Der Gegenwartsroman "Jenny" (1911) handelt von einer 28-jährigen norwegischen Künstlerin, die zwischen ihrem Wunsch nach künstlerischer Selbstverwirklichung und ihrem Ideal einer wahren Liebe hin- und hergerissen ist. Sie sehnt sich sowohl nach Unabhängigkeit als auch nach einem sinnerfüllten Leben als Ehefrau und Mutter. Neben diesem grundlegenden Konflikt werden auch andere existenzielle und kulturelle Themen von den Figuren ausgiebig diskutiert. In den drei Teilen des Romans begleiten wir Jenny zunächst durch die engen Gassen Roms, kehren mit ihr zurück in ihre Heimat Kristiania (heute Oslo) und enden nach einem kurzen Zwischenstopp in Deutschland wieder in der ewigen Stadt. Einer Künstlerin gleich beschreibt Sigrid Undset die Schönheiten der Städte und Landschaften sowie die düsteren und tragischen Ereignisse ausdrucksstark und bewegend.Mit diesem Gegenwartsroman gelang Nobelpreisträgerin Sigrid Undset der literarische Durchbruch"Jenny" erzählt die tragische Geschichte einer 28-jährigen Künstlerin, die versucht, die Balance zwischen einem Leben in künstlerischer Selbstbestimmung und sinnerfüllter Liebe zu halten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2023Sie bricht so gern die Konventionen
Zwei Neuübersetzungen der Nobelpreisträgerin Sigrid Undset: Der Gesellschaftsroman "Jenny" und der Kriegsband "Rückkehr in die Zukunft"
Als die norwegische Schriftstellerin Sigrid Undset 1928 - ein Jahr vor Thomas Mann - den Literaturnobelpreis verliehen bekam, geschah dies "vor allem wegen ihrer eindringlichen Beschreibungen des Lebens im Norden während des Mittelalters" in den drei historischen Romanen um "Kristin Lavranstochter" und dem zweibändigen, kurz danach erschienen "Olav Audunssohn".
Sie hat aber auch Gegenwartsromane geschrieben, Bücher über das Innenleben moderner Frauen. Deren Tragödie porträtierte die Autorin "mit Sympathie, aber auch gnadenloser Wahrhaftigkeit", hieß es bei der Verleihung des Nobelpreises, und auch in diesen Büchern stehe wie in den historischen "das erotische Leben, das gemeinsame Problem der beiden Geschlechter, im Mittelpunkt von Sigrid Undsets psychologischem Interesse".
Umso schöner, dass der Input-Verlag nun mit einer Neuübersetzung von Hans von der Goltz an Undsets Roman "Jenny" erinnert. Die Geschichte um eine norwegische Malerin, die es von Kristiania in die Gegenwelt Rom zog, wo sie ein freies, selbstbestimmtes und selbstbewusstes Leben zu führen versucht, beginnt ermüdend seicht. Junge Frauen, die trinkend und rauchend durch die Großstadt ziehen, manchmal als Aktmodelle arbeiten und mit Männern über Politik diskutieren, sind heute eben kein Aufreger mehr wie 1911 bei der Veröffentlichung.
Allmählich treten indes die inneren Konflikte der titelgebenden Jenny stärker hervor, und die hängen unter anderem mit einem überraschend altmodischen Umstand zusammen: Sie ist Katholikin, legt trotz des unkonventionellen Lebensstils viel Wert auf ihre "konservative", im "Streben nach Wahrheit und Selbstbeherrschung" gründende Moral, will ihre "Reinheit" für den Richtigen wahren.
Mit Anlauf geht es ins Unglück: Die Idealistin verlobt sich mit einem aufdringlichen Schwätzer, den sie nicht liebt. Beginnt eine Affäre mit dessen Vater. Bekommt ein Kind, das sie nach wenigen Tagen wieder verliert, wird auch noch vergewaltigt. Schließlich der Schock: "Jenny" ist ein Suiziddrama. Für Sigrid Undset war es der literarische Durchbruch.
