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Bestsellerautor und Friedenspreisträger Navid Kermani über Religion und den Sinn des Lebens - die Essenz seines Denkens und ein Aufruf zum Miteinander
"Als er im Krankenhaus lag, sollte ich Opa versprechen, dich den Islam zu lehren, wenn er nicht mehr da ist, unseren Islam, den Islam, mit dem ich aufgewachsen bin." So beginnt ein Vater Abend für Abend seiner Tochter zu erzählen - nicht nur von seiner eigenen Religion, sondern von dem, was alle Gläubigen eint, von Gott und dem Tod, von der Liebe und der Unendlichkeit um uns herum. Dieses sehr persönliche Buch ist nicht nur Verzauberung und…mehr

Produktbeschreibung
Bestsellerautor und Friedenspreisträger Navid Kermani über Religion und den Sinn des Lebens - die Essenz seines Denkens und ein Aufruf zum Miteinander

"Als er im Krankenhaus lag, sollte ich Opa versprechen, dich den Islam zu lehren, wenn er nicht mehr da ist, unseren Islam, den Islam, mit dem ich aufgewachsen bin." So beginnt ein Vater Abend für Abend seiner Tochter zu erzählen - nicht nur von seiner eigenen Religion, sondern von dem, was alle Gläubigen eint, von Gott und dem Tod, von der Liebe und der Unendlichkeit um uns herum. Dieses sehr persönliche Buch ist nicht nur Verzauberung und literarisches Meisterstück, sondern ein wahrer Erkenntnisgewinn, gerade weil Navid Kermani auch ins Dunkle zu schreiben wagt und damit seiner, unserer Ratlosigkeit einen Ausdruck gibt. Und weil seine Sprache, seine Offenheit, sein Wissen aus zwei Kulturen einzigartig sind, so hell und so tief.
Autorenporträt
Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Kleist-Preis, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dem Hölderlin-Preis und zuletzt 2024 mit dem Thomas Mann-Preis. Bei Hanser erschienen Dein Name (Roman, 2011), Über den Zufall (Edition Akzente, 2012), Große Liebe (Roman, 2014), Album (Das Buch der von Neil Young Getöteten / Vierzig Leben / Du sollst / Kurzmitteilung, 2014), Sozusagen Paris (Roman, 2016) und Das Alphabet bis S (Roman, 2023). Ayda, Bär und Hase (2017) war sein erstes Buch im Kinder- und Jugendbuchprogramm des Hanser Verlags. 2022 folgte Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen und 2025 Zu Hause ist es am schönsten, sagte die linke Hand und hielt sich an der Heizung fest mit Illustrationen von Mehrdad Zaeri.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.01.2022

