Vom Jodelkönig zum Yodeling Kid: Jodeln hat im Alpenraum eine lange Tradition. Doch wie kam das »unartikulierte Singen aus der Gurgel« nach Amerika und in die ganze Welt? Und wie steht es um das Jodeln heute? Eine Spurensuche.Wer nach dem Zweiten Weltkrieg im Alpenraum aufwuchs, bekam das Jodeln noch quasi mit der Muttermilch verabreicht. Doch auch im Regenwald von Kamerun, auf dem Balkan, am Polarkreis, in Georgien und den USA wurde und wird es praktiziert.Das Jodeln entsprang fast überall der gleichen Funktion: Da es lauter tönt als ein normaler Ruf, wurde es ursprünglich zur Kommunikation über größere Entfernungen in unübersichtlichem Gelände benutzt. Jodelmania rekonstruiert anhand intensiver Archivforschungen die vielfältigen Verbreitungswege des Jodelns und veranschaulicht mit reichem Bildmaterial die Geschichte seiner Popularisierung. Der Autor folgt alpenländischen Folkloregruppen auf ihren Gastspielen durch Amerika und beschreibt ihre skurrilen Bühnenshows, die auf das Heimweh der Auswanderer zielten und den Jodel-Boom der 1930er-Jahre begründeten.Seit einigen Jahren erfährt das Jodeln durch junge Bands im Umfeld von Jazz, Avantgarde und Neuer Volksmusik ein erstaunliches Revival. Jodelmania spürt auch diesen Tendenzen nach und porträtiert experimentelle Vokalkünstler wie Erika Stucky oder Christian Zehnder, die das Jodeln als Vehikel zur Vernetzung unterschiedlicher Kulturen einsetzen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2019Holleri du dödel di, diri diri dudel dö
Das Jodeldiplom, das einst Loriot erfand, gibt es nun wirklich: Christoph Wagner folgt dem Weg des alpenländischen Gesangs in die weite Welt.
In der Schweiz sei das Jodeln, meint die Vokalistin Erika Stucky, einerseits ein Klischee, gehöre andererseits aber auch zu Geschichte und Brauchtum des Landes. Heute schäme man sich nicht mehr für alte Traditionen, das Jodeln habe sogar wieder an Popularität gewonnen. Durch einen neuen kreativen Umgang sei es zudem "reichhaltiger und vielfältiger" geworden, es gebe "einen innovativen Umgang mit dem Jodel".
Reichhaltig und vielfältig sind auch die Erkenntnisse, die Christoph Wagner in seinem Buch "Jodelmania" ausbreitet. Um es gleich vorneweg zu sagen: Wagner hat kein Plädoyer für das Jodeln geschrieben, keinen Abgesang auf früher geübtes Brauchtum oder ein kulturkritisches Dossier zu der Frage vorgelegt, ob die "Volksmusik" im Aussterben begriffen sei. Ganz im Gegenteil, er zeigt an vielen Beispielen auf, dass Folklore und Folklorismus, Brauchtum und Ökonomisierung stets zwei Seiten einer Medaille darstellen.
Insofern beteiligt sich der Autor an einer differenzierten und reflektierten Auseinandersetzung mit dem Thema "Volksmusik" - etwa wenn er den alpenländischen Gesang als erstes Genre populärer Musik bezeichnet, das bereits in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in eine urban geprägte Unterhaltungskultur eingebettet war. Umherziehende, "kommerziell" agierende Sängergruppen traten in "Tracht" auf, gaben in den Städten Konzerte, während Verlage die Lieder durch den Druck vermarkteten, nicht selten geschmückt mit einer Abbildung der Interpreten in ihren alpenländischen Bühnenkostümen.
Wagner zeigt, wie dieses Interesse am Jodeln mit der romantischen Zuwendung zur Natur, zum einfachen Volk und seinen Liedern, Märchen und Sagen verknüpft war. Freilich handelte es sich dabei stets um kulturelle Konstrukte - beziehungsweise um Projektionen: Die Städter wollten sich selbstverständlich nicht den Mühen des Landlebens unterziehen, sondern genossen das Ländliche und Älplerische aus der ästhetischen Distanz, als Leser eines Buches, als Besucherin eines Konzerts oder bereits als Touristen. Die Wildheit der Alpen fungierte dabei als Kontrapunkt zur Sekurität und Langeweile des Alltags, das einfache Volkslied als Widerpart gegen die beginnende Modernisierung und Industrialisierung der Welt.
