Produktdetails
  • Verlag: Haffmans
  • Originaltitel: Now
  • Seitenzahl: 252
  • Deutsch
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 298g
  • ISBN-13: 9783251004645
  • ISBN-10: 3251004646
  • Artikelnr.: 23929643
  • Herstellerkennzeichnung
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Weil ich ihn nicht mag
Gabriel Josipovicis Roman "Jetzt" / Von Ingeborg Harms

Nichts in der Literatur erzeugt so umschweifelos den Eindruck von Leben wie ein guter Dialog. Und nichts, lehrt uns Gabriel Josipovicis Konversationsroman "Jetzt", ist so trügerisch wie er. Das Buch liest sich wie ein dramatischer Text mit sparsamen Szenenangaben. In kurzen Episoden partizipiert der Leser am Alltag einer Londoner Familie, einem Alltag, der sich hin und wieder krisenhaft zuspitzt und in dem der Tod kein Fremder ist. Die Handlung kreist um das Ehepaar Sam und Ella, ihre erwachsenen Kinder, Freddy und Licia, Ellas Mutter Nina und ihren Bruder Simon. Freddy ist mit Julie glücklos verheiratet, hat Affären und geht mit seinen Kindern, Becky und Joe, oft ins Museum. Einmal nimmt er Becky zu einer Assemblage künstlicher Spechte von Rebecca Horn mit. Er bittet seine Tochter, die Augen zu schließen. Das Mädchen hält das mechanische Picken für echt und gruselt sich, als sie den Irrtum erkennt: "So ist das mit der Kunst", erklärt ihr Vater: "Manchmal ist einem etwas unheimlich, aber man merkt, dass einem lieber unheimlich ist, als dass man gar nichts spürt."

Josipovicis Buch dreht sich um Spechte in Menschengestalt, und wie die Vögel Rebecca Horns picken sie auf Glas. Die Gespräche erinnern nicht selten an Tschechows statische Stücke: Sie bewegen sich im Kreis, jede Figur besitzt ihr Motiv, an dem sie festhält und das sie wiederholt. Wenn ein Austausch stattzufinden scheint, erweist sich wenig später, dass niemand zugehört hat und das Gesagte aufs Neue erfragt wird: "Ich mag ihn nicht", sagt Licia von einem früheren Lebenspartner, der vergeblich Kontakt mit ihr aufzunehmen versucht. "Du magst ihn nicht? fragt ihre Mutter. Hab ich doch gesagt. Ich mag ihn nicht. Was stört dich denn an ihm? Nichts. Warum willst du dann nicht mit ihm sprechen? Weil ich ihn nicht mag. Wieso? Wieso was? Wieso magst du ihn nicht? Ich mag ihn einfach nicht. Ich mag ihn, sagt Ella. Dann sprich du doch mit ihm." Licia wiederholt im ganzen sechsmal, dass sie Robin nicht mag, ohne dass diese Aussage den geringsten Eindruck auf ihre Mutter machte. Das Gespräch ist nicht ohne Komik. Nicht nur, weil die Mechanik des Auf-der-Stelle-Tretens bei lebenden Wesen Lacher erzeugt, sondern auch, weil Licias schnippische Bemerkung: "Dann sprich du doch mit ihm", den Nagel auf den Kopf trifft. Ella mag den Verehrer ihrer Tochter und möchte die Telefongespräche mit ihm nicht missen. "Er will aber nicht mit mir sprechen", gibt sie Licia zur Antwort. Das Lächerliche und das Tragische wohnen in Josipovicis Dialogen nah beieinander. "Es gibt gewisse Türen", sagt der von einem Schlaganfall genesende Onkel Simon: "Wenn man die öffnet, ist nichts mehr wie vorher. Möchtest du noch eine Tasse Tee?" fragt seine Schwester: "Er hält ihr seine Tasse hin. - Ist nichts mehr wie vorher, wiederholt er."

In der menschlichen Rede ist das Dringliche in das Banale eingebettet. Der Dialog fließt weiter und begräbt die Momente, in denen Entscheidendes zur Sprache kommt und Konsequenzen heischt: "Ella", sagt Simon im Krankenhaus, wo ein Verwesungsgeruch ihn um den Verstand bringt: "Ich flehe dich an, zum letzten Mal. Ich beschwöre dich beim lebendigen Gotte. Hol mich hier raus." Seine Schwester überhört die mit allen Mitteln der Sprachmagie demonstrierte Not und vertröstet ihren Bruder. Kurz darauf erleidet er bei einem gescheiterten Ausbruchsversuch einen zweiten Schlaganfall. Der Vorfall bricht seinen Willen. Ellas von Freddys sarkastischen Kommentaren gespickte Erzählung der Krankenhausflucht markiert in Josipovicis Buch einen Höhepunkt tragischer Ironie. Das Aufbegehren des Lebensfunkens ist für Simon zum Todesurteil geworden. So leicht entkommt man dem pickenden Uhrwerk nicht.

