Frank Opitz und Tobias Mundt sind alte Freunde und Rivalen. Seit er über fünfzig ist, dreht Mundt, ein erfolgreicher ehemaliger Fernsehmoderator, erst richtig auf, Opitz dagegen hadert als zorniger Intellektueller mit dem Kulturbetrieb und leidet seit einer Tumorerkrankung unter Schmerzen in der rechten Hand, die ihm monströs und unbrauchbar erscheint. Seine Frau Anna ist unbekümmert und schön, wird von Mundt umworben, scheint ihre Liebe aber vor allem Jim, einem Orang-Utan-Jungtier zu schenken, das in ihrem weitläufigen Garten lebt. Jim ist sehr geschickt mit seinen Händen und Füßen und entpuppt sich als hochtalentiert: Er malt Bilder von höchster künstlerischer Qualität. Als Anna ein Gartenbett kauft, in dem der angeschlagene Frank gar nicht wird schlafen können, spitzt sich alles zu ...
Klug und raffiniert, komisch und luzide erzählt Thomas Lang in "Jim" von Liebe und Hass, Kunst und Krankheit, Kühnheit und Rivalität.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rose-Maria Gropp hat sich großartig amüsiert mit Thomas Langs Erzählung "Jim", in der ein schreibblockierter Feuilleton-Journalist sich in Konkurrenz eines viel agileren Freundes und eines sich als geschickter Maler entpuppenden Orang Utans um seine schöne Frau Anna wieder findet. Thomas Lang begnügt sich in seinem kurzen Prosa-Text auch keineswegs mit der bekannten Ridicule des menschlichen Kunstwillen, versichert die Rezensentin, die allerdings eine Bereitschaft für allerlei Situations- und Sprachkomik als Voraussetzung für den Genuss an der wunderbar bissigen Geschichte voraussetzt. Und hinter diesem frechen Spaß sieht Gropp auch noch literarisch Schwergewichtiges hervorschauen, denn nicht von Ungefähr erinnert Langs Primat an Kafkas Affen Rotpeter, meint die Rezensentin. Allerdings biete der Autor hier statt "Sardonik" eher "luftiges Schaumgebäck" an, das nicht zuletzt mit dem überraschenden Ende, das Gropp nicht verraten will, vor allem viel Spaß macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2012Der Mann ist der Affe der Frau
Dschungelpaarungen: Thomas Lang hat eine wahnsinnig komische Erzählung über die Lage an der Geschlechterfront geschrieben.
Von Rose-Maria Gropp
Nein, es gibt im ganzen dicken Katalog von "Manufactum" kein Gartenbett. Das ist eine Lücke, die das Sortiment des Hauses, das für die guten Dinge, die es noch gibt, zuständig ist, unbedingt schließen sollte. Selbstverständliche Dreingabe beim Kauf müsste dann Thomas Langs Erzählung "Jim" sein. Und nein, Männer kommen nicht in die Wechseljahre. Sie kommen höchstens in die Bredouille, was ihre Identität betrifft in puncto schöpferischer Kräfte. Wenn es so dumm läuft wie für Frank Opitz, haben sie dann das Gefühl, ihre linke Hand habe die Dimensionen eines Klodeckels angenommen, was sie unbrauchbar macht für liebgewordene Aktivitäten, zum Beispiel mit einem Finger nur einen Buchstaben der Tastatur zu treffen, um einen wichtigen Artikel zu schreiben.
Frank Opitz, dem ebensolches widerfährt, hat dabei das Glück - oder ist es das Pech? -, mit einer umwerfenden Frau zusammenzuleben, die in voll erblühter Reife steht: "Anna war keine Frau für Bilder und Posen. Alles an ihr war echtes, richtiges Leben. Er wünschte sich, sie bei der Hand zu nehmen und ins Schlafzimmer zu ziehen. Sie hatten schon lange nicht mehr miteinander geschlafen, sein Zustand erlaubte es kaum."
