Alfred Dürr, der wohl berühmteste Bach-Forscher der letzten Jahrzehnte, legt hier die Summe seiner Arbeiten über eines der zentralen Werke der Musikgeschichte vor. In allgemeinverständlicher Form und Sprache führt er in das"Universum"des Wohltemperierten Klaviers ein. In der Einleitung schildert er, wie die beiden Bände des Wohltemperierten Klaviers entstanden sind, welche Präludien- und Fugentypen in ihnen versammelt sind, was es mit der"wohltemperierten"Stimmung auf sich hat und welche aufführungspraktischen Grundsätze heutzutage zu berücksichtigen sind. Im Hauptteil des Buches, der wie ein Nachschlagewerk gegliedert ist, wird jedes der insgesamt 96 Stücke eingehend besprochen. Die Entstehung in zumeist verschiedenen Fassungen wird auch dem philologisch unerfahrenen Laien behutsam nähergebracht.
Aufführungspraktische Fragen werden angesprochen, Stile, Typen und Vorbilder beschrieben und Kompositionstechniken erläutert. Zu jeder Fuge liefert Dürr eine übersichtliche Graphik, die das Nachvollziehen des Formverlaufes erleichtert.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Aufführungspraktische Fragen werden angesprochen, Stile, Typen und Vorbilder beschrieben und Kompositionstechniken erläutert. Zu jeder Fuge liefert Dürr eine übersichtliche Graphik, die das Nachvollziehen des Formverlaufes erleichtert.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.1999Im guten Glauben
Zum Klavierspiel lieferte Bach die Statuten: Alfred Dürrs Studie zur Wirkung des "Wohltemperierten Klaviers"
"Das Wohltemperierte Klavier sei dein täglich Brot", empfiehlt Robert Schumann in seinen "Musikalischen Haus- und Lebensregeln". Generationen von Tasteninstrumentalisten und Komponisten haben sich seit ziemlich genau zweihundert Jahren, seit die beiden Sammlungen von Präludien und Fugen im Zug der Wiederentdeckung "alter Meister" in mehreren Verlagen gleichzeitig erschienen, an diesen Rat gehalten. So konnte das Doppel-Kompendium, das Bach "zum Nutzen und Gebrauch der Lehr-Begierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem Studio schon habil seyenden, Besonderem Zeitvertreib aufgesetzet und verfertiget" hatte, für viele Musiker zum Alten Testament werden, bevor Beethovens Sonaten zum Neuen Testament wurde: "An beide müssen wir glauben" (Hans von Bülow).
In einer knappen Wirkungsgeschichte am Ende seines Lehr- und Handbuchs über das "WK" faßt Alfred Dürr, Nestor der Bach-Forschung, das Nachleben der Bachschen Sammlungen bis heute zusammen: Fast keiner der großen Komponisten blieb davon unberührt. Das Gegenstück dazu ist die Vorgeschichte des Wohltemperierten Klaviers, das sorgfältige Ausziehen der Traditionslinien, die zu Bach führen. Denn Bach war keineswegs der einzige oder erste, der die temperierte Stimmung kompositorisch nutzbar machte, aber der erste, der das Neuland derart systematisch in einem Kunstwerk betrat.
Selbstverständlich geht Dürr ebenso akribisch auf die Entwicklung von Präludium und Fuge bis Bach, auf die Erfindung der zwölfstufig gleichschwebenden Temperatur als Voraussetzung von Bachs Werk, das diese bedeutsame Errungenschaft im Titel trägt, und auf die verwickelte, bis heute nicht restlos geklärte Entstehungsgeschichte des "WK" ein. Immer wieder muß er dabei auf das Gewirr von Fassungen, Revisionen und Überlieferungsbrüchen verweisen. Gerade da bewährt sich Dürrs Gabe, auch komplizierte Sachverhalte ohne unstatthafte Vereinfachung übersichtlich darzustellen. Ebenso problematisch und in der Fachliteratur kontrovers erörtert ist die Typologie der Präludien und Fugen - im Grunde, wie Dürr plausibel machen kann, ein Unterfangen, das experimentelle individuelle Umprägungen überlieferter Formen unpassend in Kategorien-Raster pfercht.
