«Ich liebe dieses Buch!» Lauren Groff
Ein fesselnder Roman über den wohl bekanntesten deutschen Hexenprozess gegen Katharina Kepler, die Mutter des Astronomen und Physikers Johannes Kepler, erzählt aus der Sicht einer starken, unabhängigen Frau. Leonberg, kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs: Der kaiserliche Astronom und Protestant Johannes Kepler ist mit den gewagten Thesen seines heliozentrischen Weltbildes bei den württembergischen Herrschern nicht sonderlich beliebt und muss ins Exil. In der Zwischenzeit hält man sich an seiner Mutter Katharina schadlos und beschuldigt sie der Hexerei.
Rivka Galchen schreibt aus Sicht «Kätherlin» Keplers, einer unabhängig denkenden, im besten Sinne «eigenwilligen» Frau von diesem historisch belegten, langjährigen Hexenprozess (1615-21) und stellt sich und uns die Frage, wie wirkmächtig selbstständig handelnde Frauen in der Historie waren. In Galchens Roman prallen Welten aufeinander, politisch, religiös und gesellschaftlich, an einem historischen Wendepunkt vor Krieg, Pest und einsetzender Renaissance.
«Dieser Roman enthält zahlreiche Lektionen für unsere eigene Zeit, über die Macht von Furcht und Aberglauben, Böses entstehen zu lassen. Dabei verzücken Galchens spielerisch poetische Sätze wie die Magie in Märchen.» Oprah Winfrey
«Galchen verwebt verschiedene Perspektiven und zeigt, wie leicht sich in einem Klima der Angst und Ignoranz eine Mobmentalität durchsetzen kann, wenn eine Frau einfach nur außerhalb der Norm steht.» The New York Times
Ein fesselnder Roman über den wohl bekanntesten deutschen Hexenprozess gegen Katharina Kepler, die Mutter des Astronomen und Physikers Johannes Kepler, erzählt aus der Sicht einer starken, unabhängigen Frau. Leonberg, kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs: Der kaiserliche Astronom und Protestant Johannes Kepler ist mit den gewagten Thesen seines heliozentrischen Weltbildes bei den württembergischen Herrschern nicht sonderlich beliebt und muss ins Exil. In der Zwischenzeit hält man sich an seiner Mutter Katharina schadlos und beschuldigt sie der Hexerei.
Rivka Galchen schreibt aus Sicht «Kätherlin» Keplers, einer unabhängig denkenden, im besten Sinne «eigenwilligen» Frau von diesem historisch belegten, langjährigen Hexenprozess (1615-21) und stellt sich und uns die Frage, wie wirkmächtig selbstständig handelnde Frauen in der Historie waren. In Galchens Roman prallen Welten aufeinander, politisch, religiös und gesellschaftlich, an einem historischen Wendepunkt vor Krieg, Pest und einsetzender Renaissance.
«Dieser Roman enthält zahlreiche Lektionen für unsere eigene Zeit, über die Macht von Furcht und Aberglauben, Böses entstehen zu lassen. Dabei verzücken Galchens spielerisch poetische Sätze wie die Magie in Märchen.» Oprah Winfrey
«Galchen verwebt verschiedene Perspektiven und zeigt, wie leicht sich in einem Klima der Angst und Ignoranz eine Mobmentalität durchsetzen kann, wenn eine Frau einfach nur außerhalb der Norm steht.» The New York Times
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Der Hexereiprozess gegen Katharina Kepler, die Mutter von Johannes Kepler, ist historisch verbürgt - aufbauend auf einigen Eckdaten hat die kanadische Autorin Rivka Galchen nun einen rasant-spannenden Roman darüber geschrieben, berichtet Rezensent Martin Oehlen. Galchen lotet darin aus verschiedenen Perspektiven aus, warum Kepler beschuldigt wurde, eine Hexe zu sein, Frauenfeindlichkeit und Neid spielen ebenso eine Rolle wie die vielen Krisen dieser Zeit, so Oehlen. "Feinnervige Charakterstudien" beinhaltet der Roman ihm zufolge zwar nicht, kurzweilig und lebendig ist er aber trotzdem sehr.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2024Wie werde ich zur Hexe?
