In diesem von realen wie fiktiven Personen bevölkerten historischen Roman über den Sklavereigegner John Brown erweckt Russell Banks die unruhigen Jahre vor dem amerikanischen Bürgerkrieg zum Leben und zeigt, wie tief die Rassenfrage seit Jahrhunderten die Vereinigten Staaten spaltet. Ob John Brown nun ein Heiliger, ein Irrer oder ein Verbrecher war, ohne ihn hätte die gesamte Geschichte Amerikas einen anderen Verlauf genommen. Am 16. Oktober 1859 überfällt John Brown im festen Glauben, einen Sklavenaufstand zu entfachen, mit siebzehn Getreuen das Waffendepot Harpers Ferry in Virginia. Kein einziger Sklave schließt sich ihnen an, zwei von John Browns Söhnen und die meisten seiner Mitstreiter sterben. Er selbst wird zwei Monate später gehenkt. Von Schuldgefühlen und Selbstzweifeln geplagt, schreibt einer der wenigen Überlebenden dieses Angriffs, sein Sohn Owen Brown, Ende des neunzehnten Jahrhunderts in der Einsamkeit einer kalifornischen Berghütte die Geschichte seines Vaters n ieder und antwortet damit auf die Erkundigungen einer Historikerin, die an einer Biographie seines Vaters arbeitet. Der Werdegang John Browns vom gemäßigten weißen Abolitionisten zum gewalttätigen Terroristen im Kampf gegen die Sklaverei bildet ebenso wie die lebendige Schilderung der politischen und gesellschaftlichen Situation vor dem Bürgerkrieg nur einen Teil dieses facettenreichen Romans. Denn zugleich schreibt Owen über sein eigenes Leben, über die Beziehung, die er zu seinem liebevollen und strengen Vater hat, darüber, wie dieser religiöse Fanatiker und gescheiterte Geschäftsmann das Leben seiner Familie beherrscht und zunehmend in einen biblischen Zorn verfällt, der nicht nur ihn selbst ins Verderben reißt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2000Torheit des schwarzen Herzens
Breitwandig: Russell Banks erzählt die Geschichte von John Brown
Mit diesem Roman hat Russell Banks ein ungemein fesselndes, anschauungsgesättigtes Zeit- und Gesellschaftsbild aus der amerikanischen Geschichte um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts vorgelegt - genauer: über das Jahrzehnt kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs, in dem die Frage nach der Abschaffung oder Verbreitung der Sklaverei die Nation fast zu ihrer endgültigen Teilung geführt hätte. John Brown, der Held dieses Buches, ist früh eine der schillerndsten Gestalten der amerikanischen Mythologie geworden: als Märtyrer des Abolitionismus, aber auch als Fanatiker. Banks kennt den Bedeutungszuwachs für John Browns Figur gut und hat sich mit gründlichem Quellenstudium gewappnet. Ja, er knüpft mit der gewählten Erzählsituation augenzwinkernd an den Authentizitätsanspruch anderer Texte an, wenn er Browns Sohn Owen als betagten, nach Kalifornien geflüchteten Überlebenden seine Erinnerungen niederschreiben und an die reale Assistentin des authentischen Brown-Biographen Villard weiterreichen lässt, bevor er sein Leben mit einem befreienden Schuss in die eigene Schläfe vollendet.
Russell Banks will die unbekannte, private Geschichte von John Brown und die darunter verborgene seines Sohnes Owen aufdecken, bis zur Niederlage bei Harper's Ferry. John Brown erscheint so als Haupt einer großen Familie ohne gesicherte Einkünfte, der den Krieg gegen die Sklaverei aufnahm, weil für ihn die Freiheit der Weißen untrennbar mit der Freiheit der Schwarzen verbunden war, dem die Bibel und sein presbyterianischer Gott sein Leben vor- und festschrieb und dessen charismatische Wirkung aus einer einsinnigen "Torheit des Herzens" resultierte. Nicht nur das Leben John Browns als Farmer, Viehhalter, Schafzüchter, Gerber und Wollhändler, nicht nur die hektischen Manöver des Kreditverwalters und Schuldners werden dem Leser in szenischen Ausschnitten vor Augen geführt. Wir erleben ihn auch als Fluchthelfer und Schleuser entflohener Sklaven, die er durch die kaum erschlossenen Adirondack-Berge an die Nordgrenze des Staates New York schleuste. Oder als Prediger in der Kirche der schwarzen Nachbarn in Timbuktu bei North Elba, als Zuhörer bei einem Vortrag des Dichterphilosophen Emerson, bei einem Schlüsselgespräch mit Frederick Douglass, dem führenden Kopf der schwarzen Sklavereigegner, kurz vor dem Angriff auf Harper's Ferry.