Gott ist größer
Und wir Menschen können immer nur Götzen anbeten:
Navid Kermanis Islamkunde ist eine Übung in religiöser Musikalität für alle
Die Behauptung, man sei „religiös unmusikalisch“, gehört zu den trivialen Selbstbeschreibungen des modernen, säkularisierten Menschen. Sie legt die Empfänglichkeit für Glaubensfragen gewissermaßen in Gottes Hand, als natürliche Anlage, die man eben hat oder auch nicht. Dabei ist Max Weber, dem Erfinder der Formulierung, eine Metapher gelungen, die genau solchen Fatalismus unterläuft. Musikalität lässt sich ausbilden und trainieren, und überhaupt: Sind völlig unmusikalische Menschen überhaupt vorstellbar?
Es gibt jetzt für jeden Gläubigen oder Ungläubigen, welcher Konfession oder Weltanschauung auch immer, eine neue Gelegenheit, seine Musikalität, seine Anlage zur Religion zu erproben, und zwar ausgerechnet in einem Buch über den Islam. Navid Kermani, der politische Redner, der weitgereiste Reporter und Erzähler, der schriftgelehrte Kenner seiner eigenen Religion, der Freund des Christentums, das er sich über die bildende Kunst erschloss, hat es für seine zwölfjährige Tochter geschrieben. Ihr möchte er, einem letzten Auftrag seines verstorbenen, vor Jahrzehnten aus Iran nach Deutschland eingewanderten Vaters folgend, die Religiosität der eigenen Familie vermitteln, den „Islam, in dem ich aufgewachsen bin“.
Wir lauschen einem intimen, familiären Religionsunterricht für ein ganz modernes Mädchen, das alterstypisch ungebärdig, verquasselt und neugierig ist, dabei erst einmal ungläubig-kritisch gegen alles, was ein Vater ihr vorsetzt. Der Dialog ist nur angedeutet, es geht um eine Redesituation, in der einfacher, elementarer gesprochen werden kann als in einem theologischen Traktat.
Warum sollte das erwachsene Leser mit christlichen Hintergründen, gar Agnostiker interessieren? Kermanis Tochter, erfahren wir, wächst in einem christlichen Umfeld auf, im heiligen Köln, wo sie den regulären katholischen Unterricht besucht. Ach so, könnte man argwöhnen, es geht um multikulturelle Toleranz, um Weltethos, universalistische moderne Ethik aus dogmatisch abgespeckten spirituellen Quellen, und hätte Gründe, gelangweilt abzuwinken. Doch so ist es nicht – Vater Kermani zeigt sich als Glaubender, der seine Religion zwar zeitgemäß auslegt, aber unbezweifelbar an ihr festhält.
So am Bekenntnis, das einen zum Muslim macht: Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet. Monotheismus hat hier einen menschlichen Bezug, Islam ist eine Beziehung. Das Wort „Islam“ ist etymologisch mit „Frieden“, „salam/schalom“ verwandt und meint „sich unterwerfen, sich hingeben, Frieden schließen“. Diese durch den Propheten, der zum Empfänger von Gottes Botschaft wurde, vermittelte Hingabe an etwas, das man als Einzelner nicht im Griff hat, äußert sich in dem Satz „Gott ist größer“ – nicht „Gott ist groß“, wie er immer verkürzend übersetzt werde –, es ist der oft missbrauchte Ausruf: Allahu akbar. Der Komparativ – oder auch Superlativ, als andere mögliche Übersetzung – entzieht den so angesprochenen Gott jeder menschlichen Inanspruchnahme: Wenn Gott immer und auf jeden Fall „größer“ ist, dann kann man eben auch nicht wissen, ob man ihn richtig versteht, wenn man etwas mit ihm rechtfertigt, beispielsweise eine konkrete Verhaltensregel. Der Komparativ relativiert alles Irdische, er ist ein Fenster für Fragen und immer neue Auslegungen, eine unablässige Bemühung, für Geschichte also. „Groß“ wäre dogmatisch-fundamentalistisch, „größer“ ist beweglich, so grenzenlos wandelbar wie die Natur.
Die Natur und das Staunen vor ihr gibt Kermanis Gottesbegriff seinen wichtigsten Inhalt. Er entwickelt einen Abriss der Kosmologie nach heutigem Kenntnisstand und lehrt damit solches Staunen. Dass Islam und die Wissenschaften keine Feinde sind, zeigte das Mittelalter, als Mathematik und griechische Philosophie aus arabischen Quellen ins zurückgefallene Europa gelangten – warum daran nicht anknüpfen? Staunen kann man beispielsweise über den Umstand, dass jedes der Milliarden Blätter an allen Bäumen, die je waren und je sein werden, ein wenig anders ist, so wie kein einzelner Mensch, der je war und sein wird, einem anderen ganz gleicht.