Im Kröner-Verlag, für den Gabriele Haefs bereits "Kristin Lavrantochter" neu übersetzt hat, erscheint unterdessen eine autobiographische Erzählung aus den späten Lebensjahren der Schriftstellerin. Sie heißt "Rückkehr in die Zukunft" und beinhaltet just jene polemischen Passagen zur "deutschen Volksmentalität", die in manch historischen Büchern zum deutsch-norwegischen Verhältnis nach 1940 als Beispiel für den Hass gegenüber den Besatzern angeführt ist: "Luther war ein Psychopath, und das waren auch die meisten deutschen 'Helden der Reformation', sofern sie nicht Syphilitiker in einem weit fortgeschrittenem Stadium dieser Krankheit waren. Psychopathen, Selbstmörder, frenetische Ich-Anbeter, Schwärmer und Schwindsüchtige mit krankhaft erhöhtem Selbstbezug waren die meisten der großen Dichter, deren Namen gleichbedeutend sind mit den künstlerischen Errungenschaften der Romantik."
"Rückkehr in die Zukunft", geschrieben im amerikanischen Exil 1941 und 1942 ebendort zum ersten Mal publiziert, ist allerdings mehr als ungefilterter Zornes-Ausbruch und Fundgrube für Zitatsammler. Plastisch und packend schildert Undset die Stationen ihrer unfreiwilligen Weltreise, die 1940 mit dem deutschen Überfall auf ihre Heimat beginnt: "Es war unser Unglück und unsere Dummheit, dass wir nicht so richtig glauben konnten, dass wirklich Krieg war."
Die Schriftstellerin versteht damals sofort, dass eine Berühmtheit wie sie nicht in die Hände der Besatzer fallen darf. Sie hatte sich schon früh etwa mit einem Text zur "Gefährdung des Christentums durch Rassenwahn und Judenverfolgung" gegen Hitlers Deutschland positioniert, und so flieht sie nun vor der "Armee von Plünderern" in Richtung Norden, bald nach Schweden (wo sie vom Tod ihres Sohnes beim Kampf gegen die Deutschen erfährt) und von dort über Sowjet-Russland und das totalitäre Japan nach Amerika. Auch gedanklich sind die Vereinigten Staaten das Ziel der Reise: "Jetzt führt nur über Amerika der Weg zurück in die Zukunft. In das, was wir Menschen aus den europäischen Demokratien Zukunft nennen."
Ein offenbar sehr schnell und in der Hoffnung auf militärischen Beistand durch die Amerikaner geschriebenes Buch. Man darf nicht jede von Undsets Überlegungen zur Weltlage auf die Goldwaage legen, erst recht nicht die Worte ihrer zuweilen arg platten (wenn auch gefühlsmäßig verständlichen) Deutschlandpolemik. Aber "Rückkehr in die Zukunft" ist schon durch die Fülle beiläufiger Beobachtungen hochinteressant. Im neutralen Schweden skizziert die Durchreisende mit gekonnten Strichen die Stimmung vor Beginn des deutsch-schwedischen Transitabkommens. In Russland scheint ihr das Elend allgegenwärtig zu sein.
Und kurz vor der Überfahrt von Japan an die amerikanische Westküste hört sie von einer Hilfsorganisation die Geschichte von vierzig polnischen Häftlingen, die deutschen Lagern entkommen konnten: "Sie wurden zu einem Krematorium gefahren und in einen Ofen gesperrt. Die Wärter erklärten, dass sie jetzt den Strom einschalten würden [...] Es sei nur ein Witz gewesen, erklärten die Gefangenenwärter lachend. Dann durften sie ausreisen."
Standen diese Zeilen schon in der amerikanischen Ausgabe von 1942 oder erst in der norwegischen von 1945, auf der die vorliegende Übersetzung (wieder von Gabriele Haefs) basiert? Weder im kleinen Anmerkungsapparat noch im kurzen Nachwort ist dazu etwas zu finden. Aber das soll die Freude auch über diese Neuübersetzung nicht trüben. Das Nachwort enthält immerhin einen biographischen Abriss und den Hinweis, dass die junge Sigrid Undset mit einem Maler verheiratet war, der sich kurz vor der Trennung 1919 zu einem "rabiaten Antisemiten" und später einem glühenden Nazianhänger entwickelte. Getroffen hatten sich die beiden kurz vor dem Erscheinen ihres Romans "Jenny": in Rom. MATTHIAS HANNEMANN
Sigrid Undset: "Jenny". Roman.
