende Eloquenz zu Gebote: "Die Wahrheit ist, wenn sie durchs Dunkel ans Licht dringt, per se polemisch. Je stärker einer seine Erkenntnisse nicht nur durch fremde, sondern auch durch seine eigenen Skrupel und Irrtümer hindurchgekämpft hat, um so unbiegsamer und geschärfter wird er sie auch vortragen."
Bereits im Vorwort zu seinem streitlustigen Buch über Velázquez hatte Liess geradewegs und ohne falsche Rücksichtnahme seine Zunft kritisiert: "Die Überzeugungskraft des originalen Werks basiert auf jener Einfachheit, die im Begriff seiner formalen und geistigen Perfektion liegt und jeder von Vernunft und Logik bestimmten Kunstschöpfung innewohnt. Ungeachtet der daraus auch für die Forschung resultierenden Verpflichtung, sich streng an den Phänomenen des gemalten Werks zu orientieren und darauf überhaupt die Disziplin ihrer Wissenschaft zu begründen, entwichen viele Deutungen auf außerkünstlerische Nebenschauplätze der Spezial- und Zeitgeschichte oder ins Reich der Phantasie und philosophischen Spekulation."
Dem gestellten Anspruch werden beide Bücher mit vorzüglichen Bildanalysen gerecht, machen es aber dem eiligen, auf Summarisches zielenden Leser nicht leicht. Also zwei geduldige Bücher für einen langsamen Leser? Tatsächlich breitet Liess ohne methodologischen Schutt eine Gedankenarbeit aus, die so eng an die sinnliche Anschauung gebunden ist, daß eine Rezeption der Ergebnisse nicht gelingen wird, wenn nicht die Aufweise ständig an Abbildungen nachvollzogen werden. Darin liegt die Schwierigkeit, genauer die Unhandlichkeit dieser schmalen Bände. Der Verlag hat sie bedauerlicherweise nur mit dürftigem Bildmaterial ausgestattet, so daß der Leser die absurde Lage empfindet, Bildbände heranziehen zu müssen, deren Texte weit unter dem Niveau des hier vorliegenden bleiben. Die grassierende Nonchalance, ja Lieblosigkeit im publizierenden Handwerk wird insoweit just auch in dem Band greifbar, in welchem sie vom Autor zu Recht vielfältig beklagt wird.
Der Abschnitt über das Dresdner Bild Vermeers "Bei der Kupplerin" ist zunächst als eine ausgiebige Bildmonographie angelegt, die einzelne Aspekte von der Ikonographie, Farbe, Bildkomposition bis zu technischen Fragen und der Interpretation der Figuren sowie der Einordnung in Vermeers Werk sorgfältig erörtert. Dem Verhältnis zu Rembrandt, dessen Atelier der Maler intensiver begegnet sein dürfte als den Utrechter Caravaggisten, geht der Autor auf feinfühlige Weise nach. Eindringlich deutende Beschreibungen erstrecken sich über das im Zentrum stehende Bild hinaus auf etliche Werke Vermeers. Der Gewinn liegt in einem aus der Anschauung gewonnenen, präzise erläuternden Verständnis seiner Kunst, das so in der Literatur noch nicht zur Sprache kam.
Mit der Arbeit über den älteren Bruegel und die sogenannten Meister der kleinen Landschaften knüpft Liess an eine umfangreiche eigene Untersuchung vom Anfang der achtziger Jahre an. Hier werden die "Kleinen Landschaften" und die Gruppe der "Kleinen Stadtansichten" mit guten Gründen wieder an Pieter Bruegel gegeben, darunter eine spektakuläre Beobachtung, die das Motiv des "Knüppelwerfens auf eine Gans" in einer der Stadtlandschaften der New Yorker "Kornernte" wie auch auf einer Zeichnung in Chatsworth nachweist.
Der Rogier-Aufsatz geht von einem durch Hans Kauffmann bekannt gemachten Selbstbildnis auf der Trajan-Herkinbald-Tapisserie in Bern aus, packt aber nichts Geringeres als eine der größten kunstgeschichtlichen Streitfragen an: die nach dem Umfang des Rogier-Werkes. Liess attackiert die verbreitete Ansicht, der "Meister von Flémalle" sei mit Rogiers Lehrer Robert Campin identisch, dem sogar schon die Autorschaft an der Madrider Kreuzabnahme Rogiers zugetraut wurde. Auch hier sind es eine Fülle von Indizien, die den Autor zu dem Schluß bringen, das Werk des Flémallers beziehungsweise Campins dem jungen Rogier zuzuweisen.
Der als Rubens-Forscher seit 1977 bekannte Liess erweist hier das Selbstbildnis Rogiers auf den Brüsseler Gerechtigkeitsbildern als Urbild hinter dem Selbstbildnis Rubens' auf der "Vermählung der Maria Medici in Procuratione". Auf dem von der Werkstatt des Meisters weitgehend ausgeführten Werk werden die Figur Hymens und jenes Selbstporträt als eigenhändig erkannt.
Der Sinn für die Kunst des Rubens hat den Autor in seinem Buch über Velázquez nach den Rubens-Gemälden fragen lassen, die Velázquez in dem Saal des Palastes Alcázar zeigt. Auch wenn es sich um Kopien Mazos handelt, ist auffällig, daß sie bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt und nahezu unbeleuchtet sind. Liess schließt hier nachvollziehbar auf einen Paragone zwischen den Malern, der den am spanischen Hof hochangesehenen Rubens abwerten sollte.
Die vorgestellten Arbeiten Liess' machen deutlich, wie unerschöpflich die Goldadern auch bei oft untersuchten Kunstwerken sind, wenn ein unkonventioneller Blickwinkel jenseits der eingefahrenen Zunftgrenzen gelingt. In diesem Sinne wissen wir uns mit dem Autor einig, daß zu weiterer ertragreicher Schürfarbeit eingeladen werden muß.
THOMAS GÄDEKE
Reinhard Liess: "Im Spiegel der ,Meninas'". Velázquez über sich und Rubens. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003. 118 S., br., 22,90 [Euro].
Reinhard Liess: "Jan Vermeer van Delft. Pieter Bruegel d. Ä. Rogier van der Weyden". Drei Studien zur niederländischen Kunst. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. 156 S., 12 Abb., br., 26,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Fasziniert zeigt sich Thomas Gädke von Reinhard Liess' Studien zur niederländischen Kunst, die durch "vorzügliche Bildanalysen" glänzen. Liess analysiere zunächst Vermeers Bild "Bei der Kupplerin" und erörtere dabei "sorgfältig" die einzelne Aspekte von der Ikonographie, Farbe, Bildkomposition bis zu technischen Fragen und der Interpretation der Figuren sowie der Einordnung in Vermeers Werk. "Eindringlich deutende Beschreibungen" erstreckten sich über das im Zentrum stehende Bild hinaus auf etliche Werke Vermeers. "Der Gewinn liegt in einem aus der Anschauung gewonnenen, präzise erläuternden Verständnis seiner Kunst, das so in der Literatur noch nicht zur Sprache kam", lobt Gädke. Gleiches gelte für Liess' Studie zum älteren Bruegel sowie für seinen Aufsatz über Rogier van der Weyden. Bedauerlich findet Gädke, dass der Verlag den Band nur mit "dürftigen Bildmaterial" ausgestattet hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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