Schlegel, Schelling & Co.: die Geschichte eines philosophischen Aufbruchs
Jena 1800: Mit den Ideen der Französischen Revolution geraten nicht nur die politischen Verhältnisse in Europa ins Wanken. Eine ganze Generation von jungen Dichtern und Philosophen beschließt, die Welt neu zu denken. Die führenden Köpfe - darunter die Brüder Schlegel mit ihren Frauen, der Philosoph Schelling und der Dichter Novalis - treffen sich in der thüringischen Universitätsstadt an der Saale, um eine "Republik der freien Geister" zu errichten. Sie stellen nicht nur gesellschaftliche Traditionen in Frage, sie revolutionieren mit ihrem Blick auf das Individuum und die Natur zugleich auch unser Verständnis von Freiheit und Wirklichkeit - bis heute. Farbig und leidenschaftlich erzählt Peter Neumann von dieser ungewöhnlichen Denkerkommune, die nicht weniger vorbereitete als den geistigen Aufbruch in die Moderne.
Ausstattung: mit Abb.
Jena 1800: Mit den Ideen der Französischen Revolution geraten nicht nur die politischen Verhältnisse in Europa ins Wanken. Eine ganze Generation von jungen Dichtern und Philosophen beschließt, die Welt neu zu denken. Die führenden Köpfe - darunter die Brüder Schlegel mit ihren Frauen, der Philosoph Schelling und der Dichter Novalis - treffen sich in der thüringischen Universitätsstadt an der Saale, um eine "Republik der freien Geister" zu errichten. Sie stellen nicht nur gesellschaftliche Traditionen in Frage, sie revolutionieren mit ihrem Blick auf das Individuum und die Natur zugleich auch unser Verständnis von Freiheit und Wirklichkeit - bis heute. Farbig und leidenschaftlich erzählt Peter Neumann von dieser ungewöhnlichen Denkerkommune, die nicht weniger vorbereitete als den geistigen Aufbruch in die Moderne.
Ausstattung: mit Abb.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2018Freie Geister in offenen Beziehungen
Jena um 1800: Peter Neumann macht bekannt mit philosophischen Aufbrüchen
Peter Neumann erzählt in seinem Buch, wie in Jena um 1800 Weltgeschichte und Weltgeist aufeinander prallten - und so kurzweilig hat man davon bisher noch nicht gelesen. Die Eckdaten bilden Schillers Sturm auf die Jenaer Universität sechs Wochen vor dem Pariser Sturm auf die Bastille und der napoleonische Sturmangriff auf die bei Jena versammelten Truppen.
Man staunt, wie sich mit dem nach einer vierzigjährigen Friedenszeit erfolgenden weltgeschichtlichen Umbruch solche Kurzweiligkeit erzeugen lässt. Allein Kant, Fichte, Schelling und Hegel sind schon sperrig genug, und sie spielen in dieser Jenaer Trilogie die Hauptrolle. Die Welt war neu zu denken.
Einblicke in die eng miteinander verzahnten Lebensgeschichten der Beteiligten - das waren vor allem die Schlegel-Brüder Wilhelm und Fritz, ihre Begleiterinnen Caroline Böhmer und Dorothea Veit in einer "offenen" Wohngemeinschaft - zeigen einen Lebensalltag, dessen hochfliegende Gedankenwelt keineswegs immer Antworten auf die Lebenspraxis bereithält. Dafür ist es oft auch zu unaufgeräumt. Die junge Generation stellt die kleine Universitätsstadt insofern auf die Probe, als sich diese "freien Geister" in ihrer Kommune neu entwerfen. Aber was heißt da "frei"? Caroline, schließlich geschiedene Schlegel und endlich verheiratete Schelling, ist mit Jahrgang 1763 die älteste. Ihre Rivalin Dorothea (Brendel), Tochter von Moses Mendelssohn, geschiedene Veit, und endlich mit Fritz verheiratete Schlegel, ist nur ein Jahr jünger. Beide sind nur geringfügig älter als die im fünften Jahr dieser kurzlebigen "Republik" auftauchende Madame de Staël, die von Berlin aus mit dem älteren Schlegel-Bruder Wilhelm zurückkehrt in die Schweiz und von da zu europäischen Reisen aufbricht. Die anderen sind in den 1770er Jahren geboren.
Der Autor entwirft Alltagsszenen, die dem Leser lebenspraktische Verwicklungen oder Augenblicke der Entstehung von literarischen oder philosophischen Werken vor Augen führen sollen. Hinzu kommen Rückgriffe auf Hölderlin, Schelling und Hegel im Tübinger Stift und Vorgriffe auf die Berliner Zeit von August Wilhelm Schlegel.
