Frankfurter Allgemeine ZeitungMit Konfuzius läuft nicht alles
Eine Studie über Harmonie als japanischen Leitwert
Harmonie hat in der japanischen Gesellschaft von jeher einen hohen Stellenwert. Das entsprechende Schriftzeichen "Wa" steht auch für Japan selbst. Keiko Hirata und Mark Warschauer haben nun in einer Kulturgeschichte dieses Konzepts sieben Komponenten herausgearbeitet: die "Gesellschaft hohen Vertrauens", Selbstverantwortung im Dienst an anderen, rigide Ordnung, erzwungene Gleichheit, extreme Loyalität, scharfe Hierarchien und strikte Grenzen zwischen "uchi" (innen, eigene Gruppe) und "soto" (Außenwelt). Das auf Konsens basierende System, lange Japans Trumpf, scheint mittlerweile allerdings zum Nachteil zu werden. Die beiden Autoren diagnostizieren, dass es zu einem systemischen Hindernis geworden sei, das die dringend notwendigen Reformen behindere, die durch die ökonomischen und demographischen Entwicklungen gefordert würden. Die Kehrseite betrieblicher Harmonie als Firmenphilosophie der Japan Inc. sei eine geringe Produktivitätsrate, die fehlende Bereitschaft zum Disput Hemmschuh für Innovationen. Die Folgen einer hierarchisch choreographierten Harmonie führen die beiden Autoren in einem Kapitel über die Katastrophe in Fukushima vor Augen. Die Krise konfuzianischer Harmonie ist für sie auch eine des Patriarchats, das die wirtschaftlichen Krisen nicht unbeschadet überstanden hat. Die demographische Wende verlangt mittlerweile nach einer Öffnung des Arbeitsmarkts. Gleichwohl stellt die notwendige Einwanderung, die sich bisher auf Gruppen wie philippinische Pflegerinnen oder Technologietransfer-Programme für Entwicklungsländer zwecks billigen Imports von Arbeitskräften konzentrierte, ein ziemlich inflexibles japanisches Identitätsdenken auf die Probe. Neue Akzente der Selbstdarstellung erwarten sich die Autoren von den Olympischen Spielen 2020 in Tokio.
gna
Keiko Hirata und Mark Warschauer: "Japan".
The Paradox of Harmony. Yale University Press,
New Haven 2014. 304 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Studie über Harmonie als japanischen Leitwert
Harmonie hat in der japanischen Gesellschaft von jeher einen hohen Stellenwert. Das entsprechende Schriftzeichen "Wa" steht auch für Japan selbst. Keiko Hirata und Mark Warschauer haben nun in einer Kulturgeschichte dieses Konzepts sieben Komponenten herausgearbeitet: die "Gesellschaft hohen Vertrauens", Selbstverantwortung im Dienst an anderen, rigide Ordnung, erzwungene Gleichheit, extreme Loyalität, scharfe Hierarchien und strikte Grenzen zwischen "uchi" (innen, eigene Gruppe) und "soto" (Außenwelt). Das auf Konsens basierende System, lange Japans Trumpf, scheint mittlerweile allerdings zum Nachteil zu werden. Die beiden Autoren diagnostizieren, dass es zu einem systemischen Hindernis geworden sei, das die dringend notwendigen Reformen behindere, die durch die ökonomischen und demographischen Entwicklungen gefordert würden. Die Kehrseite betrieblicher Harmonie als Firmenphilosophie der Japan Inc. sei eine geringe Produktivitätsrate, die fehlende Bereitschaft zum Disput Hemmschuh für Innovationen. Die Folgen einer hierarchisch choreographierten Harmonie führen die beiden Autoren in einem Kapitel über die Katastrophe in Fukushima vor Augen. Die Krise konfuzianischer Harmonie ist für sie auch eine des Patriarchats, das die wirtschaftlichen Krisen nicht unbeschadet überstanden hat. Die demographische Wende verlangt mittlerweile nach einer Öffnung des Arbeitsmarkts. Gleichwohl stellt die notwendige Einwanderung, die sich bisher auf Gruppen wie philippinische Pflegerinnen oder Technologietransfer-Programme für Entwicklungsländer zwecks billigen Imports von Arbeitskräften konzentrierte, ein ziemlich inflexibles japanisches Identitätsdenken auf die Probe. Neue Akzente der Selbstdarstellung erwarten sich die Autoren von den Olympischen Spielen 2020 in Tokio.
gna
Keiko Hirata und Mark Warschauer: "Japan".
The Paradox of Harmony. Yale University Press,
New Haven 2014. 304 S., geb., 32,- [Euro].
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