Berücksichtigte man sämtliche Merkmale - Melodik, Harmonik, Rhythmik, Form, Satzweise -, "so erhielte man statt einzelner Typen sechsundneunzig Einzelbeschreibungen", schließt Dürr. Entsprechend dem Ziel des Buchs kann er sich elegant aus der Affäre ziehen - mit der eingehenden Analyse sämtlicher Präludien und Fugen, in der er eine Quadratur des Kreises erreicht: Wissenschaftlicher Anspruch und Verständlichkeit, Theorie und Spielpraxis, gerade in Deutschland noch immer argwöhnisch nebeneinander herlaufende Disziplinen, sind perspektivenreich versöhnt. Gewiß wird gerade an den Musikliebhaber, an den sich das Buch vor allem wendet, einiger Anspruch gestellt, und der vorsorgliche Hinweis, "daß der Vergleich mit einer Notenausgabe des Wohltemperierten Klaviers für das Verständnis unserer Darlegungen unerläßlich ist", erweist sich auch für den "in diesem Studio schon habil seyenden" als Überlebensfrage des Verstehens, obwohl Dürr sich, auch mit Fugen-Graphiken, als pädagogischer Meisterpfadfinder erweist. Wer Noten versteht, hat hier - wie auch andernorts in der Musik - einfach mehr vom Lesen und Leben, vom Hören sowieso.
Um sein Buch nicht zu überfrachten und es auch für den weniger geübten "Lehr-Begierigen" überschaubar zu machen, hat Dürr auf manche Bereiche verzichtet. So erörtert er die Spielpraxis nur so weit, wie es die Gewohnheiten der Bach-Zeit betrifft: Fragen der Instrumente, von Tonartenästhetik, Tempi, Dynamik, Artikulation, Ornamentik und Notierungsgewohnheiten werden knapp, aber erhellend dargestellt und in den Einzelanalysen immer wieder gestreift. Dabei ergibt sich nebenbei die nicht neue, aber wichtige Erkenntnis von der Widersprüchlichkeit der Quellen und der gebotenen Vorsicht mit "Urtextausgaben".
Dürr zielt nicht auf wissenschaftliche Neuerkenntnisse ab; sie "mögen allenfalls ab und zu als Nebenprodukte angefallen sein". Ebensowenig geht es ihm darum, die anhaltenden Diskussionen und Auslegungskontroversen auszubreiten. Da verweist er Wißbegierige gern auf den Kritischen Bericht in der Neuen Bach-Ausgabe. Trotz solcher selbstauferlegten Beschränkungen, zu denen auch die ausgesparte Erörterung des modernen Konzertflügels als Bach-Instrument gehört, ist dem Autor im Gewimmel der Literatur über Bachs Klavier-Universum ein weitgehend allgemeinverständliches Standardwerk gelungen, Frucht einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit diesem musikhistorischen Basiswerk Bachs, "dieses Urvaters der Harmonie" (Ludwig van Beethoven).
ELLEN KOHLHAAS
Alfred Dürr: "Johann Sebastian Bach". Das Wohltemperierte Klavier. Bärenreiter Werkeinführungen. Bärenreiter-Verlag, Kassel 1998. 460 S., br., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum Klavierspiel lieferte Bach die Statuten: Alfred Dürrs Studie zur Wirkung des "Wohltemperierten Klaviers"
"Das Wohltemperierte Klavier sei dein täglich Brot", empfiehlt Robert Schumann in seinen "Musikalischen Haus- und Lebensregeln". Generationen von Tasteninstrumentalisten und Komponisten haben sich seit ziemlich genau zweihundert Jahren, seit die beiden Sammlungen von Präludien und Fugen im Zug der Wiederentdeckung "alter Meister" in mehreren Verlagen gleichzeitig erschienen, an diesen Rat gehalten. So konnte das Doppel-Kompendium, das Bach "zum Nutzen und Gebrauch der Lehr-Begierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem Studio schon habil seyenden, Besonderem Zeitvertreib aufgesetzet und verfertiget" hatte, für viele Musiker zum Alten Testament werden, bevor Beethovens Sonaten zum Neuen Testament wurde: "An beide müssen wir glauben" (Hans von Bülow).
In einer knappen Wirkungsgeschichte am Ende seines Lehr- und Handbuchs über das "WK" faßt Alfred Dürr, Nestor der Bach-Forschung, das Nachleben der Bachschen Sammlungen bis heute zusammen: Fast keiner der großen Komponisten blieb davon unberührt. Das Gegenstück dazu ist die Vorgeschichte des Wohltemperierten Klaviers, das sorgfältige Ausziehen der Traditionslinien, die zu Bach führen. Denn Bach war keineswegs der einzige oder erste, der die temperierte Stimmung kompositorisch nutzbar machte, aber der erste, der das Neuland derart systematisch in einem Kunstwerk betrat.
