24,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Wir waren es gewohnt, dass Europa und Nordamerika die Welt dominieren. In Zeiten der Globalisierung melden nun andere Großmächte politische und wirtschaftliche Ansprüche an und stellen die "westliche" Weltdeutung in Frage. Fortschritt, Säkularisierung, Liberalismus: Warum sollten diese Prinzipien unserer Ideengeschichte für den ganzen Globus gelten? Stefan Weidner ist ein Anhänger der Aufklärung. Gerade deshalb plädiert er dafür, Weltentwürfe aus Arabien, Afrika oder China ernst zu nehmen. Der "Westen" darf nicht glauben, die ganze Welt werde früher oder später seine Vorstellungen übernehmen.…mehr

Produktbeschreibung
Wir waren es gewohnt, dass Europa und Nordamerika die Welt dominieren. In Zeiten der Globalisierung melden nun andere Großmächte politische und wirtschaftliche Ansprüche an und stellen die "westliche" Weltdeutung in Frage. Fortschritt, Säkularisierung, Liberalismus: Warum sollten diese Prinzipien unserer Ideengeschichte für den ganzen Globus gelten? Stefan Weidner ist ein Anhänger der Aufklärung. Gerade deshalb plädiert er dafür, Weltentwürfe aus Arabien, Afrika oder China ernst zu nehmen. Der "Westen" darf nicht glauben, die ganze Welt werde früher oder später seine Vorstellungen übernehmen. Wir brauchen ein kosmopolitisches Denken, das die Vorstellung kultureller Überlegenheit überwindet.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Stefan Weidner, Jahrgang 1967, studierte Islamwissenschaften, Philosophie und Germanistik in Göttingen, Damaskus, Berkeley und Bonn. 2001-2016 Chefredakteur der Kulturzeitschrift Art & Thought/Fikrun wa Fann. Für seine Arbeit hat er u. a. den Clemens-Brentano-Preis, den Johann-Heinrich-Voß-Preis, und den Sheikh Hamad Award for Translation and International Understanding erhalten. Stefan Weidner lebt in Köln. Bei Hanser erschienen 2018 'Jenseits des Westens. Für ein neues kosmopolitisches Denken' und 2021 'Ground Zero. 9/11 und die Geburt der Gegenwart'.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2018

Risse im Narrativ des Westens
Unseren Werten bekommt das Überlegenheitsbewusstsein nicht gut, das uns vom Rest der Welt trennt: Stefan Weidner plädiert für ein neues kosmopolitisches Denken

Vom globalen "Wettbewerb der Narrative" spricht ja jetzt sogar schon der Koalitionsvertrag. Ganz offiziell wird da als Aufgabe des deutschen Staats, insbesondere seiner Kulturpolitik, definiert, der "Erzählung" des Westens von sich selbst dabei zu helfen, sich in der Konkurrenz mit den Erzählungen Russlands, Chinas und des Islamismus besser zu behaupten. Jeder weiß, dass die Lage ernster geworden ist. Insofern stutzt man bei dem Buchtitel "Jenseits des Westens" und zumal der autobiographischen Einführung mit einer Erinnerung an die achtziger Jahre, als der Autor als Heranwachsender in seinem bürgerlichen Kölner Milieu sein Verlangen nach dem Anderen, dem Fremden entdeckte und in Marrakesch zum ersten Mal stillte. Sind solche in der damaligen BRD blühenden Differenzgelüste heute wirklich noch das Thema? Sind sie angesichts der realen Bedrohungen und der Notwendigkeit, westlichen Werten in der Welt - und im eigenen Land - zur Geltung zu verhelfen, nicht hoffnungslos anachronistisch und luxuriös geworden?

Doch beim Weiterlesen merkt man, dass es dem Autor nicht um einen mehr oder weniger folkloristischen und folgenlosen Exotismus geht, sondern um etwas viel Provokativeres. Ganz im Gegensatz zum gängigen Imperativ, das westliche Narrativ zu stärken, fordert er, es im Interesse eines künftigen Zusammenlebens auf dem Planeten "abzuwickeln". Was ist damit gemeint?