Einer der Rückblicke ins Jahr 1799 vergegenwärtigt die Gemäldegespräche in Dresden. Die Dresdner Zeit erbringt den praktischen Beweis, dass Symphilosophieren funktionieren kann. In Novalis' "Blütenstaub"-Fragment heißt es: "Wir träumen von einer Reise durch das Weltall, ist denn das Weltall nicht in uns?" Geschichte sei ein Evangelium und Novalis ihr Verkünder. Sie haben in Jena um 1800 groß gedacht. Mit Kant sei die Sonne aufgegangen, mit Fichte sei es recht hell geworden, Schelling aber habe mit der ästhetischen Anschauung den Schlussstein in die Philosophie gesetzt.
Ein solcher Problemaufriss bleibt nicht ohne Reibungen, vor allem, wenn das Denken mit dem Nichts beginnen soll. Das Wagnis der Freiheit war von der Tübinger Losung "Freiheit und Vernunft" und von Kants klassizistischem "Sapere aude" durchdrungen. Man wollte über Kants Grenzen hinaus und musste doch hinter sie zurück. Zugleich war eine Rückkehr der Philosophie in sich selbst gefordert. Germaine de Staël, die für ihre Darstellung "De l'Allemagne" Material sammelte, erhielt von Fichte eine fünfzehnminütige Einführung in Kant. Sie sah die deutsche Literatur sowie die Philosophie in Blüte und gewann im älteren Schlegel einen besonnenen Ratgeber.
Was die Vätergeneration Lessing, Mendelssohn, Wieland in Gang gesetzt hatte und was in Weimar daraus wurde, dissoziierte sich in Philosophie und Literatur. Voraussetzung für die große, umfassende Einheit allen Denkens und Seins war die unendliche Freiheit. Der Jenaer Kreis hat seine Programme im "Athenaeum" und einem Rezensionsorgan wie der "Allgemeinen Literatur-Zeitung" - auch wenn die Naturwissenschaften beispielsweise im Falle des Physikers Johann Wilhelm Ritter vernachlässigt sind - unter Beweis gestellt und auch Kritik dafür geerntet.
"Die Wahrheit liegt nicht eingeschlossen wie in einer Nuss, die das Denken bloß zu knacken bräuchte", vermerkt der Autor, "Philosophie ist kein Studentenfutter." Aber die Nussknackerei, wie sie hier zur Teilnahme anregt, ist schon selbst ein lustvolles Unternehmen, dem man viele Leserinnen und Leser wünscht.
KLAUS MANGER
Peter Neumann:
"Jena 1800". Die Republik der freien Geister.
Siedler Verlag, München 2018. 256 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jena um 1800: Peter Neumann macht bekannt mit philosophischen Aufbrüchen
Peter Neumann erzählt in seinem Buch, wie in Jena um 1800 Weltgeschichte und Weltgeist aufeinander prallten - und so kurzweilig hat man davon bisher noch nicht gelesen. Die Eckdaten bilden Schillers Sturm auf die Jenaer Universität sechs Wochen vor dem Pariser Sturm auf die Bastille und der napoleonische Sturmangriff auf die bei Jena versammelten Truppen.
Man staunt, wie sich mit dem nach einer vierzigjährigen Friedenszeit erfolgenden weltgeschichtlichen Umbruch solche Kurzweiligkeit erzeugen lässt. Allein Kant, Fichte, Schelling und Hegel sind schon sperrig genug, und sie spielen in dieser Jenaer Trilogie die Hauptrolle. Die Welt war neu zu denken.
Einblicke in die eng miteinander verzahnten Lebensgeschichten der Beteiligten - das waren vor allem die Schlegel-Brüder Wilhelm und Fritz, ihre Begleiterinnen Caroline Böhmer und Dorothea Veit in einer "offenen" Wohngemeinschaft - zeigen einen Lebensalltag, dessen hochfliegende Gedankenwelt keineswegs immer Antworten auf die Lebenspraxis bereithält. Dafür ist es oft auch zu unaufgeräumt. Die junge Generation stellt die kleine Universitätsstadt insofern auf die Probe, als sich diese "freien Geister" in ihrer Kommune neu entwerfen. Aber was heißt da "frei"? Caroline, schließlich geschiedene Schlegel und endlich verheiratete Schelling, ist mit Jahrgang 1763 die älteste. Ihre Rivalin Dorothea (Brendel), Tochter von Moses Mendelssohn, geschiedene Veit, und endlich mit Fritz verheiratete Schlegel, ist nur ein Jahr jünger. Beide sind nur geringfügig älter als die im fünften Jahr dieser kurzlebigen "Republik" auftauchende Madame de Staël, die von Berlin aus mit dem älteren Schlegel-Bruder Wilhelm zurückkehrt in die Schweiz und von da zu europäischen Reisen aufbricht. Die anderen sind in den 1770er Jahren geboren.
