Ein Land im Bürgerkrieg. Eine Hafenstadt in Flammen. Nur ein einziges Schiff nimmt noch Flüchtlinge auf. Doch der Preis für die Überfahrt ist für die meisten viel zu hoch.
Wie sollen Malik und sein Opa an Bord kommen? Und wird Maliks Mutter es rechtzeitig zu ihnen schaffen? Malik muss all seinen Mut zusammennehmen, damit ihm die Flucht gelingt. Sein Erfindungsreichtum, eine streunende Katze und Opas besonderer Zaubertrick sorgen dafür, dass er dabei nie die Hoffnung verliert.
Ein erstaunliches und zutiefst menschliches Debüt über Krieg und Hoffnung, Flucht und Heimat - erzählt durch die Augen eines Jungen.
Wie sollen Malik und sein Opa an Bord kommen? Und wird Maliks Mutter es rechtzeitig zu ihnen schaffen? Malik muss all seinen Mut zusammennehmen, damit ihm die Flucht gelingt. Sein Erfindungsreichtum, eine streunende Katze und Opas besonderer Zaubertrick sorgen dafür, dass er dabei nie die Hoffnung verliert.
Ein erstaunliches und zutiefst menschliches Debüt über Krieg und Hoffnung, Flucht und Heimat - erzählt durch die Augen eines Jungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015Der Trost der Sternbilder
Über den Diamanten ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Jon Walter erzählt von der Flucht eines Jungen und vom Erwachsenwerden unterwegs.
Von Steffen Gnam
Flucht und Vertreibung, Bürgerkrieg, brennende Städte, Heimatverlust, Odyssee und Tod haben längst Eingang in die Kinderliteratur gefunden, ebenso Zugewandtheit und die sogenannte Willkommenskultur. Auch Jon Walters Debütroman, in England im vergangenen Jahr erschienen, schildert ein Flüchtlingsschicksal - unaufgeregt, aber immer eng am Geschehen, exemplarisch und empathisch, zeitlich und örtlich unspezifisch und damit universell.
Der Roman ist in drei Teile und Lebensphasen von Flüchtlingen untergliedert: Den ersten Teil bildet die Flucht des zehnjährigen Helden Malik - dessen allein erziehende Mutter verschollen ist - an der Hand seines Großvaters aus der brennenden Stadt. Zu Fuß laufen sie in Richtung Hafen, wo nur noch ein einziges Schiff namens "Samariter" zu überteuerten Preisen eine Fluchtmöglichkeit bietet. Sie übernachten unter anderem im Kellergeschoss eines ausgebrannten Bürohauses. Zwischen Alltag und Ausnahmezustand, Traum und Traumata begleitet das Buch den jungen Helden auf seiner Odyssee: "Es hatte eine Zeit gegeben, in der Malik Häuser nur von vorne betrat."
Die Irrfahrt der Flüchtlinge ist verknüpft mit dem Motiv eines stets gefährdeten Diamanten, der mehrfach den Besitzer wechselt. Der Großvater hatte diesen als Notnagel für schlechte Zeiten und angesichts der maroden Banken des Landes in einen Backenzahn eingelassen. Ein Anwalt und ein einflussreicher Unternehmer, denen er auf der Flucht begegnet und die vorgeben, ihm helfen zu wollen, haben es darauf abgesehen. Hyperrealistisch vermittelt die seitenlange Szene, in der er sich von jenen falschen Freunden Hector und Vex besagten Zahn ziehen lässt, aufbauend auf der Lebenswelt und Schmerzerfahrung junger Leser, die Ohnmacht des Flüchtlingsalltags. Kindgerecht dosiert sind auch die expressiven Evokationen wie Flüchtlingstrecks vor Geisterstädten oder die nur in Teilen wahrgenommenen Panzer der Friedenstruppen.
Über Beziehungen zum Stadtrat und - infolge des verschwundenen Diamanten - die Veräußerung eines Gutteils seines Besitzes gelingt dann doch der Zugang zur rettenden "Samariter", doch kann der Großvater nur einen einzigen Platz auf dem Schiff ergattern: Selbstlos bringt er den Jungen an Deck und suggeriert ihm, nicht nur er, sondern auch die verschollene Mutter werde dem Kind später folgen.
Malik gerät, wie der Großvater es arrangiert hat, in die Obhut einer Wohltätigkeitsorganisation für Waisenkinder und wird zum "unbegleiteten minderjährigen Flüchtling". Der zweite Teil spielt allein in der abgeschotteten Welt des Schiffs. Das Deck als Zwischenreich verweist natürlich auf den Übergang auch in Maliks Leben - aus dem Kind wird ein Erwachsener, der zurücklässt, was sein früheres Dasein ausmachte.
