Ende der 60er Jahre reisen der Fotograf William Claxton und der deutsche Musikwissenschaftler Joachim Berendt gemeinsam auf den Spuren des Jazz durch Amerika. In dieser Zusammenarbeit entsteht eine unglaubliche Sammlung einzigartiger Fotografien legendärer Jazzmusiker aber auch von Straßenmusikern. Der damals schon hochgeschätzte Bildband, der seinerzeit mit einer Auflage von fast 2 Millionen als meist gekauftes Musik-Buch überhaupt gilt, dokumentiert eine vergangene Epoche, die zu den Sternstunden der Jazzgeschichte gehört. Mit Hilfe der neuesten Technik wurden die damals angefertigten Originalaufnahmen von Joachim Berendt reproduziert und liegen als CD der limitierten Auflage bei. Berendt war Gründer des Südwestfunks, später des Jazz Festivals Berlin und Leiter wichtiger Jazzevents weltweit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2005Cool, Baby
Die Kartographie des Jazz: William Claxton und das Bild der Musik
William Claxton ist ein Mann, der eine Menge zu erzählen hat, und weil seine Geschichten so gut sind, braucht er nicht zu brüllen. Manchmal flüstert er nur, weil er weiß, daß man ihm zuhört - und als wir uns im Sommer trafen, auf der Dachterrasse eines Berliner Hotels, da sprach er eigentlich über alles: Wie das damals, im Jahr 1960, war, als er Joachim Ernst Behrendt kennenlernte, den deutschen Rundfunkredakteur, der so unfaßbar viel vom Jazz verstand und jetzt endlich an all die Schauplätze und Ursprungsorte dieser Musik fahren wollte, mit einem Tonbandgerät und mit Claxton, der schon damals ein berühmter Fotograf war; wie sie kleinere und größere Abenteuer erlebten, unten im Süden, wo die Ampeln andersherum gehen, oben ist grün, unten ist rot, was der farbenblinde Behrendt aber nicht merkte; wie sie, irgendwo in Louisiana, in ein Gefängnis gelassen wurden, wo sie einen inhaftierten Bluesmusiker treffen wollten; und wie ihnen erst, als sie wieder herauskamen, bewußt wurde, daß sie mit Hunderten Häftlingen allein gewesen waren; wie sie, in Chicago, von Jack Teagarden auf sein berühmtes Chili eingeladen wurden, und als sie beim Essen waren, kam die Polizei und wies sie darauf hin, daß der betrunkene Teagarden sich in der Tür geirrt hätte und sie alle in der falschen Wohnung säßen.
Claxton sprach auch darüber, wie er zum Fotografen wurde, zum Experten für den Jazz und fürs Kino, zum Hausfotografen von Steve McQueen zum Beispiel, der Claxton erst mal nicht leiden konnte; und dann, die Schwierigste von allen, das muß Ella Fitzgerald gewesen sein, die sich selber häßlich fand und deshalb die Fotografen haßte. Es war ein nettes, angenehmes Gespräch, und Claxton, ein äußerst cooler Kalifornier, erzählte, daß er noch immer ein Jazzfan ist, einer, der Sinatra mag und Cool Jazz und von den Sängerinnen am liebsten Dinah Washington, und als dann, ein paar Wochen später, die Kassette im Abspielgerät lief, war Claxton zwar zu hören, wie er flüsterte, aber von dem, was er da sagte, verstand man, weil es so leise war, kaum ein Wort.
Und womöglich ist das ja gar nicht so schrecklich, weil seine Fotos für sich selber sprechen - William Claxton, der ein Hipster war und mit einem Model verheiratet, wußte ganz genau, daß der Jazz auch eine visuelle Kunst ist: Wenn jemand einen Stil hat, dann kann man den auch sehen. Claxton hatte ja, lange bevor er Behrendt traf, Plattencover für Jazzmusiker fotografiert, für das Label Pazific, es waren auch seine Fotos von Chet Baker, im T-Shirt, mit trotzig-romantischem Blick und fest verschlossenen Lippen, damit man die Zahnlücke nicht sah, es waren auch Claxtons Fotos, die diese Karriere des Trompeters in Schwung brachten (und dreißig Jahre später Bruce Weber inspirierten), und es gab Musiker, die fühlten sich so gut getroffen von William Claxton, daß sie ihm ihre Kompositionen widmeten.
