"Glaubst du, wir kommen eines Tages an den Ort, an dem sich alles klärt. Jedes Rätsel. Glaubst du an diesen Ort?"
Die Welt, wie wir sie kennen, existiert nicht länger. Die Zukunft des Jahres 2057 präsentiert sich nach einer globalen Katastrophe und der Großen Transformation wie das finstere Mittelalter. Aus einem der abgeschiedenen Dörfer muss ein 21-Jähriger fliehen, weil er dem Liebhaber seiner Mutter ein Messer in die Brust gestoßen hat. Hinter ihm befindet sich die schützende Gemeinschaft, vor ihm Eis, Schnee, unwegsames Gebirge und irgendwo vielleicht der verschwundene Vater.
Der Autor dieser düsteren Imagination feilt 2021 in Kapstadt an den letzten Korrekturen seines Romans. Überall mehren sich die Zeichen, dass man auf die Katastrophe zusteuert. Während ihn vor allem eine neue Geschichte beschäftigt, ahnt er nicht, wie nahe er selbst am Abgrund steht. Bisher hat er seine Figuren leiden lassen, nun leidet er.
"Hansjörg Schertenleib ist ein echter Romancier, aber einer, dem die Sprache, die Sprache eines Dichters, aufs Wort folgt. Landschaften, Witterungen, Stimmungen, das immer schwierige und abenteuerliche Unterwegssein schildert er so, dass ich, seine bis zum Ende glücklich gefangene Leserin, mit all meinen Sinnen dabei bin." Katja Lange-Müller
Die Welt, wie wir sie kennen, existiert nicht länger. Die Zukunft des Jahres 2057 präsentiert sich nach einer globalen Katastrophe und der Großen Transformation wie das finstere Mittelalter. Aus einem der abgeschiedenen Dörfer muss ein 21-Jähriger fliehen, weil er dem Liebhaber seiner Mutter ein Messer in die Brust gestoßen hat. Hinter ihm befindet sich die schützende Gemeinschaft, vor ihm Eis, Schnee, unwegsames Gebirge und irgendwo vielleicht der verschwundene Vater.
Der Autor dieser düsteren Imagination feilt 2021 in Kapstadt an den letzten Korrekturen seines Romans. Überall mehren sich die Zeichen, dass man auf die Katastrophe zusteuert. Während ihn vor allem eine neue Geschichte beschäftigt, ahnt er nicht, wie nahe er selbst am Abgrund steht. Bisher hat er seine Figuren leiden lassen, nun leidet er.
"Hansjörg Schertenleib ist ein echter Romancier, aber einer, dem die Sprache, die Sprache eines Dichters, aufs Wort folgt. Landschaften, Witterungen, Stimmungen, das immer schwierige und abenteuerliche Unterwegssein schildert er so, dass ich, seine bis zum Ende glücklich gefangene Leserin, mit all meinen Sinnen dabei bin." Katja Lange-Müller
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015Hinterm Horizont geht's weiter
Ein Märchen aus der Zukunft: Hansjörg Schertenleibs großer Phantasiestreich "Jawaka" macht aus taumelnd Geduckten wieder Aufrechte.
Von Oliver Jungen
Damit war nicht zu rechnen. Ein gänzlich unaufdringlicher Schweizer Autor, der zuletzt einige sympathische, aber doch eher konventionelle Erzählungen vorlegte, hat in aller Stille einen grandiosen Roman komponiert. Es ist der große Wurf, in dem sich alles fügt. Das Buch muss Hansjörg Schertenleib in der irischen Provinz, wo er seit Jahrzehnten lebt, und in Südafrika, wo er einige Zeit als "Writer in Residence" absaß, leicht von der Hand gegangen sein. Jedes Wort sitzt, jede Figur erhält mit wenigen Strichen ihre unverwechselbare Kontur. So schreibt man nur, wenn man einen Lauf hat.
Es handelt sich um eine vielschichtige Reflexion über die Unsicherheit des sich auf dem Gipfel der Zivilisation wähnenden westlichen Menschen, die aus einem Mangel an Verwurzelung herrührt, dem Ablegen aller Traditionen und Riten, obwohl doch gerade jetzt, wo die Welt aus der Balance gerät, Zielstrebigkeit gefragt wäre. Zugleich scheint die Frage auf, wie viel Eskapismus in der Literatur steckt: Deckt sie mehr zu als auf? Aber Schertenleib macht aus all dem keinen kopflastigen, philosophischen Roman, auch keine Abrechnung mit dem Kulturestablishment à la Houellebecq, sondern einen regelrechten Schmöker. "Jawaka" ist ein herrlich verspieltes, erzählerisch funkelndes Tableau aus persönlichen, spannenden, abenteuerhaften Geschichten, die jeweils einen Lebensbruch umkreisen. Aus Geduckten, die in Selbstbetrug und Einsamkeit lebten, werden wieder Suchende, die nach den Vätern forschen, nach dem Ursprung und nach der Unschuld. Der Preis freilich ist hoch.
