Der Firmenrepräsentant Franz Horn, der dem Direktor Thiele und dessen Unternehmen ein höchst erfolgreicher Mitarbeiter war, begreift, daß seine Zeit vorbei ist. Thiele und der jüngere promovierte Kollege Liszt hatten es lange vorzüglich verstanden, durch ein ernsthaft freundschaftliches Verhalten von dieser Degradierung abzulenken. Genau zu jener Zeit, als es begann, mit ihm bergab zu gehen, vollzog sich auch die Trennung Horns von seiner Familie. Was in seinem Arbeitsleben an Pression erzeugt worden war, an Depression sich angestaut hatte, hatte sich lange genug unkontrolliert und zerstörerisch zu Hause entladen. Als Horn erfolglos von einer Geschäftsreise zurückkehrt, sieht er sich so, wie er ist: ohne glaubwürdige Beziehung zu Menschen, ohne gesellschaftlichen Rückhalt, ohne politische Überzeugung, ohne Selbstvertrauen, darum ohne Glück und Potenz - am Ende.
Walser demonstriert, was es heißt, jene Grenze zwischen Liebe und jenseits der Liebe überschritten zu haben.Er zeigt auf, daß Liebe oder der Mangel daran sich auch sozial begreifen läßt, daß Liebe einsetzbar ist, entzogen werden kann. Daß sie unter vielerlei Namen auftritt und immer ein Teil dessen ist, was uns lebensfähig macht.
Walser demonstriert, was es heißt, jene Grenze zwischen Liebe und jenseits der Liebe überschritten zu haben.Er zeigt auf, daß Liebe oder der Mangel daran sich auch sozial begreifen läßt, daß Liebe einsetzbar ist, entzogen werden kann. Daß sie unter vielerlei Namen auftritt und immer ein Teil dessen ist, was uns lebensfähig macht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2010"In dieser Asche gibt es keinen Funken"
Auszüge aus der Rezension von Marcel Reich-Ranicki zu "Jenseits der Liebe" vom 27. März 1976
Ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman. Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen. Lohnt es sich, darüber zu schreiben? Ja, aber bloß deshalb, weil der Roman von Martin Walser stammt, einem Autor also, der einst, um 1960, als eine der größten Hoffnungen der deutschen Nachkriegsliteratur galt - und dies keineswegs zu Unrecht. (...)
Drei Personen stehen im Mittelpunkt der leicht überschaubaren, weil simplen Handlung: ein etwa fünfzigjähriger Angestellter namens Horn (wieder ist es ein Handelsangestellter wie dereinst Walsers Anselm Kristlein), dessen jüngerer Kollege namens Liszt und der Chef der beiden, der Inhaber der Firma. (...) Die Charaktere der beiden Angestellten, die freilich nur sehr vage sichtbar werden - es war nie Walsers Sache, lebendige Gestalten zu zeichnen -, sind ohne Skrupel direkt aus ihrem Alter abgeleitet. Folglich ist der Jüngere energisch, ehrgeizig und tüchtig. Er will um jeden Preis Karriere machen und muss deshalb den Kollegen Horn verdrängen. Dieser ist wie die meisten Fünfzigjährigen in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ein Opfer des grausamen Konkurrenzkampfes, also müde, abgetakelt, resigniert und verzweifelt. (...)
Vor Jahren konnte man sich darüber Gedanken machen, ob die Sprache das Instrument Walsers sei oder Walser lediglich ein Medium der Sprache. Heute sind solche Überlegungen gegenstandslos. Von seiner einst rühmlichen Empfänglichkeit für Töne und Zwischentöne ist buchstäblich nichts geblieben. Die Sprache verweigert sich ihm, seine Diktion ist jetzt saft- und kraftlos: In dieser Asche gibt es keinen Funken mehr. Wenn Walser den Geruch in einem Zugabteil kennzeichnen will, schreibt er: "Es riecht wie in einer Sakristei, in der man Unterwäsche in Schweineschmalz gebraten hat." Gewiss, schon in der "Halbzeit" und erst recht im "Einhorn" war Walsers Land leblos: Es glich einer Wüste, doch immerhin mit Oasen. Hier sucht man vergeblich nach einer Oase und findet überall nur Sand und Müll. (...)
