Zum 250. Geburtstag von Johann Friedrich Cotta am 27. April 2014: Die erste umfassende Biographie Cottas, des wichtigsten deutschen Verlegers der deutschen Klassik, und zugleich die Geschichte seines Verlages.Man nannte ihn den »Napoleon des deutschen Buchhandels«. Johann Friedrich Cotta, ein Jurist mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Interesse und Talent, war ein Quereinsteiger: 1787 kaufte er die Tübinger J. G. Cotta`sche Buchhandlung von seinem Vater und machte in wenigen Jahren mit Genie und Tatkraft aus einem provinziellen Universitätsverlag den bedeutendsten Universalverlag seiner Zeit. Herzstück war der »Klassikerverlag« mit den Werken Goethes und Schillers, dazu verlegte er über 60 Zeitungen und Zeitschriften und betrieb einen Kunst- und Landkartenverlag. Mit großzügigen Honoraren und zukunftsweisenden Verträgen war er ein Vorkämpfer der Autorenrechte. Er wirkte für Reformen des Buchhandels und agierte als »Deputierter« des deutschen Buchhandels auf dem Wiener Kongress gegen den »Nachdruck« und für »Pressfreiheit«.Cottas Biographie wird hier zum ersten Mal umfassend aus den Quellen erzählt. Sie zeigt mit großem psychologischen Einfühlungsvermögen den Verleger, Unternehmer und Politiker als exemplarische Gestalt in einer Umbruchszeit, in der so gut wie alle Institutionen und Traditionen ins Wanken kamen und auf allen Gebieten Neuland betreten wurde. Cotta war ein Pionier der öffentlichen Meinung, der deutschen »Nationalliteratur« wie der wissenschaftlichen und industriellen Revolution. Gleichzeitig wird aber auch ein kritischer Blick auf Cottas komplizierten, von Eitelkeit und mancher inneren Unsicherheit geprägten Charakter geworfen.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als glänzenden Beitrag zur Kulturgeschichte der Goethe-Zeit bezeichnet Alexander Košenina Bernhard Fischers quellensattes Unternehmerporträt des Verlegers Johann Friedrich Cotta. Daran, dass Fischer als Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar und ehemaliger Leiter des Cotta-Archivs in Marbach das nötige Wissen mitbringt für so ein Unternehmen, hat Košenina keinen Zweifel. So umfangreich die vorliegende Biografie ist, so überraschend flüssig geschrieben kommt sie laut Rezensent daher und lässt ihn "buchgeschichtlich" Feuer fangen. Über Bleisatz und Handpresse und Feilschen um Bogenhonorare und Vorschüsse zu Goethes Zeiten erfährt Košenina Aufschlussreiches und lernt, wie Büchermachen und Dampfschiffahrt, Hotelgewerbe und Börsengeschäfte und politisches Engagement in der Person Cottas zusammenkamen. Dass der Autor es dabei nicht belässt, sondern funktionsanalytisch die Mechanismen frühmodernen Wirtschaftens freilegt, gefällt dem Rezensenten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2014Die Buchhändler sind alle des Teufels
Bernhard Fischers Monumentalwerk über den Verleger Johann Friedrich Cotta
In seinen Briefen "Über die Buchmacherei" charakterisiert Immanuel Kant die Buchbranche als nicht unbedeutenden Erwerbszweig, der inzwischen zu einer "Industrie" aufgestiegen sei. Hinter der "fabrikenmäßigen" Produktion stecke eine nie da gewesene "Verlagsklugheit", die mehr auf den Markt als den Wert und Gehalt achte. Verkörpert werde sie vom "Director einer Fabrik", der durch gedruckte "Neuigkeit oder auch Skurrilität des Witzes" dem Publikum etwas "zum Angaffen und zum Belachen" vorlege. Kants Begriffe sind zwar markig, weil er damit den satirisch gegen ihn zu Felde ziehenden Großbuchhändler Friedrich Nicolai in Berlin treffen wollte, seine Analyse verliert dadurch aber nichts an Treffsicherheit.
