Ein Coming of Age der etwas anderen Art: Kati Rickenbach erzählt von ihrem persönlichen Werdegang anhand zweier Aufenthalte in Hamburg. Der erste, im Jahr 2004 als Austauschstudentin, ist geprägt von chronischem Schlafmangel, kompizierten Männerbekanntschaften, wiederkehrenden Konflikten mit der Vermieterin und ersten Schritten als Comiczeichnerin.
Fünf Jahre später ist Kati selbständige Illustratorin und reist mit ihrem Freund nach Hamburg. Dieses Mal stehen Themen wie Familiengründung. Brotjobs und der Kampf um künstlerische Freiheiten im Vordergrund.
Fünf Jahre später ist Kati selbständige Illustratorin und reist mit ihrem Freund nach Hamburg. Dieses Mal stehen Themen wie Familiengründung. Brotjobs und der Kampf um künstlerische Freiheiten im Vordergrund.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2011Zeiten ändern dich
Sehr luftig: Kati Rickenbachs Comic „Jetzt kommt später“
Als vor rund zwanzig Jahren der Boom der autobiographischen Comics begann, lag in ihnen eine dreifache Provokation. Die Künstler verweigerten sich nicht nur dem Gesetz der Serie, das die Comic-Produktion bis heute weitgehend beherrscht. Sie verzichteten auch darauf, erfundene Figuren bunte Abenteuer erleben zu lassen. Stattdessen entblößten sie sich selbst, schilderten die Wechselfälle ihres Alltags; Peinliches und Banales wurde ausdrücklich nicht ausgespart. Und so ist es bis heute geblieben – mit einer eigentümlichen Konsequenz: Aus dem Erzählen vom Ich, das sich ursprünglich im scharfen Gegensatz zur Welt der Genre-Comics sah, ist längst ein eigenes Genre geworden, das seine Konventionen besitzt und bestimmte Erwartungshaltungen bedient.
Dies gilt besonders für die Coming-of-Age-Geschichten, die den Löwenanteil der autobiographischen Comics ausmachen. Ein junger, sensibler Mensch aus der Mittelklasse; eine Umwelt, die ihm gleichgültig oder wenig freundlich gegenübersteht; sexuelle und sonstige Probleme – das hat man schon so oft gelesen, dass es inzwischen eines besonderen Drehs bedarf, um die Sache interessant zu machen. Die Schweizer Zeichnerin Kati Rickenbach, der im Jahr 2007 mit „Filmriss“ ein beeindruckendes Debüt gelungen ist, versucht dies auf zwei Arten. Einerseits wechselt sie in „Jetzt kommt später“ von Kapitel zu Kapitel zwischen zwei Handlungssträngen, andererseits thematisiert sie in ihrer Graphic Novel deren Entstehungsprozess.
Im ersten Handlungsstrang verbringt Kati das Sommersemester 2004 als Austauschstudentin an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften; im zweiten kommt sie fünf Jahre später zu einem Gastaufenthalt in die Hansestadt zurück. Damals war die Zeichnerin naiv, ausgehwütig und fiel auf merkwürdige Jungs herein; nun ist sie gereift, schaut abends lieber eine DVD und wird von ihrem festen Freund begleitet. Damals hatte sie eine Unterkunft bei einer zickigen Lesbe; nun wohnt sie komfortabler in der Wohnung einer Familie, die gerade Urlaub macht. Damals verzweifelte sie fast daran, sich etwas zu dem Kursthema „Wasser und Erotik“ einfallen lassen zu müssen; nun hadert sie zwar immer noch mit ihrer Kreativität, aber auf hohem Niveau: Sie weiß nicht so recht, worum es in ihrem zweiten Album gehen soll.
Das Spiel der Kontraste, das die Montage von einst und jetzt entfaltet, ist mitunter witzig. Unterm Strich bleibt aber kaum mehr als die schlichte Erkenntnis, dass sich im Laufe der Zeit manches ändert, anderes aber auch nicht. So führt das Zusammensein mit ihrem Freund Kati zu der Frage, ob sie in ihm den Mann fürs Leben gefunden hat und Kinder haben will. Als sie dann beschließt, das Buch zu zeichnen, das der Leser in Händen hält, beginnt sie, sich den Kopf zu zerbrechen, ob autobiographisches Erzählen einem strikten Wahrheitsanspruch verpflichtet ist, oder es nicht erlaubt sein könnte, etwas zu verschweigen oder zu verändern. Solche Reflexionen werden jedoch nicht weiter vertieft.
„Jetzt kommt später“ hat zwar starke Momente, von den Gefährdungen, mit denen sich die Figuren in „Filmriss“ herumschlagen mussten, ist allerdings nichts mehr zu spüren. Der Widerspruch zwischen formaler Ambition und inhaltlicher Harmlosigkeit führt dazu, dass das Ganze nicht mehr ist als eine nette Sommerlektüre. CHRISTOPH HAAS
KATI RICKENBACH: Jetzt kommt später. Edition Moderne, Zürich 2011. 304 Seiten, 24 Euro.