Wenn man sich die vorbehaltlose Befreiung und Eingemeindung der Schwarzen als historisches Ziel Browns vor Augen hält, dann muss dem Leser von Banks' Roman jedoch auffallen, wie wenig die schwarzen Figuren in ihrem Bewusstsein erschlossen werden. Sie bleiben maskiert, und dies gilt auch für Lyman Epps, die am deutlichsten konturierte schwarze Figur. Hier, scheint es, hat Banks die Möglichkeit der Vertiefung eines Themas vergeben, das er als Motiv explizit anspricht, wenn der Romantext John Brown zuschreibt, "irgend etwas tief in seinem Inneren habe ihn mit den Seelen der amerikanischen Neger verbunden", ja, mehr noch, "er habe sich schon oft als Neger geträumt" und sich mit diesen gleichgesetzt, aber wohl nur insoweit "wie die Neger unserer Vorstellung nach sein sollen".
Thematisch passt dieses Aussparen der Perspektive der Schwarzen natürlich gut zur historischen Figur von John Brown, dem Paternalisten im eigenen Haus und Erzieher der Nation: Sein tollkühner Plan zur Einnahme des Waffenarsenals von Harper's Ferry scheiterte an dem Ausbleiben des von Brown erwarteten Massenanschlusses schwarzer Sklaven an die Guerrilla-Aktion, also an einer eklatanten Fehleinschätzung der Schwarzen im Süden. Dass gerade die Hinrichtung Browns und seiner Kampfgefährten ihn zum Märtyrer und Symbol des Widerstands gegen die Sklaverei machte und damit einen wichtigen ideologischen Impuls für den Ausbruch des Bürgerkriegs lieferte, konnte Brown kaum voraussehen. Seine Militanz aber war das konsequente Resultat seiner Entwicklung vom gemäßigten Abolitionisten zum radikalen, Gewalt und Terror in Kauf nehmenden Rebellen.
In kraftvollen Szenen und Bildern von großer Anschaulichkeit entfaltet der Roman das aktivistische Porträt eines zugleich strengen, fordernden wie auch liebevollen, lebensbejahenden Mannes und seiner rasch wechselnden Umgebung. Die vorzügliche Übersetzung von Inge Leipold folgt den zeitlichen Sprüngen und dramatischen Ortswechseln der Handlung mühelos und teilt dem Romantext vielleicht eine Spur mehr förmlichen Stilgestus mit, als er dem Original eignet. Dem produktiven Autor, der mit diesem wie schon mit einem früheren Roman für den Pulitzer-Preis vorgeschlagen wurde und manche Auszeichnungen für seine Kurzgeschichtenbände entgegennahm, ist mit "John Brown, mein Vater" ein historischer Roman im besten Sinn gelungen, nämlich ein Buch, das den Leser hautnah und intellektuell aufrüttelnd quasi als Augenzeugen in eine bewegte und eminent folgenreiche Krisen- und Umbruchszeit der amerikanischen Gesellschaft mitten hinein versetzt.
KLAUS ENSSLEN
Russell Banks: "John Brown, mein Vater". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Inge Leipold. Luchterhand Literaturverlag, München 2000. 360 S., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Breitwandig: Russell Banks erzählt die Geschichte von John Brown
Mit diesem Roman hat Russell Banks ein ungemein fesselndes, anschauungsgesättigtes Zeit- und Gesellschaftsbild aus der amerikanischen Geschichte um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts vorgelegt - genauer: über das Jahrzehnt kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs, in dem die Frage nach der Abschaffung oder Verbreitung der Sklaverei die Nation fast zu ihrer endgültigen Teilung geführt hätte. John Brown, der Held dieses Buches, ist früh eine der schillerndsten Gestalten der amerikanischen Mythologie geworden: als Märtyrer des Abolitionismus, aber auch als Fanatiker. Banks kennt den Bedeutungszuwachs für John Browns Figur gut und hat sich mit gründlichem Quellenstudium gewappnet. Ja, er knüpft mit der gewählten Erzählsituation augenzwinkernd an den Authentizitätsanspruch anderer Texte an, wenn er Browns Sohn Owen als betagten, nach Kalifornien geflüchteten Überlebenden seine Erinnerungen niederschreiben und an die reale Assistentin des authentischen Brown-Biographen Villard weiterreichen lässt, bevor er sein Leben mit einem befreienden Schuss in die eigene Schläfe vollendet.
