Seit fünfzehn Jahren begleitet Andreas Englisch den Papst auf seinen Reisen rund um den Globus. Anschaulich und unterhaltsam schildert er hier, was sich hinter den Kulissen des Kirchenstaates abspielt und wie der Papst die Herzen der Menschen in aller Welt eroberte. Durch dieses Buch lernt man Karol Wojtyla aus nächster Nähe kennen und kommt dem Geheimnis dieses ebenso umstrittenen wie verehrten Mannes ein gutes Stück näher.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2003Szenen eines Stellvertreters
Andreas Englisch schreibt den Papst in die Bestenliste hinein
Der Autor Andreas Englisch ist seit vielen Jahren Italien-Korrespondent für die Zeitungen des Springer-Verlages; seit 1995 gehört er zu den beim Vatikan akkreditierten Journalisten, die den Papst auf seinen Reisen begleiten dürfen. Immerhin acht Jahre folgt er Karol Wojtyla also schon auf Schritt und Tritt, und man geht richtig in der Erwartung, daß die permanente räumliche Nähe den Autor mit reichlich farbigem Erzählstoff versorgt hat.
Andreas Englisch schildert die Biographie des Papstes, als ob er die Geschichte jemandem berichtet, der noch kaum etwas über diesen Pontifex weiß. Das mag für Papst-Einsteiger, die sich erst in den letzten Jahren für Karol Wojtyla zu interessieren begonnen haben, durchaus genau das Richtige sein. Ergänzt wird das Porträt der Person um mit Selbstironie geschilderte Szenen aus dem Journalistenleben und Einblicke ins schlagzeilensüchtige Mediengewerbe (",Sorge um den Papst' geht immer"). Die Fakten stimmen im großen und ganzen; daß Englisch mehrfach vom Kniefall des Papstes an der Klagemauer spricht, irritiert allerdings - da scheint ihm Willy Brandt im Unterbewußten einen Streich gespielt zu haben. Immerhin: Als die chronologische Erzählung schließlich auf den Besuch des Papstes in Israel zu sprechen kommt, wird korrekt berichtet: Der Papst hatte damals ein Blatt Papier mit der Vergebungsbitte der katholischen Christen einem Spalt in der Klagemauer anvertraut.
Andreas Englisch hat sich entschieden, seine persönlichen Erlebnisse nicht als Basis für eine weit ausgreifende Analyse dieses wirkungsmächtigen Pontifikats zu nutzen, sondern in erster Linie Beobachter des Menschen Wojtyla zu sein. Die Beobachtungen bettet er ein in die Geschichte seiner persönlichen Verwandlung vom mit der üblichen Munition bewaffneten Papstkritiker (Zölibat, Unfehlbarkeit, Empfängnisverhütung) hin zum Bewunderer Karol Wojtylas. Er verhehlt nicht, daß diese Konversion ihn als distanzierten Berichterstatter zunehmend unbrauchbar macht.
Für Leser, die sich schon etwas länger mit Person und Wirken Johannes Pauls II. beschäftigen, wird es vor allem Anekdoten zu entdecken geben. Der Medienikone Johannes Paul, dem "Telepontifex", ist Englisch nur räumlich näher gekommen als diejenigen, die sich in den Medien über den Papst informieren. Zwar häufen sich in der zweiten Hälfte des Buches Wendungen wie "Der Papst erkannte", oder "Der Papst weiß", aber solche Erkenntnisse hat Andreas Englisch nicht in persönlichen Gesprächen mit Johannes Paul gewonnen, sondern gewissermaßen durch Einfühlung.