Der Autor entwirft Alltagsszenen, die dem Leser lebenspraktische Verwicklungen oder Augenblicke der Entstehung von literarischen oder philosophischen Werken vor Augen führen sollen. Hinzu kommen Rückgriffe auf Hölderlin, Schelling und Hegel im Tübinger Stift und Vorgriffe auf die Berliner Zeit von August Wilhelm Schlegel.
Einer der Rückblicke ins Jahr 1799 vergegenwärtigt die Gemäldegespräche in Dresden. Die Dresdner Zeit erbringt den praktischen Beweis, dass Symphilosophieren funktionieren kann. In Novalis' "Blütenstaub"-Fragment heißt es: "Wir träumen von einer Reise durch das Weltall, ist denn das Weltall nicht in uns?" Geschichte sei ein Evangelium und Novalis ihr Verkünder. Sie haben in Jena um 1800 groß gedacht. Mit Kant sei die Sonne aufgegangen, mit Fichte sei es recht hell geworden, Schelling aber habe mit der ästhetischen Anschauung den Schlussstein in die Philosophie gesetzt.
Ein solcher Problemaufriss bleibt nicht ohne Reibungen, vor allem, wenn das Denken mit dem Nichts beginnen soll. Das Wagnis der Freiheit war von der Tübinger Losung "Freiheit und Vernunft" und von Kants klassizistischem "Sapere aude" durchdrungen. Man wollte über Kants Grenzen hinaus und musste doch hinter sie zurück. Zugleich war eine Rückkehr der Philosophie in sich selbst gefordert. Germaine de Staël, die für ihre Darstellung "De l'Allemagne" Material sammelte, erhielt von Fichte eine fünfzehnminütige Einführung in Kant. Sie sah die deutsche Literatur sowie die Philosophie in Blüte und gewann im älteren Schlegel einen besonnenen Ratgeber.
Was die Vätergeneration Lessing, Mendelssohn, Wieland in Gang gesetzt hatte und was in Weimar daraus wurde, dissoziierte sich in Philosophie und Literatur. Voraussetzung für die große, umfassende Einheit allen Denkens und Seins war die unendliche Freiheit. Der Jenaer Kreis hat seine Programme im "Athenaeum" und einem Rezensionsorgan wie der "Allgemeinen Literatur-Zeitung" - auch wenn die Naturwissenschaften beispielsweise im Falle des Physikers Johann Wilhelm Ritter vernachlässigt sind - unter Beweis gestellt und auch Kritik dafür geerntet.
"Die Wahrheit liegt nicht eingeschlossen wie in einer Nuss, die das Denken bloß zu knacken bräuchte", vermerkt der Autor, "Philosophie ist kein Studentenfutter." Aber die Nussknackerei, wie sie hier zur Teilnahme anregt, ist schon selbst ein lustvolles Unternehmen, dem man viele Leserinnen und Leser wünscht.
KLAUS MANGER
Peter Neumann:
"Jena 1800". Die Republik der freien Geister.
Siedler Verlag, München 2018. 256 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Steffen Martus hält das Etikett "Sachbuch" für fehl am Platz. In Peter Neumanns Text scheint es ihm allzu sehr zu menscheln. Der Autor berichtet über Befindlichkeiten, Affären, Essgewohnheiten usw., für Martus ein Raunen aus dem Off nach Art einer TV-Historiendoku statt Eingehen auf die philosophischen oder poetologischen Inhalte einer Epoche, auf die Verlage und den Buchmarkt der Zeit. Bedauerlich findet er das Verschleifen von Chronologie und Topografie zugunsten des dramatischen Effekts. Nah und anschaulich geht es zu, meint er, aber die Sache wird vernachlässigt, und der Leser erfährt nichts Neues über die Frühromantiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Der 31-jährige Jenaer Philosoph und Lyriker entfaltet anhand des Freundeskreises ein rasantes und farbensattes Intellektuellenpanorama der Zeit.« DIE ZEIT, Buchmessenbeilage, Adam Soboczynski