Vor allem aber spiegelt sich in den Passagierklassen an Deck die spätere Klassengesellschaft an Land. Mit Hilfe seines Werkzeugkastens erschließen sich Malik und seinen Freunden magische Rückzugsorte - wie der jenseits des öffentlichen Decks hinter einer Milchglastür verborgene luxuriöse Ballsaal. Im angegliederten Spielkasino können sich die Jungen immerhin klammheimlich vergnügen. Und dank eines vom Großvater erlernten Zaubertricks gelingt es Malik sogar, dem erster Klasse logierenden Vex den Zahndiamanten wieder abzuluchsen.
Dabei scheinen den Autor mindestens so sehr wie die mitunter rasanten Umschwünge im Schicksal der Flüchtlinge die Gefühlswelten der Kriegsopfer und die Psychogramme der Waisenkinder zu interessieren. Zum Beispiel jener Oskar, der im Freundeskreis den starken Max mimt und nachts im Schlafsaal in die Kissen weint. Oder Alex, der glaubt, seine in Wahrheit tote Mutter wäre eine Geheimagentin, die unerkannt bleiben müsse, bis ihre Mission ausgeführt sei. Das Buch erzählt vom Überleben in Übergangswelten und vom Drama derjenigen Kinder, die auf sich allein gestellt sind. Aber es stellt auch Mechanismen dar, mit denen sich die Kinder einen Halt verschaffen, etwa Maliks Blick zum Nachthimmel mit den universellen Sternbildern.
Der dritte Teil des Buchs schildert das Andocken in der Aufnahmegesellschaft: den Schock der Ankunft, der bald dem Alltag weicht, und die Einsamkeit in Sicherheit. Malik wird mit seiner wohlsituierten Gastmutter warm, er geht auf eine neue Schule mit viel Erfahrung mit Flüchtlingen, lernt neue Freunde und Spiele kennen, arbeitet als Zeitungsausträger, gliedert sich ein. Sein Taschengeld aber setzt er für Busfahrten zum Hafen ein.
Auch wenn die Wiederfindungsszene Maliks mit seiner Mutter samt der Übergabe des Diamanten zum Schluss leider etwas melodramatisch wirkt, ist Jon Walters Debüt insgesamt nicht nur ein hervorragend erzähltes Kinderbuch. Es wirbt auch nachdrücklich dafür, wenigstens für die Dauer der Lektüre die Perspektive derjenigen Flüchtlinge einzunehmen, die kommen, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt, und die sich ein Land erträumen, das groß genug ist, um sie aufzunehmen.
Jon Walter: "Jenseits des Meeres".
Aus dem Englischen von Martina Tichy. Königskinder Verlag, Hamburg 2015. 336 S., geb., 17,99 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über den Diamanten ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Jon Walter erzählt von der Flucht eines Jungen und vom Erwachsenwerden unterwegs.
Von Steffen Gnam
Flucht und Vertreibung, Bürgerkrieg, brennende Städte, Heimatverlust, Odyssee und Tod haben längst Eingang in die Kinderliteratur gefunden, ebenso Zugewandtheit und die sogenannte Willkommenskultur. Auch Jon Walters Debütroman, in England im vergangenen Jahr erschienen, schildert ein Flüchtlingsschicksal - unaufgeregt, aber immer eng am Geschehen, exemplarisch und empathisch, zeitlich und örtlich unspezifisch und damit universell.
Der Roman ist in drei Teile und Lebensphasen von Flüchtlingen untergliedert: Den ersten Teil bildet die Flucht des zehnjährigen Helden Malik - dessen allein erziehende Mutter verschollen ist - an der Hand seines Großvaters aus der brennenden Stadt. Zu Fuß laufen sie in Richtung Hafen, wo nur noch ein einziges Schiff namens "Samariter" zu überteuerten Preisen eine Fluchtmöglichkeit bietet. Sie übernachten unter anderem im Kellergeschoss eines ausgebrannten Bürohauses. Zwischen Alltag und Ausnahmezustand, Traum und Traumata begleitet das Buch den jungen Helden auf seiner Odyssee: "Es hatte eine Zeit gegeben, in der Malik Häuser nur von vorne betrat."
Die Irrfahrt der Flüchtlinge ist verknüpft mit dem Motiv eines stets gefährdeten Diamanten, der mehrfach den Besitzer wechselt. Der Großvater hatte diesen als Notnagel für schlechte Zeiten und angesichts der maroden Banken des Landes in einen Backenzahn eingelassen. Ein Anwalt und ein einflussreicher Unternehmer, denen er auf der Flucht begegnet und die vorgeben, ihm helfen zu wollen, haben es darauf abgesehen. Hyperrealistisch vermittelt die seitenlange Szene, in der er sich von jenen falschen Freunden Hector und Vex besagten Zahn ziehen lässt, aufbauend auf der Lebenswelt und Schmerzerfahrung junger Leser, die Ohnmacht des Flüchtlingsalltags. Kindgerecht dosiert sind auch die expressiven Evokationen wie Flüchtlingstrecks vor Geisterstädten oder die nur in Teilen wahrgenommenen Panzer der Friedenstruppen.