Das mit raffinierter "Verlagsklugheit" organisierte Buch- und Zeitschriftenimperium Nicolais wird tatsächlich erst eine Generation später überboten: Johann Friedrich Cotta, der "Napoleon unter den Buchhändlern", gelangt mit den Autoren der deutschen Klassik zur Marktführung. Bei ihm erscheinen sie alle, in beispielloser Geschlossenheit über Feindeslinien hinweg: Neben den Klassikern Goethe, Herder, Hölderlin, Humboldt, Schiller, Wieland sind es die romantischen Idealisten Hegel, Fichte, Schelling und Schlegel, aber eben auch Unterhaltungstalente wie Jean Paul, Klingemann oder Kotzebue. Alles steht und fällt mit diesem einmalig integrierenden Mann, der 1787 mit dreiundzwanzig Jahren die noch kleine Handlung vom Vater übernimmt und zu einer Blüte führt, die sein Sohn Georg später nicht mehr erhalten kann. Solche schwierigen Generationswechsel erleben wir noch heute in einer mediengeschichtlich ähnlich rapiden Umbruchszeit.
Bernhard Fischer, der Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar, hat diese Persönlichkeit zu ihrem 250. Geburtstag nach allen Regeln der Kunst porträtiert. Niemand anderes hätte das so gekonnt, denn Fischer leitete fünfzehn Jahre das Cotta-Archiv in Marbach, erstellte dort eine opulente dreibändige Bibliographie der Verlagsproduktion und war Herr über 4500 Briefe Cottas sowie sechsmal so viele Gegenbriefe, Geschäftsbücher und Dokumente. All das bildet die Grundlage für diese zwar abschreckend dicke, dann aber überraschend flüssig und geschickt verfasste Biographie. Wer jetzt dank Dominik Grafs Film "Die geliebten Schwestern", der einige wunderbare Szenen in Cottas Tübinger Werkstatt bietet, buchgeschichtliches Feuer gefangen hat und mehr über die verschwundene Kultur von Bleisatz, Handpresse und Bogendruck erfahren möchte, vertiefe sich in dieses verschwenderisch auskunftsfreudige Buch.
Es bedient nicht nur bibliophile Neigungen und Interessen an dem nach 1800 mit der Dampfschnellpresse grundlegend umstrukturierten Buchmarkt, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zu den aktuellen Diskussionen um digitale Bibliotheken, gefährdete Autorenrechte und globale Marktregentschaft. Denn davor liegen die von Kant bezeichneten Probleme "fabrikenmäßiger" Buchmacherei der Ära Cotta, etwa die Seuche unrechtmäßiger Nachdrucke, das Feilschen um Bogenhonorare und Verwertungsrechte, Vorschüsse und Subskriptionen oder das politische Kalkül mit Privilegien und Zensur. Kein Autor beherrschte diese taktischen Spiele besser als Goethe, der mit seiner Ausgabe letzter Hand das einzigartige Spitzenhonorar von 65 000 Talern erzielte und sich die Privilegien in allen deutschen Territorien sicherte. Das hielt ihn aber nicht davon ab, auf die Branche insgesamt zu schimpfen und sich eine "eigene Hölle" für die Buchhändler zu wünschen, die "alle des Teufels" sind.
Fischers Buch geht über eine Literatur- und Buchhandelsgeschichte jedoch entschieden hinaus. Er entwirft das Bild eines modernen Unternehmers, der zugleich in die Landwirtschaft, ins badische Hotelgewerbe, in die Donau-, Rhein- und Bodensee-Dampfschifffahrt, in Papier- und Maschinenfabriken investiert - und leider auch in Börsengeschäfte. Zugleich ist er politisch höchst aktiv, als Unterhändler im nachrevolutionären Paris, als Mitglied im württembergischen Landtag, als Deputierter auf dem Wiener Kongress. Dieses Engagement untermauert der Zeitungsverleger, etwa mit der "Augsburger Allgemeinen Zeitung" als einem bürgerlichen Leitmedium. Kulturzeitschriften wie Schillers "Horen" oder das "Morgenblatt für gebildete Stände" erreichen demgegenüber nur kleine Eliten. Überall wird gerechnet und kalkuliert, der sprichwörtliche schwäbische Geist neigt im Falle Cottas aber auch zur Gemeinnützigkeit, etwa im Kampf gegen die Leibeigenschaft oder für die Armen- und Hungerhilfe.
