Claire liebt ihr einsames Leben im Wald. Als Pädagogin lehrt sie Schulklassen in einem Wildniscamp, wie aufmerksame Wahrnehmung das Verhältnis zur Natur verändern kann. Einige Kilometer von ihrer Arbeit entfernt, bewohnt die 42-jährige Frau zusammen mit der Hündin Nora ein Haus auf einer Waldlichtung. Hier ist ihr Körpergefühl das Barometer für ihr Wohlbefinden. Als jedoch nach einer Campwoche der 16-jährige Janis auf ihrem Grundstück auftaucht, verbirgt sie sich zuerst vor ihm. Erinnerungen an Momente sexuellen Verlangens werden in ihr wach. Bilder, die sie scheut. Sie spürt eine Angst, die sie erst, als der Junge da ist, wirklich verstehen kann. Literarisch brillant erzählt »Jetzt bist du da« von einem Tag und einer Nacht der Umkreisung und der Wucht menschlicher Sehnsüchte.
»Sandra Hoffmann schafft es auf wundersame Weise, das reiche und geheimnisvolle Leben im Wald zu verbinden mit der Sehnsucht nach einem anderen Menschen, seinem Körper, seinem Geist, und danach, Teil eines größeren Ganzen zu sein.« Zora del Buono
»Eine Expedition in die Wildheit unseres Menschseins, wo Alter und Geschlecht verwischen und nur eine Frage bleibt: Welche Verantwortung tragen wir für unser Verlangen?« Katharina Adler
»Sandra Hoffmann schafft es auf wundersame Weise, das reiche und geheimnisvolle Leben im Wald zu verbinden mit der Sehnsucht nach einem anderen Menschen, seinem Körper, seinem Geist, und danach, Teil eines größeren Ganzen zu sein.« Zora del Buono
»Eine Expedition in die Wildheit unseres Menschseins, wo Alter und Geschlecht verwischen und nur eine Frage bleibt: Welche Verantwortung tragen wir für unser Verlangen?« Katharina Adler
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2023Es hat doch
gefunkt
Amour fou einer Einsiedlerin:
Sandra Hoffmann erzählt von
Liebe mit Altersunterschied
Claire, 42 Jahre alt, kennt sich aus in und mit Feld, Wald und Wiese. Sie bemerkt und sieht alles, was da kreucht und fleucht, und kann es präzise beschreiben. Doch die Bewegungen in der Natur, etwa die abends aus dem Waldschatten nach draußen auf die Wiesen tretenden Rehe, sind von Claire nicht nur von außen beobachtet, sie korrespondieren zugleich mit Bewegungen ihres Inneren. Sie empfindet sie sogar als „meine Rehe“.
Sie wohnt nicht weit entfernt allein in einem einsamen Haus, dessen Distanz zu anderen Behausungen ihr wohltut. Sie hat die splendid isolation selbst gewählt. Wie sich herausstellt im Laufe des Romans, der eine genaue Studie ist über das Eindringen eines anderen menschlichen Wesens in einen sorgsam gehüteten Hortus conclusus, wird es Infragestellungen geben, die Claire nicht einfach abwehren kann. Dabei hat sie sich, vermeintlich im Einklang mit der Umgebung aus Wald und Garten, eine Lebensbalance geschaffen, die allerdings doch empfindlich gestört werden kann. Nicht nur im negativen Sinn, auch durch amouröse Irritationen, so sehr, dass Claire sich am Ende vor lauter Angstlust draußen versteckt und hocherregt ihr Haus beobachtet.
Claire arbeitet mit Schulklassen als Pädagogin in einem Waldcamp, macht Teenager bekannt mit Pilzen und Moosen, Käfern und Spinnen. Da fällt ihr ein dem ersten Eindruck nach fast mädchenhafter Junge namens Janis auf. So nachhaltig, dass er durch alle Naturbeobachtungen der Waldlehrerin hindurch in ihrem Denken und bald auch Fühlen anfängt, Platz einzunehmen. Erst recht, nachdem er ihr plötzlich die Hand an die Wange gelegt hat und damit die Scheu vor Berührungen durchbrochen hat. Von nun an kann Claire sich nicht mehr wirklich befreien, kann nicht mehr zurück in ihren behüteten Garten, sondern fängt an sich zu fürchten. Tatsächlich taucht der sechzehnjährige Janis plötzlich auch dort auf.
Der Titel von Sandra Hoffmanns Buch „Jetzt bist du da“ gibt die enorme Wirkung von Janis’ Präsenz perfekt wieder. Claire wird sich dadurch ihrer selbst neu bewusst. Man kann von einer Wiederkehr des Verdrängten, Weggeschlossenen sprechen. Denn die selbst gewählte Isolation ist auch eine Flucht vor den Unwägbarkeiten von Lust und Begehren. Die Ruhe im Haus am Wald ist also doch einigermaßen teuer erkauft. Während Janis nun Klarheiten fordert, versucht Claire durch Abweisung und Schroffheit die eigene Angst und den Jungen zu bändigen. Doch das wird keine gelingende Strategie sein, Claire muss sich all dem stellen, was Janis in ihr wach gerufen hat, auch den Bedrohungen durch die „unmögliche“ Konstellation zwischen einer 24 Jahre älteren Frau und einem Jungen, der ihr Sohn sein könnte.
