Der Star der europäischen Avantgarde in einer spektakulären Werkschau
Jannis Kounellis hat die europäische Kunst in den 60er Jahren ebenso nachhaltig verändert wie Joseph Beuys oder Mario Merz. Bereits mit zwanzig entwickelte der in Rom lebende Künstler ein Werk, das sich von jeder tradierten Kunstform emanzipierte. Er begann mit codeartigen Bildern aus Zahlen und ging dann zur Nutzung gänzlich kunstferner Materialien wie Kohle, Glas, Kaffee etc. über Weltruhm erlangte er schließlich durch gigantische, oft hochprovokative Installationen. Dieser prächtige Band zeigt Kounellis genialen Blick auf das künstlerische Potential des vermeintlich Alltäglichen.
Jannis Kounellis hat die europäische Kunst in den 60er Jahren ebenso nachhaltig verändert wie Joseph Beuys oder Mario Merz. Bereits mit zwanzig entwickelte der in Rom lebende Künstler ein Werk, das sich von jeder tradierten Kunstform emanzipierte. Er begann mit codeartigen Bildern aus Zahlen und ging dann zur Nutzung gänzlich kunstferner Materialien wie Kohle, Glas, Kaffee etc. über Weltruhm erlangte er schließlich durch gigantische, oft hochprovokative Installationen. Dieser prächtige Band zeigt Kounellis genialen Blick auf das künstlerische Potential des vermeintlich Alltäglichen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.10.2010Raumgeboren
Installationen von Iannis Kounellis
in einem prächtigen Bildband
Kein Künstler hat die Behauptung, dass neuere Werke der bildenden Kunst in neutralen weißen Kuben am besten zur Wirkung kommen, hartnäckiger und überzeugender widerlegt als Iannis Kounellis. Bei ihm fängt die bildnerische Arbeit nicht im Atelier, sondern erst am Ort der Ausstellung an. Er sucht unverwechselbar ausdrucksstarke Orte, die ihre Funktion eingebüßt haben, und lässt sich von den räumlichen Gegebenheiten zu bildkräftigen Eingriffen, Ergänzungen und Ausbauten inspirieren. So hat er, als er 2007 in die Berliner Nationalgalerie eingeladen war, nicht die weißen Kuben der unterirdischen Ausstellungsräume bespielt, sondern in die für konventionelle Präsentationen völlig ungeeignete, frei flutende Mies’sche Halle mit schroff kontrastierenden „armen“ Materialien und
sprechenden Objekten wie Glocken, Bettrosten oder Kohlesäcken eine labyrinthische Raumfolge von unverwechselbarer Eigenart hineingebaut.
Sehr viel direkter kommen ihm aber zweckentfremdete anonyme Architekturen entgegen. In einem mächtigen englischsprachigen Bildband, der in seinem sonoren Schwarz-Schwarz-Weiß selber wie ein Objekt des Künstlers wirkt, stellt Marc Scheps 22 prägnante Installationen aus den Jahren 1969 bis 2010 mit ausführlichen Beschreibungen, vielen ganzseitigen Abbildungen und hilfreichen Angaben zum gastgebenden Bauwerk vor ( Stations on an Odyssey. Prestel Verlag, München 2010. 360 Seiten, 400 Duoton-Abb., 99 Euro ). Mal sind es verlassene Fabrikräume oder die düsteren Gewölbe einer Festung, mal ein offener Klosterkreuzgang oder ein enger Synagogenraum, mal eine aufgelassene gotische Kirche oder ein
ausladendes Speichergebäude in einem Hafen – immer versetzt Kounellis den Raum mit wenigen einbeschriebenen Fremdobjekten, die in Form, Textur und Material die umgebende Architektur kontrapunktieren, in Schwingung.
Im burgartigen gotischen Schloss Plieux in Südwestfrankreich hat Kounellis 1995 auf die düsteren Räumlichkeiten und die schwer lastenden Balkendecken mit frei über dem Boden schwebenden, an Tauen hängenden Steinbrocken geantwortet (unser Foto: Amendola/Prestel), die in das dumpfe Gehäuse die Illusion der Schwerelosigkeit zu tragen scheinen . G.K.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Installationen von Iannis Kounellis
in einem prächtigen Bildband
Kein Künstler hat die Behauptung, dass neuere Werke der bildenden Kunst in neutralen weißen Kuben am besten zur Wirkung kommen, hartnäckiger und überzeugender widerlegt als Iannis Kounellis. Bei ihm fängt die bildnerische Arbeit nicht im Atelier, sondern erst am Ort der Ausstellung an. Er sucht unverwechselbar ausdrucksstarke Orte, die ihre Funktion eingebüßt haben, und lässt sich von den räumlichen Gegebenheiten zu bildkräftigen Eingriffen, Ergänzungen und Ausbauten inspirieren. So hat er, als er 2007 in die Berliner Nationalgalerie eingeladen war, nicht die weißen Kuben der unterirdischen Ausstellungsräume bespielt, sondern in die für konventionelle Präsentationen völlig ungeeignete, frei flutende Mies’sche Halle mit schroff kontrastierenden „armen“ Materialien und
sprechenden Objekten wie Glocken, Bettrosten oder Kohlesäcken eine labyrinthische Raumfolge von unverwechselbarer Eigenart hineingebaut.
Sehr viel direkter kommen ihm aber zweckentfremdete anonyme Architekturen entgegen. In einem mächtigen englischsprachigen Bildband, der in seinem sonoren Schwarz-Schwarz-Weiß selber wie ein Objekt des Künstlers wirkt, stellt Marc Scheps 22 prägnante Installationen aus den Jahren 1969 bis 2010 mit ausführlichen Beschreibungen, vielen ganzseitigen Abbildungen und hilfreichen Angaben zum gastgebenden Bauwerk vor ( Stations on an Odyssey. Prestel Verlag, München 2010. 360 Seiten, 400 Duoton-Abb., 99 Euro ). Mal sind es verlassene Fabrikräume oder die düsteren Gewölbe einer Festung, mal ein offener Klosterkreuzgang oder ein enger Synagogenraum, mal eine aufgelassene gotische Kirche oder ein
ausladendes Speichergebäude in einem Hafen – immer versetzt Kounellis den Raum mit wenigen einbeschriebenen Fremdobjekten, die in Form, Textur und Material die umgebende Architektur kontrapunktieren, in Schwingung.
Im burgartigen gotischen Schloss Plieux in Südwestfrankreich hat Kounellis 1995 auf die düsteren Räumlichkeiten und die schwer lastenden Balkendecken mit frei über dem Boden schwebenden, an Tauen hängenden Steinbrocken geantwortet (unser Foto: Amendola/Prestel), die in das dumpfe Gehäuse die Illusion der Schwerelosigkeit zu tragen scheinen . G.K.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de