Was als Verlagsgeschichte beginnt, entfaltet sich im Verlauf dieses Buches zu einem exemplarischen Unternehmerporträt des industriellen Zeitalters. Entscheidend sind dabei die politischen Verflechtungen, die gigantischen Netzwerke, die branchenübergreifende Investitionsbereitschaft. Dem inneren Räderwerk des Kapitalismus, das Emile Zola in seinem Börsenroman "L'argent" plakativ entfaltet, verleiht Fischer eine bis ins Detail ausbuchstabierte Funktionsanalyse. Zolas Hauptfigur Saccard ist ein gerissener Zocker, Cotta hingegen ein diskreter, vorsichtiger Wirtschaftskapitän. Dessen strategische Ziele und kalkulierte Entscheidungen entlockt Bernhard Fischer einem riesigen handschriftlichen Quellenfundus. Nur durch solche Beharrlichkeit sind die geheimen Mechanismen frühmodernen Unternehmertums aufzudecken. Mit dieser faktenreichen voyage intérieur gelingt Fischer ein glänzender Beitrag zur Kulturgeschichte der Goethe-Zeit.
ALEXANDER KOSENINA
Bernhard Fischer: "Johann Friedrich Cotta". Verleger - Entrepreneur - Politiker.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 967 S., Abb., geb., 49,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bernhard Fischers Monumentalwerk über den Verleger Johann Friedrich Cotta
In seinen Briefen "Über die Buchmacherei" charakterisiert Immanuel Kant die Buchbranche als nicht unbedeutenden Erwerbszweig, der inzwischen zu einer "Industrie" aufgestiegen sei. Hinter der "fabrikenmäßigen" Produktion stecke eine nie da gewesene "Verlagsklugheit", die mehr auf den Markt als den Wert und Gehalt achte. Verkörpert werde sie vom "Director einer Fabrik", der durch gedruckte "Neuigkeit oder auch Skurrilität des Witzes" dem Publikum etwas "zum Angaffen und zum Belachen" vorlege. Kants Begriffe sind zwar markig, weil er damit den satirisch gegen ihn zu Felde ziehenden Großbuchhändler Friedrich Nicolai in Berlin treffen wollte, seine Analyse verliert dadurch aber nichts an Treffsicherheit.
Das mit raffinierter "Verlagsklugheit" organisierte Buch- und Zeitschriftenimperium Nicolais wird tatsächlich erst eine Generation später überboten: Johann Friedrich Cotta, der "Napoleon unter den Buchhändlern", gelangt mit den Autoren der deutschen Klassik zur Marktführung. Bei ihm erscheinen sie alle, in beispielloser Geschlossenheit über Feindeslinien hinweg: Neben den Klassikern Goethe, Herder, Hölderlin, Humboldt, Schiller, Wieland sind es die romantischen Idealisten Hegel, Fichte, Schelling und Schlegel, aber eben auch Unterhaltungstalente wie Jean Paul, Klingemann oder Kotzebue. Alles steht und fällt mit diesem einmalig integrierenden Mann, der 1787 mit dreiundzwanzig Jahren die noch kleine Handlung vom Vater übernimmt und zu einer Blüte führt, die sein Sohn Georg später nicht mehr erhalten kann. Solche schwierigen Generationswechsel erleben wir noch heute in einer mediengeschichtlich ähnlich rapiden Umbruchszeit.
Bernhard Fischer, der Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar, hat diese Persönlichkeit zu ihrem 250. Geburtstag nach allen Regeln der Kunst porträtiert. Niemand anderes hätte das so gekonnt, denn Fischer leitete fünfzehn Jahre das Cotta-Archiv in Marbach, erstellte dort eine opulente dreibändige Bibliographie der Verlagsproduktion und war Herr über 4500 Briefe Cottas sowie sechsmal so viele Gegenbriefe, Geschäftsbücher und Dokumente. All das bildet die Grundlage für diese zwar abschreckend dicke, dann aber überraschend flüssig und geschickt verfasste Biographie. Wer jetzt dank Dominik Grafs Film "Die geliebten Schwestern", der einige wunderbare Szenen in Cottas Tübinger Werkstatt bietet, buchgeschichtliches Feuer gefangen hat und mehr über die verschwundene Kultur von Bleisatz, Handpresse und Bogendruck erfahren möchte, vertiefe sich in dieses verschwenderisch auskunftsfreudige Buch.