In solchen Überlegungen weht so etwas wie ein Geist des 18. Jahrhunderts, als es „Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt“ gab oder das „Irdische Vergnügen in Gott“ zum Anlass detailfreudiger Dichtung wurde. Kermanis Beredsamkeit ist nicht schwärmerisch, sie argumentiert und vergleicht. Der Leser wird nicht taktlos in eine gefühlige Religionsgestimmtheit hineingezogen, sondern darf mit der klugen Tochter skeptisch bleiben. Hat der Vater sie überhaupt überzeugt? Wir erfahren es nicht.
Aber wenn das so einfach und vernünftig ist, wo bleiben Glaube und Bekenntnis? Und was heißt das für das Christentum, das ja auch ein Bekenntnis ist, ein sehr anderes? Kermani besteht auf der Wahrheit seiner Religion, ohne Juden, Christen oder Hindus die ihre zu bestreiten. Darin folgt er der islamischen Überzeugung, in der Kette der Offenbarungen die jüngste, bisher letzte, also auch die einfachste zu sein. Die jüdischen und christlichen Vorgänger sind im Koran aufgehoben, zeigt Kermani, gerade Jesus hat einen Ehrenplatz darin, er darf dort sogar „Christus“ heißen, er behält also den Erlösertitel.
Doch der eigentliche Gedanke Kermanis ist tiefgründiger, nämlich dialektisch: Es lohnt sich, an den Unterschieden der Bekenntnisse festzuhalten, denn die Religionen beleuchten sich gegenseitig. Eine von Differenzen bereinigte Einheitsreligion würde diese Wahrheitspotenziale verloren gehen lassen. Vergleichende Religionskunde lässt von Gott, der auf jeden Fall „größer“ ist als menschliche Begriffe, mehr sehen, als so ein Kompromiss es je könnte. Unterschiedenes bleibt gut.
Es gibt kaum eine Form des Religiösen, die Kermani seiner Tochter nicht mit Sympathie erläutert, selbst die naturverbundene Vielgötterei, der Gottseibeiuns monotheistischer Überlegenheitsgefühle. Doch vor allem vergleicht er immer wieder Islam und Christentum. Und da wirkt das Christentum mit seinem großen Drama von Sündenfall, Erbsünde, Erlösung durch Gottes Selbstopfer am Kreuz, mit Auferstehung und Dreieinigkeit auf einmal sehr fremd, fast überspannt, sogar blutig, bis in den Abendmahlritus hinein.
Wundervoll der Vergleich zwischen dem christlichen Kirchenbau mit seinen Kreuzarmen und dem Blick auf den Altar, also dem Bezug auf die gerichtete irdische Heilsgeschichte, und einer Moschee, die allen Glaubenden die gleiche Aussicht in den Himmel einer Kuppel bietet. Gott hat hier keinen bestimmten Ort, keine historische Zeit, sondern er ist allgegenwärtig. In solchen Vergleichen wirkt der Islam schlichter und lebensnäher.
Beispielsweise übersetzt Kermani das hochgespannte Gebot der Feindesliebe in die einfachere und nüchterne Forderung, im Gegner, im Konkurrenten und Nervsack immer auch den sterblichen Menschen im Blick zu behalten, den eine Mutter geboren hat und der am Ende in die Grube fahren wird. Gleichheit und Menschenrechte verlangen nicht gleich „Liebe“. Überhaupt überfordere das Christentum seine Anhänger oftmals, sagt Kermani mit Blick auf den Foltertod Christi am Kreuz – auch das ein Motiv der europäischen Aufklärung, dem auch Goethe anhing, der einen Horror vor dem Kreuz hatte. Substanz, Natur, Unendlichkeit ruft Kermani für sein Gottesverständnis auf. Er beschwört mit betörender Beredsamkeit die existenziellen Grenzerfahrungen von Geburt, Liebe und Tod. Jeden betreffen sie, und hier liegt ein Potenzial für religiöse Musikalität, das nicht erschöpfbar ist, wie sehr die Welt uns das Gefühl verteure. Aber wie ist es mit der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, dieser äußersten Überforderung durch das Christentum? Ist Gott eine Person?
