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Aus Anlaß des 200. Geburtstags des bedeutenden Historikers und Geschichtstheoretikers Johann Gustav Droysen (6.7.2008) legt Wilfried Nippel eine bemerkenswerte Biographie vor, deren Fokus auf dem ständigen Rollenwechsel des Protagonisten zwischen Geschichtswissenschaft und Politik liegt. Johann Gustav Droysen (1808 - 1884) zählt zu den bedeutendsten Historikern des 19. Jahrhunderts. Er wurde durch die Geschichte Alexanders des Großen und die Geschichte des Hellenismus berühmt, dann mit seiner Biographie des Feldmarschalls York von Wartenburg und der vielbändigen Geschichte der preußischen…mehr

Produktbeschreibung
Aus Anlaß des 200. Geburtstags des bedeutenden Historikers und Geschichtstheoretikers Johann Gustav Droysen (6.7.2008) legt Wilfried Nippel eine bemerkenswerte Biographie vor, deren Fokus auf dem ständigen Rollenwechsel des Protagonisten zwischen Geschichtswissenschaft und Politik liegt.
Johann Gustav Droysen (1808 - 1884) zählt zu den bedeutendsten Historikern des 19. Jahrhunderts. Er wurde durch die Geschichte Alexanders des Großen und die Geschichte des Hellenismus berühmt, dann mit seiner Biographie des Feldmarschalls York von Wartenburg und der vielbändigen Geschichte der preußischen Politik zum herausragenden Vertreter einer Geschichtsschreibung, mit der die Führungsrolle Preußens legitimiert werden sollte. Sein Nachruhm beruht auf der Historik, die bis heute für jede Theorie der Geschichtswissenschaft grundlegend ist. In den unruhigen Zeiten von 1848/49 hat es Droysen nicht in seiner Gelehrtenstube gehalten. Als Abgeordneter der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche war er hinter den Kulissen aktiv, um eine "kleindeutsche Lösung" unter Führung Preußens durchzusetzen. Auch danach hat er immer wieder versucht, durch politische Publizistik und persönliche Kontakte die preußische Politik zu beeinflussen. Wilfried Nippel beleuchtet in seiner spannend geschriebenen Biographie Droysens Doppelrolle als Gelehrter und Politiker und entwirft ein grundlegend neues Droysen-Bild.

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Autorenporträt
Dr. Wilfried Nippel ist Professor für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2008