Die Schriftstellerin Rivka Galchen durchleuchtet in ihrem Roman einen historischen Fall: In Leonberg wird 1615 Katharina Kepler als Hexe angeklagt. Ihr Sohn ist der berühmte Astronom Johannes Kepler, der ihre Verteidigung übernimmt.
Von Julia Voss
Als der Philosoph Ludwig Wittgenstein darüber nachdachte, mit wem sich alles Gespräche führen ließen, kam er zu dem Schluss: "Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen." Zu fremd ist die Welt des Löwen, zu anders sein Kalkül, von seinen Sinnen und Ängsten ganz zu schweigen.
Wie fremd aber ist uns eine Person, die als Hexe angeklagt wurde, in der frühen Neuzeit, vor vierhundert Jahren? Könnten wir sie verstehen?
Einen solchen Fall hat Rivka Galchen aufgegriffen, Schriftstellerin und Autorin des "New Yorker", deren Roman über Katharina Kepler soeben auf Deutsch erschienen ist. Die Geschichte, die auf historischen Begebenheiten beruht, führt ins Jahr 1615, nach Leonberg bei Stuttgart. Hier wird die lutherisch getaufte Katharina Kepler von ihrer Nachbarin bezichtigt, magische Praktiken vollzogen zu haben. Um ihr zu schaden, so die Klägerin, habe die Keplerin ihr ein bitteres Getränk gegeben. Daraufhin sei sie erkrankt. Die Forderung lautet Schadenersatz. Und der Stein kommt ins Rollen.
Katharina Kepler braucht einige Zeit, um zu verstehen, dass ihr Leben mit fast siebzig Jahren eine Wendung nimmt, die sie für ausgeschlossen gehalten hätte. Was es bedeutet, eine Hexe genannt zu werden, weiß sie. "Da kam mir das Bild von dem abgetrennten Daumen einer Frau aus der Nähe von Augsburg in den Sinn", lässt Rivka Galchen sie sagen: "Er war unter Schrauben und Streckbrett abgerissen." Es scheint, so Katharina Kepler, als habe "Gott vergessen, wo ich bin".
Die Handlung des Romans bewegt sich innerhalb der überlieferten Eckdaten: Als die Klage eingereicht wird, lebt Katharina Kepler allein in Leonberg. Ihr Mann ist vor Jahrzehnten verschollen, ihre drei Kinder sind ausgezogen. Johannes Kepler, ihr ältester Sohn, der in Tübingen studiert hat und berühmt geworden ist, wohnt in Linz, viele Tagesreisen entfernt.
Er, der in Prag zum kaiserlichen Mathematiker und Hofastronomen aufgestiegen ist, hat es weit gebracht. Aber auch sein Leben kennt Höhen und Tiefen. Der Kaiser bleibt ihm den Lohn schuldig. Der Wunsch, Professor in Tübingen zu werden, erfüllt sich nicht. Als gläubiger Protestant musste er bereits das katholische Graz verlassen. Die Gegenreformation gärt auch in Linz, wo er als Mathematiker angestellt ist. Johannes Kepler, von zarter Statur, ist kränklich und hat seine erste Frau verloren sowie mehrere Kinder.
Währenddessen kochen in Süddeutschland die Protestanten ihr hässliches Süppchen. Katharina Kepler ist weder die Erste noch die Einzige, die in Leonberg wegen Hexerei angeklagt wird, vor ihr sind bereits Frauen verbrannt worden. Von einer Pfarrerswitwe aus Stuttgart, die auf dem Scheiterhaufen landete, weiß Tochter Margarete zu berichten, die im Roman "Gertie" heißt. Die Verurteilte trug einen Beutel mit Schießpulver um den Hals. "Eine schlaue Lösung", so Gertie, "beim Verbrennen explodiert das Schießpulver schnell. Dadurch zerspringt das Herz. Was so viel besser ist, als den ganzen langen Abschied mit anzuschauen und zu warten."