Sein Buch ist deshalb von Interesse, weil es zeigt, wie genau der Papst den Schritt vom päpstlichen "Wir" zum menschlichen "Ich" auch gegenüber Journalisten zu kontrollieren weiß, wie sehr Johannes Paul II. Herr seiner Bilder ist, gleich ob sie nun durch Fotos, Filme oder Worte der Öffentlichkeit übermittelt werden. Viel ist über das völlig andere Verhältnis dieses Papstes zu den Medien geschrieben worden - er hat den Nutzen des Fernsehens für den Bilderreichtum der Kirche entdeckt. Der persönliche Umgang Andreas Englischs mit dem Papst aber beschränkt sich überwiegend auf ein paar freundliche Worte, ein Lächeln hier, ein Kopfnicken dort.
Der Autor ist jedoch imstande, noch einmal die ganze Fülle symbolträchtiger Bilder, die Johannes Paul II. geschaffen hat, zu vergegenwärtigen: der Papst in Polen; der Papst in der Gedenkstätte Yad Vashem; der Papst an der Klagemauer und auf dem Berge Sinai; der Papst beim Oberhaupt der koptischen Christen, bei den Patriarchen der Ostkirchen, in der Al-Azhar-Universität zu Kairo; der Papst bei seinem Attentäter und in Fatima. Anschaulich beschreibt Englisch, wie die Aura Karol Wojtylas die Bedeutung eines Bildes zu formen imstande ist: Die syrische Regierung hatte darauf gedrängt, daß Johannes Paul eine von den Israelis zerstörte Kirche in Kuneitra besuchen möge. Die propagandistische Absicht war offensichtlich, dennoch willigte der Papst ein. Aber als er die Kirchenruine betrat, um zu beten, ergab sich ein Bild vom Papst in den Trümmern, dessen Symbolgehalt jede tagespolitische Botschaft überstrahlte.
Wenn Andreas Englisch von solchen Begebenheiten, die sich zu einem bleibenden Bild verdichten, mit zunehmender Sympathie und Bewunderung berichtet, dann wirkt er weniger wie ein Insider mit Hintergrundwissen, sondern vielmehr wie der Stellvertreter all jener, die sich von Johannes Paul II. in seinen Bann haben ziehen lassen. Was Englisch anhand seiner selbst schildert, haben unzählige andere auch erfahren: daß die Bilder des kranken, unbeugsamen, unermüdlich zum Frieden mahnenden Papstes nicht nur ihre Meinung über Johannes Paul II., sondern auch über die katholische Kirche insgesamt verändert haben. Insofern hat das Buch repräsentativen Charakter.
Die eigene Stellvertreterfunktion hat Karol Wojtyla auf durchaus dramatische Weise zu seinem Siechtum in Verbindung gesetzt: Den Bedenken, die Fernsehbilder des hinfälligen Pontifex seien der Öffentlichkeit kaum noch zuzumuten, begegnete er mit der Feststellung: "Sah Christus am Kreuz etwa majestätisch aus?" Wenn Christus stellvertretend für uns gelitten hat am Kreuz, was ist dann das Leiden des Stellvertreters Christi? Dieser Medienpapst hat es verstanden, seinen Anblick zum Symbol für das Leiden in aller Welt zu machen. Zugleich geht von diesem Anblick so etwas wie eine erlösende Wirkung aus: Aus der unzeitgemäßen Autorität, deren unangenehmen Mahnungen die Katholiken kaum noch zu folgen bereit waren, ist ein Objekt des Mitleids geworden.
Spätestens als Andreas Englisch einen Satz mit "Du, mein Sohn" beginnt und seinen eigenen kleinen Sprößling meint, dem das Buch gewidmet ist und dem er die ganze Geschichte eigentlich erzählen will, wissen wir, daß es um ihn geschehen ist. Da hat er nicht nur die Distanz zu seinem Gegenstand, sondern auch zu sich selbst verloren. Das "Geheimnis des Karol Wojtyla" aber, von dem der Untertitel des Buches spricht, bleibt ungelüftet. Englisch sagt, es sei das gleiche Geheimnis, daß auch in der Eucharistie gefeiert werde. Ist es die Neugier auf das Geheimnis der Realpräsenz Christi, das Andreas Englischs Buch auf Platz fünf der aktuellen Bestenliste befördert hat?