Über Beziehungen zum Stadtrat und - infolge des verschwundenen Diamanten - die Veräußerung eines Gutteils seines Besitzes gelingt dann doch der Zugang zur rettenden "Samariter", doch kann der Großvater nur einen einzigen Platz auf dem Schiff ergattern: Selbstlos bringt er den Jungen an Deck und suggeriert ihm, nicht nur er, sondern auch die verschollene Mutter werde dem Kind später folgen.
Malik gerät, wie der Großvater es arrangiert hat, in die Obhut einer Wohltätigkeitsorganisation für Waisenkinder und wird zum "unbegleiteten minderjährigen Flüchtling". Der zweite Teil spielt allein in der abgeschotteten Welt des Schiffs. Das Deck als Zwischenreich verweist natürlich auf den Übergang auch in Maliks Leben - aus dem Kind wird ein Erwachsener, der zurücklässt, was sein früheres Dasein ausmachte.
Vor allem aber spiegelt sich in den Passagierklassen an Deck die spätere Klassengesellschaft an Land. Mit Hilfe seines Werkzeugkastens erschließen sich Malik und seinen Freunden magische Rückzugsorte - wie der jenseits des öffentlichen Decks hinter einer Milchglastür verborgene luxuriöse Ballsaal. Im angegliederten Spielkasino können sich die Jungen immerhin klammheimlich vergnügen. Und dank eines vom Großvater erlernten Zaubertricks gelingt es Malik sogar, dem erster Klasse logierenden Vex den Zahndiamanten wieder abzuluchsen.
Dabei scheinen den Autor mindestens so sehr wie die mitunter rasanten Umschwünge im Schicksal der Flüchtlinge die Gefühlswelten der Kriegsopfer und die Psychogramme der Waisenkinder zu interessieren. Zum Beispiel jener Oskar, der im Freundeskreis den starken Max mimt und nachts im Schlafsaal in die Kissen weint. Oder Alex, der glaubt, seine in Wahrheit tote Mutter wäre eine Geheimagentin, die unerkannt bleiben müsse, bis ihre Mission ausgeführt sei. Das Buch erzählt vom Überleben in Übergangswelten und vom Drama derjenigen Kinder, die auf sich allein gestellt sind. Aber es stellt auch Mechanismen dar, mit denen sich die Kinder einen Halt verschaffen, etwa Maliks Blick zum Nachthimmel mit den universellen Sternbildern.
Der dritte Teil des Buchs schildert das Andocken in der Aufnahmegesellschaft: den Schock der Ankunft, der bald dem Alltag weicht, und die Einsamkeit in Sicherheit. Malik wird mit seiner wohlsituierten Gastmutter warm, er geht auf eine neue Schule mit viel Erfahrung mit Flüchtlingen, lernt neue Freunde und Spiele kennen, arbeitet als Zeitungsausträger, gliedert sich ein. Sein Taschengeld aber setzt er für Busfahrten zum Hafen ein.
Auch wenn die Wiederfindungsszene Maliks mit seiner Mutter samt der Übergabe des Diamanten zum Schluss leider etwas melodramatisch wirkt, ist Jon Walters Debüt insgesamt nicht nur ein hervorragend erzähltes Kinderbuch. Es wirbt auch nachdrücklich dafür, wenigstens für die Dauer der Lektüre die Perspektive derjenigen Flüchtlinge einzunehmen, die kommen, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt, und die sich ein Land erträumen, das groß genug ist, um sie aufzunehmen.
Jon Walter: "Jenseits des Meeres".
Aus dem Englischen von Martina Tichy. Königskinder Verlag, Hamburg 2015. 336 S., geb., 17,99 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der erste Jugendroman des britischen Theaterwissenschaftlers und Fotojournalisten Jon Walter ist ebenso spannend wie großartig, schwärmt Rezensentin Antje Weber. Sie liest hier die Geschichte des kleinen Malik, dessen Großvater alles versucht, um ihn nach der Entführung seiner Mutter auf ein Schiff zu verfrachten, dass ihn vor dem Krieg in seinem Heimatland rettet. Die Kritikerin liest neben einigen äußerst gewaltsamen und brutalen Stellen vor allem eine einfühlsam erzählte Fluchtgeschichte, in der viele interessante und spannende Fragen gestellt werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Tröstlich, hoffnungsvoll und glaubwürdig zugleich.", buechereien.wien.at, 11.05.2016