Rivka Galchen fügt ihre Erzählung in eine engmaschige Überlieferung ein und füllt eine Lücke. Katharina Keplers Fall ist in den vergangenen Jahrzehnten gründlich recherchiert worden, insbesondere durch die Historikerin Ulinka Rublack. Ihr meisterhaftes Buch "Der Astronom und die Hexe" erzählt ebenfalls die dramatische Geschichte von Mutter und Sohn Kepler und erhielt 2019 den Preis des Historischen Kollegs.
Ein Detail aus Rublacks Buch fesselte Galchen bei ihrer Lektüre, wie sie im Nachwort ihres Romans erläutert: Rublack berichtet von einem Leonberger Nachbarn, der sich von seinen Pflichten als Rechtsvertreter von Katharina Kepler entbinden ließ. Ihn, der im Roman "Simon Sattler" heißt, macht Galchen zur Schlüsselfigur.
Der Eingriff erlaubt ihr, die Geschichte aus Katharina Keplers Sicht zu erzählen, aus der Ich-Perspektive. Der Roman beginnt mit den Zeilen: "Nachfolgend beginne ich meinen Bericht mithilfe meines Nachbarn Simon Sattler, da ich weder lesen noch schreiben kann. Ich bestehe darauf, dass ich keine Hexe bin, nie eine Hexe war, mit keinen Hexen verwandt bin. Aber schon sehr früh im Leben hatte ich Feinde." Sattler steht ihr anfangs zur Seite. Bis er sich anders entscheidet.
Auf den folgenden Seiten gelingt Galchen ein kleines Wunder. Sie lässt Katharina Kepler nahe an die Gegenwart heranrücken, mit einer klaren und nüchternen Stimme, die von Grete Osterwald behutsam aus dem Englischen übertragen wurde. Gleichzeitig bleibt die Vergangenheit so lebendig wie fremd. Sie scheint in altertümlichen Formulierungen auf wie "fürwahr" oder "grimmige Winter", die sparsam verwendet werden und nie aufgesetzt wirken. Pflanzen, die in der Neuzeit als Heilkräuter galten, tauchen regelmäßig auf, wie etwa der "Haselwurz", der an eine Kuh verfüttert wird, als sie dünne Milch gibt. Die Kälte ist allgegenwärtig in Leonberg und Umgebung. Einer Ziege gefriert der Bart zum Eiszapfen und bricht ab. Noch weiß niemand, dass Klimatologen später von der "kleinen Eiszeit" sprechen werden.
Es ist eine beschwerliche Welt, in der sich Katharina Kepler wie auch ihre Feinde durchschlagen müssen. Die Hoffnung, das Wünschen könne helfen, befeuert den Einsatz von Segenssprüchen, Schwüren, Heilkräutern und abergläubischen Ritualen, häufig in fließenden Übergängen.
Das protestantische Leonberg ist bei Galchen trotzdem keine Stadt im Wahn. Die Falle, in die Katharina Kepler geht und andere Frauen vor ihr, wird Stück für Stück errichtet und aus unterschiedlichen Motiven. Johannes Kepler, der Sohn, den sie "Hans" nennt, gibt seiner Mutter anfangs eine Mitschuld an der Lage, in die sie geraten ist. Als sie zu ihm nach Linz fährt - auch das ist belegt - rügt er sie für ihr starrköpfiges Vorgehen. Gegen die Anschuldigung, eine Hexe zu sein, hatte Katharina Kepler Verleumdungsklage einreichen lassen. Ihr Sohn ist fassungslos.
