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Die Welt ist tausend Schritte lang. Jedenfalls in Courtillon, einem verschlafenen Nest im Süden Frankreichs. Hier gibt es gerade mal zwei Straßen. Und eine Wiese am Fluss, wo ein großer Freizeitpark entstehen soll. Diese Neuigkeit rüttelt die Dorfbewohner jäh aus ihrem Dornröschenschlaf. Alte, sehr alte Geschichten werden wieder lebendig, es kommt zum Streit. Es ist wie ein Feuer, das um sich greift. Ein aus der Kontrolle geratenes, gewaltiges Johannisfeuer.

Produktbeschreibung
Die Welt ist tausend Schritte lang. Jedenfalls in Courtillon, einem verschlafenen Nest im Süden Frankreichs. Hier gibt es gerade mal zwei Straßen. Und eine Wiese am Fluss, wo ein großer Freizeitpark entstehen soll. Diese Neuigkeit rüttelt die Dorfbewohner jäh aus ihrem Dornröschenschlaf. Alte, sehr alte Geschichten werden wieder lebendig, es kommt zum Streit. Es ist wie ein Feuer, das um sich greift. Ein aus der Kontrolle geratenes, gewaltiges Johannisfeuer.
Autorenporträt
Charles Lewinsky, 1946 in Zürich geboren, ist seit 1980 freier Schriftsteller. International berühmt wurde er mit seinem Roman ¿Melnitz¿. Er gewann zahlreiche Preise, darunter den französischen Prix du meilleur livre étranger. ¿Der Halbbart¿ war nominiert für den Schweizer und den Deutschen Buchpreis. Sein Werk erscheint in 16 Sprachen. Charles Lewinsky lebt im Sommer in Vereux, Frankreich, und im Winter in Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2007

Was wusste die Hühnerfrau?

Spätestens seit Miss Marple wissen wir, dass es auf dem Land beschaulicher, aber nicht harmloser zugeht. Charles Lewinskys Krimi beweist das eindrucksvoll.

Große Dramen bedürfen keiner bedeutenden Bühnen, denn tragische Helden und böse Schurken finden sich in der weiten Welt ebenso wie in verschlafenen Dörfern. Auf diese Einsicht gründet die wohl bekannteste Detektivin der Literatur ihren Erfolg, kennt die freundliche Miss Marple doch für jedes Verbrechen und für jede bedrohliche Leidenschaft ein Beispiel aus ihrer heimischen dörflichen Umgebung. Viele Male hat es Agathe Christie vorgeführt: Das Leben auf dem Lande mag womöglich ruhiger, vielleicht auch gesünder als in der Stadt sein - moralischer und ungefährlicher ist es auf keinen Fall. Und was für die englische Provinz gilt, scheint erst recht für Frankreich zu stimmen. Dorthin nämlich, in die tiefste ländliche Abgeschiedenheit, hat der Schweizer Charles Lewinsky den Erzähler seines "Johannistag" geschickt.

Tausend Schritte ist das Dorf lang, in dem sich der Deutsche ein altes, heruntergekommenes Haus gekauft hat. Abstand will er hier gewinnen zu seinem Beruf als Lehrer, den er frühzeitig verlassen hat, vor allem aber zu einer unglücklichen Liebe, die ihn immer noch quält. Unter den neuen Nachbarn, dem geschäftstüchtigen Weinhändler und dem ehrgeizigen Bürgermeister, dem korrekten Gendarmen und dem gutmütigen Dorftrottel, möchte der Zugereiste also ein neues Leben anfangen; aber bevor er sich noch ganz in seinem neuen Domizil einrichten kann, wird er mehr und mehr in das Leben der anderen hineingezogen.

Geschichten aus Gegenwart und Vergangenheit überlagern sich im Alltag des Dorfes. Warum hat der erfolgreiche Bürgermeister so viel Geld, obwohl er aus einer einfachen Familie stammt; warum greift niemand ein, wenn der alte "General", ein Veteran des Zweiten Weltkriegs, nachts sein Gewehr abfeuert; und von welchen alten Verstrickungen weiß die greise Hühnerfrau, die einzig zu ihren Tieren spricht?

Charles Lewinsky zeichnet das Bild einer verschworenen Dorfgemeinschaft, die viele dunkle Geheimnisse teilt. Der Fremde, durch dessen Augen wir die Ereignisse verfolgen, hat es schwer, hinter all den Lügen und Andeutungen die Wahrheit zu entdecken, die seine Nachbarn vor ihm zu verbergen suchen. Bei alledem hält der Erzähler geradezu trotzig an seiner Wahlheimat fest. Seinem Auto montiert er sogar die Räder ab und wirft sie in den Fluss. An dem aber soll gerade eine lukrative Kiesgrube entstehen, ein Plan, der im Dorf Anlass für Spekulationen und Intrigen gibt.