Goethe, dessen Islam-Verständnis Kermani immer wieder rühmt, verneinte das bis in seine letzten Tage. Aus der Figur der Gottesebenbildlichkeit hat Thomas Mann den ganzen Riesenprozess seiner Josephs-Romane (die Kermani seltsamerweise nie zitiert) entwickelt, als Prozess der Versittlichung des Menschen durch Reinigung des Gottesbildes. Dass Gott die Menschen brauche, steht auch bei Kermani. Aber er hat noch eine Gedankenfigur, die man fast raffiniert nennen könnte, verböte sich das Adjektiv nicht in solchen Zusammenhängen.
Er zitiert Ibn Arabi, den großen Mystiker des 12./13. Jahrhunderts: „Die Geschöpfe können zwangsläufig nur das verehren, was sie über Gott meinen. Es gibt nur Götzenanbeter.“ Denn Gott ist ja auf jeden Fall „größer“. Dann besteht die wahre Gotteserkenntnis, der im Sinne Thomas Manns „gereinigte“ Gottesbegriff, genau darin: im selbstkritischen Bewusstsein, dass es für mehr als „Götzenanbetung“ bei sterblich-beschränkten Geschöpfen nicht reichen kann. Das ist eine finale Infragestellung und Aufhebung aller Begriffe von Gott, sei er als Natur, als Person, als Prinzip begriffen, als einer oder viele, als Mann oder Frau. Und das ist natürlich auch die Absage an alle fundamentalistische Wörtlichkeit, mit der heutige Islamisten das von Kermani in zahlreichen Zitaten vorgeführte Auslegungspotenzial des koranischen Textes kaputtmachen.
Kermanis schönster Gottesbegriff ist körperlich, er besteht im wortlosen Ein- und Ausatmen, im Zusammenziehen und Weiten der Brust, das sich mit dem kehligen „All-ah“ des arabischen Gottesnamens so gut verbinden lässt. Begleitet wird es vom Niederknien und Aufstehen, von einer Gebetshaltung, bei der die Hände geöffnet sind, als hielten sie eine Weltkugel. Dabei ist man gerade nicht in sich gekehrt und versunken, sondern blickt frei in die Schöpfung. Das ist mystisch, aber auch einfach und praktisch, genauso wie die Ethik des Erbarmens und der Mildtätigkeit, die der Islam nicht anders predigt als das Christentum.
Aber was ist dann mit all dem Schrecken, den Menschen, die sich auf den Islam berufen, heute an vielen Orten der Welt verbreiten? Er geistert immer wieder als Gegenbild durch Kermanis Predigt. Den Hass, den die Religion gerade in Iran, im Heimatland seiner Eltern, nach 40 Jahren religiöser Despotie mit Mord und Folter bei den Jüngeren erfährt, kann er nur allzu gut begreifen. Der Vater spricht zu seiner Tochter auch deshalb so persönlich, weil sie als Familie von Emigranten in Deutschland einer Konfession ohne Gemeinde angehören. Kermani vermerkt es mit Trauer.
Sein Buch ist so einladend wie der Titel. Dieser zitiert einen Platzanweiser in einer überfüllten Moschee, der die Menschen zum Zusammenrücken auffordert. In einem mystischen Text des elften Jahrhunderts wird daraus der Kern aller Weisheit.
GUSTAV SEIBT
Der Komparativ relativiert alles
Irdische, er ist ein Fenster
für immer neue Auslegungen
Substanz, Natur,
Unendlichkeit ruft Kermani
für sein Gottesverständnis auf
Manchmal schneit es sogar in Istanbul: Gott hat keinen bestimmten Ort, sondern ist allgegenwärtig.
Foto: YASIN AKGUL/afp
Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren. Nach einem Orientalistik-Studium arbeitete er zunächst als Journalist, später als freier Schriftsteller. 2015 erhielt er den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Foto: imago
Navid Kermani:
„Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“ Fragen nach Gott. Hanser-Verlag, München 2022.
238 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensent Christoph Vormweg schätzt Navid Kermani als selbstkritischen Kulturvermittler. In dieser Rolle tritt der Autor laut Vormweg auch in seinem neuen Buch auf, das als Vater-Tochter-Dialog über den Islam im Vergleich mit den anderen Weltreligionen konzipiert ist, wie der Rezensent erläutert. Bereichernd ist das persönliche Zwiegespräch für Vormweg nicht zuletzt aufgrund von Kermanis Offenheit in Bezug auf seine eigenen religiösen Positionen, die er im Austausch mit der Tochter, aber auch mit Theologen, Philosophen und anderen Schriftstellern hinterfragt. Überdies trägt Kermanis Humor dazu bei, die Lektüre zu bereichern, meint Vormweg.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2022