MICHAEL GASSMANN.
Andreas Englisch: "Johannes Paul II."Das Geheimnis des Karol Wojtyla. Ullstein Verlag, München 2003. 382 S., geb., 22,- [Euro].
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Andreas Englisch schreibt den Papst in die Bestenliste hinein
Der Autor Andreas Englisch ist seit vielen Jahren Italien-Korrespondent für die Zeitungen des Springer-Verlages; seit 1995 gehört er zu den beim Vatikan akkreditierten Journalisten, die den Papst auf seinen Reisen begleiten dürfen. Immerhin acht Jahre folgt er Karol Wojtyla also schon auf Schritt und Tritt, und man geht richtig in der Erwartung, daß die permanente räumliche Nähe den Autor mit reichlich farbigem Erzählstoff versorgt hat.
Andreas Englisch schildert die Biographie des Papstes, als ob er die Geschichte jemandem berichtet, der noch kaum etwas über diesen Pontifex weiß. Das mag für Papst-Einsteiger, die sich erst in den letzten Jahren für Karol Wojtyla zu interessieren begonnen haben, durchaus genau das Richtige sein. Ergänzt wird das Porträt der Person um mit Selbstironie geschilderte Szenen aus dem Journalistenleben und Einblicke ins schlagzeilensüchtige Mediengewerbe (",Sorge um den Papst' geht immer"). Die Fakten stimmen im großen und ganzen; daß Englisch mehrfach vom Kniefall des Papstes an der Klagemauer spricht, irritiert allerdings - da scheint ihm Willy Brandt im Unterbewußten einen Streich gespielt zu haben. Immerhin: Als die chronologische Erzählung schließlich auf den Besuch des Papstes in Israel zu sprechen kommt, wird korrekt berichtet: Der Papst hatte damals ein Blatt Papier mit der Vergebungsbitte der katholischen Christen einem Spalt in der Klagemauer anvertraut.
Andreas Englisch hat sich entschieden, seine persönlichen Erlebnisse nicht als Basis für eine weit ausgreifende Analyse dieses wirkungsmächtigen Pontifikats zu nutzen, sondern in erster Linie Beobachter des Menschen Wojtyla zu sein. Die Beobachtungen bettet er ein in die Geschichte seiner persönlichen Verwandlung vom mit der üblichen Munition bewaffneten Papstkritiker (Zölibat, Unfehlbarkeit, Empfängnisverhütung) hin zum Bewunderer Karol Wojtylas. Er verhehlt nicht, daß diese Konversion ihn als distanzierten Berichterstatter zunehmend unbrauchbar macht.
Für Leser, die sich schon etwas länger mit Person und Wirken Johannes Pauls II. beschäftigen, wird es vor allem Anekdoten zu entdecken geben. Der Medienikone Johannes Paul, dem "Telepontifex", ist Englisch nur räumlich näher gekommen als diejenigen, die sich in den Medien über den Papst informieren. Zwar häufen sich in der zweiten Hälfte des Buches Wendungen wie "Der Papst erkannte", oder "Der Papst weiß", aber solche Erkenntnisse hat Andreas Englisch nicht in persönlichen Gesprächen mit Johannes Paul gewonnen, sondern gewissermaßen durch Einfühlung.
Sein Buch ist deshalb von Interesse, weil es zeigt, wie genau der Papst den Schritt vom päpstlichen "Wir" zum menschlichen "Ich" auch gegenüber Journalisten zu kontrollieren weiß, wie sehr Johannes Paul II. Herr seiner Bilder ist, gleich ob sie nun durch Fotos, Filme oder Worte der Öffentlichkeit übermittelt werden. Viel ist über das völlig andere Verhältnis dieses Papstes zu den Medien geschrieben worden - er hat den Nutzen des Fernsehens für den Bilderreichtum der Kirche entdeckt. Der persönliche Umgang Andreas Englischs mit dem Papst aber beschränkt sich überwiegend auf ein paar freundliche Worte, ein Lächeln hier, ein Kopfnicken dort.
