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Mit dieser ersten längeren deutschsprachigen Biographie des "Gründervaters" der Europäischen Union bringt der Aachener Historiker Klaus Schwabe dem Leser das gedankliche Konzept und den geschichtlichen Hintergrund von Monnets politischer Leistung beim Aufbau eines vereinten Europas nahe. Die Darstellung, die aus der internationalen Literatur und archivalischen Quellen schöpft, besitzt ihren Schwerpunkt in den drei ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, als Monnet, beim Schuman-Plan beginnend, seine Vorstellung von "Vereinigten Staaten von Europa" zu verwirklichen suchte. Ein besonderes…mehr

Produktbeschreibung
Mit dieser ersten längeren deutschsprachigen Biographie des "Gründervaters" der Europäischen Union bringt der Aachener Historiker Klaus Schwabe dem Leser das gedankliche Konzept und den geschichtlichen Hintergrund von Monnets politischer Leistung beim Aufbau eines vereinten Europas nahe. Die Darstellung, die aus der internationalen Literatur und archivalischen Quellen schöpft, besitzt ihren Schwerpunkt in den drei ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, als Monnet, beim Schuman-Plan beginnend, seine Vorstellung von "Vereinigten Staaten von Europa" zu verwirklichen suchte. Ein besonderes Augenmerk des Autors gilt dem Deutschlandproblem und den deutsch-französischen Beziehungen als Anstoß für Monnets Europapolitik, daneben aber auch seiner Vorstellung von transatlantischer Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten.Im Zeichen heute vielfach überzogener Souveränitätsvorstellungen und übertriebener Ansprüche an die europäischen Institutionen möchte diese Biographie über das geschichtliche Vermächtnis der europäischen Gründergeneration informieren sowie über die politischen Traditionen, die sie begründet hat.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der europäische Netzwerker
Ein Politiker seines Formats fehlt der EU: Jean Monnet - biographisch gewürdigt von Klaus Schwabe

Es gibt mehr als 200 von der EU-Kommission geförderte Jean-Monnet-Lehrstühle in Europa. Der französische Präsident Mitterrand ließ den Sarg seines 1888 im Städtchen Cognac geborenen Landsmannes, der 1953 den Aachener Karlspreis erhalten hatte und 1976 vom Europäischen Rat zum ersten "Ehrenbürger Europas" ernannt worden war, im Jahr 1988 in das Panthéon überführen. Dort ruhen seine sterblichen Überreste nun in der Nachbarschaft von Voltaire, Rousseau und anderen französischen Geistesgrößen. Doch was sagt der Name Monnet der heutigen Generation junger Europäer?

Klaus Schwabe meint, dass Monnet nur noch wenigen ein Begriff sei. Das soll diese "erste politische Biographie" in deutscher Sprache ändern. Schließen will der emeritierte Aachener Historiker auch eine Wissenslücke, indem er ausgiebig auf englisch- und französischsprachige Sekundärliteratur zurückgreift, die in Deutschland wenig rezipiert worden sei. Er profitiert zudem von wichtigen deutschen Arbeiten, die etwa Wilfried Loth oder Ulrich Lappenküper zur europäischen Integration und zu den deutsch- französischen Beziehungen vorlegten.

Schwabe hat seine Biographie weitgehend auf den politischen Monnet beschränkt, obwohl es auch vom Privatmann Interessantes zu berichten gäbe. So fragt man sich, woher Monnet, der immer auf großem Fuß lebte, obwohl er nach seiner Tätigkeit bei der Montanunion keiner bezahlten Tätigkeit mehr nachging, die Ressourcen bezog, um seine unermüdlichen Aktivitäten zu finanzieren. Im Alter war er jedenfalls hoch verschuldet; es waren die Tantiemen für seine Autobiographie "Erinnerungen eines Europäers" (Helmut Schmidt schrieb das Vorwort zur deutschen Ausgabe), die ihn und seine Familie vor dem Ruin retteten.