Der Ruf des Vogts, der die Hexenklage angenommen hatte, könne dadurch beschädigt werden. "Du hast", so Kepler zu seiner Mutter, "eine räudige Katze in die Enge getrieben." Die richtige Strategie wäre gewesen, dem Mann, der so viel Macht über ihr Schicksal besitzt, ein Geschenk zu machen. Kepler, der anders als seine Mutter in der höheren Gesellschaft Erfahrungen sammeln konnte, weiß um den Wert der Schmeichelei: "Wenn jemand sich gegen dich wendet, musst du doppelt so freundlich sein." Als die Mutter glaubt, seinem Rat nachträglich folgen zu können, verschlimmert sich ihre Situation weiter.
Wer Rivka Galchens Roman liest, wird mehr und mehr feststellen, nicht in einer fremden Welt gelandet zu sein. Keplers Ansichten zur Schmeichelei sind so wenig aus der Zeit gefallen wie die Obsession seiner Schwester Gertie mit Flugblättern. "Sie liest jedes Flugblatt, das sie in die Finger bekommt", heißt es im Roman, und es klingt nach einem sozialen Medium der frühen Neuzeit. Die Geschichtsforschung ist zu einem ähnlichen Schluss gekommen. Druckerpresse und Flugblätter sorgten dafür, dass die Kunde von Hexenprozessen sich in ganz Europa verbreitete und Nachahmer fand. Gerties Absicht, sich über Folter, Henker und Hinrichtungen zu informieren, die ihrer Mutter drohen, zählt zu den harmlosen Anwendungen.
Wie alles ausgeht? Wer das Ende noch nicht kennt, sollte sich die Spannung erhalten. Nur so viel sei verraten: Rivka Galchens mitreißende Antwort auf die Frage, ob wir Katharina Kepler verstehen können, ist ein klares "Ja". Und nicht nur das. Auch die Leonberger sind keine Besessenen, sondern eine Gemeinschaft, die eine verbreitete Eigenschaft eint. Personen, die sie nicht leiden können, trauen sie das Schlimmste zu. Hexentränke. Schadenszauber. Beischlaf mit dem Teufel.
Die Bereitschaft zu Verdächtigung steigt umso mehr, je größer der Vorteil ist, der sich daraus ergibt. Vor der Versuchung, andere im Streit zu beschuldigen, ist im Buch keiner gefeit. Galchen wird den Titelsatz - "Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist" - einer überraschenden Person in den Mund legen.
Warum ausgerechnet Katharina Kepler? Ins Visier der Leonberger gerät sie, weil sie durch Eigenschaften hervorsticht, die gesellschaftlich nicht gut gelitten sind. Sie hat, wenn sie etwas durchsetzen möchte, den Mut, anderen auf die Nerven zu gehen. Sie ist außerdem eine Frau, alleinstehend und alt, an ihrem Wohnort sogar fast die Älteste. Auch dieses Muster kennt die Geschichtsforschung: Die große Mehrheit der als Hexen verfolgten Menschen waren Frauen. Unter ihnen waren die meisten wiederum älter als vierzig Jahre. In der Neuzeit hatten sie damit fast das Alter von Großmüttern erreicht.
An Rivka Galchens geschichtsgesättigtem Roman hätte Bertolt Brecht seine Freude gehabt. Er ließ sein berühmtes Theaterstück "Leben des Galilei" im Padua der Renaissance spielen. Und wie Brechts Padua ist Galchens Leonberg ein Ort, an dem Vertrautes im Unvertrauten erscheint. Dieser Roman über Katharina Kepler bleibt lange im Kopf. Auch wenn wir nie genau wissen werden, wie diese als Hexe angeklagte Frau dachte: Rivka Galchens fabelhaften Versuch ist es wert.
Rivka Galchen: "Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist". Roman. Aus dem Englischen von Grete Osterwald, Rowohlt Verlag, 320 Seiten, 24 Euro.