Wie wenn du einen Apfel riechst

Navid Kermani hat ein Buch über die allabendlichen Gespräche mit seiner Tochter über Gott geschrieben.

Wie spricht man über etwas, das sich der Sprache entzieht? Navid Kermani hat jetzt ein Buch darüber geschrieben, was Gott für ihn als gläubigen Muslim bedeutet, und nichts wiederholt er darin öfter, als dass sich Gott gar nicht in Worte fassen lasse. Die meisten Bücher, die mit Religion zu tun haben, versuchen aus diesem Widerspruch herauszukommen, indem sie sich mit anderen Büchern beschäftigen, also mit Ideen, Gebräuchen, Werten, historischen Entwicklungen. Das wollte Kermani nicht. Für ihn wäre das so, schreibt er gleich zu Beginn, als würde man die Kleidung eines Menschen beschreiben, nicht aber den Menschen selbst.

Stattdessen ist sein Buch als Gespräch mit der zwölfjährigen Tochter angelegt, um ein Versprechen zu erfüllen, das er seinem Vater kurz vor dessen Tod gegeben hatte: die Enkelin "den Islam zu lehren, wenn er nicht mehr da ist, unseren Islam, den Islam, mit dem ich aufgewachsen bin, den Islam, den auch er als Kind in Isfahan erlebt hatte, den Islam unserer Vorfahren". Während die Tochter in der Schule ist, schreibt ihr Schriftsteller-Vater nun also jeden Tag nieder, was er ihr abends von seinem Glauben erzählen will, und am nächsten Tag nimmt er ihre zahlreichen Einwendungen auf, wenn er zu einem neuen Kapitel übergeht. Das ist nicht nur ein erzählerischer Kniff, um das strenge Thema zugänglicher zu machen. Diese Form gehört unmittelbar zum Inhalt, so wie Kermani ihn versteht, zum Paradox eines Redens über etwas Unsagbares.

Streng genommen, sagt Kermani seiner Tochter, glaubte Opa gar nicht an Gott. "Er sah Gott, er begriff Gott, also wirklich, wie du etwas mit den Händen ergreifst, er roch Gott, so wie du einen Apfel siehst, begreifst, riechst." Wie soll man eine solche Erfahrung anders weitergeben können als innerhalb der Familie, die Opa kennt mit allen seinen Eigenheiten? Kermani schafft es in diesem Buch, dass wir Leser Teil dieser Familie werden und Opa kennenlernen, noch bevor wir mit dem vertraut werden, was er gesehen hat.

Solch ein jahrhundertealte Überlieferungen fortsetzendes Gespräch zwischen den Generationen über gemeinsame menschliche Erfahrungen ist nun allerdings keineswegs allgemein üblich; längst sind eher Gespräche über abstrakte Prinzipien, über Regeln und Werte, an seine Stelle getreten. Doch in der Familie Navid Kermanis, dessen Eltern 1959 aus dem Iran nach Deutschland kamen, scheint diese Art Tradierung wenigstens als Erinnerung, als Möglichkeit präsent geblieben zu sein. Das Besondere seines Buchs ist nun, dass die familiäre Überlieferung da zusammengeht mit der Vertrautheit mit anderen Überlieferungen, die er als deutscher Bürger besitzt, und überhaupt mit allen möglichen Kenntnissen und Skrupeln, die ein Zeitgenosse nur haben kann.

So kommt er zu dem erst einmal verblüffenden Schluss: "Ja, ich bin Muslim, weil ich in einem muslimischen Haus geboren bin. Aber ich wurde Muslim, weil Gott auch in jedem anderen Haus zu finden ist." Er singt ein Loblied auf die Verschiedenheit der einzelnen Traditionen (ein "Resultat von Schwarmintelligenz", die die göttliche Wahrheit in den menschlichen Alltag einbettet) und hält zugleich fest, dass die ihnen zugrunde liegende Erfahrung erstaunlich ähnlich ist. Es ist das Staunen der Mystiker und Dichter aller Religionen, die sich bei allem, was ihnen im Leben begegnete, "von Unendlichkeit umgeben" sahen.

Dem entspricht auch der etwas rätselhafte Titel des Buchs. Er stammt aus einer Begebenheit im elften Jahrhundert, als der berühmte islamische Mystiker Scheich Abu Said nach Tus kam und der Platzanweiser angesichts der übervollen Moschee rief: "Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen." Daraufhin soll der Scheich sofort wieder abgereist sein, mit der Erklärung: "Alles, was ich sagen wollte und sämtliche Propheten gesagt haben, hat der Platzanweiser bereits gesagt." Kermani seinerseits bezeichnet als bestmögliche Wirkung seines Buchs, dass christliche, jüdische oder buddhistische Leser sich auf ihre eigene Tradition besinnen, in der sie den Kern dessen, was er darstellt und mit zahlreichen Zitaten aus dem Koran unterlegt, wiederfinden könnten.

