Eine verständliche Einführung in vier Hauptwerke der sinfonischen Literatur anhand historischer und wissenschaftlich begründeter Informationen: - Werkentstehung (mit Dokumentationsmaterial), - formanalytische und die Interpretation betreffende Betrachtungen, - Stellung der Sinfonien im Gesamtwerk des Komponisten und der Gattungsgeschichte, - Beschreibung der Quellenlage sowie unterschiedlicher Lesarten der verschiedenen Quellen, - Erste Aufführungen und Drucklegung der Sinfonien, - Reaktion der Öffentlichkeit und Dokumente zur Rezeption. Mit Literaturhinweisen sowie zahlreichen Notenbeispielen und Illustrationen.Eine verständliche Einführung in vier Hauptwerke der sinfonischen Literatur anhand historischer und wissenschaftlich begründeter Informationen:- Werkentstehung (mit Dokumentationsmaterial),- formanalytische und die Interpretation betreffende Betrachtungen,- Stellung der Sinfonien im Gesamtwerk des Komponisten und der Gattungsgeschichte,- Beschreibung der Quellenlage sowie unterschiedlicher Lesarten der verschiedenen Quellen,- Erste Aufführungen und Drucklegung der Sinfonien,- Reaktion der Öffentlichkeit und Dokumente zur Rezeption.Mit Literaturhinweisen sowie zahlreichen Notenbeispielen und Illustrationen.
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Von der Brahms-Forschung überhört: Die Symphonien als Romane der Individuation, skeptisch und verklärend zugleich
In schöner Fülle breitet die neue Einführung in die Brahmsschen Symphonien Materialien zu deren Entstehung, Überlieferung und Rezeption aus. Die Werkanalysen sind konzis, die musikgeschichtlichen Einordnungen auf dem neuesten Stand der Forschung. Nur wenn es ans Interpretieren, an die Darlegung des musikalischen Sinns geht, gerät die Sache schnell ins trübe.
"Brahms", so resümiert Giselher Schubert eine Analyse der motivischen Arbeit in der Exposition des ersten Satzes der Ersten Symphonie, "stellt weniger klassizistisch scharf umrissene Themen auf, aus deren Verhältnis zueinander er einen Formzusammenhang gewinnt. Vielmehr zieht er alle musikalische Ereignisse in einen motivisch-thematisch und kontrapunktisch ausgearbeiteten Entwicklungszusammenhang hinein." Das ist schlecht gehört und schlecht gedacht. Erste und zweite Themengruppe gerade dieser Symphonie sind im Charakter toto coelo verschieden, während umgekehrt eher bei Haydn oder Beethoven alles im Fluß ist. Der Gegensatz ("vielmehr") stimmt schon nicht, da die Musik als Zeitkunst immer Gestalten aus einer Bewegung hervortreten läßt.
Vor allem führte es in eine Sackgasse, sobald man nämlich sich fragt, warum denn um alles in der Welt Brahms so viel Energie in seine hochgerühmte motivische Arbeit gesteckt hat. Auf den naheliegenden Gedanken aber, daß Brahms die integrativen Momente stärken muß, eben weil die Ausdruckscharaktere stärker auseinanderliegen, kann Schubert schon deshalb nicht kommen, da Formanalyse für einen Musikwissenschaftler Wissenschaft ist, Ausdrucksverstehen dagegen nicht. Dabei ist in der ersten Symphonie der Brahmssche kompositorische Impuls so handgreiflich zu fassen: Die disparaten (romantischen) Gefühle, das dumpf-bohrende Treiben des blinden Willens und die Sehnsucht nach Trost und Ruhe, sollen (klassizistisch) in ein Subjekt zusammengebracht werden, das Herr in seinem Hause ist. Komposition und ihr hörender Nachvollzug als praxisentlasteter Ort der Subjektwerdung.
