Jean Ziegler ist der streitbarste und - nach Roger Federer - international wohl bekannteste Vertreter der Schweiz. Für die einen ist er ein einsamer Kämpfer gegen Armut und Hunger in Afrika und anderswo auf der Welt, für die anderen schlicht ein Nestbeschmutzer. Der linksradikale Professor der Soziologie, Bestsellerautor und Uno-Diplomat Ziegler kennt in seinen Anklagen gegen die Mächtigen der Welt keine Mäßigung. Sein Leben ist voller Widersprüche, über die er bisher immer hinweggegangen ist und die in dieser ersten und autorisierten Biographie erstmals näher beleuchtet werden. Das flüssig erzählte, kritische Porträt zeigt einen Mann, der auch im Alter von 76 Jahren noch nicht resigniert hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2011Empörung über Jean Ziegler
Dass der Soziologe Jean Ziegler die "Unrechtmäßigkeit der Geldwäscherei und die Missbräuche des Bankgeheimnisses früh auf den Tisch gebracht hat", anerkennt inzwischen auch die "Neue Zürcher Zeitung". Beim Lesen ihrer Rezension von Jürg Wegelins Biographie "Jean Ziegler. Das Leben eines Rebellen" (Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2011. 192 S., geb., 17,90 [Euro]) reibt man sich die Augen: "Hätten sich die Verantwortlichen mit seinen Thesen auseinandergesetzt, statt aus allen Rohren auf ihn zu schießen, hätte die Schweiz heute ein paar Probleme weniger." An diesem helvetischen Schießen auf den Nestbeschmutzer als Volksfeind war freilich auch die "Neue Zürcher" beteiligt. Der Schweiz-Kritiker Ziegler wurde mit ruinösen Prozessen eingedeckt, der Lehrstuhl an der Universität Genf sollte ihm entzogen werden. Doch inzwischen ist auch in der Schweiz der Kalte Krieg zu Ende gegangen, und Zieglers Gegner müssen eingestehen, dass nicht dessen Bücher, sondern die Amerikaner und Europäer das Bankgeheimnis zu Fall brachten.
Der veränderten Wahrnehmung Jean Zieglers widmet Jürg Wegelin das Schlusskapitel. Er sprach mit Weggefährten, Angehörigen, Freunden, Kritikern. Wegelin hatte Zugang zum Archiv von Ziegler, der im Umgang mit seiner Person sehr unzimperlich ist. Ausführlich befasst sich der Biograph mit Zieglers Herkunft aus Thun im Berner Oberland. Jean - damals noch Hans - Ziegler entstammte einer gutbürgerlichen Familie. Und frönte in seiner Jugend eher rechtslastigen Ideen und Ritualen. Zum Weltverbesserer wurde er in Kongo, wo er Menschen verhungern sah, und unter dem Einfluss von Jean-Paul Sartre: Nach dem Krieg studierte Ziegler in Paris.
Jürg Wegelin ist um kritische Distanz bemüht; fair - aber angesichts der schillernden Figur auch etwas bieder. Die orthodoxen marxistischen Totalitarismen hat Ziegler nie nachgebetet. Zwiespältiger ist - oder war - sein Verhältnis zu den Ideologien der Dritten Welt und ihren Revolutionsführern an der Macht. Aber mehr als westliche Regierungschefs hat auch er sich von Gaddafi nicht verführen lassen. Wegen der unterstellten Nähe zum libyschen Tyrannen war seine Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen abgesagt worden. Er hielt sie an anderer Stelle, der österreichische Verlag Ecowin hat sie nach dem Vorbild von Stéphane Hessels "Empört euch" als dünne Broschüre herausgebracht: "Der Aufstand des Gewissens" (Ecowin Verlag, Salzburg 2011. 16 S., br., 2,50 [Euro]) soll eine Auflage von mehr als zwanzigtausend Exemplaren erreicht haben. Im Januar bringt Ecowin eine Neuauflage von "Die Lebenden und der Tod" heraus. Es ist Zieglers persönlichstes Buch.