Die Figuren leben unter ihren Möglichkeiten, und es ist nicht zuletzt die dialektische Maschinerie des Dialogs, die die Risse im Gespinst der Gewohnheit überspielt. Nicht die Rede als solche betäubt die Personen. Das beweist Onkel Simon, dessen spitze Zunge nie einen Herzschlag der Sprache verpasst. Es ist die Unfähigkeit zuzuhören, die das Figurenarsenal zu einem Haufen scharrender Spechte macht. Besonders auffällig ist das bei Licia und einem Mann, den sie regelmäßig auf einer Parkbank trifft. Ihre Konversation geht nicht in die Tiefe. Beide Seiten unternehmen Vorstöße zu intimeren Mitteilungen, die gleich versanden. Trotzdem kehren sie immer wieder an dieselbe Stelle zurück, und das Sprachspiel beginnt von neuem. Einmal entwickeln sie die Phantasie, dass es jemanden geben könnte, der alles, was sie sagen, aufnimmt: "Vom ersten bis zum letzten Wort." Dieser Jemand ist der Autor. Die an Pirandello erinnernde Hoffnung auf den Autor zielt darauf, dass jemand die Flucht der Worte anhalten und ihren Sinn freilegen könnte. Denn im Zentrum des Buches steht der versäumte Kairos.

Der Literaturwissenschaftler Gabriel Josipovici hat einen Roman in Dialogen geschrieben, weil die Gespräche nicht länger dramatisch sind. Seine Figuren haben den Sinn für Peripetien verloren, sie bringen die Situation, in der sie sich befinden, nicht länger auf den Punkt. Das Drama lebt vom Ereignis, der epische Dialog von der Vergeblichkeit. Becky hat etwas von ihrer Großmutter geschenkt bekommen. Auf der Heimfahrt fragt sie ihren Bruder, ob er es sehen möchte. Der "will aber nicht kucken". Als Joe seinen Stolz überwindet, ist der Augenblick vorüber: "Zu spät. Jetzt ist vorbei", sagt Becky in Gerd Haffmans schöner Übersetzung. Es hilft nun kein Bitten. Für Momente öffnen sich Türen in "Jetzt", doch niemand geht hindurch. Diese Türen führen auf den Tod, dessen Signale heruntergespielt werden, in die Liebe, vor der man sich eilig zurückzieht, und auf die sprachlose Welt der Dinge, die sich im Alltag durch Fügsamkeit der Wahrnehmung entziehen.

Bei Josipovici spricht man, um sich Leben vorzuspiegeln. "Das Leben anderer kommt einem immer wirklicher vor als das eigne", weiß Nina zu sagen. "Er spricht nicht mehr mit mir", sagt Julie von ihrem Gatten, den sie längst hasst. "Hat er denn je etwas Interessantes zu sagen gehabt?" fragt ihre Schwester. "Darum geht es nicht", erwidert Julie. Kommunikation, heißt es bei Jacques Lacan, sei nicht mehr als ein produktives Missverständnis. Sie produziert nicht nur die Illusion von Wirklichkeit, sondern - in ihren Pannen - immer auch die Krise des Scheins und ein unheimliches Aufblitzen des möglichen Endes aller Wörter. Die menschliche Unterhaltung scheint in "Jetzt" zur Abwehr des Todes erfunden, doch ihre lautlose Tragik liegt darin, dass sie mit den bedrohlichen Momenten auch die Gunst des Augenblicks verschmäht.

Gabriel Josipovici: "Jetzt". Aus dem Englischen übersetzt von Gerd Haffmans. Haffmans Verlag, Zürich 2000. 253 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Jetzt" von Gabriel Josipovici, schreibt Peter Michalzik, sei "an der unübersichtlichen Front zwischen Sprachliebe und Sprachabneigung" entstanden: Der Roman des englischen Schriftstellers und Literaturprofessors besteht ausschließlich aus Dialogen, die naturgemäß banal klingen, da sie Alltägliches verhandeln. Würde dieses Drama aufgeführt, klänge es völlig banal, so wie im Alltag eben, lesend eröffneten sich aber neue Sichtweisen, Lesarten unseres Handelns, Strategien der Kommunikation und Nicht-Kommunikation, bis hin zur Sprachverweigerung. Der Rezensent zeigt sich erfreut von Josipovicis literarischer Technik, im Dialog den Spielraum der Sprache zwischen erstarrter Rede und beredter Suche auszuloten. Zur Übersetzung aus dem Englischen macht er leider keine Anmerkung.

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