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Produktdetails
  • Verlag: Siedler
  • Seitenzahl: 218
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 415g
  • ISBN-13: 9783886806652
  • ISBN-10: 3886806650
  • Artikelnr.: 24406521
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1998

"Es war ein Schurke im Stück"
Hans-Olaf Henkel wirbt für eine wettbewerbsfähige Gesellschaft

Hans-Olaf Henkel: Jetzt oder Nie. Ein Bündnis für Nachhaltigkeit in der Politik. Wolf Jobst Siedler Verlag, Berlin 1998, 219 Seiten, 36,90 DM.

Wer flüchtig liest, wird alle Erwartungen erfüllt finden und je nach politischer Präferenz wütend widersprechen oder nachdrücklich zustimmen. Wenn ein Verbandspräsident ein Buch schreibt, wird man die Zusammenfassung seiner Thesen und Themen erwarten dürfen. Wenn Hans-Olaf Henkel ein Buch schreibt, wird man die unbequeme Polemik eines Liberalen erwarten dürfen, der überall dort, wo er Kartelle und Monopole, Subventionen und Protektionen sieht, mit lauter Stimme ruft: "Weg damit."

Wer mit dieser Erwartung in Henkels Streitschrift blättert, wie gesagt, kommt auf seine Kosten. Doch wer genauer liest, der findet ein Ich in dem Band (nicht nur Stilmittel, sondern auch Ausdruck der Individualität des Autors), das weit mehr tut als das ordoliberale Lehrbuch in praktische Verbandspolitik zu übersetzen. Dieses Ich kann sich zum Beispiel täuschen und seine Auffassungen revidieren: Eindrucksvoll nachzulesen im Kapitel über die Ökosteuer, deren Anhänger Henkel früher einmal gewesen ist, die er heute aber mit starken Argumenten einen "ausgemachten Unsinn" nennt. Damit wird Henkel bald noch Munterkeit hervorrufen - als Gast in den Konsensgremien einer rot-grünen Regierung, die sich in den Koalitionsgesprächen als erstes auf die Einführung einer Ökosteuer geeinigt hat.

Henkels Ich, keine Frage, ist auch ein eitles Ich. Wenn er darauf zu sprechen kommt, daß es seine Idee gewesen sei, die drei Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft in Berlin in einem Haus zu vereinen, meint er, das könnte womöglich ein bißchen unbescheiden klingen. Da untertreibt er ein bißchen. Henkel läßt keine Gelegenheit aus zu erzählen, daß er sich schon früh mit Alfred Herrhausen und Herbert Giersch die richtigen Sorgen über den Standort gemacht habe oder daß er dem Bundeskanzler - nicht gerade sein Freund - schriftlich lobend auf die Schulter geklopft habe für seine Rede bei der Öffnung der Berliner Mauer.

Besonders angebracht ist Henkels Ich, wenn er an sein Plädoyer für die Rückkehr zu einem Wettbewerbsföderalismus in Deutschland erinnert. Damit hat er ein Thema aus dem Dunkel der Finanzwissenschaft an das Tageslicht der Öffentlichkeit gebracht, das stärker mit dem Elend des deutschen Sozialstaats verknüpft ist, als man denken könnte. Seither reißen - von der Monopolkommission bis zum Kronberger Kreis - die aufklärenden Debatten nicht mehr ab, ob es eigentlich der Verfassung entsprechen könnte, gesunde Bundesländer zu bestrafen, wenn man ihnen durch Fiskal- und - schlimmer noch - Sozialtransfers den Erfolg abschöpfte.