Anfangs braucht es schon Geduld und Pfadfindergeist, um sich durchs äußere und innere Dickicht von Sandra Hoffmanns Verwirrungsprosa einen Weg zu bahnen. Hoffmann, Jahrgang 1967, vor ihrem Literaturwissenschaftsstudium schon als Jugend- und Heimerzieherin ausgebildet, hat sich auch in anderen Büchern intensiv mit den Dschungeln, Brüchen, Annäherungen und Fluchten in Liebesbeziehungen verschiedener Art beschäftigt. Auch darin spielte ab und an die Kunst des Perspektivwechsels eine Rolle. In „Jetzt bist Du da“ erzeugt die Erzählung durch den Wechsel von der Ich-Perspektive in die dritte Person eine vielfältige Verflechtung der Gefühle.
Denn auch Janis’ Sicht kommt plausibel zu Wort. Dadurch geraten die Beobachtung der Natur und die darin eingebettete Selbstbetrachtung Claires in eine kontrastreichere Gegenüberstellung. Die Temperatur der sich anbahnenden Amour fou steigt deutlich, auch wenn Claire sich dem entziehen will. Wie sie dann doch eine Lösung findet jenseits des Begehrens für die Übernachtung von Janis in ihrem Haus, soll nicht verraten werden. Am Schluss jedenfalls sitzt sie im Gebüsch und belauert aufgeregt und immer noch ängstlich ihr Heim, aus dem jeden Augenblick die Versuchung heraustreten muss.
Natürlich kann man das alles auch knapper, stringenter mit weniger Naturbeschreibung als Abbild der inneren Welt erzählen, die gefährliche Begegnung zwischen der reifen Frau und dem jungen Mann. Aber Sandra Hoffmann will es einbetten in natürliche Zusammenhänge, vielleicht etwas zu didaktisch. Wer Spaß an erotischen Verwirrungen und komplizierten Selbstvergewisserungen hat, dem könnte dieses Buch aber gefallen.
HARALD EGGEBRECHT
Auch die Sicht des Jungen kommt
plausibel zu Wort. Damit steigt
die Temperatur des Buchs klar an
Sandra Hoffmann:
Jetzt bist du da.
Roman. Berlin Verlag, Berlin 2023.
238 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
gefunkt
Amour fou einer Einsiedlerin:
Sandra Hoffmann erzählt von
Liebe mit Altersunterschied
Claire, 42 Jahre alt, kennt sich aus in und mit Feld, Wald und Wiese. Sie bemerkt und sieht alles, was da kreucht und fleucht, und kann es präzise beschreiben. Doch die Bewegungen in der Natur, etwa die abends aus dem Waldschatten nach draußen auf die Wiesen tretenden Rehe, sind von Claire nicht nur von außen beobachtet, sie korrespondieren zugleich mit Bewegungen ihres Inneren. Sie empfindet sie sogar als „meine Rehe“.
Sie wohnt nicht weit entfernt allein in einem einsamen Haus, dessen Distanz zu anderen Behausungen ihr wohltut. Sie hat die splendid isolation selbst gewählt. Wie sich herausstellt im Laufe des Romans, der eine genaue Studie ist über das Eindringen eines anderen menschlichen Wesens in einen sorgsam gehüteten Hortus conclusus, wird es Infragestellungen geben, die Claire nicht einfach abwehren kann. Dabei hat sie sich, vermeintlich im Einklang mit der Umgebung aus Wald und Garten, eine Lebensbalance geschaffen, die allerdings doch empfindlich gestört werden kann. Nicht nur im negativen Sinn, auch durch amouröse Irritationen, so sehr, dass Claire sich am Ende vor lauter Angstlust draußen versteckt und hocherregt ihr Haus beobachtet.
Claire arbeitet mit Schulklassen als Pädagogin in einem Waldcamp, macht Teenager bekannt mit Pilzen und Moosen, Käfern und Spinnen. Da fällt ihr ein dem ersten Eindruck nach fast mädchenhafter Junge namens Janis auf. So nachhaltig, dass er durch alle Naturbeobachtungen der Waldlehrerin hindurch in ihrem Denken und bald auch Fühlen anfängt, Platz einzunehmen. Erst recht, nachdem er ihr plötzlich die Hand an die Wange gelegt hat und damit die Scheu vor Berührungen durchbrochen hat. Von nun an kann Claire sich nicht mehr wirklich befreien, kann nicht mehr zurück in ihren behüteten Garten, sondern fängt an sich zu fürchten. Tatsächlich taucht der sechzehnjährige Janis plötzlich auch dort auf.