Stefan Weidner ist Islamwissenschaftler und vielfach ausgezeichneter Übersetzer arabischer Lyrik, viele Jahre war er Chefredakteur der vom Goethe-Institut auf Englisch, Arabisch und Persisch herausgegebenen Kulturzeitschrift "Art & Thought / Fikrun wa Fann". Der autobiographische Einstieg in sein Buch erweist sich insofern als wichtig, als er die später entfaltete programmatische Außenperspektive durch eine frühe persönliche Erfahrung beglaubigt. Schon der Sechzehnjährige macht auf seiner ersten großen Reise nach Marrakesch, wo sich im Taxi einander völlig unbekannte Menschen wie engste Freunde unterhalten, eine ihn verblüffende Entdeckung: "Die Fremde ent-fremdete mich, machte, dass ich mich weniger fremd fühlte - zuerst mir selbst gegenüber, dann im Verhältnis zu meiner Umwelt." Unausgesprochen steht über dem Rest des Buchs daher die Frage: Könnte eine solche Ent-Fremdung vielleicht auch den Westen als Ganzes weniger fremd in der Welt machen?

Was Weidner als "Ideologie des Westens" kritisiert, ist durch das Gegenteil gekennzeichnet: nämlich durch Abschottung und Selbstimmunisierung gegenüber dem Rest der Welt. Der Umstand, dass der Westen seine Werte mit seinem Herrschaftsbereich identifiziert, hat eine paradoxe Folge: Ausgerechnet seinen Universalismus, der unter Menschen und Kulturen keine Unterschiede zu machen beansprucht, hält der Westen für das, was ihn von anderen unterscheidet. Die Selbstisolation hat eine geschichtsphilosophische und eine kulturessenzialistische Seite; für die eine ruft der Autor Francis Fukuyama, für die andere Samuel Huntington als Kronzeugen auf. Die Argumentationslücken beider Theoretiker wurden zwar schon in den neunziger Jahren ausführlich benannt, aber trotzdem würden ihre Prämissen nach wie vor weithin geteilt: sowohl das Überlegenheitsbewusstsein eines im Grundsatz unüberbietbaren Systems als auch die Gegenüberstellung des Westens zu allen übrigen Kulturen, die nach biologistischen Mustern als mehr oder minder feststehende Wesenheiten verstanden werden. Eine solche Ideologie stelle "die Wirklichkeit, die sie bestätigt, selbst" her und sperre sich gegen die Wahrnehmung anderer kultureller Narrative in ihrer Geltung.

Zum Beispiel des islamischen Rechts. Weidner schreibt, die Binnenlogik dieses Rechts halte sich eine striktere Gewaltenteilung als im westlichen Rechtsstaat zugute, weil das religiös begründete Gesetz dem Einfluss einer Regierung völlig entzogen sei; nur die Jurisdiktion der Rechtsgelehrten bestimme über die Anwendung der alten Überlieferungen auf gegenwärtige Verhältnisse. Weidner führt den heutigen Islamismus darauf zurück, dass der im Zuge des Kolonialismus oktroyierte und nicht selten von despotischen Regimen kontrollierte moderne Staat von vielen Muslimen als Entrechtung empfunden wurde. Das nicht-staatliche, transzendente islamische Recht erschien ihnen dann als Befreiung.

Weidner betont, dass es ihm nicht um eine "Apologie des Islams" gehe, sondern um den Versuch, aus "den Sackgassen des Denkens" herauszukommen. Das Buch bewegt sich eher auf der Meta-Ebene der Voreinstellungen, Mentalitäten, intellektuellen Kategorien als auf der der konkreten politischen Konflikte. Um die zerstörerische Logik der gegenseitigen Abgrenzung aufzubrechen, schlägt Weidner einen neuen Kosmopolitismus vor, der dem fremden Stoff frischen Sauerstoff zuführt, statt ihn, wie bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Fremden oft üblich, in einer "Quarantänestation für den Geist" zu entsorgen. Als positives Beispiel führt Weidner den vormodernen Eklektizismus an, mit dem China den in Indien entstandenen Buddhismus bei sich einführte; mangels adäquater Übersetzungsmöglichkeiten für die buddhistischen Begriffe entstand damals etwas Drittes zwischen den Kulturen.

Jede Kultur müsse notgedrungen von Narrativen ausgehen, doch es gelte, nicht bei ihnen stehen zu bleiben, sondern sie zu überschreiten. Die Errungenschaften der Aufklärung dürften nicht verworfen werden, doch den von ihnen ausgehenden Hegemonialanspruch gelte es zu überwinden. Wenn einmal der "Riss im Narrativ" erkannt sei, könne er alle Überlegenheitsdiskurse entmachten und die Menschen auf neue Weise miteinander verbinden. Als Vorbild empfiehlt Weidner Gandhi, der die Askese, den Verzicht auf "Identität" und auftrumpfendes Handeln zu einem Mittel der Politik gemacht habe. Auf diese Weise habe Gandhi gegen ein System Widerstand leisten können, das die Freiheit politisch und ontologisch beschneidet, "indem es ableugnet, dass es einen (relevanten!) Bereich jenseits der Politik, jenseits der Welt der Erscheinungen gibt".

