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Produktdetails
  • Verlag: Schirmer/Mosel
  • Seitenzahl: 191
  • Abmessung: 300mm
  • Gewicht: 1074g
  • ISBN-13: 9783888147715
  • Artikelnr.: 24082421
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.1995

Anomalie des Alltags: Hans-Jürgen Burkards Rußland

Sie sehen sich ähnlich. Der Mann am Boden, in Hand- und Fußschellen, und seine Bewacher gleichen sich in Haarschnitt, Statur und roher Körperlichkeit auf frappierende Weise. Der Text unter dieser Aufnahme von Hans-Jürgen Burkard erhellt: In der Badehose steckt ein "Boewik", ein Mafia-Kämpfer, im Trainingsanzug ein Polizist. Die Badegäste im Hintergrund schauen, mischen sich aber nicht ein. Sie täten es wohl auch dann nicht, wären die Rollen vertauscht.

Sechs Jahre lang fotografierte Burkard für den "Stern", anfangs aus der Sowjetunion, später aus Rußland. Viele der Aufnahmen wurden prämiert, die gelungensten Arbeiten sind nun als Bildband erschienen. Mehr als die bekannten Motive - der Putsch im Jahre 1993, die Ermordung des Journalisten Wladislaw Listjew - bleiben verwirrende Fotos wie das obige im Gedächtnis: Eine der am schwersten erträglichen Aufnahmen zeigt einen Jungen mit leerem Blick hinter Gittern. Der Text erklärt: Er ist ein Straßenkind und hat mehrere Menschen umgebracht.

Burkards Rußland ist eine Heimstatt der Deformierten, wo die Anomalie das Gesicht des Alltags ist und Gewalt seine Sprache. Seine Bilder verletzen das Auge, sind zum Bersten angefüllt mit Elend, Dreck und Blut. Es sind Fotos, wie sie die Russen hassen, und Schauplätze, die das anständige Rußland am liebsten vergessen würde: Industriewüsten und Ölseen, Striptease-Bühnen und degoutante Bälle der Reichen, Faschisten-Treffen, Todeszellen. Auf Burkards Bildern herrscht eine klaustrophobische Atmosphäre. Die Menschen scheinen winzig zwischen den Häuser- und Fabrikwänden, gefangen in einem Geflecht von Gitterstäben, Drähten, Leitungen. Burkard zeigt sie in den intimsten und verletzlichsten Augenblicken, wenn die Schminke der Frauen und die Tätowierungen der Männer ihre tarnende Wirkung verlieren. Aber er denunziert nicht, sondern läßt den Menschen ihre Würde, die sich aus einem immensen Selbstbehauptungswillen und der Sehnsucht nach Glück speist: Das gilt für die Weltkriegs-Veteraninnen, die Goldzähne und Orden blitzen lassen, und für die Motorrad-Bande bei der Messe. Burkard scheint das Urteil von der real existierenden Apokalypse in Rußland zu bestätigen, aber unter den Trümmern schlägt ein lebendiges Herz. (Hans-Jürgen Burkard: "Jenseits von Kreml und Rotem Platz". Mit einem Vorwort von Jewgeni Popow und Texten von Katja Gloger. Verlag Schirmer/Mosel, München 1995. 192 S., 122 Farb-Abb., geb., 78,-, br., 49,80 DM.) zek

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