Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2003Heul doch
Anna Gavalda steigt ins Rosenwasserschaumbad: „Ich habe sie geliebt”
Formidable! Époustouflant! Génial! Frankreich hat nicht nur eine ähnlich hohe Nettohaushaltsverschuldung wie Deutschland, sondern auch seine literarischen Fräuleinwunder. Anna Gavalda gehört zu diesen Mademoiselles Miracle. Und weil die französische Literaturkritik generell einen Hang zu Sprechblasen aus dem Rosenwasserschaumbad und zu Patschuli- Beweihräucherungen pflegt, liest man über Gavaldas neuen Roman, er zeuge von einer besonderen „Intelligenz des Herzens” und der gewissen „Musik einer Schriftstellerin”. Lauschen wir also der Musik dieses intelligenten Schriftstellerherzens.
Ein Buch, das mit dem Zwischenruf einer Schwiegermutter beginnt, stimmt von vornherein misstrauisch. Ein Schwiegerelternbuch also. Der Mittdreißigerin Chloé ist der Mann durchgebrannt. Sacré Adrien! Paris ist ein Fest, und dem Heißsporn war es zu langweilig bei Familienausflug und Schrankwandsex. Nun sitzt die Gehörnte mit ihren zwei kleinen Töchtern Lucie und Marion bei den betuchten Schwiegereltern und weiß nicht mehr weiter.
Will man mehr von einer Frau lesen, die in Krisenmomenten zu den Schwiegereltern flüchtet? Schwiegermutter Suzanne ist die Grande Bourgeoise aus der Industriellenfamilie, ihr Mann Pierre ist Managerworkaholic im Familienunternehmen und vorerst der „Kotzbrocken” des Romans. Pierrot erweist sich als erprobter Krisenmanager und transportiert die greinende Rumpffamilie ins Sommerhaus. Die Macht der symbolischen Jahreszeiten ist unüberwindlich, im Sommerhäuschen herrscht tiefer Winter. Kennen wir: Sommerhaus später.
Jetzt ist erst einmal Winter. Der kalte, kalte Winter des Herzens. Vor dem prasselnden Kamin, neben der Elektroheizung und am knarzenden Küchentisch geht das große Flennen los: Warum hat er mich verlassen, was hat sie, was ich nicht habe, was soll nun aus den Kindern werden, wo sind meine Socken? Im Dachgeschoss träumen die vaterlosen Kinder von glücklichen Familienszenen aus der Margarinewerbung, im Rez-de-Chaussée heult Mami Rotz und Wasser. Wenn Adrien aus seinem fernen Liebesnest anruft, um mit seinen Töchtern zu sprechen, bekommen diese den wissenden Blick von altersweisen Paartherapeuten, nehmen Mami tröstend bei der Hand und zeigen ihr die schönen Seiten des Lebens: die Schaukel im Garten, das Gras, den Regenwurm. Im flackernden Schein des Kaminfeuers entpuppt sich auch der Schwiegervater als einfühlsamer Therapeut. Nach Jahren der Strenge und der Verschlossenheit erzählt er Chloé in einer nächtlichen Rotweinsitzung von einer Affäre, die seine einzige große Liebe war: „Ich – ich liebte es, mit ihr zu schlafen.” Pierre hat die schöne und kluge Mathilde dem Schein einer glücklichen Familie geopfert. Doch das hat die Familie dem Terror eines unglücklichen Mannes ausgesetzt. Chloé möge doch bitte das Scheitern ihrer Ehe als Befreiungsschlag nutzen, Adrien sei ihr sowieso nicht gewachsen. Sagt der Vater des Ehebrechers, der es wissen muss. So funktioniert modernes Motivationstraining. Und so funktionieren Schundromane.