Der "Zustand" ist der Schmerz, der vom Arm aus in den ganzen Körper abstrahlt. Außerdem in das lahmende Hirn eines Feuilletonisten, dessen Begnadung freilich ohnehin als verkannt gelten muss. Anna ist in ihrem Beruf als Einrichterin erfolgreich. Ihr gehört auch das Haus, in dem das Paar lebt; sie schmückt es mit wuchernden Pflanzen wie einen "Dschungel". Den Garten, den eine hohe Mauer von der Straße abschirmt, macht sie, wenngleich nicht fern aller Urbanität, wo ja die Manufactum-Kaufhäuser stehen, zu einem grünen Paradies - oder ist es eine Hölle? Denn es gibt da diese kleine Irritation: Anna hat in ihrem Gelände einem jungen Orang-Utan Asyl gewährt. Er heißt Jim.
Außer dass Jim nicht ins Haus hineindarf, unterscheidet ihn wenig in der freizügigen Haltung, die Anna auch dem Mann im Haus angedeihen lässt. Jim bekommt Obst und Gemüse aus biologischem Anbau, und Jim darf die Herrin gelegentlich umschlingen mit seinen rötlich behaarten Armen. Hinein ins Haus darf allerdings Opitz' alter Freund Tobias Mundt. Der strotzt nur so in seinem mindestens zweiten Frühling, mit grauhaarigem Pferdeschwänzchen, durchtrainiert im Rennrad-Dress, überhaupt bester Stimmung und Verfassung nach einer erfolgreichen Karriere als Fernsehmoderator. Gewissermaßen begehrt nun ein Triumvirat Anna, auf je eigene Weise: Opitz, Mundt und Jim, der Primat.
Während Opitz, dieser von Albträumen und allfälligen Ladehemmungen geschundene Mann, sich abquält mit dem Plan für 120 Zeilen über den völlig zu Unrecht vergessenen polnisch-deutschen Dichter Kasper Andrucki, den er schon so lange dem "Würfelner Tagblatt" zugesagt hat, stellt Anna - gerade hat sie das Gartenbett bei "Manufactum" gekauft - fest, dass Jim, dieser Spross der Gattung Hominidae, künstlerische Fähigkeiten besitzt. Sie hatte dem juvenilen Menschenaffen Fingerfarben gegeben. Jim produziert damit Gemälde, und der agile Mundt will sie vermarkten, gemeinsam mit Anna, in einer Galerie, zu wohltätigen Zwecken. Das Motiv des künstlerisch tätigen Tiers ist sattsam bekannt als unverwüstliche Lächerlichmachung der kreativen Kraft des Homo sapiens.
Aber so einfach macht es sich Thomas Lang dann doch nicht. Denn kein anderer als Opitz' Hausfreund-Feind Mundt hat diesen auf eine Therapie aufmerksam gemacht, die ihn von seiner monströsen Bratpfannenhand befreien könnte. Dafür muss Opitz vor einem Spiegel stehen und üben. Dass der Spiegel das äffische Medium schlechthin ist, erübrigt sich anzumerken - aller Nachahmung Anfang, allen Plagiats, aller Selbstverkennung. Jedenfalls erfährt Opitz Linderung, Heilung vielleicht gar, vor dem Spiegel. Voilà, der alte Affe.
"Jim" ist eine herrliche Sottise, die es in sich hat. Das kurze Stück Prosa platzt aus allen Nähten vor situativer und verbaler Komik. Ihr muss der Leser geneigt sein, sonst wird er kapitulieren. Und es lässt sich beileibe nicht simpel sagen, dass Jim bei Lang den Affen gäbe, der dem Tier im Mann entspreche. Unterm Lack der leichthändigen Künstler-Farce lauert ein echtes Schwergewicht. Beim gebildeten Autor ist da schon eine kleine Allegorese fällig, die als Jims nahen Verwandten Franz Kafkas Affen erkennt, der seinen "Bericht für eine Akademie" abliefert. Natürlich spricht Jim nicht, er bleibt ganz Menschenaffe: Wo Rotpeter dem Auditorium sarkastisch den Prozess seiner Humanisierung schildert, hangelt sich Jim auf den Balkon vor Frank Opitz' Zimmer hoch, weil er es nicht anders weiß; er wurde ja nicht von "Hagenbeck" gefangen wie einst Rotpeter.