Es war in Detroit, wo Claxton und Behrendt jene vier Musiker trafen, an welche, wenn es nicht dieses Foto gäbe, sich jenseits von Detroit kaum einer mehr erinnern würde, und gerade weil man bei ihrem Anblick keine bestimmte Musik ihm Ohr hat, sieht man auf diesem Bild ganz genau, worum es meistens ging im Jazz: um eine Energie, die so groß ist, daß es zu ihrer Beherrschung extrem strenge Formen braucht; um eine Haltung, die mit dem Wörtchen "cool" schon präzise beschrieben ist, weil es eines Panzers aus Eis bedarf, die Schönheit der Musik vor dem Einbruch der häßlichen Welt zu bewahren.
Es sind, immerhin, Mel Lewis, Wynton Kelly und Sonny Stitt, die auf dem Partyfoto spielen, es ist Al Porcino, der tanzt, und wenn man zurückblättert in dem wunderbaren Buch "Jazzlife", dann sieht man, daß sie zuvor am Pool gesessen haben, an einem heißen Tag, an dem die Musik gar nicht anders klingen durfte als cool, und Anita O'Day, die darunter als sophisticated lady posiert, war die schwärzeste unter den weißen Sängerinnen und die coolste erst recht, wie jeder weiß, der ihre Fassung von "My Heart Belongs to Daddy" kennt.
Musik, das beweist William Claxton, ist manchmal rechteckig, und Fotos haben einen Sound, und insofern war es allerhöchste Zeit, dieses Buch wieder herauszubringen.
CLAUDIUS SEIDL.
William Claxton, Joachim Ernst Behrendt: "Jazzlife". Taschen-Verlag. 696 Seiten, 150 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Kartographie des Jazz: William Claxton und das Bild der Musik
William Claxton ist ein Mann, der eine Menge zu erzählen hat, und weil seine Geschichten so gut sind, braucht er nicht zu brüllen. Manchmal flüstert er nur, weil er weiß, daß man ihm zuhört - und als wir uns im Sommer trafen, auf der Dachterrasse eines Berliner Hotels, da sprach er eigentlich über alles: Wie das damals, im Jahr 1960, war, als er Joachim Ernst Behrendt kennenlernte, den deutschen Rundfunkredakteur, der so unfaßbar viel vom Jazz verstand und jetzt endlich an all die Schauplätze und Ursprungsorte dieser Musik fahren wollte, mit einem Tonbandgerät und mit Claxton, der schon damals ein berühmter Fotograf war; wie sie kleinere und größere Abenteuer erlebten, unten im Süden, wo die Ampeln andersherum gehen, oben ist grün, unten ist rot, was der farbenblinde Behrendt aber nicht merkte; wie sie, irgendwo in Louisiana, in ein Gefängnis gelassen wurden, wo sie einen inhaftierten Bluesmusiker treffen wollten; und wie ihnen erst, als sie wieder herauskamen, bewußt wurde, daß sie mit Hunderten Häftlingen allein gewesen waren; wie sie, in Chicago, von Jack Teagarden auf sein berühmtes Chili eingeladen wurden, und als sie beim Essen waren, kam die Polizei und wies sie darauf hin, daß der betrunkene Teagarden sich in der Tür geirrt hätte und sie alle in der falschen Wohnung säßen.
Claxton sprach auch darüber, wie er zum Fotografen wurde, zum Experten für den Jazz und fürs Kino, zum Hausfotografen von Steve McQueen zum Beispiel, der Claxton erst mal nicht leiden konnte; und dann, die Schwierigste von allen, das muß Ella Fitzgerald gewesen sein, die sich selber häßlich fand und deshalb die Fotografen haßte. Es war ein nettes, angenehmes Gespräch, und Claxton, ein äußerst cooler Kalifornier, erzählte, daß er noch immer ein Jazzfan ist, einer, der Sinatra mag und Cool Jazz und von den Sängerinnen am liebsten Dinah Washington, und als dann, ein paar Wochen später, die Kassette im Abspielgerät lief, war Claxton zwar zu hören, wie er flüsterte, aber von dem, was er da sagte, verstand man, weil es so leise war, kaum ein Wort.
Und womöglich ist das ja gar nicht so schrecklich, weil seine Fotos für sich selber sprechen - William Claxton, der ein Hipster war und mit einem Model verheiratet, wußte ganz genau, daß der Jazz auch eine visuelle Kunst ist: Wenn jemand einen Stil hat, dann kann man den auch sehen. Claxton hatte ja, lange bevor er Behrendt traf, Plattencover für Jazzmusiker fotografiert, für das Label Pazific, es waren auch seine Fotos von Chet Baker, im T-Shirt, mit trotzig-romantischem Blick und fest verschlossenen Lippen, damit man die Zahnlücke nicht sah, es waren auch Claxtons Fotos, die diese Karriere des Trompeters in Schwung brachten (und dreißig Jahre später Bruce Weber inspirierten), und es gab Musiker, die fühlten sich so gut getroffen von William Claxton, daß sie ihm ihre Kompositionen widmeten.