Der Titel von Sandra Hoffmanns Buch „Jetzt bist du da“ gibt die enorme Wirkung von Janis’ Präsenz perfekt wieder. Claire wird sich dadurch ihrer selbst neu bewusst. Man kann von einer Wiederkehr des Verdrängten, Weggeschlossenen sprechen. Denn die selbst gewählte Isolation ist auch eine Flucht vor den Unwägbarkeiten von Lust und Begehren. Die Ruhe im Haus am Wald ist also doch einigermaßen teuer erkauft. Während Janis nun Klarheiten fordert, versucht Claire durch Abweisung und Schroffheit die eigene Angst und den Jungen zu bändigen. Doch das wird keine gelingende Strategie sein, Claire muss sich all dem stellen, was Janis in ihr wach gerufen hat, auch den Bedrohungen durch die „unmögliche“ Konstellation zwischen einer 24 Jahre älteren Frau und einem Jungen, der ihr Sohn sein könnte.
Anfangs braucht es schon Geduld und Pfadfindergeist, um sich durchs äußere und innere Dickicht von Sandra Hoffmanns Verwirrungsprosa einen Weg zu bahnen. Hoffmann, Jahrgang 1967, vor ihrem Literaturwissenschaftsstudium schon als Jugend- und Heimerzieherin ausgebildet, hat sich auch in anderen Büchern intensiv mit den Dschungeln, Brüchen, Annäherungen und Fluchten in Liebesbeziehungen verschiedener Art beschäftigt. Auch darin spielte ab und an die Kunst des Perspektivwechsels eine Rolle. In „Jetzt bist Du da“ erzeugt die Erzählung durch den Wechsel von der Ich-Perspektive in die dritte Person eine vielfältige Verflechtung der Gefühle.
Denn auch Janis’ Sicht kommt plausibel zu Wort. Dadurch geraten die Beobachtung der Natur und die darin eingebettete Selbstbetrachtung Claires in eine kontrastreichere Gegenüberstellung. Die Temperatur der sich anbahnenden Amour fou steigt deutlich, auch wenn Claire sich dem entziehen will. Wie sie dann doch eine Lösung findet jenseits des Begehrens für die Übernachtung von Janis in ihrem Haus, soll nicht verraten werden. Am Schluss jedenfalls sitzt sie im Gebüsch und belauert aufgeregt und immer noch ängstlich ihr Heim, aus dem jeden Augenblick die Versuchung heraustreten muss.
Natürlich kann man das alles auch knapper, stringenter mit weniger Naturbeschreibung als Abbild der inneren Welt erzählen, die gefährliche Begegnung zwischen der reifen Frau und dem jungen Mann. Aber Sandra Hoffmann will es einbetten in natürliche Zusammenhänge, vielleicht etwas zu didaktisch. Wer Spaß an erotischen Verwirrungen und komplizierten Selbstvergewisserungen hat, dem könnte dieses Buch aber gefallen.
HARALD EGGEBRECHT
Auch die Sicht des Jungen kommt
plausibel zu Wort. Damit steigt
die Temperatur des Buchs klar an
Sandra Hoffmann:
Jetzt bist du da.
Roman. Berlin Verlag, Berlin 2023.
238 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die 42-jährige Claire ist quasi eins mit der Natur und hat sich inmitten von Wald und Wiesen ihr Leben eingerichtet, für einen Mann ist da eigentlich kein Platz, beleuchtet Rezensent Harald Eggebrecht die Prämisse von Sandra Hoffmanns Roman. Doch dann lernt die Pädagogin, die Jugendlichen den Wald und seine Bewohner näherbringt, den 16-jährigen Janis kennen, der ihr bemerkenswert scheint und ihr mit einer Berührung klarmacht, dass er ähnlich empfindet. Seine Präsenz hat eine Wirkung auf Claire, die die Balance ins Wanken bringt, die sie sich im Rückzug von der Welt so mühsam aufgebaut hat, sie muss sich den Gefühlen und dem Begehren stellen, das der Junge in ihr auslöst, schildert Eggebrecht. Dabei nimmt die Autorin nicht nur ihre Perspektive ein, sondern auch die von Janis, dem Kritiker zeigen sich so alle emotionalen Verstrickungen der Situation, auch wenn Hoffmann für ihn dabei bisweilen zu didaktisch und mit zu viel Naturschilderungen arbeitet. Dennoch eine empfehlenswerte Lektüre für die, die sich für komplizierte Liebes- und Selbstfindungsgeschichten interessieren.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Mit 'Jetzt bist du da' hat Sandra Hoffmann einen Roman geschrieben, mit dem es den Lesern geht wie den beiden Figuren miteinander: Er geht einem nicht mehr aus dem Kopf.« Fridtjof Küchemann FAZ 20230930