Vor einem Jahr überraschte Charles Lewinsky Leser wie Kritiker mit dem monumentalen, glänzend erzählten Roman "Melnitz", der über vier Generationen hinweg das Schicksal einer jüdischen Familie in der Schweiz schildert und dem viel Lob zuteil wurde. Der Popularität dieses Romans ist es nun zu verdanken, dass auch ältere Bücher des inzwischen sechzigjährigen Autors neu entdeckt werden. Als "Johannistag" vor sieben Jahren zum ersten Mal erschien, blieb das Echo trotz einzelner guter Kritiken hierzulande gering, obwohl das Buch den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung erhielt. Was damals versäumt wurde, kann nun nachgeholt werden. Zu entdecken ist ein kunstvoller Kriminalroman mit allen genretypischen Merkmalen: Brandstiftung und Mord kommen vor, skurrile Drohbriefe werden geschrieben, im Neuschnee finden sich rätselhafte Blutspuren, und ungesühnte Verbrechen der Vergangenheit werfen dunkle Schatten. Vor allem aber gelingt es Lewinsky, lebendige Charaktere zu zeichnen, die Anteilnahme erwecken. Zu den anrührendsten gehört Jean, der Nachbar des Erzählers, der wegen seiner Hilfsbereitschaft gern "Saint Jean" genannt wird. Sein Geburtstag am 24. Juni, dem titelgebenden Johannistag, hat bei dieser Namensgebung zudem eine Rolle gespielt. Allzu heilig verhält sich dieser Johann freilich nicht, und dass er sich für seine vielen handwerklichen Gefälligkeiten von den Dorfbewohnern gern in Naturalien bezahlen lässt, von Frauen gar mit dem "Kaffee der Armen" entlohnt wird, wie eine sehr leibliche Währung poetisch umschrieben wird, bringt seine Ehe mit der robusten Busfahrerin Geneviève in Gefahr.

Größere Gefahren sind in den alten Geschichten verborgen, die zurück in die Zeit der Résistance und des Partisanenkampfs führen. Schritt für Schritt enthüllt Lewinsky ein Netz von Schuld und Geltungssucht, das weit in die Vergangenheit des Dorfes reicht. Dass Klischees von bösen Deutschen und heroischen französischen Widerstandskämpfern vermieden werden, gehört zu den Vorzügen dieses Romans. Vermutlich hat es Lewinsky als Schweizer ohnehin leichter, eine vermittelnde Position zwischen den alten Kriegsgegnern einzunehmen.

So spannend die Kriminalhandlung auch ist - am Ende offenbart sich der erzählende Detektiv selbst als zwielichtige Figur, und das unterscheidet diesen frühpensionierten Französischlehrer dann doch beträchtlich von der untadeligen Miss Marple. Allmählich werden Einzelheiten jener erotischen Verbindung offenbar, die der Auswanderer in Frankreich zu überwinden sucht. Keiner Isolde trauert dieser liebeskranke Tristan hinterher, wie man es zunächst vermuten mag, sondern eher einer Lolita, einem Schulmädchen mit kichernden Freundinnen und besorgten Eltern.

Diese Enthüllungen aber werfen ein neues Licht auf den Erzähler, der sich so freundlich um seine neuen Nachbarn kümmert und sogar die zwölfjährige Elodie, die Tochter des heiligen Johann, bei sich aufnimmt, als deren Eltern sich zerstritten haben. Die Parallele liegt auf der Hand: Die Lügen, mit denen sich der Erzähler seine Vergangenheit zurechtbiegt, um sich in einem harmlosen Licht erscheinen zu lassen, sind genauso bedenklich und fragil wie die Versuche der Dorfbewohner, Vergangenes als ungefährlich darzustellen.

Auch das große, lang ersehnte Johannisfeuer kann nicht alle dunklen Seiten der menschlichen Begierden erhellen und sie erst recht nicht mit reinigender Flamme heilen. Dieser Verzicht auf ein glückliches Ende aber verleiht dem Roman seinen besonderen Reiz, der ihn aus der großen Menge alltäglicher Kriminalliteratur heraushebt.

SABINE DOERING

Charles Lewinsky: "Johannistag". Roman. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München 2007.

316 S., geb., 21,50 [Euro].

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