Jetzt, da der Roman "Jenseits der Liebe" doch erschienen ist, wird er wahrscheinlich nicht ganz erfolglos bleiben. Die Buchhändler haben, vom prominenten Namen verführt, wohl reichlich geordert, und müssen zusehen, wie sie die Exemplare wieder loswerden. Rezensenten, die sich für "progressiv" halten, werden das Buch ausgiebig loben, denn Walser gilt ja als furchtloser Linker. Aber diese Prosa - das sei mit Entschiedenheit gesagt - ist weder links noch rechts. Sie ist nur langweilig.
Martin Walser, den wir für einen der besten Erzähler seiner Generation gehalten haben, trieb viele Jahre mit seinem Talent Schindluder. Er hat es fast ruiniert und ist nun erneut an einem Tiefpunkt seiner Laufbahn angelangt. Doch gibt es Tiefpunkte, die sich als Wendepunkte erweisen. Hinter diesen Worten verbirgt sich keine Voraussage, wohl aber, das soll nicht verheimlicht werden, immer noch eine Hoffnung.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auszüge aus der Rezension von Marcel Reich-Ranicki zu "Jenseits der Liebe" vom 27. März 1976
Ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman. Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen. Lohnt es sich, darüber zu schreiben? Ja, aber bloß deshalb, weil der Roman von Martin Walser stammt, einem Autor also, der einst, um 1960, als eine der größten Hoffnungen der deutschen Nachkriegsliteratur galt - und dies keineswegs zu Unrecht. (...)
Drei Personen stehen im Mittelpunkt der leicht überschaubaren, weil simplen Handlung: ein etwa fünfzigjähriger Angestellter namens Horn (wieder ist es ein Handelsangestellter wie dereinst Walsers Anselm Kristlein), dessen jüngerer Kollege namens Liszt und der Chef der beiden, der Inhaber der Firma. (...) Die Charaktere der beiden Angestellten, die freilich nur sehr vage sichtbar werden - es war nie Walsers Sache, lebendige Gestalten zu zeichnen -, sind ohne Skrupel direkt aus ihrem Alter abgeleitet. Folglich ist der Jüngere energisch, ehrgeizig und tüchtig. Er will um jeden Preis Karriere machen und muss deshalb den Kollegen Horn verdrängen. Dieser ist wie die meisten Fünfzigjährigen in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ein Opfer des grausamen Konkurrenzkampfes, also müde, abgetakelt, resigniert und verzweifelt. (...)
Vor Jahren konnte man sich darüber Gedanken machen, ob die Sprache das Instrument Walsers sei oder Walser lediglich ein Medium der Sprache. Heute sind solche Überlegungen gegenstandslos. Von seiner einst rühmlichen Empfänglichkeit für Töne und Zwischentöne ist buchstäblich nichts geblieben. Die Sprache verweigert sich ihm, seine Diktion ist jetzt saft- und kraftlos: In dieser Asche gibt es keinen Funken mehr. Wenn Walser den Geruch in einem Zugabteil kennzeichnen will, schreibt er: "Es riecht wie in einer Sakristei, in der man Unterwäsche in Schweineschmalz gebraten hat." Gewiss, schon in der "Halbzeit" und erst recht im "Einhorn" war Walsers Land leblos: Es glich einer Wüste, doch immerhin mit Oasen. Hier sucht man vergeblich nach einer Oase und findet überall nur Sand und Müll. (...)
Jetzt, da der Roman "Jenseits der Liebe" doch erschienen ist, wird er wahrscheinlich nicht ganz erfolglos bleiben. Die Buchhändler haben, vom prominenten Namen verführt, wohl reichlich geordert, und müssen zusehen, wie sie die Exemplare wieder loswerden. Rezensenten, die sich für "progressiv" halten, werden das Buch ausgiebig loben, denn Walser gilt ja als furchtloser Linker. Aber diese Prosa - das sei mit Entschiedenheit gesagt - ist weder links noch rechts. Sie ist nur langweilig.
Martin Walser, den wir für einen der besten Erzähler seiner Generation gehalten haben, trieb viele Jahre mit seinem Talent Schindluder. Er hat es fast ruiniert und ist nun erneut an einem Tiefpunkt seiner Laufbahn angelangt. Doch gibt es Tiefpunkte, die sich als Wendepunkte erweisen. Hinter diesen Worten verbirgt sich keine Voraussage, wohl aber, das soll nicht verheimlicht werden, immer noch eine Hoffnung.
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