Der Autor ist jedoch imstande, noch einmal die ganze Fülle symbolträchtiger Bilder, die Johannes Paul II. geschaffen hat, zu vergegenwärtigen: der Papst in Polen; der Papst in der Gedenkstätte Yad Vashem; der Papst an der Klagemauer und auf dem Berge Sinai; der Papst beim Oberhaupt der koptischen Christen, bei den Patriarchen der Ostkirchen, in der Al-Azhar-Universität zu Kairo; der Papst bei seinem Attentäter und in Fatima. Anschaulich beschreibt Englisch, wie die Aura Karol Wojtylas die Bedeutung eines Bildes zu formen imstande ist: Die syrische Regierung hatte darauf gedrängt, daß Johannes Paul eine von den Israelis zerstörte Kirche in Kuneitra besuchen möge. Die propagandistische Absicht war offensichtlich, dennoch willigte der Papst ein. Aber als er die Kirchenruine betrat, um zu beten, ergab sich ein Bild vom Papst in den Trümmern, dessen Symbolgehalt jede tagespolitische Botschaft überstrahlte.
Wenn Andreas Englisch von solchen Begebenheiten, die sich zu einem bleibenden Bild verdichten, mit zunehmender Sympathie und Bewunderung berichtet, dann wirkt er weniger wie ein Insider mit Hintergrundwissen, sondern vielmehr wie der Stellvertreter all jener, die sich von Johannes Paul II. in seinen Bann haben ziehen lassen. Was Englisch anhand seiner selbst schildert, haben unzählige andere auch erfahren: daß die Bilder des kranken, unbeugsamen, unermüdlich zum Frieden mahnenden Papstes nicht nur ihre Meinung über Johannes Paul II., sondern auch über die katholische Kirche insgesamt verändert haben. Insofern hat das Buch repräsentativen Charakter.
Die eigene Stellvertreterfunktion hat Karol Wojtyla auf durchaus dramatische Weise zu seinem Siechtum in Verbindung gesetzt: Den Bedenken, die Fernsehbilder des hinfälligen Pontifex seien der Öffentlichkeit kaum noch zuzumuten, begegnete er mit der Feststellung: "Sah Christus am Kreuz etwa majestätisch aus?" Wenn Christus stellvertretend für uns gelitten hat am Kreuz, was ist dann das Leiden des Stellvertreters Christi? Dieser Medienpapst hat es verstanden, seinen Anblick zum Symbol für das Leiden in aller Welt zu machen. Zugleich geht von diesem Anblick so etwas wie eine erlösende Wirkung aus: Aus der unzeitgemäßen Autorität, deren unangenehmen Mahnungen die Katholiken kaum noch zu folgen bereit waren, ist ein Objekt des Mitleids geworden.
Spätestens als Andreas Englisch einen Satz mit "Du, mein Sohn" beginnt und seinen eigenen kleinen Sprößling meint, dem das Buch gewidmet ist und dem er die ganze Geschichte eigentlich erzählen will, wissen wir, daß es um ihn geschehen ist. Da hat er nicht nur die Distanz zu seinem Gegenstand, sondern auch zu sich selbst verloren. Das "Geheimnis des Karol Wojtyla" aber, von dem der Untertitel des Buches spricht, bleibt ungelüftet. Englisch sagt, es sei das gleiche Geheimnis, daß auch in der Eucharistie gefeiert werde. Ist es die Neugier auf das Geheimnis der Realpräsenz Christi, das Andreas Englischs Buch auf Platz fünf der aktuellen Bestenliste befördert hat?
MICHAEL GASSMANN.
Andreas Englisch: "Johannes Paul II."Das Geheimnis des Karol Wojtyla. Ullstein Verlag, München 2003. 382 S., geb., 22,- [Euro].
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