Dass Monnet heute wenig bekannt ist, liegt auch daran, dass er im Grunde nur ein herausgehobenes politisches Amt bekleidet hat: das des (Gründungs-)Präsidenten der Hohen Behörde der Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, kurz: EGKS), welches er 1952 antrat und von dem er nach knapp drei Jahren zurücktrat; den Anreger und Ideengeber befriedigte die detaillierte Verwaltungsarbeit nicht. Es kam die Enttäuschung über einen europapolitischen Rückschlag hinzu, als 1954 in der französischen Nationalversammlung das Projekt einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft scheiterte. Er gründete sofort danach einen "Aktionsausschuss für die Vereinigten Staaten von Europa", dem bald führende Leute aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angehörten, ein überaus einflussreiches Netzwerk, das nicht nur Europa umspannte, sondern bis nach Amerika reichte.

Dabei konnte Monnet auf Verbindungen zurückgreifen, die er seit dem Ersten Weltkrieg geknüpft hatte. Damals nutzte der Sohn eines vermögenden Weinbrandhändlers, der nach dem Abbruch der Schule in die Firma des Vaters eingetreten war und sich um den internationalen Absatz der Produkte gekümmert hatte, seine Kontakte nach Großbritannien und Amerika, um nach einem unwahrscheinlich schnellen politischen Aufstieg den Handel zwischen den Verbündeten in Kriegszeiten zu koordinieren. Aus dieser Zeit stammt seine Überzeugung, dass der Nationalstaat mit seinen begrenzten Mitteln außerordentlichen Herausforderungen nicht gewachsen sei. Statt nationale Interessenpolitik zu treiben, müsse man sich an Sachzwängen orientieren, die aus der Notwendigkeit gemeinsamen Handelns entstünden; diese Erkenntnis bestimmte sein ganzes Wirken. Darin steckt auch die Wurzel von Vorwürfen, die bis heute gegen die europäische Integration erhoben werden: Sie sei technokratisch organisiert und dirigistisch orientiert.

Nach dem Krieg war Monnet in der Diplomatie-, Finanz- und Wirtschaftselite bekannt. Die Friedensverhandlungen und die Gründung des Völkerbundes, dessen stellvertretender Generalsekretär er wurde, nutzte er, um sein Netzwerk weiter auszubauen. 1922 zog er sich aus dem Völkerbund zurück, aus politischer Enttäuschung, weil die Organisation strikt intergouvernemental blieb, aber auch aus privaten Gründen. Monnet wurde internationaler Finanzmanager, doch auch da stellten sich politische Aufgaben, als eine Sanierung der französischen Währung notwendig wurde. Sein Weg führte nach New York, einen Ort, der dem anglophonen und anglophilen Monnet entgegenkam. Er verkehrte dort mit Finanzleuten, etwa dem späteren amerikanischen Außenminister John Foster Dulles, der sein Freund wurde, oder mit Heinrich Brüning, der ihm über die dramatische Entwicklung im nationalsozialistischen Deutschland berichtete. 1938, bei einem privaten Treffen mit Präsident Roosevelt, warb er mit Blick auf einen kommenden Krieg dafür, dass Amerika die Aufrüstung Frankreichs und Britanniens unterstützen müsse, damit diese Hitlers Armeen standhalten könnten.

Als der Krieg im September 1939 begann, wurde er von der französischen Regierung beauftragt, die Rüstungsanstrengungen auf Seiten der Westmächte zu koordinieren. Aus jenen Zeiten stammt der Plan einer französisch-britischen Union, die bis in höchste Kreise ernsthaft diskutiert wurde - mit der Niederlage Frankreichs wurde das Projekt Makulatur. Monnet schloss sich dem französischen Widerstand an, beriet auch Charles de Gaulle in seinem Konflikt mit konkurrierenden Militärs, doch kam es nicht zu größerer Übereinstimmung zwischen dem "Netzwerker" Monnet und dem General, der seine Einsamkeit als "Führer des freien Frankreichs" kultivierte und sich immer wieder mit den Alliierten zerstritt.