Russell Banks will die unbekannte, private Geschichte von John Brown und die darunter verborgene seines Sohnes Owen aufdecken, bis zur Niederlage bei Harper's Ferry. John Brown erscheint so als Haupt einer großen Familie ohne gesicherte Einkünfte, der den Krieg gegen die Sklaverei aufnahm, weil für ihn die Freiheit der Weißen untrennbar mit der Freiheit der Schwarzen verbunden war, dem die Bibel und sein presbyterianischer Gott sein Leben vor- und festschrieb und dessen charismatische Wirkung aus einer einsinnigen "Torheit des Herzens" resultierte. Nicht nur das Leben John Browns als Farmer, Viehhalter, Schafzüchter, Gerber und Wollhändler, nicht nur die hektischen Manöver des Kreditverwalters und Schuldners werden dem Leser in szenischen Ausschnitten vor Augen geführt. Wir erleben ihn auch als Fluchthelfer und Schleuser entflohener Sklaven, die er durch die kaum erschlossenen Adirondack-Berge an die Nordgrenze des Staates New York schleuste. Oder als Prediger in der Kirche der schwarzen Nachbarn in Timbuktu bei North Elba, als Zuhörer bei einem Vortrag des Dichterphilosophen Emerson, bei einem Schlüsselgespräch mit Frederick Douglass, dem führenden Kopf der schwarzen Sklavereigegner, kurz vor dem Angriff auf Harper's Ferry.
Wenn man sich die vorbehaltlose Befreiung und Eingemeindung der Schwarzen als historisches Ziel Browns vor Augen hält, dann muss dem Leser von Banks' Roman jedoch auffallen, wie wenig die schwarzen Figuren in ihrem Bewusstsein erschlossen werden. Sie bleiben maskiert, und dies gilt auch für Lyman Epps, die am deutlichsten konturierte schwarze Figur. Hier, scheint es, hat Banks die Möglichkeit der Vertiefung eines Themas vergeben, das er als Motiv explizit anspricht, wenn der Romantext John Brown zuschreibt, "irgend etwas tief in seinem Inneren habe ihn mit den Seelen der amerikanischen Neger verbunden", ja, mehr noch, "er habe sich schon oft als Neger geträumt" und sich mit diesen gleichgesetzt, aber wohl nur insoweit "wie die Neger unserer Vorstellung nach sein sollen".
Thematisch passt dieses Aussparen der Perspektive der Schwarzen natürlich gut zur historischen Figur von John Brown, dem Paternalisten im eigenen Haus und Erzieher der Nation: Sein tollkühner Plan zur Einnahme des Waffenarsenals von Harper's Ferry scheiterte an dem Ausbleiben des von Brown erwarteten Massenanschlusses schwarzer Sklaven an die Guerrilla-Aktion, also an einer eklatanten Fehleinschätzung der Schwarzen im Süden. Dass gerade die Hinrichtung Browns und seiner Kampfgefährten ihn zum Märtyrer und Symbol des Widerstands gegen die Sklaverei machte und damit einen wichtigen ideologischen Impuls für den Ausbruch des Bürgerkriegs lieferte, konnte Brown kaum voraussehen. Seine Militanz aber war das konsequente Resultat seiner Entwicklung vom gemäßigten Abolitionisten zum radikalen, Gewalt und Terror in Kauf nehmenden Rebellen.
In kraftvollen Szenen und Bildern von großer Anschaulichkeit entfaltet der Roman das aktivistische Porträt eines zugleich strengen, fordernden wie auch liebevollen, lebensbejahenden Mannes und seiner rasch wechselnden Umgebung. Die vorzügliche Übersetzung von Inge Leipold folgt den zeitlichen Sprüngen und dramatischen Ortswechseln der Handlung mühelos und teilt dem Romantext vielleicht eine Spur mehr förmlichen Stilgestus mit, als er dem Original eignet. Dem produktiven Autor, der mit diesem wie schon mit einem früheren Roman für den Pulitzer-Preis vorgeschlagen wurde und manche Auszeichnungen für seine Kurzgeschichtenbände entgegennahm, ist mit "John Brown, mein Vater" ein historischer Roman im besten Sinn gelungen, nämlich ein Buch, das den Leser hautnah und intellektuell aufrüttelnd quasi als Augenzeugen in eine bewegte und eminent folgenreiche Krisen- und Umbruchszeit der amerikanischen Gesellschaft mitten hinein versetzt.
KLAUS ENSSLEN
Russell Banks: "John Brown, mein Vater". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Inge Leipold. Luchterhand Literaturverlag, München 2000. 360 S., geb., 58,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Volker Weidermann schwämt enthusiastisch von diesem Buch, dass seiner Meinung nach eine euphorische Besprechung „verdient“ habe. Es sei ein „großes, weit ausholendes, im besten Sinne altmodischen Epos“, so setzt er seine Schwärmereien fort. Jedoch - fatalerweise hat gerade Weidermann ein Exemplar des Buchs erwischt, in dem entscheidende sechszehn Seiten fehlen (560 bis 577). Er versichert dem Leser jedoch, dass Recherchen beim Verlag ergeben haben, dass ihm als einzigen dieses Malheur widerfahren ist. Und so fleht er die zukünftigen Leser des Buchs an, ihm die besonders spannenden Stellen zu verraten: „Schreiben Sie mir, wen Owen liebte“.
© Perlentaucher Medien GmbH
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