18,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 6-10 Tagen
payback
0 °P sammeln
Produktdetails
  • Verlag: Elfenbein
  • Seitenzahl: 200
  • Deutsch
  • Abmessung: 20mm x 173mm x 217mm
  • Gewicht: 358g
  • ISBN-13: 9783932245572
  • ISBN-10: 3932245571
  • Artikelnr.: 10683820

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Ulrich Holbein, geb. 1953 in Erfurt, studierte Theologie, Biologie und freie Malerei in Tübingen und anderswo. Seit 1977 freier Schriftsteller, erhielt er als einer der interessantesten Sprachkünstler zwei Preise, zwei Förderpreise fünf Stipendien. Holbein lebt seit 1983 im hessischen Knüllgebirge. Zahlreiche Buchveröffentlichungen und Kolumnen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2004

Das Tao des Loslassens
Geistespotlatsch: Ulrich Holbeins grandiose Verschwendung

Kein Wunder, daß Ulrich Holbein Januskopfweh hat. Von vorne betrachtet, scheint er, ausgestattet mit wallendem Haar, schütterem Bart und indisch strotzender Weisheit, eine Reinkarnation Buddhas als jesusmäßiger hessischer Waldschrat, von hinten einer der schlagfertigsten und witzigsten Kolumnisten des Kulturbetriebs. Von oben gesehen, wendet er uns die Maske des alteuropäischen Kulturmenschen zu; unter dem Schleier der Isis zeigt sich der Bocksfuß eines mephistophelischen Bildungsdünkels. Holbein ist naturphilosophischer Einsiedler und synkretistischer Sufi, vor allem aber ein polyhistorischer Althippie, der Zitate, Mythen und Merkwürdigkeiten aus Morgen- und Abendland in seinem Zettelkasten sammelt und sie bei Bedarf wieder aus seiner Umhängetasche zieht. Als Schüler Arno Schmidts neigt er zu einem pedantischen Festhalten und Besserwissen, als Yogi zu einem entspannten Loslassen im Nirwana.

Holbein, Sohn der "Gebärmutti Natur", kann ein großer Kindskopf sein; aber er steht fest auf dem Boden der kulturindustriellen Wirklichkeit, notfalls mit Hilfe von Krücken wie Adorno oder Rudolf Steiner. Er verteidigt das Exzentrische gegen die "Zentralbegriffe", das Sanfte, Weiche und Mysteriöse gegen die Härten und Klarheiten der Rationalität, das Kleine gegen das Große und die großen Alten gegen die Zwerge des Tages. Holbein betet Mozart, Thomas Mann, altägyptische Götter und die Götzenbilder der "Bild"-Zeitung an; aber er kann sich auch mit Andacht über das Rauschen der Fernsehprogramme und Fantasy-Computerspiele beugen oder auf der Hochzeit seiner Verflossenen tanzen.

Alles, was lebt und nervt, staunen oder lachen macht, kann Gegenstand seiner "Glossen, Quickies und Grotesken" werden: die Leiden des Bücherausleihers und die Unsitte des Duzens, die Synchronisation von Tierfilmen oder das Hüpfen des Cursors. Ausgangspunkt seiner für Zeitungen geschriebenen Meditationen sind bedenkenswerte Fragen: Sind Klarinetten sexuelle Lebewesen? Seit wann gibt es nicht Neues unter der Sonne? Hat Zweibeinigkeit Vorteile? Wer ist schädlicher, Saddam oder Bärenklau? Darf man Usama Bin Ladin die Seele absprechen? Für den Animisten Holbein ist die ganze Welt beseelt. Als Vegetarier erscheint ihm das Tier menschlicher als der Mensch, die Mücke größer als jede politische Elefantenrunde.

Holbein ist nicht so aggressiv wie Wiglaf Droste, nicht so altfränkisch ironisch wie Max Goldt, kein Teleprompter wie Harald Schmidt: Er ist der Anthroposoph unter den Kolumnisten, der Zen-Buddhist unter den aufgeregten Satirikern, der gewaltlose Konfuzius unter den bewaffneten Jägern und Sammlern. In den siebziger Jahren war er Asien-Fahrer, noch heute predigt er das Tao erleuchteter Gelassenheit. Im alten China hieß das Prinzip des Nichtstuns Wu wei, in Griechenland Ataraxie, in der Romantik "selige Saumsal": So reiht der Franz Gans der Gelehrtenrepublik Zitate, Wortfelderkunden und multikulturelle Paraphrasen aneinander, die zumindest von fleißigem Nachschlagen und der Arbeit des Begriffs zeugen. Holbein lebt im Knüllgebirge, und so sind auch seine Bücher.