Drei einander spiegelnde Erzählebenen sind dabei miteinander verwoben. Das Grundgerüst des Romans, das auf die Schreibsituation selbst Bezug nimmt, gehört vielleicht nicht zu den besten Einfällen des Autors: Ein Schriftsteller namens Hansjörg Schertenleib arbeitet in Kapstadt an einem Roman, doch kommt ihm dabei eine zweite, nie fertiggestellte Erzählung ebenso in die Quere wie der Besuch seiner Freundin, der zu Eifersuchtsszenen und Selbstzweifeln führt. Es entstehen dabei drei Ebenen, die man grob als Erzählgegenwart ("Alles, was nach mir geschieht, ist, als geschähe es nicht", heißt es in leichter Abwandlung eines Satzes von Brecht), zurechtgelegte Vergangenheit ("Wir sind das, an das wir uns erinnern"; "Ist es wichtig, sich richtig zu erinnern?") und substitutiven Zukunftsentwurf ("Hat er seine Figuren vorgeschickt, um Erfahrungen an seiner Statt zu machen?") katalogisieren könnte.
Doch schon die Idee, diese Gesamtanordnung leicht in die Zukunft zu verschieben, bricht mit der autobiographischen Anbindung und übt einen eigenen Zauber aus. So ist die Erzählgegenwart das Jahr 2021. Geprägt ist diese Nahzukunft von Umweltkatastrophen und täglichen Anschlägen unzähliger islamistischer Zellen, gegen die auch alle "Security-Drohnen" nichts ausrichten können. Der große Zusammenbruch liegt in der Luft, das Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe. Der Rückblick-Part entspricht unserer Gegenwart und handelt von einem alten schweizerischen Künstler in Irland, der von der Existenz eines bereits erwachsenen Sohnes erfährt und daraufhin - plötzlich nicht mehr Punkt, sondern Teil einer Linie - sein Leben neu bilanziert.
Der Blick in die Zukunft ist die mit Abstand stärkste der drei Erzählebenen, für die tatsächlich Frank Zappas Jazzrock-Album "Waka/Jawaka", das 1972 wie eine Offenbarung über die Menschheit kam, einen guten Soundtrack abgäbe. Gezeigt wird die postapokalyptische Welt im Jahre 2057: eine prämodern anmutende, in Walddörfer aufgeteilte, nur über Reste unserer Technik verfügende Gesellschaft, welche die Katastrophe freilich "Transformation" nennt, Neuanfang, und entschlossen scheint, eine andere Abzweigung zu nehmen. Im Laufe des Buches geschieht etwas mit dieser Erzählung: Sie überwindet ihre eigene Grenze, die Bedingung ihrer Möglichkeit. Präsentiert wird sie als Erfindung des leicht missmutigen Schriftstellers, der während seines Aufenthalts in Südafrika das mal bedrohliche, mal faszinierende Fremde sowie das eigene Liebesunglück in dieser Weise umzuestern versteht, eine Flucht also "in Sicherheit und Obhut der Fiktion, unbehelligt von der Welt und ihren Problemen". Als diese Schriftstellerfigur allerdings ihrerseits vor der Gewalt kapituliert - "Es ist der Hammer, der die Welt verändert, du Narr, nicht die Feder" - verweigert sich die Vision dem Untergang. Federleicht schwebt sie auf. Die Binnenhandlung reißt sich sozusagen vom Rahmen los. Sie taugt als eigener Roman, ist auf all die Bezugnahmen auf die beiden anderen Stränge letztlich nicht angewiesen (auch wenn die das Buch natürlich komplexer machen).