Dafür bringt Jim aber zwei Menschen-Männchen auf Trab um das umworbene Weibchen. Kafkas Sardonik wird unter Langs Feder zum luftigen Schaumgebäck. "Komme ich spätnachts von Banketten, aus wissenschaftlichen Gesellschaften, aus gemütlichem Beisammensein nach Hause, erwartet mich eine kleine halb dressierte Schimpansin, und ich lasse es mir nach Affenart bei ihr wohlgehen", erläutert Rotpeter der Akademie. Fehlanzeige ist das knapp ein Jahrhundert später. Auf ihrem Gartenbett sitzt jetzt die Frau, versunken in Yoga. Und Thomas Lang hat Mitleid mit aller Kreatur, dem Mann zuvörderst.
Wie dieser amüsante Parforce-Ritt in die Gefilde von Großstadtrandbewohnern jenseits der Vermehrungsfähigkeit weitergeht, sei hier nicht verraten. Und den Autor, Jahrgang 1967, trennen noch ein paar erfüllte Jährchen von Klodeckelhand und Schreibhemmungen. Dass Jim, am Ende, mit einem Arm im Baum hängt und mit dem anderen nach Hilfe angelt, beschreibt bloß die allgemeine Lage. Alles bleibt offen - und das noch: "Manufactum" sollte unbedingt ein Gartenbett anbieten. Ungeahntes könnte von dort aus geschehen.
Thomas Lang: "Jim". Eine Erzählung.
C. H. Beck Verlag, München 2012. 173 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dschungelpaarungen: Thomas Lang hat eine wahnsinnig komische Erzählung über die Lage an der Geschlechterfront geschrieben.
Von Rose-Maria Gropp
Nein, es gibt im ganzen dicken Katalog von "Manufactum" kein Gartenbett. Das ist eine Lücke, die das Sortiment des Hauses, das für die guten Dinge, die es noch gibt, zuständig ist, unbedingt schließen sollte. Selbstverständliche Dreingabe beim Kauf müsste dann Thomas Langs Erzählung "Jim" sein. Und nein, Männer kommen nicht in die Wechseljahre. Sie kommen höchstens in die Bredouille, was ihre Identität betrifft in puncto schöpferischer Kräfte. Wenn es so dumm läuft wie für Frank Opitz, haben sie dann das Gefühl, ihre linke Hand habe die Dimensionen eines Klodeckels angenommen, was sie unbrauchbar macht für liebgewordene Aktivitäten, zum Beispiel mit einem Finger nur einen Buchstaben der Tastatur zu treffen, um einen wichtigen Artikel zu schreiben.
Frank Opitz, dem ebensolches widerfährt, hat dabei das Glück - oder ist es das Pech? -, mit einer umwerfenden Frau zusammenzuleben, die in voll erblühter Reife steht: "Anna war keine Frau für Bilder und Posen. Alles an ihr war echtes, richtiges Leben. Er wünschte sich, sie bei der Hand zu nehmen und ins Schlafzimmer zu ziehen. Sie hatten schon lange nicht mehr miteinander geschlafen, sein Zustand erlaubte es kaum."
Der "Zustand" ist der Schmerz, der vom Arm aus in den ganzen Körper abstrahlt. Außerdem in das lahmende Hirn eines Feuilletonisten, dessen Begnadung freilich ohnehin als verkannt gelten muss. Anna ist in ihrem Beruf als Einrichterin erfolgreich. Ihr gehört auch das Haus, in dem das Paar lebt; sie schmückt es mit wuchernden Pflanzen wie einen "Dschungel". Den Garten, den eine hohe Mauer von der Straße abschirmt, macht sie, wenngleich nicht fern aller Urbanität, wo ja die Manufactum-Kaufhäuser stehen, zu einem grünen Paradies - oder ist es eine Hölle? Denn es gibt da diese kleine Irritation: Anna hat in ihrem Gelände einem jungen Orang-Utan Asyl gewährt. Er heißt Jim.
Außer dass Jim nicht ins Haus hineindarf, unterscheidet ihn wenig in der freizügigen Haltung, die Anna auch dem Mann im Haus angedeihen lässt. Jim bekommt Obst und Gemüse aus biologischem Anbau, und Jim darf die Herrin gelegentlich umschlingen mit seinen rötlich behaarten Armen. Hinein ins Haus darf allerdings Opitz' alter Freund Tobias Mundt. Der strotzt nur so in seinem mindestens zweiten Frühling, mit grauhaarigem Pferdeschwänzchen, durchtrainiert im Rennrad-Dress, überhaupt bester Stimmung und Verfassung nach einer erfolgreichen Karriere als Fernsehmoderator. Gewissermaßen begehrt nun ein Triumvirat Anna, auf je eigene Weise: Opitz, Mundt und Jim, der Primat.