Es gehört zu Henkels Stärken, das er die gängige Schlachtordnung verläßt. Von einem Funktionär eines Wirtschaftsverbandes weiß man, daß er Gewerkschaftsfunktionäre kritisiert. Das macht Henkel auch, aber er macht auch vor den vermeintlichen Verbündeten nicht halt: Wer das Tarifkartell so deutlich wie Henkel verurteilt, kann auch die in der "Verbandsdiplomatie tätigen Personalchefs" nicht ausnehmen. Wer Zweifel an der allheilenden deutschen Mitbestimmung hat, muß auch Reinhard Mohn kritisieren, der diese weiter ausbauen will. Und wer defensive Methoden zur Heilung des Arbeitsmarktes ablehnt, kommt auch um eine Schelte der Bundesanstalt für Arbeit und seines Präsidenten Bernhard Jagoda nicht herum. Die ist ihm übrigens besonders eindrucksvoll gelungen: Er höre aus Nürnberg zu viel über die Teilung der Arbeit, den Abbau von Überstunden und Arbeitszeitverkürzung, schreibt er und fügt hinzu: "Wieso macht sich ausgerechnet die Behörde, die das Arbeitslosenproblem an vorderster Front erfährt, zum Anwalt der Arbeitsplatzbesitzer?" Solche Deutlichkeit rührt immer noch an ein Tabu; denn an den paritätisch verfaßten Einrichtungen des Sozialstaates kratzt ein Verbandspräsident normalerweise nicht.

Was ist das für ein Buch? Es ist nicht die Prosa deutscher Verbandsfunktionäre. Es ist keine persönliche Konfession. Es ist kein politisches Pamphlet, aber auch keine intime Autobiographie. Es ist nichts von alledem, aber von all dem etwas. Wenn er von der nur wenige Wochen dauernden Präsidentschaft Reiner-Maria Gohlkes an der Spitze der Treuhandanstalt schreibt, streift Henkel für einen Moment sogar die Gattung des Kriminalromans: Wer Gohlke gestürzt habe, fragt Henkel und gibt raunend die Antwort selbst: "Nur soviel sei gesagt, es war ein Schurke im Stück, und der stand nicht auf der Bühne."

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie hat ein ganz und gar uneinheitliches, zuweilen sogar widersprüchliches Buch geschrieben. Er gibt mehr von sich preis, als es in seinem Geschäft üblich ist. Das macht den Autor angreifbar und sympathisch zugleich. Henkel ärgert sich schon zu lange über die doppelte Sprache und Moral der Öffentlichkeit, die hinter verschlossenen Türen anders redet als vor ihnen. Weil er für mehr Transparenz und Konsistenz ist, verletzt er regelmäßig den Comment. Damit erlaubt er freilich auch seinen Gegnern, sich zu distanzieren und sich zugleich von der Auseinandersetzung mit damit zu dispensieren. Solche Ablehnung kann auch deshalb rasch bei der Hand sein, weil von Henkels Themen durch die Wiederholung der Charme des Neuen bröckelt, wiewohl sie den Gestus des Umstürzlerischen behalten. Das wäre der Moment, wo das Thema durch Analyse weiterzutreiben wäre, was vielleicht nicht die Stärke des etwas kurzatmig geschriebenen Buches ist.

Zuweilen verläßt Henkel auch die eigene Courage. So will es nicht recht einleuchten, warum nun auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie eingeschwenkt ist in das Lager jener, die das holländische Modell und das Abkommen von Wassenaar den Deutschen als Vorbild empfehlen. Die Logik seines Wettbewerbsmodells hätten ihn wohl in andere Länder führen müssen. Überraschend ist auch, daß Henkel sich für Subventionsfälle wie die Expo 2000 oder den Transrapid einsetzt und das mit der Angst vor Image-Verlusten begründet. Das paßt nicht ganz zur aufrechten Haltung eines Lobbyisten, der Image-Fragen ansonsten nachrangig behandelt.

"Während man die Vergangenheit nur noch mit mehr oder weniger Geschick interpretieren kann, muß man Zukunft gestalten", scheibt Henkel am Beginn eines Kapitels über Innovation. Auch eine rot-grüne Regierung wird auf Henkel als anstößigen Gestalter zählen können. RAINER HANK

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