So schlau war das Aufsteigertum
Wilfried Nippel erzählt Johann Gustav Droysens Leben zwischen Wissenschaft und Politik
„Wer eine deutsche Universität kennt, der kennt sie alle”, meinte 1832 der französische Philosoph Victor Cousin. Professoren und Studenten verstanden sämtliche deutsche Universitäten – die österreichischen eingeschlossen – als Inbegriff der Einheit ihrer geteilten Nation. „Sie haben den Beruf, die höchsten geistigen Interessen des deutschen Lebens in voller und ungehemmter Wahrhaftigkeit zu vertreten”, bemerkte 1843 der Historiker Johann Gustav Droysen. Zur ungehemmten Wahrhaftigkeit gehörte es, den Geist freier Forschung mit dem Begehren nach allseitiger politischer Befreiung zu verknüpfen. Die angeblich zerstreuten deutschen Professoren politisierten in den Tagen unruhiger Erwartung vor 1848 ununterbrochen. Sie wollten als Zwingherren zur Freiheit die Philister in ihrer Gemütsruhe aufschrecken und zur Deutschheit erziehen, reif für die Nation machen, die sie als Voraussetzung politischer Freiheit betrachteten.
Einer der wirkungsmächtigsten Lehrmeister in diesem Sinne war der Pommer Johann Gustav Droysen, vor zweihundert Jahren, 1808, geboren, in Berlin 1884 gestorben. Mit dessen „Leben zwischen Wissenschaft und Politik” beschäftigt sich der Althistoriker Wilfried Nippel. Er hofft auf Widerspruch und kontroverse Diskussion. Denn er hält Droysen, der die Zeit des „Hellenismus” und die deutsche Geschichte Preußens als Themen zuerst in die Wissenschaft einführte, für einen schwer überschätzten, mehr fleißigen als redlichen oder gar originellen Gelehrten und Politiker.
Droysen ist kein Ruf, der wie Donnerhall deutsche Lande erschüttert. Insofern wird auch kein Raunen und Staunen durch den Geltungsbereich des Grundgesetzes gehen, weil Wilfried Nippel geräuschvoll den Sockel umstürzt, auf dem gar kein Denkmal mehr steht. Droysen schrieb schneller, als seine nüchternen Pommern oder die von ihm als bierbockig verlästerten Bayern redeten. Das Vermächtnis eines Wissenschaftlers sind seine Werke. Sie geben auch am sichersten darüber Auskunft, warum der Applaus, der ihnen gegönnt war, von vorneherein enden wollend war, wie Wilfried Nippel suggeriert. Die dicken Bücher Droysens interessieren ihn hier nicht und auch nicht der Hellenismus und Preußen, Themen, über die nicht gehandelt werden kann, ohne auf ihren wissenschaftlichen Urheber zu kommen.
Freiheitsgeilheit und Club
Droysens Ideen und Vorstellungen, Irrtümer oder Einsichten will Nippel weder bewerten, einordnen oder verstehen. Ein „68er” möchte erzählen, mit welchen Methoden ein „48er” seine Ideen in der sich heranbildenden Kommunikationsgesellschaft durchsetzte, ihnen Gehör verschaffte und seine Karriere als Wissenschaftler und Politikberater dabei nie aus dem Auge verlor. Wilfried Nippel, der einen Lehrstuhl an der Berliner Humboldt-Universität innehat, staunt, dass Droysen souverän die Machenschaften beherrschte, ohne die sich heute keiner, der prominent werden will, auf dem Markt der Möglichkeiten durchsetzen kann.
Nippel tadelt ununterbrochen die Schlauheit eines Aufsteigers, der sich auf Englisch nicht gut auszudrücken vermochte, überhaupt kaum im Ausland war und international unerfahren, dennoch eine nationale Figur wurde, bei Hofe angesehen, im Bankiersmilieu nicht fremdelnd, und vollkommen vertraut mit den journalistischen und akademischen Gepflogenheiten, in Lob- und Preisgemeinschaften lästigen Konkurrenten Steine in den Weg zu rollen, damit sie straucheln.
Droysen war wie alle. Aber im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen – was Nippel nicht unterschlägt – kam dieses polemische Talent dennoch gut mit seinen Feinden aus und verargte es seinen Schülern nicht, wenn sie ganz andere Wege einschlugen. Das spricht für eine Großzügigkeit und Liberalität, die unter den unfehlbaren Ordinarienkeineswegs selbstverständlich waren. Der Sohn eines Pfarrers aus Hinterpommern, der wegen Geldmangels ungemein fleißig sein musste, um aus sich etwas zu machen und nicht etwa sozial abzusteigen, hatte Energie genug, sich durch die widrigen Umstände nicht niederdrücken zu lassen. Der Erfolg ist der Ruhm des kleinen Mannes. Das gilt noch heute, gerade unter Professoren, die unbedingt den Anschluss an Journalisten, Parteien, Stiftungen suchen, um sich ins Gespräch zu bringen und vor allem, um im Gespräch zu bleiben. Wilfried Nippel, der als Professor die akademischen Gralsburgen und deren Rituale und Liebesmahle kennen dürfte, findet Droysens Bemühungen, Einfluss und Macht zu gewinnen, fragwürdig und unappetitlich.
Jeder uralte Aristokrat würde ihm auch heute noch mit greiser Kraft flüsternd zustimmen und bedauern, wie demokratische Zustände mittelmäßige Streber doch sehr verwöhnen. Aber der liberale Droysen, der Aufsteiger, der Karrieresüchtige, Mitglied der revolutionären Nationalversammlung von 1848 in Frankfurt und deren Verfassungsausschusses, fürchtete gerade die Demokratie, die Pöbelherrschaft, das Regiment der Ahnungslosen und der Frechen, der Mittelmäßigen und Ehrgeizigen. Er vermied die großen Reden, die Akzente, die der großen Zahl schmeicheln. Droysen zog die Arbeit im Klub, der Fraktion, wie man heute sagt, dem sensationellen Auftritt vor, er verhandelte lieber in Hinterzimmern statt auf der Tribüne wortreiche „Freiheitsgeilheit” zu bekunden.
Der Historiker Droysen, der liberale Revolutionär, sah in der nationalen Frage keine Verfassungsfrage, sondern eine Machtfrage. Der praktizierende Historiker, der die Geschichte als Wirklichkeitswissenschaft den Philologen und Juristen zu entreißen versuchte, verzweifelte bald an deutschen Revolutionären, die mit akademischer Gründlichkeit geistige Feinmechanik trieben und nicht daran dachten, dass sich ohne Macht nichts machen lässt. Droysen war so verwegen, Robespierre und die Herrschaft des notwendigen Schreckens zu verteidigen. Als Wirklichkeitswissenschaftler hatte er keine Angst vor dem Lebendigen, weil es die Geschichte nur mit ihm zu tun hat. Der doktrinäre Liberalismus und der geistlose Praktizismus direkter Demokratie deprimierten diesen freiheitlichen Nationalisten, der sich nach 1849 auf die Wissenschaft beschränkte oder die kleinen Kreise, in denen ein Gelehrter seine indirekte Macht in Berlin auszuüben vermochte.
Das macht ihn für einen wehrhaften Demokraten aus der verdämmernden BRD ungemein verdächtig. Das Wort Macht verursacht Nippel schon geistigen Schüttelfrost. Freiheit braucht keine Macht. Sie ist eine Macht. Der 48er Droysen, der Revolutionär, verlangte nach Macht, weil sie allein es erlaubt, die Freiheit auf rechtliche Sicherheit zu gründen. Nippel schwärmt altbundesrepublikanisch für den machtfreien Dialog. Droysen hielt es für erforderlich, irgendwann das Gespräch zu beenden und zu einer Entscheidung zu kommen, wie Danton und Robespierre. Die enttäuschten 48er wie Droysen sind deshalb interessanter als die arrivierten 68er, die an Westdeutschland als sittlicher Idee hängen.
Droysen wusste, dass alles Werden zu einem Gewordensein führt, das sich im weiterem Werden wandelt und ändert. Seine Seele war voll „der ewig lebenden Todten”, wie er als junger Mann dichtete. Das machte ihn zum forschend-verstehenden Interpreten des Werdens aus dem Gewordenen. Wilfried Nippel hingegen hängt leider am Schnee vom vergangenen Jahr und treibt sein Spiel mit den Totenmasken der Vergangenheit, uneingedenk der Mahnung Droysens: „Wäre der Zweck unserer Studien, geschichtliche Bücher zu schreiben, so wäre es besser, wir gäben sie auf.” EBERHARD STRAUB
WILFRIED NIPPEL: Johann Gustav Droysen. Ein Leben zwischen Wissenschaft und Politik. Verlag C. H. Beck, München 2008. 445 Seiten, 24,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008