Aus dem Norwegischen von Hans von der Goltz. Input-Verlag, Hamburg 2023. 320 S., geb., 20,- Euro.
Sigrid Undset: "Rückkehr in die Zukunft". Autobiographische Erzählung.
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2023. 280 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Neuübersetzungen der Nobelpreisträgerin Sigrid Undset: Der Gesellschaftsroman "Jenny" und der Kriegsband "Rückkehr in die Zukunft"
Als die norwegische Schriftstellerin Sigrid Undset 1928 - ein Jahr vor Thomas Mann - den Literaturnobelpreis verliehen bekam, geschah dies "vor allem wegen ihrer eindringlichen Beschreibungen des Lebens im Norden während des Mittelalters" in den drei historischen Romanen um "Kristin Lavranstochter" und dem zweibändigen, kurz danach erschienen "Olav Audunssohn".
Sie hat aber auch Gegenwartsromane geschrieben, Bücher über das Innenleben moderner Frauen. Deren Tragödie porträtierte die Autorin "mit Sympathie, aber auch gnadenloser Wahrhaftigkeit", hieß es bei der Verleihung des Nobelpreises, und auch in diesen Büchern stehe wie in den historischen "das erotische Leben, das gemeinsame Problem der beiden Geschlechter, im Mittelpunkt von Sigrid Undsets psychologischem Interesse".
Umso schöner, dass der Input-Verlag nun mit einer Neuübersetzung von Hans von der Goltz an Undsets Roman "Jenny" erinnert. Die Geschichte um eine norwegische Malerin, die es von Kristiania in die Gegenwelt Rom zog, wo sie ein freies, selbstbestimmtes und selbstbewusstes Leben zu führen versucht, beginnt ermüdend seicht. Junge Frauen, die trinkend und rauchend durch die Großstadt ziehen, manchmal als Aktmodelle arbeiten und mit Männern über Politik diskutieren, sind heute eben kein Aufreger mehr wie 1911 bei der Veröffentlichung.
Allmählich treten indes die inneren Konflikte der titelgebenden Jenny stärker hervor, und die hängen unter anderem mit einem überraschend altmodischen Umstand zusammen: Sie ist Katholikin, legt trotz des unkonventionellen Lebensstils viel Wert auf ihre "konservative", im "Streben nach Wahrheit und Selbstbeherrschung" gründende Moral, will ihre "Reinheit" für den Richtigen wahren.
Mit Anlauf geht es ins Unglück: Die Idealistin verlobt sich mit einem aufdringlichen Schwätzer, den sie nicht liebt. Beginnt eine Affäre mit dessen Vater. Bekommt ein Kind, das sie nach wenigen Tagen wieder verliert, wird auch noch vergewaltigt. Schließlich der Schock: "Jenny" ist ein Suiziddrama. Für Sigrid Undset war es der literarische Durchbruch.
Im Kröner-Verlag, für den Gabriele Haefs bereits "Kristin Lavrantochter" neu übersetzt hat, erscheint unterdessen eine autobiographische Erzählung aus den späten Lebensjahren der Schriftstellerin. Sie heißt "Rückkehr in die Zukunft" und beinhaltet just jene polemischen Passagen zur "deutschen Volksmentalität", die in manch historischen Büchern zum deutsch-norwegischen Verhältnis nach 1940 als Beispiel für den Hass gegenüber den Besatzern angeführt ist: "Luther war ein Psychopath, und das waren auch die meisten deutschen 'Helden der Reformation', sofern sie nicht Syphilitiker in einem weit fortgeschrittenem Stadium dieser Krankheit waren. Psychopathen, Selbstmörder, frenetische Ich-Anbeter, Schwärmer und Schwindsüchtige mit krankhaft erhöhtem Selbstbezug waren die meisten der großen Dichter, deren Namen gleichbedeutend sind mit den künstlerischen Errungenschaften der Romantik."