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Sehr luftig: Kati Rickenbachs Comic „Jetzt kommt später“
Als vor rund zwanzig Jahren der Boom der autobiographischen Comics begann, lag in ihnen eine dreifache Provokation. Die Künstler verweigerten sich nicht nur dem Gesetz der Serie, das die Comic-Produktion bis heute weitgehend beherrscht. Sie verzichteten auch darauf, erfundene Figuren bunte Abenteuer erleben zu lassen. Stattdessen entblößten sie sich selbst, schilderten die Wechselfälle ihres Alltags; Peinliches und Banales wurde ausdrücklich nicht ausgespart. Und so ist es bis heute geblieben – mit einer eigentümlichen Konsequenz: Aus dem Erzählen vom Ich, das sich ursprünglich im scharfen Gegensatz zur Welt der Genre-Comics sah, ist längst ein eigenes Genre geworden, das seine Konventionen besitzt und bestimmte Erwartungshaltungen bedient.
Dies gilt besonders für die Coming-of-Age-Geschichten, die den Löwenanteil der autobiographischen Comics ausmachen. Ein junger, sensibler Mensch aus der Mittelklasse; eine Umwelt, die ihm gleichgültig oder wenig freundlich gegenübersteht; sexuelle und sonstige Probleme – das hat man schon so oft gelesen, dass es inzwischen eines besonderen Drehs bedarf, um die Sache interessant zu machen. Die Schweizer Zeichnerin Kati Rickenbach, der im Jahr 2007 mit „Filmriss“ ein beeindruckendes Debüt gelungen ist, versucht dies auf zwei Arten. Einerseits wechselt sie in „Jetzt kommt später“ von Kapitel zu Kapitel zwischen zwei Handlungssträngen, andererseits thematisiert sie in ihrer Graphic Novel deren Entstehungsprozess.
Im ersten Handlungsstrang verbringt Kati das Sommersemester 2004 als Austauschstudentin an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften; im zweiten kommt sie fünf Jahre später zu einem Gastaufenthalt in die Hansestadt zurück. Damals war die Zeichnerin naiv, ausgehwütig und fiel auf merkwürdige Jungs herein; nun ist sie gereift, schaut abends lieber eine DVD und wird von ihrem festen Freund begleitet. Damals hatte sie eine Unterkunft bei einer zickigen Lesbe; nun wohnt sie komfortabler in der Wohnung einer Familie, die gerade Urlaub macht. Damals verzweifelte sie fast daran, sich etwas zu dem Kursthema „Wasser und Erotik“ einfallen lassen zu müssen; nun hadert sie zwar immer noch mit ihrer Kreativität, aber auf hohem Niveau: Sie weiß nicht so recht, worum es in ihrem zweiten Album gehen soll.
Das Spiel der Kontraste, das die Montage von einst und jetzt entfaltet, ist mitunter witzig. Unterm Strich bleibt aber kaum mehr als die schlichte Erkenntnis, dass sich im Laufe der Zeit manches ändert, anderes aber auch nicht. So führt das Zusammensein mit ihrem Freund Kati zu der Frage, ob sie in ihm den Mann fürs Leben gefunden hat und Kinder haben will. Als sie dann beschließt, das Buch zu zeichnen, das der Leser in Händen hält, beginnt sie, sich den Kopf zu zerbrechen, ob autobiographisches Erzählen einem strikten Wahrheitsanspruch verpflichtet ist, oder es nicht erlaubt sein könnte, etwas zu verschweigen oder zu verändern. Solche Reflexionen werden jedoch nicht weiter vertieft.
„Jetzt kommt später“ hat zwar starke Momente, von den Gefährdungen, mit denen sich die Figuren in „Filmriss“ herumschlagen mussten, ist allerdings nichts mehr zu spüren. Der Widerspruch zwischen formaler Ambition und inhaltlicher Harmlosigkeit führt dazu, dass das Ganze nicht mehr ist als eine nette Sommerlektüre. CHRISTOPH HAAS
KATI RICKENBACH: Jetzt kommt später. Edition Moderne, Zürich 2011. 304 Seiten, 24 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kati Rickenbachs Versuch, mit "Jetzt kommt später" aus der Flut autobiografischer Coming-of-Age-Comics herauszustechen, wird von Christoph Haas durchaus gewürdigt. Zwei Handlungsstränge und die Thematisierung des Entstehungsprozesses innerhalb der Graphic Novel - das hat der Rezensent so noch nicht gesehen. Mitunter musste Haas auch wirklich lachen, wenn die Schweizerin Kati ihre Männergeschichten oder ihre Kreativitätszweifel während ihres Hamburgaufenthalts im Jahre 2004 mit einem weiteren Aufenthalt fünf Jahre später vergleicht. Leider muss der Rezensent aber feststellen, dass die Geschichte trotz aller "formaler Ambition" inhaltlich zu harmlos bleibt - und deshalb nicht mehr als "nette Sommerlektüre" ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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