Er musste sich auf das niedrige Niveau seiner Leser begeben
So wankelmütig ist kein Freund des Volkes: Wilfried Nippel kommt Johann Gustav Droysen auf die Schliche / Von Patrick Bahners

Das Scherzwort, dass sie keine Revolution machen könnten, ohne eine Bahnsteigkarte zu lösen, wird an den Deutschen kleben bleiben. Zum Trost sollten sie sich das Ruhmesblatt anheften, dass einer der eifrigsten Vordenker der deutschen Einheit schon 1853 die revolutionären Möglichkeiten des Bahnhofsbuchhandels erkannt hat, auf die heute die Nebengeschäftemacher in den Zeitungsverlagen spekulieren. Als Gustav Freytag im Auftrag Herzog Ernsts II. von Sachsen-Coburg und Gotha die Gründung einer nationalpolitischen Zeitschrift vorbereitete, richtete er an den Historiker Johann Gustav Droysen, Professor in Jena, die Einladung zur Mitarbeit. Droysen wollte nicht in die Redaktion eintreten, regte aber an, der Zeitschrift solle eine Buchreihe zur Seite gestellt werden mit Darstellungen zur preußischen Geschichte. Die Bände dieser borussischen Bücherei sollten an den "Eisenbahnstationen für die Passagiere zweiter Klasse" verkauft werden.

