In den Jahren 1781 bis 1785 hat Heinrich Voß "Tausend und eine Nacht" aus dem Französischen übersetzt. Er hat dieses Übersetzung später kaum mehr erwähnt, und die Forschung hat sie ignoriert: Voß blieb im kulturellen Gedächtnis der Deutschen der Übersetzer Homers.
Hier wird zum ersten Mal dieses einzige Werke erzählender Prosa, das Voß jemals veröffentlicht hat, analysiert. Der Verfasser versucht dabei, es in die Literaturgeschichte des späten 18. Jahrhunderts einzuordnen und zugleich neue Einsichten in die Orientrezeption jener Zeit zu eröffnen.
Hier wird zum ersten Mal dieses einzige Werke erzählender Prosa, das Voß jemals veröffentlicht hat, analysiert. Der Verfasser versucht dabei, es in die Literaturgeschichte des späten 18. Jahrhunderts einzuordnen und zugleich neue Einsichten in die Orientrezeption jener Zeit zu eröffnen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2003Tausend und keine Nacht
Märchenhafter Vermittler: Johann Heinrich Voß ist zu entdecken
Johann Heinrich Voß wäre heute vermutlich ganz vergessen, wenn ihn nicht Goethe immer wieder als den vorbildlichen Übersetzer Homers und großen Sprachmeister gepriesen hätte, der die älteren Werke dergestalt darbot, "daß fremde Nationen künftig die deutsche Sprache, als Vermittlerin zwischen der alten und neuen Zeit, höchlich zu schätzen verbunden sind". Die Romantiker aber verspotteten ihn als "Schulmeister Klopfstock", als pedantischen Rationalisten. Daß dieser sich nach seiner Übersetzung der Odyssee von 1781 bis 1785 mit den "kühnsten und trefflichsten Erdichtungen einer morgenländischen Nation, deren feurige Einbildungskraft berühmt ist", nämlich mit einer sechsbändigen Version von "Tausend und eine Nacht" gemüht hatte, wurde von den Zeitgenossen kaum gewürdigt. Nur Christoph Martin Wieland lobte die Übersetzung als "Meisterwerk" von "einem unsrer besten Dichter und gründlichsten Literatoren".
Dabei hätte Voß mit großem Zuspruch rechnen dürfen, denn seine Vorlage, das zwischen 1704 und 1717 erschienene zwölfbändige Werk des Orientalisten Antoine Galland war in Frankreich ein Erfolg sondergleichen gewesen, der freilich seinen Hintergrund in der bereits im späten siebzehnten Jahrhundert von Charles Perrault ausgelösten Mode des Feenmärchens wie der von den Aufklärern gern benutzten Form des "conte oriental" hatte. Auch in Deutschland schien Bedarf an Märchen zu bestehen. So gab Friedrich Emanuel Bierling zwischen 1761 und 1765 in seinem "Cabinet der Feen" neun Bände Übersetzungen französischer Märchen heraus, ohne Sorge haben zu müssen, daß ihm auch "nur ein Exemplar davon zur Makulatur werde". Das wurde verlegerisch zum Vorbild der großen Märchensammlungen der achtziger Jahre, Musäus' "Volksmärchen der Deutschen", Wielands "Dschinnistan" und Friedrich Justin Bertuchs "Die blaue Bibliothek".
Die ausgebliebene Rezeption des Voßschen Werks hat sich auch in der Literaturwissenschaft fortgesetzt. Erst Ernst-Peter Wieckenberg hat es zur Hand genommen, mit der Vorlage verglichen und die "Wirkungsgeschichte, die keine ist" gründlich erforscht. Nach Wieckenberg hätten Voß' Fähigkeiten bei der Übersetzung der Prosatexte wie der eingestreuten Gedichte mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt, aber der Philologe überschätzt seinen Gegenstand nicht und ist sich auch der Diskrepanz zwischen Aufwand und Ergebnis bewußt. Aber gerade in diesem Überschuß an Bemühung um einen vergessenen Text erscheint seine Arbeit als Glanzstückchen philologischer Findelust und literarischen Urteilsvermögens, das die ganze Buntheit des angeblich trockenen achtzehnten Jahrhunderts anschaulich macht. Das Vergnügen, das Wieckenberg bei der Beschäftigung mit beiden Werken hatte, teilt sich dem Leser jedenfalls mit.