Während Opitz, dieser von Albträumen und allfälligen Ladehemmungen geschundene Mann, sich abquält mit dem Plan für 120 Zeilen über den völlig zu Unrecht vergessenen polnisch-deutschen Dichter Kasper Andrucki, den er schon so lange dem "Würfelner Tagblatt" zugesagt hat, stellt Anna - gerade hat sie das Gartenbett bei "Manufactum" gekauft - fest, dass Jim, dieser Spross der Gattung Hominidae, künstlerische Fähigkeiten besitzt. Sie hatte dem juvenilen Menschenaffen Fingerfarben gegeben. Jim produziert damit Gemälde, und der agile Mundt will sie vermarkten, gemeinsam mit Anna, in einer Galerie, zu wohltätigen Zwecken. Das Motiv des künstlerisch tätigen Tiers ist sattsam bekannt als unverwüstliche Lächerlichmachung der kreativen Kraft des Homo sapiens.
Aber so einfach macht es sich Thomas Lang dann doch nicht. Denn kein anderer als Opitz' Hausfreund-Feind Mundt hat diesen auf eine Therapie aufmerksam gemacht, die ihn von seiner monströsen Bratpfannenhand befreien könnte. Dafür muss Opitz vor einem Spiegel stehen und üben. Dass der Spiegel das äffische Medium schlechthin ist, erübrigt sich anzumerken - aller Nachahmung Anfang, allen Plagiats, aller Selbstverkennung. Jedenfalls erfährt Opitz Linderung, Heilung vielleicht gar, vor dem Spiegel. Voilà, der alte Affe.
"Jim" ist eine herrliche Sottise, die es in sich hat. Das kurze Stück Prosa platzt aus allen Nähten vor situativer und verbaler Komik. Ihr muss der Leser geneigt sein, sonst wird er kapitulieren. Und es lässt sich beileibe nicht simpel sagen, dass Jim bei Lang den Affen gäbe, der dem Tier im Mann entspreche. Unterm Lack der leichthändigen Künstler-Farce lauert ein echtes Schwergewicht. Beim gebildeten Autor ist da schon eine kleine Allegorese fällig, die als Jims nahen Verwandten Franz Kafkas Affen erkennt, der seinen "Bericht für eine Akademie" abliefert. Natürlich spricht Jim nicht, er bleibt ganz Menschenaffe: Wo Rotpeter dem Auditorium sarkastisch den Prozess seiner Humanisierung schildert, hangelt sich Jim auf den Balkon vor Frank Opitz' Zimmer hoch, weil er es nicht anders weiß; er wurde ja nicht von "Hagenbeck" gefangen wie einst Rotpeter.
Dafür bringt Jim aber zwei Menschen-Männchen auf Trab um das umworbene Weibchen. Kafkas Sardonik wird unter Langs Feder zum luftigen Schaumgebäck. "Komme ich spätnachts von Banketten, aus wissenschaftlichen Gesellschaften, aus gemütlichem Beisammensein nach Hause, erwartet mich eine kleine halb dressierte Schimpansin, und ich lasse es mir nach Affenart bei ihr wohlgehen", erläutert Rotpeter der Akademie. Fehlanzeige ist das knapp ein Jahrhundert später. Auf ihrem Gartenbett sitzt jetzt die Frau, versunken in Yoga. Und Thomas Lang hat Mitleid mit aller Kreatur, dem Mann zuvörderst.
Wie dieser amüsante Parforce-Ritt in die Gefilde von Großstadtrandbewohnern jenseits der Vermehrungsfähigkeit weitergeht, sei hier nicht verraten. Und den Autor, Jahrgang 1967, trennen noch ein paar erfüllte Jährchen von Klodeckelhand und Schreibhemmungen. Dass Jim, am Ende, mit einem Arm im Baum hängt und mit dem anderen nach Hilfe angelt, beschreibt bloß die allgemeine Lage. Alles bleibt offen - und das noch: "Manufactum" sollte unbedingt ein Gartenbett anbieten. Ungeahntes könnte von dort aus geschehen.
Thomas Lang: "Jim". Eine Erzählung.
C. H. Beck Verlag, München 2012. 173 S., geb., 16,90 [Euro].
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