Joachim "Jogi" Löw ist mehr als ein Fußball-Bundestrainer. Er ist das Gesicht einer spielfreudigen, erfolgreichen und im Ausland vielbestaunten Fußballphilosophie. Er eroberte die Herzen der Fans im Sturm, wurde zum Sympathieträger und zu einem der beliebtesten Deutschen überhaupt. Dabei war sein Weg, den Christoph Bausenwein in diesem Buch nachzeichnet, keineswegs einfach. Als Spieler wie als Vereinstrainer hatte Löw Rückschläge zu verkraften. Seine Beharrlichkeit, sein Perfektionsdrang und seine Zielstrebigkeit bei der Umsetzung moderner Spielsysteme wurden zuweilen unterschätzt - bis er 2006 die Nationalelf übernahm und seine Skeptiker mit berauschendem Traumfußball überzeugte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2011Suche nach dem perfekten Jogi
Erst vor ein paar Monaten ist ein Versuch, Joachim Löw besonders nahe zu kommen, besonders schmerzlich danebengegangen. Wobei es schwer zu sagen war, was beim Lesen mehr weh tat: die Fragen, die Dagmar von Taube für die Stil-Seiten der "Welt am Sonntag" stellte ("Sind Sie immer so cremig wie eine Creme, perlt an Ihnen alles ab?"), oder die Penetranz, mit der die Marke Nivea, für die Löw als Testimonial wirbt, dabei in Szene gesetzt wurde. "Nivea, damit kann ich mich identifizieren, das kenne ich von klein auf. Wir Kinder (. . .) sind praktisch mit der blauen Dose aufgewachsen", sagte er da zum Beispiel. Als die Nähe dann auch noch körperlich wurde und die Reporterin beschrieb, wie sie Löw ins Haar fasst, um dessen Echtheit zu prüfen, blieb einem gar nichts anderes übrig, als sich fremdzuschämen. Und am Ende beschlich einen trotz bestandener Haarprobe das Gefühl, es gar nicht mit dem echten Fußball-Bundestrainer, sondern mit einer Kunstfigur zu tun zu haben.
Auch der Autor Christoph Bausenwein kommt in seinem gerade erschienenen Buch über Löw darauf zu sprechen, wie manchmal die Unterschiede zwischen dem "echten" Löw und dem "Image-Löw" zu verschwimmen scheinen. Dass er einerseits als besonders authentisch gilt, andererseits aber auch als irgendwie ungreifbar, ist bei Löw kein Widerspruch. Es macht es aber schwer, ein klares Bild von ihm zu bekommen. So haben die Deutschen ihn zwar in Meinungsumfragen schon zu ihrem sympathischsten erkoren - womöglich aber ohne ihn überhaupt zu kennen. Insofern ist es gewiss der solidere Weg, dass sich Bausenwein dem nationalen Liebling Löw in allererster Linie über dessen Arbeit nähert, und das auf ziemlich sachliche Art und Weise. Gut, ein paar Etiketten müssen wohl sein, damit so eine Darstellung griffig wird, und so bekommt der Leser es nicht nur mit dem "Viererketten-Versteher von Hennef" zu tun, sondern auch mit dem "Gefühlsschweizer", "Jo-Jo-Raucher" und "Paul McCartney des deutschen Fußballs". Alles in allem aber dreht sich Bausenweins Darstellung wirklich um den Ball und, wie es der Untertitel ankündigt, um Löws "Traum vom perfekten Spiel".
Was biographisch und etwas zäh beginnt, mit Löws badischer Heimat und der eher unauffälligen Spielerkarriere, entfaltet nach und nach seinen Reiz, vor allem, wenn es die Figur Löw einbettet in die größeren Zusammenhänge der Erneuerung des deutschen Fußballs: von den Keimzellen der modernen Trainerschulen in der Schweiz und in Baden-Württemberg über Jürgen Klinsmanns Radikalreformen vor der WM 2006 bis hin zum aktuellen Team und seinen Perspektiven für die EM im kommenden Jahr. Weil es Bausenwein gelingt, fachlich zu werden, ohne dabei zu langweilen, weil er Sachkenntnis beweist, ohne zu dozieren, fügen sich die vielen Beobachtungen tatsächlich zu einer anschaulichen Entwicklungslinie des deutschen Spiels seit dem krachenden Scheitern bei der EM 2004.