Mit Schwärmerei oder Beliebigkeit ist das nicht zu verwechseln. Das Buch ist selbst ein Beispiel für die Genauigkeit, Neugier und Geduld, die Kermani von Gläubigen erwartet. Es bleibt nicht bei der Poesie stehen, auch wenn Schönheit für diesen Autor ein ernst zu nehmendes Argument ist; den skeptischen Fragen, welche die Geschichte der Religionen und insbesondere der Islamismus aufwerfen, weicht es nicht aus. Aber er beharrt auch darauf, dass die heiligen Schriften ihrerseits die entscheidenden Fragen stellen würden.

Und die Tochter? Ihre Kritik und ihre Vorbehalte gegenüber dem poetischen Überschwang des Vaters bekommt man nur indirekt mit. Am Ende heißt es, sie sei nicht überzeugt: "Wer oder was Gott überhaupt ist", habe sie immer noch nicht verstanden. Dem Vater bleibt nur, auf ihre eigenen Erfahrungen zu hoffen. Nicht weniger als seine Erklärungen gehören die Zweifel der Tochter zu der Wirklichkeit, die dieses kluge, gedankenreiche und warmherzige Buch beschreibt. MARK SIEMONS.

Navid Kermani: "Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott". Hanser, 240 Seiten, 22 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Navid Kermanis neues Buch über Religion wird auch Agnostikern gefallen. Er ist ein sympathischer Autor und begnadeter Feuilletonist. ... Kermani schlägt keine ziellosen Ausflüge in die Metaphysik vor, sondern eine praktische Aussöhnung mit dem Geschenk des Lebens ... . Weil Geschichte und gegenwärtige Ausformungen der Religionen ... nach wie vor 'große gesellschaftliche Relevanz haben'... . Mit Kermani macht es Spaß, sie zu deuten." Sabine Kebir, Der Freitag. Die Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur, 2.6.2022

"Stimmig und herzerwärmend, wie Kermani eine so weit gefasste und unterschiedliche Gottesvorstellungen verbindende Religiosität vorstellt, dass selbst Agnostiker Platz in diesem offenen und menschenfreundlichen Denkgebäude finden könnten. Natürlich weiß der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, dass er eine Utopie skizziert. Dennoch vertritt er sie mit Verve und Hoffnung. ... Kermani wirbt für einen gründlichen Blick auf das, was er für wesentlich hält, dazu gehört auch Wissen über Religionen. Davon gibt es eine ganze Menge in Kermanis Buch." Barbara Dobrick, SWR2 "Lesenswert", 28.4.2022

"Poetisch und suchend, zweifelnd und wissend." Adam Soboczynski, Die Zeit Online, 16.03.2022

"Kermanis Originalität steckt schon in seiner anschaulich leichten, schon für Jugendliche meist gut zugänglichen Sprache, die auch viel Selbstironie enthält und das gelegentliche Eingeständnis vom eigenen "Papperlapapp". Kermani überrascht zudem mit seinem Einfallsreichtum im Detail." Der Tagesspiegel, 03.03.2022

"Es sind die langen nachhallenden Geschichten, die das Gespräch Navid Kermanis mit seiner Tochter über die Frage nach Gott auch für Atheisten wie mich zu einer anregenden Lektüre machen." Denis Scheck, ARD "Druckfrisch", 27.02.2022

"Der vielfach ausgezeichnete Bestsellerautor ... stellt persönliche und existentielle Fragen zum Glauben, zum menschlichen Miteinander und zum Sinn des Lebens. Ein literarisches Meisterstück mit hohem Erkenntnisgewinn." Claudia Christophersen, NDR Kultur, 04.03.2022

"Wie ein langer ruhiger Fluss, ... sehr sympathisch. ... . Kermani versucht nicht Lehren zu vermitteln, die in Stein gemeißelt sind, sondern entwickelt ein sehr vielfältiges Bild." Stephanie Jentgens, Deutschlandfunk "Büchermarkt". Die besten 7 im Februar, 05.02.2022

"Navid Kermani hat ein sehr persönliches Buch geschrieben. ... Er findet einen poetischen Ton, der sein jugendliches Gegenüber ernst nimmt, ohne es belehren zu wollen." Hilka Sinning, WDR Kulturmagazin "Westart", 05.02.2022