Das Vergessen des Textes erklärt Wieckenberg vor allem aus der Dominanz des Griechenkults, den Johann Joachim Winckelmann 1755 mit seiner Aufforderung zu einer erneuerten Nachahmung der griechischen Werke ausgelöst hatte. Die vorklassizistische Literatur sei bei der Beschäftigung mit dem Orientalischen unbefangener und offener gewesen, danach habe sich eine Wertordnung durchgesetzt, in der Homer und die Kunst der Griechen Ursprung und Ideal des schöpferischen Menschen repräsentierten, dem gegenüber "Tausend und eine Nacht" auch in den Augen des Übersetzers selbst "allenfalls noch einen niederen Rang" einnehmen konnte.
Wieckenberg widerspricht hier der in der Forschung gängigen These, es sei im späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert in Deutschland zu einer innigen und dauerhaft nachwirkenden Begegnung von Orient und Okzident gekommen, die eine "besondere Verbundenheit" gerade mit "Tausend und eine Nacht" hergestellt hätte, was sich in den orientalistischen Studien von Herder über die Romantiker und Goethes "Diwan" bis hin zu Hofmannsthals hoher Wertschätzung zeige. Wieckenberg sieht dagegen eine neuhumanistische Voreingenommenheit, die dazu geführt habe, daß die in England und Frankreich verbreitete Ansicht der Gleichrangigkeit der orientalischen und der homerischen Erzählkunst sich in Deutschland nie habe durchsetzen können. Nur vorsichtig deutet Wieckenberg an, daß solche Vorurteile nicht ohne Wirkungen in der Gegenwart geblieben sind. Nur im konjunktivischen "Gedankenspiel" auch will er seine Erinnerung an Johann Heinrich Voß als einen Aufruf zur Verständigung mit der arabischen Welt verstehen.
FRIEDMAR APEL
Ernst-Peter Wieckenberg: "Johann Heinrich Voß und ,Tausend und eine Nacht'". Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2002. 186 S., br., 25,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Märchenhafter Vermittler: Johann Heinrich Voß ist zu entdecken
Johann Heinrich Voß wäre heute vermutlich ganz vergessen, wenn ihn nicht Goethe immer wieder als den vorbildlichen Übersetzer Homers und großen Sprachmeister gepriesen hätte, der die älteren Werke dergestalt darbot, "daß fremde Nationen künftig die deutsche Sprache, als Vermittlerin zwischen der alten und neuen Zeit, höchlich zu schätzen verbunden sind". Die Romantiker aber verspotteten ihn als "Schulmeister Klopfstock", als pedantischen Rationalisten. Daß dieser sich nach seiner Übersetzung der Odyssee von 1781 bis 1785 mit den "kühnsten und trefflichsten Erdichtungen einer morgenländischen Nation, deren feurige Einbildungskraft berühmt ist", nämlich mit einer sechsbändigen Version von "Tausend und eine Nacht" gemüht hatte, wurde von den Zeitgenossen kaum gewürdigt. Nur Christoph Martin Wieland lobte die Übersetzung als "Meisterwerk" von "einem unsrer besten Dichter und gründlichsten Literatoren".
Dabei hätte Voß mit großem Zuspruch rechnen dürfen, denn seine Vorlage, das zwischen 1704 und 1717 erschienene zwölfbändige Werk des Orientalisten Antoine Galland war in Frankreich ein Erfolg sondergleichen gewesen, der freilich seinen Hintergrund in der bereits im späten siebzehnten Jahrhundert von Charles Perrault ausgelösten Mode des Feenmärchens wie der von den Aufklärern gern benutzten Form des "conte oriental" hatte. Auch in Deutschland schien Bedarf an Märchen zu bestehen. So gab Friedrich Emanuel Bierling zwischen 1761 und 1765 in seinem "Cabinet der Feen" neun Bände Übersetzungen französischer Märchen heraus, ohne Sorge haben zu müssen, daß ihm auch "nur ein Exemplar davon zur Makulatur werde". Das wurde verlegerisch zum Vorbild der großen Märchensammlungen der achtziger Jahre, Musäus' "Volksmärchen der Deutschen", Wielands "Dschinnistan" und Friedrich Justin Bertuchs "Die blaue Bibliothek".