Hoffnungslos wäre es gewesen, auch den Reisenden der dritten und vierten Klasse die Zeit des Wartens auf die 1849 aufgeschobene Reichsgründung zu vertreiben; diese historische Aufklärungsliteratur war nicht "für das Volk" bestimmt. An den Coburger Regierungspräsidenten Karl Philipp Francke, der wie er als schleswig-holsteinischer Vertreter in der Frankfurter Nationalversammlung gesessen hatte, schrieb Droysen im gleichen Zusammenhang, das Volk sei "überhaupt wenig oder nichts" und "jedenfalls keine Adresse, an die man einen Brief oder ein Buch richten kann". In dieser medientheoretischen These steckt eine antimonarchische Pointe. Der König richtete seine Proklamationen an sein Volk. Dass die Kräfte des alten Regimes über die Köpfe der Gebildeten hinweg direkt ans ganze Volk appellieren könnten, um alle bürgerlichen Distinktionsgewinne zu konfiszieren, war eine Schreckensvorstellung der liberalen Honoratioren. Musste man den Fürsten und erst recht einem neuen Fürsten vom Schlage Napoleons III. zuvorkommen und am Ende doch ein Buch ans Volk adressieren?

Das mochte so sein, aber Droysen sah sich nicht als den Mann, es zu schreiben. Nicht aus Faulheit. Vierzehn Bände umfasst das Fragment seiner Geschichte der preußischen Politik, die mit ihren Beweisen dafür, dass die Hohenzollern schon seit ihrer Belehnung mit der Mark Brandenburg die deutsche Einigung im Sinn gehabt hätten, ihre Leser unter den, wie man heute sagt, Multiplikatoren und Entscheidern suchte. 1865 schlug Droysen seinem Verlag seinen späteren Berliner Kollegen Heinrich von Treitschke als Autor für eine "deutsche Geschichte der letzten drei oder vier Jahrzehnte" vor. Dem jüngeren Kampfgenossen, der ein solches Werk tatsächlich niederschreiben sollte, hielt Droysen den Ernst der patriotischen Aufgabe vor Augen: "Einem Volk das Bild seiner selbst geben, ist der Beruf und die Pflicht des Historikers, und zumal einem so irregeleiteten, gedankenlos faselnden und toastenden Volk, wie unser deutsches ist."

Dass die Avantgardisten einer Nationalbewegung sich zu verächtlichen Bemerkungen über die träge Volksmasse hinreißen lassen, die partout nicht mitkommt, ist kein deutsches Sonderphänomen. Aber Kulturprotestantismus und Vulgäridealismus brachten ein einmaliges Gemisch von Bußrhetorik und Wunschdenken hervor. Auf die pädagogische Sendung von Gelehrten, die als Pfadfinderführer beim Fähnlein Faselkopf ihre Erfüllung fanden, wirkten alle empirischen Befunde vom Nationalbildungsrückstand in den deutschen Staaten nur als dialektische Stimulantien. Hauptsache, die Zugbegleiter wussten, wohin die Reise ging. Zur Zielgruppenstrategie von Droysens nationalem Buchclub bemerkt Wilfried Nippel mit dem trockenen Humor, den er dem "sittlichen Ernst" der älteren Droysen-Literatur entgegensetzt: "Bleibt die Frage, die nur ein Eisenbahnhistoriker beantworten könnte, was man über die Lesegewohnheiten, die historische Bildung und die politische Orientierung der Fahrgäste der ersten Klasse in dieser Zeit feststellen kann."