Mit viel Liebe zum Detail hat Schertenleib die märchenhafte Dorfwelt ausgeschmückt, ihr vom "Pranger" bis zu lodernden "Fettfunzeln" zahlreiche mittelalterliche Erkennungszeichen gegeben, jedoch ebenso zahlreiche Regeln hinzugefügt, von denen wir in Rückblicken erfahren: Die Kinder etwa, auf hohem Niveau geschult und durchaus mit der erloschenen Vergangenheit bekannt gemacht, wachsen im "Haus der Kinder" auf, bis ein Initiationsritus sie zu vollwertigen Mitgliedern der Dorfgemeinschaft macht. Aus Respekt vor der Natur fällen die Einwohner nur abgestorbene Bäume. Handel gibt es höchstens in Ansätzen, Geld spielt keine Rolle, Bücher werden geradezu religiös verehrt. Aus der Dystopie schält sich damit allmählich die Utopie heraus. Wie leicht könnte eine solche Imagination albern wirken, zumal die Dörfler Schlumpfhausen-Namen wie "Krähenmann", "GisliChrigel" oder "Gliich" tragen und eine Schwundform des Schweizerdeutschen sprechen. Dass sie es an keiner Stelle tut, ganz im Gegenteil, beweist den stilsicheren Poeten, der weiß, mit welcher Klangfarbe er seiner Vergangenheitszukunft das Lächerliche und die Kargheit nimmt. Die altertümelnden Begriffe verströmen eine Behaglichkeit wie das Knistern von Holzscheiten im Kamin. Es ist die Manufactum-Welt in Reinform.
Gefahren, Verrat und Gewalt gibt es freilich auch in dieser alpinen Traumwelt. Es ist der Umgang mit diesen Ereignissen, der den Unterschied macht. In Mudra, einer der am See gelegenen Gemeinschaften, lebt der junge Schreiner Anatol Glaub, gerufen Halblaut. Sein Vater ist vier Jahre zuvor mit der Tochter der Dorfältesten durchgebrannt. Nun droht Halblaut die Verbannung, die härteste Strafe in einem sehr humanen Strafsystem, denn er hat die Regeln verletzt, indem er den Liebhaber seiner Mutter, dessen Demütigungen er hätte ertragen müssen ("Das Böse, das wir in uns tragen, darf sich einzig gegen uns selbst richten"), niederstach. Der Held stiehlt sich schuldbewusst davon, über die Grenze der ihm bekannten Welt hinaus. Aufnahme findet er vorübergehend bei den "Katzenfressern", einem im Gegensatz zu Mudra gottesfürchtigen Dorf, wo er einem Mädchen begegnet, das ein Lexikon gefrühstückt zu haben scheint und alleine den Aufbruch schon wert war. Eine zärtliche Liebesgeschichte nimmt hier ihren Anfang, die ihre Kraft aus jugendlich koketten und zugleich verschämten Dialogen schöpft. Gemeinsam begibt sich dieses prototypische Menschenpaar ohne Angst vor den Bäumen der Erkenntnis hinauf ins himmelnahe Gebirge, ins Reduit, wo zwar eine Räuberbande ihr Unwesen treibt, aber Halblaut auch seinen Vater vermutet. Und aus dem Ende wird ein Anfang. Dieses Buch ist nicht weniger als eine Verheißung.
Hansjörg Schertenleib: "Jawaka". Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2015. 384 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Märchen aus der Zukunft: Hansjörg Schertenleibs großer Phantasiestreich "Jawaka" macht aus taumelnd Geduckten wieder Aufrechte.
Von Oliver Jungen
Damit war nicht zu rechnen. Ein gänzlich unaufdringlicher Schweizer Autor, der zuletzt einige sympathische, aber doch eher konventionelle Erzählungen vorlegte, hat in aller Stille einen grandiosen Roman komponiert. Es ist der große Wurf, in dem sich alles fügt. Das Buch muss Hansjörg Schertenleib in der irischen Provinz, wo er seit Jahrzehnten lebt, und in Südafrika, wo er einige Zeit als "Writer in Residence" absaß, leicht von der Hand gegangen sein. Jedes Wort sitzt, jede Figur erhält mit wenigen Strichen ihre unverwechselbare Kontur. So schreibt man nur, wenn man einen Lauf hat.
Es handelt sich um eine vielschichtige Reflexion über die Unsicherheit des sich auf dem Gipfel der Zivilisation wähnenden westlichen Menschen, die aus einem Mangel an Verwurzelung herrührt, dem Ablegen aller Traditionen und Riten, obwohl doch gerade jetzt, wo die Welt aus der Balance gerät, Zielstrebigkeit gefragt wäre. Zugleich scheint die Frage auf, wie viel Eskapismus in der Literatur steckt: Deckt sie mehr zu als auf? Aber Schertenleib macht aus all dem keinen kopflastigen, philosophischen Roman, auch keine Abrechnung mit dem Kulturestablishment à la Houellebecq, sondern einen regelrechten Schmöker. "Jawaka" ist ein herrlich verspieltes, erzählerisch funkelndes Tableau aus persönlichen, spannenden, abenteuerhaften Geschichten, die jeweils einen Lebensbruch umkreisen. Aus Geduckten, die in Selbstbetrug und Einsamkeit lebten, werden wieder Suchende, die nach den Vätern forschen, nach dem Ursprung und nach der Unschuld. Der Preis freilich ist hoch.