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Die Schriftstellerin Rivka Galchen durchleuchtet in ihrem Roman einen historischen Fall: In Leonberg wird 1615 Katharina Kepler als Hexe angeklagt. Ihr Sohn ist der berühmte Astronom Johannes Kepler, der ihre Verteidigung übernimmt.
Von Julia Voss
Als der Philosoph Ludwig Wittgenstein darüber nachdachte, mit wem sich alles Gespräche führen ließen, kam er zu dem Schluss: "Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen." Zu fremd ist die Welt des Löwen, zu anders sein Kalkül, von seinen Sinnen und Ängsten ganz zu schweigen.
Wie fremd aber ist uns eine Person, die als Hexe angeklagt wurde, in der frühen Neuzeit, vor vierhundert Jahren? Könnten wir sie verstehen?
Einen solchen Fall hat Rivka Galchen aufgegriffen, Schriftstellerin und Autorin des "New Yorker", deren Roman über Katharina Kepler soeben auf Deutsch erschienen ist. Die Geschichte, die auf historischen Begebenheiten beruht, führt ins Jahr 1615, nach Leonberg bei Stuttgart. Hier wird die lutherisch getaufte Katharina Kepler von ihrer Nachbarin bezichtigt, magische Praktiken vollzogen zu haben. Um ihr zu schaden, so die Klägerin, habe die Keplerin ihr ein bitteres Getränk gegeben. Daraufhin sei sie erkrankt. Die Forderung lautet Schadenersatz. Und der Stein kommt ins Rollen.
Katharina Kepler braucht einige Zeit, um zu verstehen, dass ihr Leben mit fast siebzig Jahren eine Wendung nimmt, die sie für ausgeschlossen gehalten hätte. Was es bedeutet, eine Hexe genannt zu werden, weiß sie. "Da kam mir das Bild von dem abgetrennten Daumen einer Frau aus der Nähe von Augsburg in den Sinn", lässt Rivka Galchen sie sagen: "Er war unter Schrauben und Streckbrett abgerissen." Es scheint, so Katharina Kepler, als habe "Gott vergessen, wo ich bin".
Die Handlung des Romans bewegt sich innerhalb der überlieferten Eckdaten: Als die Klage eingereicht wird, lebt Katharina Kepler allein in Leonberg. Ihr Mann ist vor Jahrzehnten verschollen, ihre drei Kinder sind ausgezogen. Johannes Kepler, ihr ältester Sohn, der in Tübingen studiert hat und berühmt geworden ist, wohnt in Linz, viele Tagesreisen entfernt.
Er, der in Prag zum kaiserlichen Mathematiker und Hofastronomen aufgestiegen ist, hat es weit gebracht. Aber auch sein Leben kennt Höhen und Tiefen. Der Kaiser bleibt ihm den Lohn schuldig. Der Wunsch, Professor in Tübingen zu werden, erfüllt sich nicht. Als gläubiger Protestant musste er bereits das katholische Graz verlassen. Die Gegenreformation gärt auch in Linz, wo er als Mathematiker angestellt ist. Johannes Kepler, von zarter Statur, ist kränklich und hat seine erste Frau verloren sowie mehrere Kinder.
Währenddessen kochen in Süddeutschland die Protestanten ihr hässliches Süppchen. Katharina Kepler ist weder die Erste noch die Einzige, die in Leonberg wegen Hexerei angeklagt wird, vor ihr sind bereits Frauen verbrannt worden. Von einer Pfarrerswitwe aus Stuttgart, die auf dem Scheiterhaufen landete, weiß Tochter Margarete zu berichten, die im Roman "Gertie" heißt. Die Verurteilte trug einen Beutel mit Schießpulver um den Hals. "Eine schlaue Lösung", so Gertie, "beim Verbrennen explodiert das Schießpulver schnell. Dadurch zerspringt das Herz. Was so viel besser ist, als den ganzen langen Abschied mit anzuschauen und zu warten."