Dass die vornehmen Reisenden sich nicht am Bahnhofskiosk anstellen sollten, hatte wohl einen simplen Grund: Leser erster Klasse wurden von Droysen am Platz bedient. Nippel kann zeigen, dass der wirkungswillige Gelehrte die persönliche Vorsprache bei hochgestellten Persönlichkeiten und das Einreichen von Denkschriften für den Königsweg der Einflussnahme hielt. Als Mitglied des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung betrieb Droysen Privatdiplomatie. Er müsse seinen Urlaub vom Parlament verlängern, meldete er am 3. November 1848 von Berlin nach Frankfurt; "die Dinge sind hier zu wichtig, und ich bin in zu bedeutende Verbindungen gekommen, als dass ich mich hier nicht für nützlich erachten sollte".

Treitschkes Losung von den Männern, die Geschichte machen, besaß für die Geschichtsschreiber des deutschen Historismus eigentlich nur im Sinne eines moralischen, beinahe kontrafaktischen Postulats Verbindlichkeit: Der wirkungsvolle Gebrauch der Freiheit des individuellen Akteurs, die die Historiker im Einklang mit dem liberalen Geist des Säkulums zu retten unternahmen, hatte die Übereinstimmung mit den Tendenzen der Zeit, ja die Anpassung an den Zeitgeist zur Bedingung. Droysen hat diesen Gedanken in seiner an Hegel anschließenden Theorie der sittlichen Mächte explizit gemacht, die er in seinen Vorlesungen zur Historik, zur Grundlegung der historischen Methode, vortrug. Die von Nippel dargestellte Kommunikationsstrategie dieses politischen Wissenschaftlers wirft auf den Zusammenhang ein neues Licht. Wenn Droysen im Kreis seiner Gesinnungsgenossen angebliche Privatmitteilungen aus unmittelbarster Nähe von Prinzen und Prinzessinnen in Umlauf brachte, dann folgte dieses Sozialverhalten einem alteuropäischen Muster. Es war eigentlich das Versprechen der modernen liberalen Geschichtsschreibung, dem Prinzip der Publizität auch in der historischen Methode Geltung zu verschaffen: Wie Parlamente und Gerichte öffentlich verhandeln, so sollte die alte höfische Geheimgeschichte durch eine öffentliche Historie ersetzt werden, die die Fürsten bei ihrem vor aller Welt gegebenen Wort nehmen wollte. Folgt man Droysen mit Nippel in die Vorzimmer der Kabinette, so schrumpft Droysens Verachtung für Ranke, in dem die Liberalen einen Einflüsterer Friedrich Wilhelms IV. vermuteten, auf gewöhnlichen Kollegenneid.

Die Invektiven gegen den dreizehn Jahre älteren Fachgenossen, der besaß, was Droysen jahrzehntelang erstrebte, den Lehrstuhl in Berlin, setzt Nippel als Leitmotiv ein, was man als fachgeschichtspolitische Korrektur einer herrschenden Wertung verstehen darf. Mit Ranke verbindet man immer noch die Legende vom naiven Objektivismus, während der Verfasser der Historik als einziger Klassiker des Historismus unbeschädigt durch die "kritische" Revolution der siebziger Jahre gekommen ist. Droysen warf der Rankeschule vor, in ihrer Konzentration auf die Quellenkritik erreiche sie die historische Frage gar nicht, die an den Gegenstand gestellt werden müsse und ihm nicht entnommen werden könne. Die Wucht von Nippels polemischer Auseinandersetzung rechtfertigt sich aus einer glänzenden Demonstration der Leistungskraft der Quellenkritik.

Das Buch ist eine Gelegenheitsarbeit. Kurzfristig erging an den Autor die Einladung des Verlages, zu Droysens zweihundertstem Geburtstag am 6. Juli 2008 etwas zu schreiben. Wenn der Säkularkalender, Relikt jenes kulturprotestantischen Mnemozirkus, dessen Geschichte Nippels Berliner Institutskollege Wolfgang Hardtwig geschrieben hat, solche Meisterleistungen hervorbringt, möchte man fast wieder an die Dialektik von Buchstabe beziehungsweise Ziffer und Geist glauben. Nippel hat sich nicht damit begnügt, Droysens Werke noch einmal aufzuschlagen, deren klassischer Rang ihm ohnehin zweifelhaft ist.