Der Fluchtpunkt, auf den die Polyzentrik in diesem Buch hinausläuft, ist das "Recht auf Rechte", in dem Hannah Ahrendt den letzten Baustein jeglichen Rechts und jeder Politik sah. Es gilt nämlich auch noch für Staatenlose, denen aber das Recht, zur Menschheit zu gehören, nicht abgesprochen werden kann. Damit verbindet sich für den Autor eine Art hypothetischer Gottesbeweis: Da dieses Recht nicht von der Menschheit selbst garantiert werden könne, müsse ein außerhalb ihrer stehender Gott angenommen werden - denn ein Mensch, der auf sein Recht verzichtet, wenn kein Staat für es eintritt, würde sich selbst aufgeben.

Das unsystematische, assoziativ-mäandernde Verfahren des Buchs (Weidner selbst nennt es den "kuratierten Mitschnitt, Auszug eines unendlich viel größeren Gesprächs") kommt seiner skeptischen, zahlreiche verblüffende Ideenverbindungen zutage fördernden Nachdenklichkeit zugute. Der Nachteil ist, dass einige argumentative Leerstellen dadurch übertüncht werden: Es wird keine Vorstellung entwickelt, wie sich der romantische Kosmopolitismus der um ihren Herrschaftsanspruch gebrachten Narrative in eine globale oder auch nur nationale Ordnungspolitik übersetzen soll - die Kulturen existieren ja schon lange nicht mehr räumlich getrennt voneinander, sondern oft innerhalb ein und desselben Staats.

Der liberale Rechtsstaat des Westens, der für eine solche Koexistenz weit besser gerüstet sein dürfte als jede partikulare Rechtskultur, hätte schon unter diesem Gesichtspunkt eine genauere inhaltliche Würdigung verdient. Dennoch ist dieser Gedankenversuch nicht bloß eine anregende Spekulation, sondern die sehr ernste Erinnerung daran, dass es Menschlichkeit jenseits der westlichen Prinzipien gibt. Und wie gefährlich es sein kann, sie zu verachten.

MARK SIEMONS

Stefan Weidner: "Jenseits des Westens. Für ein neues kosmopolitisches Denken". Hanser, 368 Seiten, 24 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension

Rezensent Mark Siemons bescheinigt dem Islamwissenschaftler, Autor und Übersetzer Stefan Weidner nach der Lektüre seines Plädoyers "Für ein neues kosmopolitisches Denken" einen scharfen analytischen Blick: Weidner arbeite heraus, dass das Narrativ des Westens gerade dann zur Ideologie gerate, wo es seinen Anspruch, zwischen Menschen und Kulturen keine Unterschiede zu machen, als Alleinstellungsmerkmal ausgibt. Darum spricht Weidner sich nach Siemons dafür aus, kulturelle Narrative zwar nicht zu revidieren, aber sie zu überschreiten, ihren Hegemonialanspruch zu überwinden. Wie der so entstehende neue Kosmopolitismus dann allerdings konkret politisch umgesetzt werden solle, scheint Siemons Weidners "assoziativ-mäandernder" Argumentation nicht entnehmen zu können. Das unsystematische Vorgehen des Autors komme dennoch eindeutig seiner Reflexionstiefe zugute, versichert Siemons.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Weidner ist einer der großen Kultur- und Sprachübersetzer unserer Tage [...] Wenn das Lesen selbst als Teil des von Weidner im Nachwort erwähnten großen Gesprächs gedeutet werden darf, dann kann man hier sagen: lange nicht so gut unterhalten. Und schon lange nicht mehr mit einer ähnlich langen Leseliste aus einem Text wieder aufgetaucht." Alex Rühle, Süddeutsche Zeitung, 18.05.18

"Ein Plädoyer für einen Perspektivwechsel auf unsere Welt." Joachim Gärtner, ARD Titel,Thesen,Temperamente, 29.04.18

"Dieser Gedankenversuch ist nicht bloß eine anregende Spekulation, sondern die sehr ernste Erinnerung daran, dass es Menschlichkeit jenseits der westlichen Prinzipien gibt. Und wie gefährlich es sein kann, sie zu verachten." Mark Siemons, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.03.18

"Pure, ansteckende Freude am Denken prägt dieses Werk mindestens so stark wie sein ernstes politisches und philosophisches Anliegen, einen überfälligen, ja überlebensnotwendigen Perspektivwechsel vorzunehmen." Rolf-Bernhard Essig, Nürnberger Nachrichten, 05.09.18