Das alpenländische Lied wurde, so Wagner, bald Mode. Lieder, Klavierstücke, Tänze "à la Tyrolienne" erfreuten diejenigen, die sich diese kleinen Fluchten aus dem Alltag leisten konnten. Verschiedene Interpreten wie etwa die Familie Rainer, die bereits im Oktober 1824 zu ihrer ersten Konzertreise aufbrach, erlangten internationale Berühmtheit. Zugleich ermutigte der Erfolg auch andere Gruppen, sich auf diesem Markt der "volkstümlichen Musik" - um es mit der heute üblichen Genre-Bezeichnung auszudrücken - umzutun. Um "Authentizität" ging es damals genauso wenig wie heute: Gesungen und musiziert wurde das, was dem Publikum gefiel.
Die Alpenmode blieb nicht auf Europa beschränkt, die Jodellieder erreichten England, Skandinavien und Russland. Schließlich verbreitete sich das "Yodeling" in den Vereingten Staaten, wobei Einwanderer aus den Alpenländern für die Verbreitung dieser Musikform eine ebenso wichtige Rolle spielten wie die international reisenden Künstlergruppen. Wagner macht darauf aufmerksam, dass das Jodeln in Amerika - wie schon zuvor in Europa - Teil der städtischen Unterhaltungsbranche war. Allerdings erhielt es in den Vereinigten Staaten eine neue Funktion, weil der Jodel für die Immigranten als Erinnerungsanker und Identitätssignal diente. Die Musik beim ersten "Swiss National Festival" 1872 in New York war ein wehmütiger Gruß aus der alten Heimat. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts intensivierte sich die Medialisierung des Jodelns: Phonographenwalzen und Schellackplatten dokumentieren die damaligen Aneignungen der "Yodle Songs" und ermöglichten die Erschließung neuer Absatzmärkte, eine Entwicklung, die später im Rundfunk und im Fernsehen fortgesetzt wurde.
Eine der Stärken von Wagners Buch liegt in seinem breiten kulturhistorischen Ansatz. In Interviews kommt der volkstümliche "Jodelkönig" Franz Lang genauso zu Wort wie die Hillbilly-Sängerin Carolyn DeZurik; der Autor informiert über Vaudeville-Shows in den Vereinigten Staaten ebenso wie über das Jodeln der Baka in Kamerun. Die Gegenwart wird gestreift, wenn der Autor auf die Aktualität des Jodelns in Rock, Jazz und Avantgarde eingeht. Als Beispiel wird der 1952 in Oberösterreich geborene Hubert von Goisern angeführt, der kommerziell durchaus erfolgreich agierte, aber gleichzeitig "das Jodeln in Kombination mit Rocksounds aus den Klauen von Schunkelzwang und Alpenkitsch-Idyllen befreite".
Das ansprechend gestaltete Buch lebt nicht nur vom Text, sondern ebenso von der Vielzahl der Abbildungen, die das Beschriebene anschaulich machen. Die meisten der Bilder stammen dabei aus den Händen des Autors, der auf eine eigene Sammlung zur populären Musik, das "World-Music Picture Archive", zurückgreifen kann. Bemerkenswert dürfte zudem sein, dass sich das Buch nicht primär der Initiative des Autors verdankt, sondern als Auftragsarbeit einer öffentlichen Einrichtung entstanden ist: Das Kulturreferat der Stadt München steht hinter diesem Projekt, verbunden mit dem "LAUT-yodeln-Festival", das erstmals im Jahr 2016 stattfand und heuer eine Wiederauflage erlebte. Schade nur, dass dem Jodeln als musikalische und sängerische Technik in dem Buch kein Platz eingeräumt wurde. So fehlt in dieser lesenswerten Kulturgeschichte des Jodelns - trotz ihrer enormen Breite - doch ein gewichtiger Teil.