Allerdings können seine scholastischen Spitzfindigkeiten und manieristischen Schrullen, vor allem wenn man sie buchweise wegliest, Ermüdung und Überdruß hervorrufen, ähnlich wie die Kuriositätensammlungen barocker Wunderkammern oder die Dämonenfratzen auf den Friesen indischer Tempel. Holbein verfolgt einen Gedanken bis in seine bizarrsten Verästelungen und abstrusesten Details, und wenn er seine Kalauerkunst vorführt, findet er kein Ende: Hirnrindvieh, Taschentuchfühlung, Zwerchfellatio, Hodensackgasse, Sündenbockwurst - man bekommt Januskopfweh. "Dr. Uliversum Unwiederholbein" kommt, verliebt in seine Sprachkunst und sein jean-paulsches Ideengewimmel, vom Hölzchen aufs Stöckchen und von den Drückebergern über die Hobbymaler zur Weltseele. "Warum", fragt er einmal, "muß ich dem Wesentlichen so lange naherücken, bis es unwesentlich wird und ich ihm gar nicht nahegerückt bin?"

Als erfahrener Zitathopper - sein letzter Roman, "Isis entschleiert", war eine einzige Zitatcollage - steuert er nie auf eine Pointe los, sondern mäandert, unbekümmert um Ökonomie, Dramaturgie oder auch Verständlichkeit, durch Kultur- und Naturgeschichte. Ohne großes Latinum und ein Klafter Lexika zu Mythologie, Zoologie und Anthropologie steht man ziemlich hilflos vor Wörtern wie Umstülp-Holoid, Hermanubis psychopompus oder frenulumös. Aber der eben großzügige, verspielte Umgang mit Geist, Witz und Idiosynkrasien macht seine Quickies noch dort vergnüglich, wo sie dem spätpubertären Besinnungsaufsatz oder dem höheren Nonsens näherrücken. "Januskopfweh" ist ein kultureller Potlatsch, ein rauschhaftes Fest intellektueller Selbstverschwendung.

MARTIN HALTER

Ulrich Holbein: "Januskopfweh". Glossen, Quickies und Grotesken. Elfenbein Verlag, Berlin 2003. 207 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Martin Halters Rezension wimmelt nur so von schlagfertigen Charakterisierungen des Autors, den er unter anderem als naturphilosophischen Eremiten, synkretistischen Sufi, geschichtlich bewanderten Althippie, belesenen Kindskopf und bodenständigen Kulturkritiker bezeichnet, ein Kolumnist und Satiriker, der seines Erachtens nicht so böse wie Wiglaf Droste zuschlägt, nicht so "altfränkisch ironisch" wie Max Goldt daherkommt und auch nicht eine so fernsehkompatibele Erscheinung wie Harald Schmidt ist. Der vorliegende Band versammelt überwiegend für Zeitungen geschriebene Glossen, die den seltsamsten Fragen nachgehen: Sind Klarinetten sexuelle Lebewesen? Kann man Osama bin Laden die Seele absprechen? Seit wann gibt es nichts Neues unter der Sonne? Holbein tritt dabei als der Zen-Buddhist unter den Satirikern in Erscheinung, meint Halter. Penibilität und Gelassenheit seien zwei Charaktereigenschaften des Arno-Schmidt-Schülers Holbein, so Halter, die bei ihm zu einer produktiven Koexistenz finden. Allerdings, muss der Rezensent bekennen, könne die Sprachverliebtheit, das Ideengewimmel, die stete Kalauerkunst gelegentlich nerven; es empfehlen sich ohnehin Lesepausen, in denen man die erforderlichen Lexika durchforsten kann, um Holbeins mäandernden Gedankengängen durch Zoologie, Mythologie oder Kultur- und Naturgeschichte gewappnet zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH