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Produktdetails
  • Pictura et Poesis Bd.11
  • Verlag: Böhlau
  • 1999.
  • Seitenzahl: 310
  • Deutsch
  • Abmessung: 265mm
  • Gewicht: 902g
  • ISBN-13: 9783412030988
  • ISBN-10: 3412030988
  • Artikelnr.: 08392566
Autorenporträt
Brigitte Heise ist Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum für Kunst und Kulturgeschichte Lübeck.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.1999

Was nutzt dir das Gebildete der Kunst rings um dich her?
Fixiert auf das Wort: Brigitte Heise erschließt die literarischen Quellen und gedanklichen Hintergründe der Bilder Johann Friedrich Overbecks

1886, siebzehn Jahre nach Overbecks Tod im Alter von achtzig Jahren, publizierte die Engländerin Margarete Howitt über ihn eine zweibändige Monografie auf der Grundlage eines überaus reichen schriftlichen Nachlasses. Das bezeugt die hohe Wertschätzung des seit 1810 in Rom lebenden Künstlers. Nur Peter Cornelius, das andere überragende Haupt der nazarenischen Malerei, und Christian Daniel Rauch sind unter den deutschen Künstlern des neunzehnten Jahrhunderts damals mit vergleichbarer Gründlichkeit erforscht worden. Als jedoch 1861, also noch zu Lebzeiten Overbecks, in Köln die Zweite allgemeine deutsche und historische Kunst-Ausstellung stattfand, war dieser dort nur mit einem Gemälde und zwei Zeichnungen vertreten. Die Zeit begann, über ihn hinwegzugehen. Hier zeichnet sich bereits eine Zwiespältigkeit in der Beurteilung Overbecks ab, die bis heute anhält.

Die Konsequenz seiner Biografie, Verweigerung einer Karriere zugunsten einer geläuterten Existenz im Dienst der Religion, beeindruckt ebenso wie die Vollkommenheit seiner Werke, die in langem, mühevollem Arbeitsprozess entstehen. Die Reinheit seiner Kunst ist jedoch zugleich Sterilität. Eine zielstrebige Entwicklung findet lediglich in den wenigen Jahren der Loslösung vom Einfluss des durch die Aufklärung geprägten, streng protestantischen Elternhauses bis hin zur Konversion im Jahre 1813 statt. Das fernere Leben ist ein Weg auf einem Hochplateau. Overbeck wird zum Römer und lehnt es als Einziger der Nazarener ab, nach Deutschland zurückzukehren. In der Ewigen Stadt gewinnt er seine internationale Geltung, in Deutschland aber konzentriert sich seine Verehrung auf seine Vaterstadt Lübeck. Hier fand denn auch 1989 eine Ausstellung zur Feier seines zweihundertsten Geburtstages statt, und von hier gingen wichtige Impulse zur Erforschung seines Werkes aus. Andere kamen bezeichnenderweise aus England. Keith Andrews veröffentlichte 1964 die erste zusammenfassende Darstellung der nazarenischen Malerei, der große Ausstellungen in Frankfurt 1977 und Rom 1981 folgten. Nach wie vor fehlt jedoch ein Verzeichnis der Werke Overbecks und eine umfassende Biografie.

Das hat auch einen Grund in dem Umstand, dass der in Lübeck bewahrte schriftliche Nachlass des Malers, der seit 1945 als verschollen galt, erst 1989 und 1991 aus der damaligen DDR beziehungsweise aus Russland - allerdings nicht unversehrt - zurückkehrte. Auf dieser Grundlage konnte Brigitte Heise ihr vorzügliches Buch schreiben, das nicht eine Gesamtdarstellung sein will, aber den wichtigsten Zugang zu Leben und Werk eröffnet, den über das philosophisch-theologische Denken und die Literatur. Der andere Zugang, der über die Anschauung, kann leicht in die Irre führen, wenn der gedankliche Antrieb für die künstlerische Tätigkeit nicht gebührend wahrgenommen wird.

Zu Beginn legt die Autorin die Gründe für die allgemeinen Reserven gegenüber Overbeck dar. Ihr geht es nicht um deren Überwindung und um eine Renaissance des Künstlers. "Es kann nicht die Intention der Arbeit sein, Overbecks eigene pädagogische Zielsetzung seiner Kunst, die Erbauung und religiöse Wiederbelebung, aufs Neue zu erwecken", heißt es. Es geht um Verständnis durch Einbettung des Phänomens Overbeck in die geistigen Strömungen seiner Zeit. Das geschieht mit einer angenehmen Verbindung von Objektivität und Sympathie. In seiner wissenschaftlichen Sorgfalt hat das Buch durchaus etwas von der Gewissenhaftigkeit von Overbecks Kunst.

Die Darstellung folgt dem Lebenslauf und deckt so Entfaltung und Beschränkung der Gedankenwelt des Künstlers auf. Der Weg, Overbecks Kunst über die zeitgenössische Literatur zu erschließen und ihre Wechselbeziehung zur Malerei zu erläutern, ist nicht neu, haben doch die Nazarener die romantisch verklärte Poesie als ihre Führerin angesehen, neu ist die Ausführlichkeit, mit der hier aufgrund der Ausschöpfung der Quellen die Einflüsse der Literatur einschließlich mittelalterlicher Autoren auf den Maler dargelegt werden.

Der Vater, Christian Adolf Overbeck, angesehener Jurist und Senator in Lübeck, war außerdem Dichter und Übersetzer. So konnte die Welt der Bücher von früh an den Sohn prägen, und dessen Selbstbildnis von 1809 mit der Bibel in der Hand und dem demütig geneigten Kopf des Lesers, der seitwärts einen trüb-ernsten Blick auf den Betrachter wirft, bleibt typisch bis zuletzt, auch wenn das Accessoir des Buches fehlt. Es sind vor allem vier Arten von Quellen, die Brigitte Heise für ihre Untersuchung auswertet: die eigenen dichterischen Versuche, die Diskussionen über Kunst und Religion in Briefen und anderen Texten, die Lektüre, die sich erstaunlich präzise aus vielen Hinweisen erschließen lässt, und der Niederschlag der Ideen im Werk.

Wackenroders "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" erweisen sich geradezu als Anleitung zur Lebensgestaltung. Die innere Bereitschaft zur Konversion kann schon früh nachgewiesen werden, wenn Overbeck in zwei Briefen auf dem Weg nach Italien im Jahre 1810 versteckt aus Schillers "Maria Stuart" eine Rede Mortimers zitiert, in der dieser Rom und die Welt des Katholizismus preist. Overbecks Gedankenwelt speist sich sonst vor allem aus den Ideen der Brüder Schlegel, Ludwig Tiecks, Novalis' und Schellings. Bei der Betrachtung der Kunst wird die Lektüre Vasaris zum Wegweiser. Wie streng Overbeck wertet, verdeutlicht seine Auseinandersetzung mit Tassos "La Gerusalemme Liberata", als er im Casino Massimo diesen Stoff in Fresken behandeln sollte. Neun Jahre quälte er sich damit, der Geschichte eine Deutung im eigenen Sinn zu geben, um schließlich die Vollendung des Raumes Joseph Führich zu überlassen. "Soviel Talent in den Bildern der Letzten (Veit und Overbeck) zu sehn ist, so schmerzlich ist auch das Gefühl von verkümmerten und eingeketteten Naturen, welches unwillkürlich daraus hervorgeht", urteilt Schinkel 1824 über die Fresken. Overbeck bemühte sich, dem Protestantismus und der Aufklärung zu entfliehen und im Katholizismus seine Seelenruhe zu gewinnen. Trotzdem blieb er in der Fixiertheit auf das Wort und der freiwilligen Beschränkung des Sehens Protestant.

Gleichwohl besitzt der Maler für das genießende Auge einen hohen Reiz, der auch den modernen Betrachter ansprechen kann, wenn er nur der verführerischen Melodik der Linien nachspürt. Das abstrakte Element darin unterscheidet den Maler grundsätzlich von seinen altitalienischen Vorbildern, vor allem von Raffael. So bleibt das Werkverzeichnis und die Gesamtschau des Künstlers ein Wunsch nicht nur der Forscher, den wohl niemand besser zu erfüllen vermag als Brigitte Heise.

HELMUT BÖRSCH-SUPAN

Brigitte Heise: "Johann Friedrich Overbeck". Das künstlerische Werk und seine literarischen und autobiographischen Quellen. Böhlau Verlag, Köln 1999. 310 S., 31 S/W-Abb., geb., 128,- DM.

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