In der Gegenwart, genauer gesagt seit 2018, kann man Jodeln studieren, und zwar in Luzern im Rahmen des Studienbereichs "Volksmusik". Wer Christoph Wagners Buch gelesen hat, wird jedoch alle Versuche, aktuelle akademisch-künstlerische Ausbildungsbemühungen vorschnell unter "Volksmusik" und "Naturjodel" zu vermarkten, kritischer betrachten. Wie hieß es schon bei Loriot in seinem berühmten Sketch, der in einer Besprechung über ein vorzügliches Jodelbuch nicht unerwähnt bleiben sollte: "Das Diplomjodeln ist also nicht zu vergleichen mit dem Normaljodeln ohne Diplom, also ohne Jodelabschluss, Jodeldiplomabschluss." Ob diese Professionalisierung der "Jodelmania" eher als kultureller Schlusspunkt der Geschichte des Jodelns aufzufassen ist oder als Auftakt zu neuen Entwicklungen, wird abzuwarten sein.
MICHAEL FISCHER
Christoph Wagner: "Jodelmania". Von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus.
Kunstmann Verlag, München 2019. 320 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Jodeldiplom, das einst Loriot erfand, gibt es nun wirklich: Christoph Wagner folgt dem Weg des alpenländischen Gesangs in die weite Welt.
In der Schweiz sei das Jodeln, meint die Vokalistin Erika Stucky, einerseits ein Klischee, gehöre andererseits aber auch zu Geschichte und Brauchtum des Landes. Heute schäme man sich nicht mehr für alte Traditionen, das Jodeln habe sogar wieder an Popularität gewonnen. Durch einen neuen kreativen Umgang sei es zudem "reichhaltiger und vielfältiger" geworden, es gebe "einen innovativen Umgang mit dem Jodel".
Reichhaltig und vielfältig sind auch die Erkenntnisse, die Christoph Wagner in seinem Buch "Jodelmania" ausbreitet. Um es gleich vorneweg zu sagen: Wagner hat kein Plädoyer für das Jodeln geschrieben, keinen Abgesang auf früher geübtes Brauchtum oder ein kulturkritisches Dossier zu der Frage vorgelegt, ob die "Volksmusik" im Aussterben begriffen sei. Ganz im Gegenteil, er zeigt an vielen Beispielen auf, dass Folklore und Folklorismus, Brauchtum und Ökonomisierung stets zwei Seiten einer Medaille darstellen.
Insofern beteiligt sich der Autor an einer differenzierten und reflektierten Auseinandersetzung mit dem Thema "Volksmusik" - etwa wenn er den alpenländischen Gesang als erstes Genre populärer Musik bezeichnet, das bereits in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in eine urban geprägte Unterhaltungskultur eingebettet war. Umherziehende, "kommerziell" agierende Sängergruppen traten in "Tracht" auf, gaben in den Städten Konzerte, während Verlage die Lieder durch den Druck vermarkteten, nicht selten geschmückt mit einer Abbildung der Interpreten in ihren alpenländischen Bühnenkostümen.
Wagner zeigt, wie dieses Interesse am Jodeln mit der romantischen Zuwendung zur Natur, zum einfachen Volk und seinen Liedern, Märchen und Sagen verknüpft war. Freilich handelte es sich dabei stets um kulturelle Konstrukte - beziehungsweise um Projektionen: Die Städter wollten sich selbstverständlich nicht den Mühen des Landlebens unterziehen, sondern genossen das Ländliche und Älplerische aus der ästhetischen Distanz, als Leser eines Buches, als Besucherin eines Konzerts oder bereits als Touristen. Die Wildheit der Alpen fungierte dabei als Kontrapunkt zur Sekurität und Langeweile des Alltags, das einfache Volkslied als Widerpart gegen die beginnende Modernisierung und Industrialisierung der Welt.
Das alpenländische Lied wurde, so Wagner, bald Mode. Lieder, Klavierstücke, Tänze "à la Tyrolienne" erfreuten diejenigen, die sich diese kleinen Fluchten aus dem Alltag leisten konnten. Verschiedene Interpreten wie etwa die Familie Rainer, die bereits im Oktober 1824 zu ihrer ersten Konzertreise aufbrach, erlangten internationale Berühmtheit. Zugleich ermutigte der Erfolg auch andere Gruppen, sich auf diesem Markt der "volkstümlichen Musik" - um es mit der heute üblichen Genre-Bezeichnung auszudrücken - umzutun. Um "Authentizität" ging es damals genauso wenig wie heute: Gesungen und musiziert wurde das, was dem Publikum gefiel.