Es bedient nicht nur bibliophile Neigungen und Interessen an dem nach 1800 mit der Dampfschnellpresse grundlegend umstrukturierten Buchmarkt, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zu den aktuellen Diskussionen um digitale Bibliotheken, gefährdete Autorenrechte und globale Marktregentschaft. Denn davor liegen die von Kant bezeichneten Probleme "fabrikenmäßiger" Buchmacherei der Ära Cotta, etwa die Seuche unrechtmäßiger Nachdrucke, das Feilschen um Bogenhonorare und Verwertungsrechte, Vorschüsse und Subskriptionen oder das politische Kalkül mit Privilegien und Zensur. Kein Autor beherrschte diese taktischen Spiele besser als Goethe, der mit seiner Ausgabe letzter Hand das einzigartige Spitzenhonorar von 65 000 Talern erzielte und sich die Privilegien in allen deutschen Territorien sicherte. Das hielt ihn aber nicht davon ab, auf die Branche insgesamt zu schimpfen und sich eine "eigene Hölle" für die Buchhändler zu wünschen, die "alle des Teufels" sind.
Fischers Buch geht über eine Literatur- und Buchhandelsgeschichte jedoch entschieden hinaus. Er entwirft das Bild eines modernen Unternehmers, der zugleich in die Landwirtschaft, ins badische Hotelgewerbe, in die Donau-, Rhein- und Bodensee-Dampfschifffahrt, in Papier- und Maschinenfabriken investiert - und leider auch in Börsengeschäfte. Zugleich ist er politisch höchst aktiv, als Unterhändler im nachrevolutionären Paris, als Mitglied im württembergischen Landtag, als Deputierter auf dem Wiener Kongress. Dieses Engagement untermauert der Zeitungsverleger, etwa mit der "Augsburger Allgemeinen Zeitung" als einem bürgerlichen Leitmedium. Kulturzeitschriften wie Schillers "Horen" oder das "Morgenblatt für gebildete Stände" erreichen demgegenüber nur kleine Eliten. Überall wird gerechnet und kalkuliert, der sprichwörtliche schwäbische Geist neigt im Falle Cottas aber auch zur Gemeinnützigkeit, etwa im Kampf gegen die Leibeigenschaft oder für die Armen- und Hungerhilfe.
Was als Verlagsgeschichte beginnt, entfaltet sich im Verlauf dieses Buches zu einem exemplarischen Unternehmerporträt des industriellen Zeitalters. Entscheidend sind dabei die politischen Verflechtungen, die gigantischen Netzwerke, die branchenübergreifende Investitionsbereitschaft. Dem inneren Räderwerk des Kapitalismus, das Emile Zola in seinem Börsenroman "L'argent" plakativ entfaltet, verleiht Fischer eine bis ins Detail ausbuchstabierte Funktionsanalyse. Zolas Hauptfigur Saccard ist ein gerissener Zocker, Cotta hingegen ein diskreter, vorsichtiger Wirtschaftskapitän. Dessen strategische Ziele und kalkulierte Entscheidungen entlockt Bernhard Fischer einem riesigen handschriftlichen Quellenfundus. Nur durch solche Beharrlichkeit sind die geheimen Mechanismen frühmodernen Unternehmertums aufzudecken. Mit dieser faktenreichen voyage intérieur gelingt Fischer ein glänzender Beitrag zur Kulturgeschichte der Goethe-Zeit.
ALEXANDER KOSENINA
Bernhard Fischer: "Johann Friedrich Cotta". Verleger - Entrepreneur - Politiker.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 967 S., Abb., geb., 49,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»ein glänzender Beitrag zur Kulturgeschichte der Goethe-Zeit« (Alexander Kosenina, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.11.2014) »ein grundgelehrtes und gut lesbares Buch« (Harro Zimmermann, Die Literarische Welt, 28.04.2014) »bestechend in der Materialfülle und stark auch in der Vermittlung des riesigen Stoffs« (Klaus Bellin, Neues Deutschland, 26.04.2014) »eine herausragende Biografie« (Werner Birkenmaier, Stuttgarter Zeitung, 23.04.2014) »Goethes Verlegerteufel« (Thomas Mayer, Leipziger Volkszeitung, 28.04.2014) »ein Standardwerk aller künftigen Cotta-Forschung« (Iwan-Michelangelo D'Aprile, H-Soz-Kult, 10.02.2016) »ein großartiges Buch« (Rudolf Stöber, Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, 17/2015) »Diese Biographie (...) war seit Jahrzehnten ein Desiderat, nun liegt sie vor und wird ein Standardwerk werden« (Uwe Fliegauf, Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 2016)