"Es zeigt sich: Staunen führt zu einer Demut dem Wunder Leben gegenüber - was daraus folgt ist individuell. ... Dabei will Kermani weder belehren noch missionieren. Stattdessen stellt er existentielle Fragen in den Raum, auf die es weder eindeutige Antworten gibt, noch geben kann." Olivia Röllin, SRF Kultur "Sternstunde Religion", 06.02.2022

"Kermani hat den Vorteil, in zwei Kulturen zuhause zu sein ... Hier wurde gezeigt, dass Wissenschaft und Glauben heute immer noch gut zusammengehen können ... . Kermani hat das auf so schöne Sätze gebracht, die im Kopf bleiben ... . Das ist doch vielleicht ein Definitionsangebot mit Konsenstendenz, also der Versuch, auch den Lebensgenuss in die Religion zu integrieren." Mario Scalla, HR 2 Kultur "Am Morgen", 07.02.2022

"Kermani besitzt die seltene Gabe, die literarischen Grenzen zu verschieben und auch das Komplizierte ruhig mal ein bisschen einfacher zu erzählen. Für mich knüpft er damit ... an die Ursprünge der Literatur überhaupt an ... . Es ist ein Buch wirklich für alle; für alle, die wissen wollen, wer sie eigentlich sind, wie sie ihr Leben gestalten können, wie sie die Unendlichkeit des Universums überhaupt verstehen ... . 'Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen' - ich glaube, besser kann man nicht sagen, was alle Religionen ausmacht." Frank Dietschreit, rbb Kultur "Der Tag", 03.02.2022

"Was für ein Buch! ... 240 Seiten, die so stark sind wie die Aufmachung und der Titel... Das ist ein sehr persönliches Buch, so persönlich, dass ich jetzt etwas tue, was man als Redakteur im Radio eigentlich nicht tut, ich räume ein, dass mir beim Lesen Ihres Buchs ab und an ein paar Tränen über die Wange gerollt sind... Es ist ein sehr dialogisches Buch... ich fühle mich ernstgenommen auch als Erwachsener." Andreas Main, Deutschlandfunk "Tag für Tag", 04.02.2022

"Kermanis Text ist lustvoll, gespickt mit einer Prise Selbstironie. Da lodert die Liebe zur Poesie, zur Reimform der Suren. Es geht dem Bestsellerautor um Denkanstöße, um Grenzen und Gemeinsamkeiten, und damit um nichts Geringeres als die Auseinandersetzung mit uns selbst, unserem Sein, dem Ursprung der Welt." Andrea Schwyzer, NDR Kultur Sendung "Freitagsforum", 28.01.2022

"Das Besondere seines Buchs ist, dass die familiäre Überlieferung zusammengeht mit der Vertrautheit mit anderen Überlieferungen, die Navid Kermani als deutscher Bürger besitzt, und überhaupt mit allen möglichen Kenntnissen und Skrupeln, die ein Zeitgenosse nur haben kann... Das Buch ist selbst ein Beispiel für die Genauigkeit, Neugier und Geduld, die Kermani von Gläubigen erwartet. Es bleibt nicht bei der Poesie stehen, auch wenn Schönheit für diesen Autor ein ernst zu nehmendes Argument ist; den skeptischen Fragen, welche die Geschichte der Religionen und insbesondere der Islamismus aufwerfen, weicht es nicht aus... Nicht weniger als seine Erklärungen gehören die Zweifel der Tochter zu der Wirklichkeit, die dieses kluge, gedankenreiche und warmherzige Buch beschreibt." Mark Siemons, 30.01.2022, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

"Mit größter erzählerischer Leichtigkeit kommt Kermani von Koransuren über Quantenphysik zu Platon. Und man wünscht sich sofort ein Kaminfeuer und ganz viel Zeit, all den Gedanken nachzuhängen, die der Autor in einem weckt." Stern, 27.01.2022

"Der Leser wird nicht taktlos in eine gefühlige Religionsgestimmtheit hineingezogen, sondern darf mit der klugen Tochter skeptisch bleiben. ... Kermani beschwört mit betörender Beredsamkeit die existenziellen Grenzerfahrungen von Geburt, Liebe und Tod. ... Sein Buch ist so einladend wie der Titel." Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 25.01.2022
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