Der Chefentwickler Löw erscheint bei Bausenwein als ein Mann mit großer innerer Konsequenz. Der seit jeher von der Idee eines offensiven, attraktiven Spiels beseelt ist, aber lange Zeit (und auch eine gute Portion Glück) brauchte, um dort anzukommen, wo er es verwirklichen kann. Er zeigt Löw als modernen Analytiker, der immer auf Höhe der Wissenschaft ist, zugleich aber auch seinem Bauchgefühl vertraut. Der einen kommunikativen und kooperativen Führungsstil pflegt, aber auch als kühler Machtmensch handeln kann. Nicht zuletzt kommt er immer wieder auf einen Aspekt zurück, der in der Bewertung von Löws Wirken zuletzt vielleicht etwas zu kurz gekommen ist: welch großen Wert er auf charakterlich einwandfreie Spieler und ein respektvolles Miteinander legt. Tatsächlich unterscheidet sich sein nationaler Jahrgang 2011 nicht nur von vielen Klubmannschaften, sondern auch vom EM-Team 2008 dadurch, dass er frei von Eitelkeiten oder Konflikten scheint - was nicht nur sympathisch wirkt, sondern auch der Leistung dient.
Über Bausenweins Buchprojekt hat Löw kürzlich gesagt, dass er es eher aus der Ferne verfolge. So ist dem Band zwar ein kurzes Interview mit seiner Hauptfigur vorangestellt, ansonsten aber bedient sich der Autor vor allem sekundärer Quellen. Als Makel muss man das nicht sehen. Zum einen hat sich Bausenwein das - eigentlich für Trainer reservierte - Prädikat "akribischer Arbeiter" mehr als verdient. Zum anderen erhält er sich so die Freiheit, auch mal auf Distanz zu Löw zu gehen, zum Beispiel, wenn es um dessen Stil in Trennungsangelegenheiten (Kahn, Frings, Ballack) geht. Alles in allem entsteht ein ausgewogenes und, soweit man das sagen kann, realitätsnahes Bild. Eine von Sympathie getragene Würdigung, aber keine naive Heldenverehrung. Dass das Buch bei aller Liebe zum Detail kaum Neues präsentiert, sei vorsichtshalber auch erwähnt: Interna sind hier nicht zu finden.
CHRISTIAN KAMP
Christoph Bausenwein: Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel.
Verlag Die Werkstatt 2011, 368 Seiten, 24,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erst vor ein paar Monaten ist ein Versuch, Joachim Löw besonders nahe zu kommen, besonders schmerzlich danebengegangen. Wobei es schwer zu sagen war, was beim Lesen mehr weh tat: die Fragen, die Dagmar von Taube für die Stil-Seiten der "Welt am Sonntag" stellte ("Sind Sie immer so cremig wie eine Creme, perlt an Ihnen alles ab?"), oder die Penetranz, mit der die Marke Nivea, für die Löw als Testimonial wirbt, dabei in Szene gesetzt wurde. "Nivea, damit kann ich mich identifizieren, das kenne ich von klein auf. Wir Kinder (. . .) sind praktisch mit der blauen Dose aufgewachsen", sagte er da zum Beispiel. Als die Nähe dann auch noch körperlich wurde und die Reporterin beschrieb, wie sie Löw ins Haar fasst, um dessen Echtheit zu prüfen, blieb einem gar nichts anderes übrig, als sich fremdzuschämen. Und am Ende beschlich einen trotz bestandener Haarprobe das Gefühl, es gar nicht mit dem echten Fußball-Bundestrainer, sondern mit einer Kunstfigur zu tun zu haben.