Rivka Galchen fügt ihre Erzählung in eine engmaschige Überlieferung ein und füllt eine Lücke. Katharina Keplers Fall ist in den vergangenen Jahrzehnten gründlich recherchiert worden, insbesondere durch die Historikerin Ulinka Rublack. Ihr meisterhaftes Buch "Der Astronom und die Hexe" erzählt ebenfalls die dramatische Geschichte von Mutter und Sohn Kepler und erhielt 2019 den Preis des Historischen Kollegs.
Ein Detail aus Rublacks Buch fesselte Galchen bei ihrer Lektüre, wie sie im Nachwort ihres Romans erläutert: Rublack berichtet von einem Leonberger Nachbarn, der sich von seinen Pflichten als Rechtsvertreter von Katharina Kepler entbinden ließ. Ihn, der im Roman "Simon Sattler" heißt, macht Galchen zur Schlüsselfigur.
Der Eingriff erlaubt ihr, die Geschichte aus Katharina Keplers Sicht zu erzählen, aus der Ich-Perspektive. Der Roman beginnt mit den Zeilen: "Nachfolgend beginne ich meinen Bericht mithilfe meines Nachbarn Simon Sattler, da ich weder lesen noch schreiben kann. Ich bestehe darauf, dass ich keine Hexe bin, nie eine Hexe war, mit keinen Hexen verwandt bin. Aber schon sehr früh im Leben hatte ich Feinde." Sattler steht ihr anfangs zur Seite. Bis er sich anders entscheidet.
Auf den folgenden Seiten gelingt Galchen ein kleines Wunder. Sie lässt Katharina Kepler nahe an die Gegenwart heranrücken, mit einer klaren und nüchternen Stimme, die von Grete Osterwald behutsam aus dem Englischen übertragen wurde. Gleichzeitig bleibt die Vergangenheit so lebendig wie fremd. Sie scheint in altertümlichen Formulierungen auf wie "fürwahr" oder "grimmige Winter", die sparsam verwendet werden und nie aufgesetzt wirken. Pflanzen, die in der Neuzeit als Heilkräuter galten, tauchen regelmäßig auf, wie etwa der "Haselwurz", der an eine Kuh verfüttert wird, als sie dünne Milch gibt. Die Kälte ist allgegenwärtig in Leonberg und Umgebung. Einer Ziege gefriert der Bart zum Eiszapfen und bricht ab. Noch weiß niemand, dass Klimatologen später von der "kleinen Eiszeit" sprechen werden.
Es ist eine beschwerliche Welt, in der sich Katharina Kepler wie auch ihre Feinde durchschlagen müssen. Die Hoffnung, das Wünschen könne helfen, befeuert den Einsatz von Segenssprüchen, Schwüren, Heilkräutern und abergläubischen Ritualen, häufig in fließenden Übergängen.
Das protestantische Leonberg ist bei Galchen trotzdem keine Stadt im Wahn. Die Falle, in die Katharina Kepler geht und andere Frauen vor ihr, wird Stück für Stück errichtet und aus unterschiedlichen Motiven. Johannes Kepler, der Sohn, den sie "Hans" nennt, gibt seiner Mutter anfangs eine Mitschuld an der Lage, in die sie geraten ist. Als sie zu ihm nach Linz fährt - auch das ist belegt - rügt er sie für ihr starrköpfiges Vorgehen. Gegen die Anschuldigung, eine Hexe zu sein, hatte Katharina Kepler Verleumdungsklage einreichen lassen. Ihr Sohn ist fassungslos.