Die Alpenmode blieb nicht auf Europa beschränkt, die Jodellieder erreichten England, Skandinavien und Russland. Schließlich verbreitete sich das "Yodeling" in den Vereingten Staaten, wobei Einwanderer aus den Alpenländern für die Verbreitung dieser Musikform eine ebenso wichtige Rolle spielten wie die international reisenden Künstlergruppen. Wagner macht darauf aufmerksam, dass das Jodeln in Amerika - wie schon zuvor in Europa - Teil der städtischen Unterhaltungsbranche war. Allerdings erhielt es in den Vereinigten Staaten eine neue Funktion, weil der Jodel für die Immigranten als Erinnerungsanker und Identitätssignal diente. Die Musik beim ersten "Swiss National Festival" 1872 in New York war ein wehmütiger Gruß aus der alten Heimat. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts intensivierte sich die Medialisierung des Jodelns: Phonographenwalzen und Schellackplatten dokumentieren die damaligen Aneignungen der "Yodle Songs" und ermöglichten die Erschließung neuer Absatzmärkte, eine Entwicklung, die später im Rundfunk und im Fernsehen fortgesetzt wurde.
Eine der Stärken von Wagners Buch liegt in seinem breiten kulturhistorischen Ansatz. In Interviews kommt der volkstümliche "Jodelkönig" Franz Lang genauso zu Wort wie die Hillbilly-Sängerin Carolyn DeZurik; der Autor informiert über Vaudeville-Shows in den Vereinigten Staaten ebenso wie über das Jodeln der Baka in Kamerun. Die Gegenwart wird gestreift, wenn der Autor auf die Aktualität des Jodelns in Rock, Jazz und Avantgarde eingeht. Als Beispiel wird der 1952 in Oberösterreich geborene Hubert von Goisern angeführt, der kommerziell durchaus erfolgreich agierte, aber gleichzeitig "das Jodeln in Kombination mit Rocksounds aus den Klauen von Schunkelzwang und Alpenkitsch-Idyllen befreite".
Das ansprechend gestaltete Buch lebt nicht nur vom Text, sondern ebenso von der Vielzahl der Abbildungen, die das Beschriebene anschaulich machen. Die meisten der Bilder stammen dabei aus den Händen des Autors, der auf eine eigene Sammlung zur populären Musik, das "World-Music Picture Archive", zurückgreifen kann. Bemerkenswert dürfte zudem sein, dass sich das Buch nicht primär der Initiative des Autors verdankt, sondern als Auftragsarbeit einer öffentlichen Einrichtung entstanden ist: Das Kulturreferat der Stadt München steht hinter diesem Projekt, verbunden mit dem "LAUT-yodeln-Festival", das erstmals im Jahr 2016 stattfand und heuer eine Wiederauflage erlebte. Schade nur, dass dem Jodeln als musikalische und sängerische Technik in dem Buch kein Platz eingeräumt wurde. So fehlt in dieser lesenswerten Kulturgeschichte des Jodelns - trotz ihrer enormen Breite - doch ein gewichtiger Teil.
In der Gegenwart, genauer gesagt seit 2018, kann man Jodeln studieren, und zwar in Luzern im Rahmen des Studienbereichs "Volksmusik". Wer Christoph Wagners Buch gelesen hat, wird jedoch alle Versuche, aktuelle akademisch-künstlerische Ausbildungsbemühungen vorschnell unter "Volksmusik" und "Naturjodel" zu vermarkten, kritischer betrachten. Wie hieß es schon bei Loriot in seinem berühmten Sketch, der in einer Besprechung über ein vorzügliches Jodelbuch nicht unerwähnt bleiben sollte: "Das Diplomjodeln ist also nicht zu vergleichen mit dem Normaljodeln ohne Diplom, also ohne Jodelabschluss, Jodeldiplomabschluss." Ob diese Professionalisierung der "Jodelmania" eher als kultureller Schlusspunkt der Geschichte des Jodelns aufzufassen ist oder als Auftakt zu neuen Entwicklungen, wird abzuwarten sein.
MICHAEL FISCHER
Christoph Wagner: "Jodelmania". Von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus.
Kunstmann Verlag, München 2019. 320 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main