Der Kommentar versteht Jer 1-25 als dramatischen Text: In Klagen, Anklagen und Unheilsankündigungen ergeht darin eine vielstimmige Botschaft vom Untergang Jerusalems und Judas. Entsprechend dem Format der Reihe wird der hebräische Text zunächst synchron im Blick auf Rhetorik, Gattung, sprachliche Phänomene, Motivik und theologische Aussagen analysiert. Vor dem Hintergrund der politischen Situation Judas seit Ende des siebten Jahrhunderts v. Chr. versucht die diachrone Analyse, die Entstehung des Textes zu rekonstruieren. Ausgangspunkt dafür ist dessen ältere, in der griechischen Überlieferung bewahrte Fassung. Die bilderreichen und mitunter verstörenden Texte, die den Untergang des Königreiches Juda in Szene setzen, interpretiert Maier für zeitgenössische Leserinnen und Leser mit Hilfe neuerer hermeneutischer Perspektiven wie der feministischen Bibelauslegung, der postkolonialen Theorie und der Traumaforschung. Dabei wird deutlich, wie das Jeremiabuch ein kulturelles Trauma zu bearbeiten sucht und angesichts von Krieg, Hunger und Vertreibung um ein Gottesbild ringt, das geeignet ist, die Geschichte zu verstehen und zugleich Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu vermitteln. Die weibliche Personifikation Jerusalems bietet ein emotionales und Mitleid heischendes Porträt des Volkes, das die Erfahrungen von Kriegsgewalt und Zerstörung zur Sprache bringt. Der wegen seiner Unheilsbotschaft verfolgte Jeremia ringt stellvertretend für das Volk mit Gott.