Constantin Floros zitiert Clara Schumann, die vom "ganz elegischen Charakter" der Zweiten Symphonie spricht, und kommentiert, daß diese Formulierung "natürlich überhaupt nicht zutrifft". Er selbst möchte auf den idyllisch-pastoralen Charakter des Werkes hinaus und bleibt damit weit hinter dem Brahmsschen Reflexionsniveau zurück. Dabei wäre zumal Floros andernorts gewiß in der Lage, stundenlang über den Zusammenhang von Idyll und Elegie zu extemporieren. Dabei zitiert er zustimmend Kommentatoren, die das Heitere nur "immer wieder die Oberhand gewinnen" sehen und die vom "schwermütigen" Zug des Adagiothemas reden. Dabei zeigt er selbst auf das durchgängige Dur-Moll des Werkes. Floros sieht wohl mit Recht die vieldiskutierten Bemerkungen von Brahms, das Werk sei mit Trauerrand zu drucken, als Camouflage an.
Und dann verharrt er wenige Schritte vor den satten Weiden der Erkenntnis. Denn die Camouflage ist nur der spielerische Ausdruck eines Grundzugs, den Brahms mit seinen literarischen Zeitgenossen, Keller, Storm, Fontane, teilt und der trefflich als Grundzug der Epoche des Realismus überhaupt genommen werden kann: Die großen Worte werden als zu laut empfunden, Thesen und Bekenntnissen wird mit Skepsis begegnet, alles wird relativiert. Das gilt auch für die Zweite Symphonie. Gewiß, sie ist "ein heiteres, durchaus lebensbejahendes Werk". Aber eben weil Brahms diese Heiterkeit nicht so hingestellt sein lassen kann, geraten ihre durchschimmernden Abgründe besonders tief. Sie stellt die gelingende Existenz dar und zugleich, wie problematisch und bedroht dieses Gelingen ist. Sie ist idyllisch und zugleich elegisch. Die Unschuld des dritten Satzes beendet ein steinerweichender, übrigens Mozarts abgeschriebener Seufzer: Ach, wär dies Glück doch meins.
Christian Martin Schmidt zeigt an der "Aimez-Vous-Brahms"-Melodie der Dritten Symphonie die Artifizialität ihrer Schlichtheit. Die Begriffe des Einfachen, Natürlichen, Volkstümlichen seien "verklärend, idealisierend; vermittelt durch die Wertvorstellungen des im neunzehnten Jahrhundert dominierenden Bürgertums geben sie eher Ideales an als Reales. Damit aber ist einleuchtend, daß für den Künstler, will er diesen Idealen nahekommen, künstlerlerische Zubereitung unabdingbare Voraussetzung ist." Das Beste an diesen etwas wirren Sätzen ist die Verwendung der Vokabel "Verklärung", in der Tat der programmatische Grundbegriff der Literatur und Ästhetik des deutschen, poetischen Realismus. Der Realismus, dem sachlich Brahms hier klar zugehört, steht unter dem Leitbild des Normalen, Gesunden, der aristotelischen Mesotes (wie ja auch das Bürgertum Mittelstand zwischen Adel und Arbeiterschaft ist), der horazischen aurea mediocritas. Wenn für Brahms die Einfachheit der Volksliedmelodie höchstes Ideal ist, so ist dabei das Volk gerade nicht wie bei den Romantikern (Schmidts ideengeschichtliches Verständnis bleibt doch sehr im Ungefähren) der Ort des Poetischen, sondern der Ort des Gesunden.
Wie leicht ließe sich von hier aus die Geschichte des Brahmsschen Komponierens als gewiß noch nicht erledigte Geschichte des bürgerlichen Subjektes erzählen. Es konstituiert sich in der Abwehr der romantischen "krankhaften" Exzentrizitäten, um dann fortschreitend festzustellen, was bei dem Streben, ein ganzer Mann zu sein, alles verdrängt wird und mit wieviel Leid die Individuation verbunden ist. Statt dessen führt Schmidt an der Vierten Symphonie aus, was nicht nur von anderen, sondern sogar von ihm selbst schon tausendmal ausgeführt wurde, daß Brahms, wenn er nicht so traditionell an den klassischen Formen festgehalten hätte, schon fast wie Schönberg komponiert hätte. Als ob es für Brahms keinen Grund gegeben hätte, an diesen Formen festzuhalten. Und als ob es für uns keinen Grund gäbe, Brahms zu hören. GUSTAV FALKE
Constantin Floros, Christian Martin Schmidt, Giselher Schubert: "Johannes Brahms". Die Sinfonien. Einführung, Kommentar, Analyse. Schott Verlag, Mainz 1998. 276 S., Abb., Notenbeispiele, br., 39,80 DM.
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