Es war in Detroit, wo Claxton und Behrendt jene vier Musiker trafen, an welche, wenn es nicht dieses Foto gäbe, sich jenseits von Detroit kaum einer mehr erinnern würde, und gerade weil man bei ihrem Anblick keine bestimmte Musik ihm Ohr hat, sieht man auf diesem Bild ganz genau, worum es meistens ging im Jazz: um eine Energie, die so groß ist, daß es zu ihrer Beherrschung extrem strenge Formen braucht; um eine Haltung, die mit dem Wörtchen "cool" schon präzise beschrieben ist, weil es eines Panzers aus Eis bedarf, die Schönheit der Musik vor dem Einbruch der häßlichen Welt zu bewahren.
Es sind, immerhin, Mel Lewis, Wynton Kelly und Sonny Stitt, die auf dem Partyfoto spielen, es ist Al Porcino, der tanzt, und wenn man zurückblättert in dem wunderbaren Buch "Jazzlife", dann sieht man, daß sie zuvor am Pool gesessen haben, an einem heißen Tag, an dem die Musik gar nicht anders klingen durfte als cool, und Anita O'Day, die darunter als sophisticated lady posiert, war die schwärzeste unter den weißen Sängerinnen und die coolste erst recht, wie jeder weiß, der ihre Fassung von "My Heart Belongs to Daddy" kennt.
Musik, das beweist William Claxton, ist manchmal rechteckig, und Fotos haben einen Sound, und insofern war es allerhöchste Zeit, dieses Buch wieder herauszubringen.
CLAUDIUS SEIDL.
William Claxton, Joachim Ernst Behrendt: "Jazzlife". Taschen-Verlag. 696 Seiten, 150 Euro.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2005Aus dem Leben der Jazzlegenden
William Claxton hat die Gabe, Musiker wie hier Kenny Dorham in persönlichen Momenten zu fotografieren, ohne dabei indiskret zu werden. Die Bilder von „Jazzlife” (Taschen Verlag, Köln, 2005. 696 Seiten, 150 Euro) entstanden 1960 als Reportage während einer USA-Reise, die ihn gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Joachim Ernst Berendt in die Zentren der afroamerikanischen Musik führte. Neu geordnet, um Hörbeispiele und spätere Schnappschüsse ergänzt, ist das Reprint des Originalbandes von 1961 ein opulentes Erinnerungsalbum an die Ära der Musikerlegenden. Der Rolls unter den Jazzfotobänden.
dombr
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William Claxton hat die Gabe, Musiker wie hier Kenny Dorham in persönlichen Momenten zu fotografieren, ohne dabei indiskret zu werden. Die Bilder von „Jazzlife” (Taschen Verlag, Köln, 2005. 696 Seiten, 150 Euro) entstanden 1960 als Reportage während einer USA-Reise, die ihn gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Joachim Ernst Berendt in die Zentren der afroamerikanischen Musik führte. Neu geordnet, um Hörbeispiele und spätere Schnappschüsse ergänzt, ist das Reprint des Originalbandes von 1961 ein opulentes Erinnerungsalbum an die Ära der Musikerlegenden. Der Rolls unter den Jazzfotobänden.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Nur der Fotograf selbst könne ein größeres Vergnügen an diesem Fotobuch gehabt haben als heute der Betrachter, meint Rezensent Daniel Kothenschulte mit schmachtendem Blick auf die einzigartige musikhistorische Reise, die der Fotograf William Claxton zusammen mit dem Musikologen Joachim E. Berendt 1960 unternahmen. Die Neuausgabe des 1961 erschienenen Fotobandes enthalte nun fast dreimal so viele und auch größere Abbildungen als die Originalausgabe. Zudem seien auf der Reise gemachte Tonaufzeichnungen beigelegt. Neben der Reise durch die USA, so der Rezensent, könne man an den Fotos auch eine künstlerische Entwicklung Claxtons erkennen, von der "dokumentarischen Schule" zur "inszenierten Cover Art Fotografie". Inhaltlich sei die Neuausgabe von JazzLife weiter gefasst als Joachim E. Berendts doch ein wenig "didaktisches" Jazzbuch. So sind die ersten "Jazzfotografien" von Ornette Coleman zu sehen und auch der spätere fünfte Beatle Billy Preston tauche unter den Straßenmusikern auf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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