Seit einem Jahrzehnt verlagerte sich Zieglers Einfluss von Frankreich auf Deutschland, wo er in den Kirchenbewegungen sehr präsent ist. Doch mit seinem neuen Buch "Destruction massive" (Geópolitique de la faim. Editions du Seuil, Paris 2011. 354 S., br., 20,- [Euro]) über den Hunger als Massenvernichtungswaffe kehrt der traditionell die Globalisierung attackierende Jean Ziegler nicht nur in die französischen Bestsellerlisten zurück. In seiner Wahlheimat sorgt sein Porträt von Genf als "Hauptstadt der Agro-Spekulanten" für Empörung.
JÜRG ALTWEGG
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dass der Soziologe Jean Ziegler die "Unrechtmäßigkeit der Geldwäscherei und die Missbräuche des Bankgeheimnisses früh auf den Tisch gebracht hat", anerkennt inzwischen auch die "Neue Zürcher Zeitung". Beim Lesen ihrer Rezension von Jürg Wegelins Biographie "Jean Ziegler. Das Leben eines Rebellen" (Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2011. 192 S., geb., 17,90 [Euro]) reibt man sich die Augen: "Hätten sich die Verantwortlichen mit seinen Thesen auseinandergesetzt, statt aus allen Rohren auf ihn zu schießen, hätte die Schweiz heute ein paar Probleme weniger." An diesem helvetischen Schießen auf den Nestbeschmutzer als Volksfeind war freilich auch die "Neue Zürcher" beteiligt. Der Schweiz-Kritiker Ziegler wurde mit ruinösen Prozessen eingedeckt, der Lehrstuhl an der Universität Genf sollte ihm entzogen werden. Doch inzwischen ist auch in der Schweiz der Kalte Krieg zu Ende gegangen, und Zieglers Gegner müssen eingestehen, dass nicht dessen Bücher, sondern die Amerikaner und Europäer das Bankgeheimnis zu Fall brachten.
Der veränderten Wahrnehmung Jean Zieglers widmet Jürg Wegelin das Schlusskapitel. Er sprach mit Weggefährten, Angehörigen, Freunden, Kritikern. Wegelin hatte Zugang zum Archiv von Ziegler, der im Umgang mit seiner Person sehr unzimperlich ist. Ausführlich befasst sich der Biograph mit Zieglers Herkunft aus Thun im Berner Oberland. Jean - damals noch Hans - Ziegler entstammte einer gutbürgerlichen Familie. Und frönte in seiner Jugend eher rechtslastigen Ideen und Ritualen. Zum Weltverbesserer wurde er in Kongo, wo er Menschen verhungern sah, und unter dem Einfluss von Jean-Paul Sartre: Nach dem Krieg studierte Ziegler in Paris.
Jürg Wegelin ist um kritische Distanz bemüht; fair - aber angesichts der schillernden Figur auch etwas bieder. Die orthodoxen marxistischen Totalitarismen hat Ziegler nie nachgebetet. Zwiespältiger ist - oder war - sein Verhältnis zu den Ideologien der Dritten Welt und ihren Revolutionsführern an der Macht. Aber mehr als westliche Regierungschefs hat auch er sich von Gaddafi nicht verführen lassen. Wegen der unterstellten Nähe zum libyschen Tyrannen war seine Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen abgesagt worden. Er hielt sie an anderer Stelle, der österreichische Verlag Ecowin hat sie nach dem Vorbild von Stéphane Hessels "Empört euch" als dünne Broschüre herausgebracht: "Der Aufstand des Gewissens" (Ecowin Verlag, Salzburg 2011. 16 S., br., 2,50 [Euro]) soll eine Auflage von mehr als zwanzigtausend Exemplaren erreicht haben. Im Januar bringt Ecowin eine Neuauflage von "Die Lebenden und der Tod" heraus. Es ist Zieglers persönlichstes Buch.
Seit einem Jahrzehnt verlagerte sich Zieglers Einfluss von Frankreich auf Deutschland, wo er in den Kirchenbewegungen sehr präsent ist. Doch mit seinem neuen Buch "Destruction massive" (Geópolitique de la faim. Editions du Seuil, Paris 2011. 354 S., br., 20,- [Euro]) über den Hunger als Massenvernichtungswaffe kehrt der traditionell die Globalisierung attackierende Jean Ziegler nicht nur in die französischen Bestsellerlisten zurück. In seiner Wahlheimat sorgt sein Porträt von Genf als "Hauptstadt der Agro-Spekulanten" für Empörung.
JÜRG ALTWEGG
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