Monnets große Stunde kam mit dem Kriegsende, als er in Frankreich zum Plankommissar aufstieg, der den Wiederaufbau des Landes organisierten sollte. Von Anfang an war er der Überzeugung, dass es in Europa weder Stabilität noch dauerhaften Frieden geben könne, wenn das besiegte Deutschland nicht an einem europäischen Wiederaufbau beteiligt würde. Dazu kam als zweite unerschütterliche Überzeugung, dass Britannien in Europa verankert und die transatlantische Bindung - anders als nach dem Ersten Weltkrieg - dauerhaft gefestigt werden müsse. Sein Meisterstück lieferte Monnet 1950 mit dem Schuman-Plan (benannt nach dem französischen Außenminister), der die Grundlagen für die deutsch-französische Aussöhnung legte und den Grundstein für die Montanunion als Keimzelle der europäischen Integration setzte.

Das folgende Vierteljahrhundert Geschichte der europäischen Einigung, das Schwabe aus der Perspektive Monnets erzählt, zeigt zweierlei: Erstens war dieser Prozess von Anfang an eine Abfolge von Krisen, die zwar immer wieder bewältigt wurden, doch oft nicht im Sinne von Monnets Prinzip der "supranationalen" Lösung, also der Übertragung von Teilen nationaler Souveränität auf eigenständige Institutionen wie etwa die Hohe Behörde der EGKS. Zweitens setzte Monnet nicht immer auf das richtige Pferd: So warb er mit all seiner Überredungskunst für die europäische Nuklearbehörde Euratom, die schließlich 1957 gegründet wurde, hatte aber große Bedenken gegen die Römischen Verträge zur Gründung der EWG, die zum eigentlichen "Motor" der Integration wurde. Doch mit einem Pragmatismus, der von Opportunismus manchmal kaum zu unterscheiden ist, stellte er sich immer wieder auf neue Lagen ein und unterbreitete mit seinem Aktionsausschuss (oder in Briefen an die führenden Staatsmänner in Europa und Amerika, die er fast alle persönlich kannte) bald neue Vorschläge zum Fortgang der Integration.

So schlug er 1971 "die Schaffung einer europäischen Regierung" vor, die Beschlüsse fassen und demokratischer Kontrolle unterliegen solle. Daraus wurde später der "Europäische Rat" der Staats- und Regierungschefs. Wenn es auf dem Pfad der Supranationalität nicht weiterging, setzte er auf Regierungsübereinkommen, also auf die intergouvernementale Methode, auch wenn er das Endziel der "Vereinigten Staaten von Europa" nicht aus dem Auge verlor. Monnet war kein Theoretiker, sondern ein Mann, für den praktische Fortschritte zählten. Insofern ist auch der oft erwähnte Bezug auf seine spezifische "Methode" nur halb richtig. Wenn es eine gab, so war es die seinen Erfahrungen entsprechende Überzeugung, dass sektorale Integration (wie in der Montanunion) sachzwanghaft zu weiteren Integrationsschritten auf benachbarten Sektoren führen werde ("spill-over").

Ein anderer vergessener Europäer, der Italiener Altiero Spinelli, hat Monnet bescheinigt, dieser habe "das große Verdienst, Europa erbaut zu haben, und die große Verantwortung, es schlecht erbaut zu haben", nämlich als "seelenlose Technokratie". Spinelli war der "Anführer" der Föderalisten, die Europa "von oben", durch eine gemeinsame Verfassung, einigen wollten. Dass dieser Weg in eine Sackgasse führte, zeigte das Scheitern des Europäischen Verfassungsvertrags 2005. Doch auch die "neofunktionalistische" Methode Monnets (dessen Endziel ebenfalls ein föderales Europa blieb) hat ihre Grenzen offenbart. Die gemeinsame Währung hat die Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Staaten der Eurozone nicht per "spill-over" harmonisiert, sondern Unterschiede zwischen ihnen verschärft. Die EU probiert seither diverse Wege aus, um aus ihren Krisen herauszukommen. Doch gegenwärtig ist kein Monnet in Sicht, der mit neuen, praktischen Anstößen das Schiff wieder flottmachen könnte.

GÜNTHER NONNENMACHER

Klaus Schwabe: Jean Monnet. Frankreich, die Deutschen und die Einigung Europas. Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden 2016. 480 S., 49,- [Euro].

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