Patschhändchen lieb
In dürrer Sprache, die man selbst bei Sympathie für schreibende Französinnen nicht für ausdrucksstarke Lakonie halten kann, skizziert Anna Gavalda dieses nichtssagende, konventionelle Kammerspiel zwischen Pierre und Chloé. Die Personenkonstellation in diesem Beichtstuhl für schlichte Gemüter ist schematisch: die Affäre des Schwiegervaters soll Chloés Leben therapeutisch spiegeln und ihr den Abschied vom Gatten erleichtern. Wenigstens fängt der Kotzbrocken nicht auch noch an zu heulen. Mit ihrem putzigen Kiddie- Casting benutzt Gavalda die niedlichen Töchter als schablonenhafte Statisten, die in besonders sentimentalen Momenten traurig mit den Augen kullern oder mit kleinen Patschehändchen in Muttis tränenüberströmtem Gesicht herumfuhrwerken: „Ich lachte und küsste sie auf ihren herzallerliebsten Schmollmund.” C´est chou.
Bleibt zu hoffen, dass man in der République des Lettres für solche Sätze Abzugspunkte im Rentensystem bekommt. Gavalda hält ihre farblose Prosa für so stark, dass sie ihren Text in kleinen Bröckchen liefert. Das muss ein Mutterreflex sein, der den lieben Kleinen nur Mundgerechtes servieren möchte. Zahllose Absätze und weiße Seiten unterbrechen den Textfluss. Um den Nettotextanteil des Buchs steht es ebenso besorgniserregend wie um die Nettostaatsverschuldung der französischen Republik.
Die Absatztaste ist Gavaldas einziges Stilmittel. Man braucht den lose gefügten Text eigentlich nicht zu lesen; er fällt einem wie von selbst durch die schläfrigen Augen ins müde Hirn, wo die kleinen Absätze so sperrig herumliegen wie ein Haufen Bauklötzchen, die zwei verwöhnte Scheidungskinder im Dachgeschoss eines Sommerhauses ausgekippt haben.
STEPHAN MAUS
ANNA GAVALDA: Ich habe sie geliebt. Roman. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2003. 165 Seiten, 15,90 Euro.
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Anna Gavalda steigt ins Rosenwasserschaumbad: „Ich habe sie geliebt”
Formidable! Époustouflant! Génial! Frankreich hat nicht nur eine ähnlich hohe Nettohaushaltsverschuldung wie Deutschland, sondern auch seine literarischen Fräuleinwunder. Anna Gavalda gehört zu diesen Mademoiselles Miracle. Und weil die französische Literaturkritik generell einen Hang zu Sprechblasen aus dem Rosenwasserschaumbad und zu Patschuli- Beweihräucherungen pflegt, liest man über Gavaldas neuen Roman, er zeuge von einer besonderen „Intelligenz des Herzens” und der gewissen „Musik einer Schriftstellerin”. Lauschen wir also der Musik dieses intelligenten Schriftstellerherzens.
Ein Buch, das mit dem Zwischenruf einer Schwiegermutter beginnt, stimmt von vornherein misstrauisch. Ein Schwiegerelternbuch also. Der Mittdreißigerin Chloé ist der Mann durchgebrannt. Sacré Adrien! Paris ist ein Fest, und dem Heißsporn war es zu langweilig bei Familienausflug und Schrankwandsex. Nun sitzt die Gehörnte mit ihren zwei kleinen Töchtern Lucie und Marion bei den betuchten Schwiegereltern und weiß nicht mehr weiter.
Will man mehr von einer Frau lesen, die in Krisenmomenten zu den Schwiegereltern flüchtet? Schwiegermutter Suzanne ist die Grande Bourgeoise aus der Industriellenfamilie, ihr Mann Pierre ist Managerworkaholic im Familienunternehmen und vorerst der „Kotzbrocken” des Romans. Pierrot erweist sich als erprobter Krisenmanager und transportiert die greinende Rumpffamilie ins Sommerhaus. Die Macht der symbolischen Jahreszeiten ist unüberwindlich, im Sommerhäuschen herrscht tiefer Winter. Kennen wir: Sommerhaus später.