Drei einander spiegelnde Erzählebenen sind dabei miteinander verwoben. Das Grundgerüst des Romans, das auf die Schreibsituation selbst Bezug nimmt, gehört vielleicht nicht zu den besten Einfällen des Autors: Ein Schriftsteller namens Hansjörg Schertenleib arbeitet in Kapstadt an einem Roman, doch kommt ihm dabei eine zweite, nie fertiggestellte Erzählung ebenso in die Quere wie der Besuch seiner Freundin, der zu Eifersuchtsszenen und Selbstzweifeln führt. Es entstehen dabei drei Ebenen, die man grob als Erzählgegenwart ("Alles, was nach mir geschieht, ist, als geschähe es nicht", heißt es in leichter Abwandlung eines Satzes von Brecht), zurechtgelegte Vergangenheit ("Wir sind das, an das wir uns erinnern"; "Ist es wichtig, sich richtig zu erinnern?") und substitutiven Zukunftsentwurf ("Hat er seine Figuren vorgeschickt, um Erfahrungen an seiner Statt zu machen?") katalogisieren könnte.
Doch schon die Idee, diese Gesamtanordnung leicht in die Zukunft zu verschieben, bricht mit der autobiographischen Anbindung und übt einen eigenen Zauber aus. So ist die Erzählgegenwart das Jahr 2021. Geprägt ist diese Nahzukunft von Umweltkatastrophen und täglichen Anschlägen unzähliger islamistischer Zellen, gegen die auch alle "Security-Drohnen" nichts ausrichten können. Der große Zusammenbruch liegt in der Luft, das Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe. Der Rückblick-Part entspricht unserer Gegenwart und handelt von einem alten schweizerischen Künstler in Irland, der von der Existenz eines bereits erwachsenen Sohnes erfährt und daraufhin - plötzlich nicht mehr Punkt, sondern Teil einer Linie - sein Leben neu bilanziert.
Der Blick in die Zukunft ist die mit Abstand stärkste der drei Erzählebenen, für die tatsächlich Frank Zappas Jazzrock-Album "Waka/Jawaka", das 1972 wie eine Offenbarung über die Menschheit kam, einen guten Soundtrack abgäbe. Gezeigt wird die postapokalyptische Welt im Jahre 2057: eine prämodern anmutende, in Walddörfer aufgeteilte, nur über Reste unserer Technik verfügende Gesellschaft, welche die Katastrophe freilich "Transformation" nennt, Neuanfang, und entschlossen scheint, eine andere Abzweigung zu nehmen. Im Laufe des Buches geschieht etwas mit dieser Erzählung: Sie überwindet ihre eigene Grenze, die Bedingung ihrer Möglichkeit. Präsentiert wird sie als Erfindung des leicht missmutigen Schriftstellers, der während seines Aufenthalts in Südafrika das mal bedrohliche, mal faszinierende Fremde sowie das eigene Liebesunglück in dieser Weise umzuestern versteht, eine Flucht also "in Sicherheit und Obhut der Fiktion, unbehelligt von der Welt und ihren Problemen". Als diese Schriftstellerfigur allerdings ihrerseits vor der Gewalt kapituliert - "Es ist der Hammer, der die Welt verändert, du Narr, nicht die Feder" - verweigert sich die Vision dem Untergang. Federleicht schwebt sie auf. Die Binnenhandlung reißt sich sozusagen vom Rahmen los. Sie taugt als eigener Roman, ist auf all die Bezugnahmen auf die beiden anderen Stränge letztlich nicht angewiesen (auch wenn die das Buch natürlich komplexer machen).