"Rückkehr in die Zukunft", geschrieben im amerikanischen Exil 1941 und 1942 ebendort zum ersten Mal publiziert, ist allerdings mehr als ungefilterter Zornes-Ausbruch und Fundgrube für Zitatsammler. Plastisch und packend schildert Undset die Stationen ihrer unfreiwilligen Weltreise, die 1940 mit dem deutschen Überfall auf ihre Heimat beginnt: "Es war unser Unglück und unsere Dummheit, dass wir nicht so richtig glauben konnten, dass wirklich Krieg war."
Die Schriftstellerin versteht damals sofort, dass eine Berühmtheit wie sie nicht in die Hände der Besatzer fallen darf. Sie hatte sich schon früh etwa mit einem Text zur "Gefährdung des Christentums durch Rassenwahn und Judenverfolgung" gegen Hitlers Deutschland positioniert, und so flieht sie nun vor der "Armee von Plünderern" in Richtung Norden, bald nach Schweden (wo sie vom Tod ihres Sohnes beim Kampf gegen die Deutschen erfährt) und von dort über Sowjet-Russland und das totalitäre Japan nach Amerika. Auch gedanklich sind die Vereinigten Staaten das Ziel der Reise: "Jetzt führt nur über Amerika der Weg zurück in die Zukunft. In das, was wir Menschen aus den europäischen Demokratien Zukunft nennen."
Ein offenbar sehr schnell und in der Hoffnung auf militärischen Beistand durch die Amerikaner geschriebenes Buch. Man darf nicht jede von Undsets Überlegungen zur Weltlage auf die Goldwaage legen, erst recht nicht die Worte ihrer zuweilen arg platten (wenn auch gefühlsmäßig verständlichen) Deutschlandpolemik. Aber "Rückkehr in die Zukunft" ist schon durch die Fülle beiläufiger Beobachtungen hochinteressant. Im neutralen Schweden skizziert die Durchreisende mit gekonnten Strichen die Stimmung vor Beginn des deutsch-schwedischen Transitabkommens. In Russland scheint ihr das Elend allgegenwärtig zu sein.
Und kurz vor der Überfahrt von Japan an die amerikanische Westküste hört sie von einer Hilfsorganisation die Geschichte von vierzig polnischen Häftlingen, die deutschen Lagern entkommen konnten: "Sie wurden zu einem Krematorium gefahren und in einen Ofen gesperrt. Die Wärter erklärten, dass sie jetzt den Strom einschalten würden [...] Es sei nur ein Witz gewesen, erklärten die Gefangenenwärter lachend. Dann durften sie ausreisen."
Standen diese Zeilen schon in der amerikanischen Ausgabe von 1942 oder erst in der norwegischen von 1945, auf der die vorliegende Übersetzung (wieder von Gabriele Haefs) basiert? Weder im kleinen Anmerkungsapparat noch im kurzen Nachwort ist dazu etwas zu finden. Aber das soll die Freude auch über diese Neuübersetzung nicht trüben. Das Nachwort enthält immerhin einen biographischen Abriss und den Hinweis, dass die junge Sigrid Undset mit einem Maler verheiratet war, der sich kurz vor der Trennung 1919 zu einem "rabiaten Antisemiten" und später einem glühenden Nazianhänger entwickelte. Getroffen hatten sich die beiden kurz vor dem Erscheinen ihres Romans "Jenny": in Rom. MATTHIAS HANNEMANN
Sigrid Undset: "Jenny". Roman.
Aus dem Norwegischen von Hans von der Goltz. Input-Verlag, Hamburg 2023. 320 S., geb., 20,- Euro.
Sigrid Undset: "Rückkehr in die Zukunft". Autobiographische Erzählung.
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2023. 280 S., geb., 25,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Schön, dass nun auch dieser Gegenwartsroman Sigrid Undsets auf Deutsch erschienen ist, findet Rezensent Matthias Hannemann. Die Geschichte um hedonistische junge Frauen, die es sich in Rom selbstbestimmt gutgehen lassen, hält der Rezensent allerdings zunächst für reichlich flach; erst, wenn die Innerlichkeit der Hauptfigur Jenny ins Zentrum rückt und eine erstaunlich konservative moralische Prägung sich offenbart, ist sein Interesse geweckt. Das Ende der Geschichte ist, erfahren wir, tragisch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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