Jetzt ist erst einmal Winter. Der kalte, kalte Winter des Herzens. Vor dem prasselnden Kamin, neben der Elektroheizung und am knarzenden Küchentisch geht das große Flennen los: Warum hat er mich verlassen, was hat sie, was ich nicht habe, was soll nun aus den Kindern werden, wo sind meine Socken? Im Dachgeschoss träumen die vaterlosen Kinder von glücklichen Familienszenen aus der Margarinewerbung, im Rez-de-Chaussée heult Mami Rotz und Wasser. Wenn Adrien aus seinem fernen Liebesnest anruft, um mit seinen Töchtern zu sprechen, bekommen diese den wissenden Blick von altersweisen Paartherapeuten, nehmen Mami tröstend bei der Hand und zeigen ihr die schönen Seiten des Lebens: die Schaukel im Garten, das Gras, den Regenwurm. Im flackernden Schein des Kaminfeuers entpuppt sich auch der Schwiegervater als einfühlsamer Therapeut. Nach Jahren der Strenge und der Verschlossenheit erzählt er Chloé in einer nächtlichen Rotweinsitzung von einer Affäre, die seine einzige große Liebe war: „Ich – ich liebte es, mit ihr zu schlafen.” Pierre hat die schöne und kluge Mathilde dem Schein einer glücklichen Familie geopfert. Doch das hat die Familie dem Terror eines unglücklichen Mannes ausgesetzt. Chloé möge doch bitte das Scheitern ihrer Ehe als Befreiungsschlag nutzen, Adrien sei ihr sowieso nicht gewachsen. Sagt der Vater des Ehebrechers, der es wissen muss. So funktioniert modernes Motivationstraining. Und so funktionieren Schundromane.
Patschhändchen lieb
In dürrer Sprache, die man selbst bei Sympathie für schreibende Französinnen nicht für ausdrucksstarke Lakonie halten kann, skizziert Anna Gavalda dieses nichtssagende, konventionelle Kammerspiel zwischen Pierre und Chloé. Die Personenkonstellation in diesem Beichtstuhl für schlichte Gemüter ist schematisch: die Affäre des Schwiegervaters soll Chloés Leben therapeutisch spiegeln und ihr den Abschied vom Gatten erleichtern. Wenigstens fängt der Kotzbrocken nicht auch noch an zu heulen. Mit ihrem putzigen Kiddie- Casting benutzt Gavalda die niedlichen Töchter als schablonenhafte Statisten, die in besonders sentimentalen Momenten traurig mit den Augen kullern oder mit kleinen Patschehändchen in Muttis tränenüberströmtem Gesicht herumfuhrwerken: „Ich lachte und küsste sie auf ihren herzallerliebsten Schmollmund.” C´est chou.
Bleibt zu hoffen, dass man in der République des Lettres für solche Sätze Abzugspunkte im Rentensystem bekommt. Gavalda hält ihre farblose Prosa für so stark, dass sie ihren Text in kleinen Bröckchen liefert. Das muss ein Mutterreflex sein, der den lieben Kleinen nur Mundgerechtes servieren möchte. Zahllose Absätze und weiße Seiten unterbrechen den Textfluss. Um den Nettotextanteil des Buchs steht es ebenso besorgniserregend wie um die Nettostaatsverschuldung der französischen Republik.
Die Absatztaste ist Gavaldas einziges Stilmittel. Man braucht den lose gefügten Text eigentlich nicht zu lesen; er fällt einem wie von selbst durch die schläfrigen Augen ins müde Hirn, wo die kleinen Absätze so sperrig herumliegen wie ein Haufen Bauklötzchen, die zwei verwöhnte Scheidungskinder im Dachgeschoss eines Sommerhauses ausgekippt haben.
STEPHAN MAUS
ANNA GAVALDA: Ich habe sie geliebt. Roman. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2003. 165 Seiten, 15,90 Euro.
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