Selbstverständlich geht Dürr ebenso akribisch auf die Entwicklung von Präludium und Fuge bis Bach, auf die Erfindung der zwölfstufig gleichschwebenden Temperatur als Voraussetzung von Bachs Werk, das diese bedeutsame Errungenschaft im Titel trägt, und auf die verwickelte, bis heute nicht restlos geklärte Entstehungsgeschichte des "WK" ein. Immer wieder muß er dabei auf das Gewirr von Fassungen, Revisionen und Überlieferungsbrüchen verweisen. Gerade da bewährt sich Dürrs Gabe, auch komplizierte Sachverhalte ohne unstatthafte Vereinfachung übersichtlich darzustellen. Ebenso problematisch und in der Fachliteratur kontrovers erörtert ist die Typologie der Präludien und Fugen - im Grunde, wie Dürr plausibel machen kann, ein Unterfangen, das experimentelle individuelle Umprägungen überlieferter Formen unpassend in Kategorien-Raster pfercht.
Berücksichtigte man sämtliche Merkmale - Melodik, Harmonik, Rhythmik, Form, Satzweise -, "so erhielte man statt einzelner Typen sechsundneunzig Einzelbeschreibungen", schließt Dürr. Entsprechend dem Ziel des Buchs kann er sich elegant aus der Affäre ziehen - mit der eingehenden Analyse sämtlicher Präludien und Fugen, in der er eine Quadratur des Kreises erreicht: Wissenschaftlicher Anspruch und Verständlichkeit, Theorie und Spielpraxis, gerade in Deutschland noch immer argwöhnisch nebeneinander herlaufende Disziplinen, sind perspektivenreich versöhnt. Gewiß wird gerade an den Musikliebhaber, an den sich das Buch vor allem wendet, einiger Anspruch gestellt, und der vorsorgliche Hinweis, "daß der Vergleich mit einer Notenausgabe des Wohltemperierten Klaviers für das Verständnis unserer Darlegungen unerläßlich ist", erweist sich auch für den "in diesem Studio schon habil seyenden" als Überlebensfrage des Verstehens, obwohl Dürr sich, auch mit Fugen-Graphiken, als pädagogischer Meisterpfadfinder erweist. Wer Noten versteht, hat hier - wie auch andernorts in der Musik - einfach mehr vom Lesen und Leben, vom Hören sowieso.
Um sein Buch nicht zu überfrachten und es auch für den weniger geübten "Lehr-Begierigen" überschaubar zu machen, hat Dürr auf manche Bereiche verzichtet. So erörtert er die Spielpraxis nur so weit, wie es die Gewohnheiten der Bach-Zeit betrifft: Fragen der Instrumente, von Tonartenästhetik, Tempi, Dynamik, Artikulation, Ornamentik und Notierungsgewohnheiten werden knapp, aber erhellend dargestellt und in den Einzelanalysen immer wieder gestreift. Dabei ergibt sich nebenbei die nicht neue, aber wichtige Erkenntnis von der Widersprüchlichkeit der Quellen und der gebotenen Vorsicht mit "Urtextausgaben".
Dürr zielt nicht auf wissenschaftliche Neuerkenntnisse ab; sie "mögen allenfalls ab und zu als Nebenprodukte angefallen sein". Ebensowenig geht es ihm darum, die anhaltenden Diskussionen und Auslegungskontroversen auszubreiten. Da verweist er Wißbegierige gern auf den Kritischen Bericht in der Neuen Bach-Ausgabe. Trotz solcher selbstauferlegten Beschränkungen, zu denen auch die ausgesparte Erörterung des modernen Konzertflügels als Bach-Instrument gehört, ist dem Autor im Gewimmel der Literatur über Bachs Klavier-Universum ein weitgehend allgemeinverständliches Standardwerk gelungen, Frucht einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit diesem musikhistorischen Basiswerk Bachs, "dieses Urvaters der Harmonie" (Ludwig van Beethoven).
ELLEN KOHLHAAS
Alfred Dürr: "Johann Sebastian Bach". Das Wohltemperierte Klavier. Bärenreiter Werkeinführungen. Bärenreiter-Verlag, Kassel 1998. 460 S., br., 34,- DM.
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"Aus allen Schriften über Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertes Klavier sticht Alfred Dürrs Band heraus." (Neue Zürcher Zeitung 16.1.1999)
"Somit dürfte mit dieser Publikation mit Sicherheit ein Standardwerk erschienen sein: im besten Sinne seinen Gegenstand ,erschöpfend' und auslotend, auf höchstem wissenschaftlichen Niveau und dennoch verständlich, dabei alle Türen für den Fortgang der Forschung öffnend, denn auch alle Fragezeichen der aktuellen Wissenschaft sind erkennbar." (Das Orchester 4/1999)
"Somit dürfte mit dieser Publikation mit Sicherheit ein Standardwerk erschienen sein: im besten Sinne seinen Gegenstand ,erschöpfend' und auslotend, auf höchstem wissenschaftlichen Niveau und dennoch verständlich, dabei alle Türen für den Fortgang der Forschung öffnend, denn auch alle Fragezeichen der aktuellen Wissenschaft sind erkennbar." (Das Orchester 4/1999)