Auch der Autor Christoph Bausenwein kommt in seinem gerade erschienenen Buch über Löw darauf zu sprechen, wie manchmal die Unterschiede zwischen dem "echten" Löw und dem "Image-Löw" zu verschwimmen scheinen. Dass er einerseits als besonders authentisch gilt, andererseits aber auch als irgendwie ungreifbar, ist bei Löw kein Widerspruch. Es macht es aber schwer, ein klares Bild von ihm zu bekommen. So haben die Deutschen ihn zwar in Meinungsumfragen schon zu ihrem sympathischsten erkoren - womöglich aber ohne ihn überhaupt zu kennen. Insofern ist es gewiss der solidere Weg, dass sich Bausenwein dem nationalen Liebling Löw in allererster Linie über dessen Arbeit nähert, und das auf ziemlich sachliche Art und Weise. Gut, ein paar Etiketten müssen wohl sein, damit so eine Darstellung griffig wird, und so bekommt der Leser es nicht nur mit dem "Viererketten-Versteher von Hennef" zu tun, sondern auch mit dem "Gefühlsschweizer", "Jo-Jo-Raucher" und "Paul McCartney des deutschen Fußballs". Alles in allem aber dreht sich Bausenweins Darstellung wirklich um den Ball und, wie es der Untertitel ankündigt, um Löws "Traum vom perfekten Spiel".
Was biographisch und etwas zäh beginnt, mit Löws badischer Heimat und der eher unauffälligen Spielerkarriere, entfaltet nach und nach seinen Reiz, vor allem, wenn es die Figur Löw einbettet in die größeren Zusammenhänge der Erneuerung des deutschen Fußballs: von den Keimzellen der modernen Trainerschulen in der Schweiz und in Baden-Württemberg über Jürgen Klinsmanns Radikalreformen vor der WM 2006 bis hin zum aktuellen Team und seinen Perspektiven für die EM im kommenden Jahr. Weil es Bausenwein gelingt, fachlich zu werden, ohne dabei zu langweilen, weil er Sachkenntnis beweist, ohne zu dozieren, fügen sich die vielen Beobachtungen tatsächlich zu einer anschaulichen Entwicklungslinie des deutschen Spiels seit dem krachenden Scheitern bei der EM 2004.
Der Chefentwickler Löw erscheint bei Bausenwein als ein Mann mit großer innerer Konsequenz. Der seit jeher von der Idee eines offensiven, attraktiven Spiels beseelt ist, aber lange Zeit (und auch eine gute Portion Glück) brauchte, um dort anzukommen, wo er es verwirklichen kann. Er zeigt Löw als modernen Analytiker, der immer auf Höhe der Wissenschaft ist, zugleich aber auch seinem Bauchgefühl vertraut. Der einen kommunikativen und kooperativen Führungsstil pflegt, aber auch als kühler Machtmensch handeln kann. Nicht zuletzt kommt er immer wieder auf einen Aspekt zurück, der in der Bewertung von Löws Wirken zuletzt vielleicht etwas zu kurz gekommen ist: welch großen Wert er auf charakterlich einwandfreie Spieler und ein respektvolles Miteinander legt. Tatsächlich unterscheidet sich sein nationaler Jahrgang 2011 nicht nur von vielen Klubmannschaften, sondern auch vom EM-Team 2008 dadurch, dass er frei von Eitelkeiten oder Konflikten scheint - was nicht nur sympathisch wirkt, sondern auch der Leistung dient.
Über Bausenweins Buchprojekt hat Löw kürzlich gesagt, dass er es eher aus der Ferne verfolge. So ist dem Band zwar ein kurzes Interview mit seiner Hauptfigur vorangestellt, ansonsten aber bedient sich der Autor vor allem sekundärer Quellen. Als Makel muss man das nicht sehen. Zum einen hat sich Bausenwein das - eigentlich für Trainer reservierte - Prädikat "akribischer Arbeiter" mehr als verdient. Zum anderen erhält er sich so die Freiheit, auch mal auf Distanz zu Löw zu gehen, zum Beispiel, wenn es um dessen Stil in Trennungsangelegenheiten (Kahn, Frings, Ballack) geht. Alles in allem entsteht ein ausgewogenes und, soweit man das sagen kann, realitätsnahes Bild. Eine von Sympathie getragene Würdigung, aber keine naive Heldenverehrung. Dass das Buch bei aller Liebe zum Detail kaum Neues präsentiert, sei vorsichtshalber auch erwähnt: Interna sind hier nicht zu finden.
CHRISTIAN KAMP
Christoph Bausenwein: Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel.
Verlag Die Werkstatt 2011, 368 Seiten, 24,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main