Die ausgebliebene Rezeption des Voßschen Werks hat sich auch in der Literaturwissenschaft fortgesetzt. Erst Ernst-Peter Wieckenberg hat es zur Hand genommen, mit der Vorlage verglichen und die "Wirkungsgeschichte, die keine ist" gründlich erforscht. Nach Wieckenberg hätten Voß' Fähigkeiten bei der Übersetzung der Prosatexte wie der eingestreuten Gedichte mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt, aber der Philologe überschätzt seinen Gegenstand nicht und ist sich auch der Diskrepanz zwischen Aufwand und Ergebnis bewußt. Aber gerade in diesem Überschuß an Bemühung um einen vergessenen Text erscheint seine Arbeit als Glanzstückchen philologischer Findelust und literarischen Urteilsvermögens, das die ganze Buntheit des angeblich trockenen achtzehnten Jahrhunderts anschaulich macht. Das Vergnügen, das Wieckenberg bei der Beschäftigung mit beiden Werken hatte, teilt sich dem Leser jedenfalls mit.
Das Vergessen des Textes erklärt Wieckenberg vor allem aus der Dominanz des Griechenkults, den Johann Joachim Winckelmann 1755 mit seiner Aufforderung zu einer erneuerten Nachahmung der griechischen Werke ausgelöst hatte. Die vorklassizistische Literatur sei bei der Beschäftigung mit dem Orientalischen unbefangener und offener gewesen, danach habe sich eine Wertordnung durchgesetzt, in der Homer und die Kunst der Griechen Ursprung und Ideal des schöpferischen Menschen repräsentierten, dem gegenüber "Tausend und eine Nacht" auch in den Augen des Übersetzers selbst "allenfalls noch einen niederen Rang" einnehmen konnte.
Wieckenberg widerspricht hier der in der Forschung gängigen These, es sei im späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert in Deutschland zu einer innigen und dauerhaft nachwirkenden Begegnung von Orient und Okzident gekommen, die eine "besondere Verbundenheit" gerade mit "Tausend und eine Nacht" hergestellt hätte, was sich in den orientalistischen Studien von Herder über die Romantiker und Goethes "Diwan" bis hin zu Hofmannsthals hoher Wertschätzung zeige. Wieckenberg sieht dagegen eine neuhumanistische Voreingenommenheit, die dazu geführt habe, daß die in England und Frankreich verbreitete Ansicht der Gleichrangigkeit der orientalischen und der homerischen Erzählkunst sich in Deutschland nie habe durchsetzen können. Nur vorsichtig deutet Wieckenberg an, daß solche Vorurteile nicht ohne Wirkungen in der Gegenwart geblieben sind. Nur im konjunktivischen "Gedankenspiel" auch will er seine Erinnerung an Johann Heinrich Voß als einen Aufruf zur Verständigung mit der arabischen Welt verstehen.
FRIEDMAR APEL
Ernst-Peter Wieckenberg: "Johann Heinrich Voß und ,Tausend und eine Nacht'". Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2002. 186 S., br., 25,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ernst-Peter Wieckenbergs Untersuchung über Johann Heinrich Voß als Übersetzer der Märchen aus 1001 hat Rezensent Friedrich Niewöhner vollauf überzeugt. Als "aufregende Lektüre" preist er Wieckenbergs Untersuchung, die von ihren spannenden Entdeckungen und ausgebreiteten Details lebe. Wie Niewöhner ausführt, geht Wieckenberg der Frage nach, warum Johann Heinrich Voß' Übersetzung von Antoine Gallands französischer Version von "Tausend und eine Nacht" bis heute in Vergessenheit geraten ist. Dem Autor gelingt es nach Ansicht des Rezensenten plausibel zu zeigen, dass dies mit dem Erstarken des Neuhumanismus von Johann Joachim Winckelmann und dessen Begeisterung für das antike Griechenland zu tun hatte. "Wer etwas auf sich hielt", erklärt Niewöhner, "wandte sich der klassischen Antike und dem Neuhumanismus zu, das Morgenländische und Orientalische vergaß man lieber." Dabei sei es für Wieckenberg gerade die "vorwinckelmannsche Philologie" gewesen, die eine unbefangene Beschäftigung mit dem Orient ermöglichte. Wieckenbergs Untersuchung schildert für Niewöhner die "Wiederentdeckung einer verschütteten Tradition oder auch, um mit Lessing zu reden, eine 'Rettung' des Johann Heinrich Voß und des für den Islam begeisterten achtzehnten Jahrhunderts."
© Perlentaucher Medien GmbH
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