Er ist in die Masse der zeitgenössischen Rezensionen und der gedruckten Parallelüberlieferung zu den publizistischen und diplomatischen Aktionen hinabgestiegen, die Droysen als Historiker in eigener Sache dokumentiert hat. Nippel zeigt, dass noch die jüngste Forschung von dem Nationalheldenbild abhängt, das Droysens Sohn und Enkel als Biograph und Herausgeber fabriziert haben, unterstützt von Otto Hintze und Friedrich Meinecke, deren Urteile die Aura ursprünglicher Mitteilungen umfing, weil sie noch bei Droysen im Hörsaal gesessen hätten. Die Überprüfung prägnanter Episoden dieses Lebens, das im Unterschied zur Geschichte des Kurfürstentums Brandenburg tatsächlich schon früh im Dienste des preußisch-deutschen Berufs stand, ergibt, dass sich häufig keine andere Autorität auffinden lässt als Droysens eigene Angaben.

Nippels provozierend harmlos betiteltes Buch besticht auch dadurch, dass der Autor bei aller Schärfe des Urteils jedes Pathos vermeidet und es dem Leser überlässt, Lehren zu ziehen. Man erhält gute Gründe, wieder von der Tragödie des deutschen Liberalismus zu sprechen. Die politische Seite von Droysens strategischer Einstellung zur Wahrheit war ein Missverhältnis zur Öffentlichkeit. Einer der wichtigsten Befunde Nippels ist die präzise Bestimmung des Unterschiedes zwischen Droysens Aktionsmodus in der Nationalversammlung und dem Verhaltensstil seiner Gelehrtenpolitikerkollegen. Dass der Professor im Plenum keine Rede hielt, sondern als Protokollführer im Ausschuss seine Agenda verfolgte, macht ihn nicht zum singulären Fall. Aber er sah auch davon ab, vor seinen Wählern Rechenschaft abzulegen. Seine Kollegen ließen Tätigkeitsberichte in den Zeitungen erscheinen - und begaben sich damit in schlechte Gesellschaft. "Nicht jeder Schreibfertige, nicht einmal jeder Wohlgesinnte ist für die Presse geeignet", führte Droysen 1860, nachdem er endlich den Ruf nach Berlin bekommen hatte, in einer "Denkschrift die historischen Studien betreffend" aus.

"Man müsste sich eine förmliche Vorbildung für die Presse erdenken, man müsste eine Schule schaffen, deren Übung - der staatsmännischen parallel - wesentlich historischer Natur sein würde." Dem publizistischen Ehrgeiz zum Trotz, den manche Inhaber historischer Lehrkanzeln der Berliner Universitäten heute wieder entfalten, wird es zur Gründung einer Hertie-Schule des historischen Feuilletons nicht kommen. Wir unseres Orts dürfen Nippel unzertifiziert und uneingeschränkt loben.

Wilfried Nippel: "Johann Gustav Droysen". Ein Leben zwischen Wissenschaft und Politik. Verlag C. H. Beck, München 2008. 446 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Caroline Schnyder vermisst in dieser Biografie Johann Gustav Droysens, die Wilfried Nippel zum 200. Geburtstag des Historikers und Politikers vorgelegt hat, die Empathie, und sie kann sich des Eindrucks eines untergründigen Grolls aufseiten des Biografen nicht erwehren. Nippel stellt die Bemühungen Droysens um eine Professur in Berlin und seine politische Tätigkeit als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung durchaus erhellend und auf Basis eines gründlichen Quellenstudiums dar, so Schnyder anerkennend. Trotz der von Nippel deutlich gemachten Wertschätzung von Droysens frühen Arbeiten als Historiker nimmt die Rezensentin aber eine Abneigung wahr, die sich wohl auf Droysens Verquickung von Politik und Geschichte bezieht und die den Autor offensichtlich auch in einem gewollten Unverständnis gegenüber seinem Protagonisten festhält. Trotzdem fand Schnyder diese Biografie interessant und besonders aufschlussreich erscheint ihr Nippels Darstellung der Entwicklung der von Droysen mitbegründeten "Historik", die er darin en passant schildert.

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