Die steile Karriere des schottischen Rockmusikers Phineas Sloan alias Cuddie Savoy findet 1969 ein jähes Ende. Nach einem verheerenden Hotelbrand in New York kann sich Sloan an nichts mehr erinnern, und Musik machen kann er auch nicht mehr. 27 Jahre später erwacht in einem Fahrstuhl des wiederaufgebauten Hotels ein orientierungsloser junger Mann ohne Schatten und Spiegelbild. In der Tasche seines Bademantels steckt die berühmte Flöte der Rocklegende Cuddie Savoy. Für den wundersam Auferstandenen beginnt ein abenteuerlicher Streifzug durch New York, doch irgendwann merkt er, dass er nach England zurück muss. In einem kleinen Cottage bei Oxford steht er schließlich Phineas Sloan gegenüber - seinem ziemlich gealteren Alter Ego.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2000Roman mit Rock
Christine Wunnickes „Jetlag”
Was ist vom Rock’n’Roll geblieben? Über diese Frage kann man mit Altlinken zwischen Designer-Möbeln diskutieren, man kann aber auch eine Gespenstergeschichte schreiben. Die Geschichte des Phineas Sloan alias Cuddie Savoy zum Beispiel, der 1969 von London aus zu einem Rockfestival nach Kalifornien aufbricht und nie dort ankommt. Was seither geschah, was damals während des Brandes im Lakehurst Hotel in New York wirklich passierte, und welche Spuren die Rock-Musik als Ausdruck eines Lebensgefühls bei ihren Anhängern hinterließ, das beschreibt Christine Wunnicke verrückt, einleuchtend und irritierend in ihrem neuen Roman Jetlag.
Leser, denen die Münchner Autorin und ihr Roman Fortescues Fabrik (1998) unbekannt sind, werden sich vielleicht wundern, ausgerechnet von einer deutschen Autorin ein solches Buch vorgelegt zu bekommen. Zu fern ist ihr Stoff den gängigen Sujets, zu bildreich die Sprache; der Plot von Jetlag referiert nicht einen Moment über hiesige Befindlichkeit.
Archibald McIntyre, der frühere Manager von Cuddie Savoy und eine weitere Hauptperson in Jetlag, fristet sein Dasein als windiger Geschäftsmann im London der Neunziger mit dubiosen Warentermingeschäften. Flo, die Freundin aus besseren Zeiten, ist inzwischen seine Frau, und beider Sohn David, ein wirklicher Kauz, studiert in Oxford. Dass ausgerechnet er es ist, der am Ende noch eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben hat, der seinen Vater verliert und Teil nimmt an der wundersamen Neu-Mensch-Werdung des Cuddie Savoy, ist bloß eine der Überraschungen, die Christine Wunnicke für den sich selbst und seinen Wahrnehmung immer mehr nachfragenden Leser bereit hält. Keine mag man vorwegnehmen, nur so viel behaupten: Der Rock’n’Roll lebt, zumindest zwischen diesen Zeilen.
MATTHIAS KUHN
CHRISTINE WUNNICKE: Jetlag. Roman. Knaus Verlag, München 2000. 250 Seiten, 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Christine Wunnickes „Jetlag”
Was ist vom Rock’n’Roll geblieben? Über diese Frage kann man mit Altlinken zwischen Designer-Möbeln diskutieren, man kann aber auch eine Gespenstergeschichte schreiben. Die Geschichte des Phineas Sloan alias Cuddie Savoy zum Beispiel, der 1969 von London aus zu einem Rockfestival nach Kalifornien aufbricht und nie dort ankommt. Was seither geschah, was damals während des Brandes im Lakehurst Hotel in New York wirklich passierte, und welche Spuren die Rock-Musik als Ausdruck eines Lebensgefühls bei ihren Anhängern hinterließ, das beschreibt Christine Wunnicke verrückt, einleuchtend und irritierend in ihrem neuen Roman Jetlag.
Leser, denen die Münchner Autorin und ihr Roman Fortescues Fabrik (1998) unbekannt sind, werden sich vielleicht wundern, ausgerechnet von einer deutschen Autorin ein solches Buch vorgelegt zu bekommen. Zu fern ist ihr Stoff den gängigen Sujets, zu bildreich die Sprache; der Plot von Jetlag referiert nicht einen Moment über hiesige Befindlichkeit.
Archibald McIntyre, der frühere Manager von Cuddie Savoy und eine weitere Hauptperson in Jetlag, fristet sein Dasein als windiger Geschäftsmann im London der Neunziger mit dubiosen Warentermingeschäften. Flo, die Freundin aus besseren Zeiten, ist inzwischen seine Frau, und beider Sohn David, ein wirklicher Kauz, studiert in Oxford. Dass ausgerechnet er es ist, der am Ende noch eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben hat, der seinen Vater verliert und Teil nimmt an der wundersamen Neu-Mensch-Werdung des Cuddie Savoy, ist bloß eine der Überraschungen, die Christine Wunnicke für den sich selbst und seinen Wahrnehmung immer mehr nachfragenden Leser bereit hält. Keine mag man vorwegnehmen, nur so viel behaupten: Der Rock’n’Roll lebt, zumindest zwischen diesen Zeilen.
MATTHIAS KUHN
CHRISTINE WUNNICKE: Jetlag. Roman. Knaus Verlag, München 2000. 250 Seiten, 36 Mark.
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