Der Ruf des Vogts, der die Hexenklage angenommen hatte, könne dadurch beschädigt werden. "Du hast", so Kepler zu seiner Mutter, "eine räudige Katze in die Enge getrieben." Die richtige Strategie wäre gewesen, dem Mann, der so viel Macht über ihr Schicksal besitzt, ein Geschenk zu machen. Kepler, der anders als seine Mutter in der höheren Gesellschaft Erfahrungen sammeln konnte, weiß um den Wert der Schmeichelei: "Wenn jemand sich gegen dich wendet, musst du doppelt so freundlich sein." Als die Mutter glaubt, seinem Rat nachträglich folgen zu können, verschlimmert sich ihre Situation weiter.
Wer Rivka Galchens Roman liest, wird mehr und mehr feststellen, nicht in einer fremden Welt gelandet zu sein. Keplers Ansichten zur Schmeichelei sind so wenig aus der Zeit gefallen wie die Obsession seiner Schwester Gertie mit Flugblättern. "Sie liest jedes Flugblatt, das sie in die Finger bekommt", heißt es im Roman, und es klingt nach einem sozialen Medium der frühen Neuzeit. Die Geschichtsforschung ist zu einem ähnlichen Schluss gekommen. Druckerpresse und Flugblätter sorgten dafür, dass die Kunde von Hexenprozessen sich in ganz Europa verbreitete und Nachahmer fand. Gerties Absicht, sich über Folter, Henker und Hinrichtungen zu informieren, die ihrer Mutter drohen, zählt zu den harmlosen Anwendungen.
Wie alles ausgeht? Wer das Ende noch nicht kennt, sollte sich die Spannung erhalten. Nur so viel sei verraten: Rivka Galchens mitreißende Antwort auf die Frage, ob wir Katharina Kepler verstehen können, ist ein klares "Ja". Und nicht nur das. Auch die Leonberger sind keine Besessenen, sondern eine Gemeinschaft, die eine verbreitete Eigenschaft eint. Personen, die sie nicht leiden können, trauen sie das Schlimmste zu. Hexentränke. Schadenszauber. Beischlaf mit dem Teufel.
Die Bereitschaft zu Verdächtigung steigt umso mehr, je größer der Vorteil ist, der sich daraus ergibt. Vor der Versuchung, andere im Streit zu beschuldigen, ist im Buch keiner gefeit. Galchen wird den Titelsatz - "Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist" - einer überraschenden Person in den Mund legen.
Warum ausgerechnet Katharina Kepler? Ins Visier der Leonberger gerät sie, weil sie durch Eigenschaften hervorsticht, die gesellschaftlich nicht gut gelitten sind. Sie hat, wenn sie etwas durchsetzen möchte, den Mut, anderen auf die Nerven zu gehen. Sie ist außerdem eine Frau, alleinstehend und alt, an ihrem Wohnort sogar fast die Älteste. Auch dieses Muster kennt die Geschichtsforschung: Die große Mehrheit der als Hexen verfolgten Menschen waren Frauen. Unter ihnen waren die meisten wiederum älter als vierzig Jahre. In der Neuzeit hatten sie damit fast das Alter von Großmüttern erreicht.
An Rivka Galchens geschichtsgesättigtem Roman hätte Bertolt Brecht seine Freude gehabt. Er ließ sein berühmtes Theaterstück "Leben des Galilei" im Padua der Renaissance spielen. Und wie Brechts Padua ist Galchens Leonberg ein Ort, an dem Vertrautes im Unvertrauten erscheint. Dieser Roman über Katharina Kepler bleibt lange im Kopf. Auch wenn wir nie genau wissen werden, wie diese als Hexe angeklagte Frau dachte: Rivka Galchens fabelhaften Versuch ist es wert.
Rivka Galchen: "Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist". Roman. Aus dem Englischen von Grete Osterwald, Rowohlt Verlag, 320 Seiten, 24 Euro.
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Dieser Chor aus Verleumdung und Lauterkeit, aus Gut und Böse ist es, der vor allem für diesen Roman einnimmt. Nicht zuletzt erinnert er an gegenwärtige Debatten, in denen es nicht um Fakten geht, Martin Oehlen Frankfurter Rundschau 20240708