Mit viel Liebe zum Detail hat Schertenleib die märchenhafte Dorfwelt ausgeschmückt, ihr vom "Pranger" bis zu lodernden "Fettfunzeln" zahlreiche mittelalterliche Erkennungszeichen gegeben, jedoch ebenso zahlreiche Regeln hinzugefügt, von denen wir in Rückblicken erfahren: Die Kinder etwa, auf hohem Niveau geschult und durchaus mit der erloschenen Vergangenheit bekannt gemacht, wachsen im "Haus der Kinder" auf, bis ein Initiationsritus sie zu vollwertigen Mitgliedern der Dorfgemeinschaft macht. Aus Respekt vor der Natur fällen die Einwohner nur abgestorbene Bäume. Handel gibt es höchstens in Ansätzen, Geld spielt keine Rolle, Bücher werden geradezu religiös verehrt. Aus der Dystopie schält sich damit allmählich die Utopie heraus. Wie leicht könnte eine solche Imagination albern wirken, zumal die Dörfler Schlumpfhausen-Namen wie "Krähenmann", "GisliChrigel" oder "Gliich" tragen und eine Schwundform des Schweizerdeutschen sprechen. Dass sie es an keiner Stelle tut, ganz im Gegenteil, beweist den stilsicheren Poeten, der weiß, mit welcher Klangfarbe er seiner Vergangenheitszukunft das Lächerliche und die Kargheit nimmt. Die altertümelnden Begriffe verströmen eine Behaglichkeit wie das Knistern von Holzscheiten im Kamin. Es ist die Manufactum-Welt in Reinform.
Gefahren, Verrat und Gewalt gibt es freilich auch in dieser alpinen Traumwelt. Es ist der Umgang mit diesen Ereignissen, der den Unterschied macht. In Mudra, einer der am See gelegenen Gemeinschaften, lebt der junge Schreiner Anatol Glaub, gerufen Halblaut. Sein Vater ist vier Jahre zuvor mit der Tochter der Dorfältesten durchgebrannt. Nun droht Halblaut die Verbannung, die härteste Strafe in einem sehr humanen Strafsystem, denn er hat die Regeln verletzt, indem er den Liebhaber seiner Mutter, dessen Demütigungen er hätte ertragen müssen ("Das Böse, das wir in uns tragen, darf sich einzig gegen uns selbst richten"), niederstach. Der Held stiehlt sich schuldbewusst davon, über die Grenze der ihm bekannten Welt hinaus. Aufnahme findet er vorübergehend bei den "Katzenfressern", einem im Gegensatz zu Mudra gottesfürchtigen Dorf, wo er einem Mädchen begegnet, das ein Lexikon gefrühstückt zu haben scheint und alleine den Aufbruch schon wert war. Eine zärtliche Liebesgeschichte nimmt hier ihren Anfang, die ihre Kraft aus jugendlich koketten und zugleich verschämten Dialogen schöpft. Gemeinsam begibt sich dieses prototypische Menschenpaar ohne Angst vor den Bäumen der Erkenntnis hinauf ins himmelnahe Gebirge, ins Reduit, wo zwar eine Räuberbande ihr Unwesen treibt, aber Halblaut auch seinen Vater vermutet. Und aus dem Ende wird ein Anfang. Dieses Buch ist nicht weniger als eine Verheißung.
Hansjörg Schertenleib: "Jawaka". Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2015. 384 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Oliver Jungen haut es um. Einen Lauf, vermutet er, muss Hansjörg Schertenleib gehabt haben beim Verfassen dieses "grandiosen" Romans. Wie sonst geht es an, dass jede Figur, jedes Wort mit Leichtigkeit sitzt? Schertenleib komponiert dabei kein ganz leichtes Zukunftsszenario, wie Jungen erklärt. Vielschichtig, auf verschiedenen miteinander verbundenen, einander spiegelnden Erzählebenen, reflektiert er über eine prekäre Zukunft im Jahr 2021 bzw. 2057, ohne allzu philosophisch zu werden, versichert Jungen. Am besten gefällt ihm Schertenleibs liebevoll genauer Blick in eine märchenhafte Postapokalypse, der die Utopie in der Dystopie aufzeigt, ohne albern zu wirken. Für Jungen ein Ausweis von Stilsicherheit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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" [...] ein Roman von großer Wucht und erzählerischer Kraft [...] " Annemarie Stoltenberg Annemarie Stoltenberg NDR 20151001
»Ein grandioser Roman. Es ist der große Wurf, in dem sich alles fügt. So schreibt man nur, wenn man einen Lauf hat.« Oliver Jungen / FAZ
»Ein großer Wurf, ein Roman von wilder, dunkler Schönheit.« Peter Mohr / Badische Zeitung
»Im bisherigen uvre Hansjörg Schertenleibs bildet Jawaka einen Höhepunkt.« Sigrid Löffler / RBB
»Ein großer Wurf, ein Roman von wilder, dunkler Schönheit.« Peter Mohr / Badische Zeitung
»Im bisherigen uvre Hansjörg Schertenleibs bildet Jawaka einen Höhepunkt.« Sigrid Löffler / RBB