Through a patchwork of interweaving histories, Colson Whitehead reveals how America creates its present through the stories it tells of its past.
From the author of â The Underground Railroadâ , Winner of the Pulitzer Prize and the National Book Award, and Longlisted for the 2017 Man Booker Prize. â John Henry Daysâ is a novel of extraordinary scope and mythic power. It established Colson Whitehead as a pre-eminent American writer of our time.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
From the author of â The Underground Railroadâ , Winner of the Pulitzer Prize and the National Book Award, and Longlisted for the 2017 Man Booker Prize. â John Henry Daysâ is a novel of extraordinary scope and mythic power. It established Colson Whitehead as a pre-eminent American writer of our time.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.02.2004Große Legende, Short Cuts
Mann gegen Dampfhammer: Heute erscheint Colson Whiteheads Roman „John Henry Days”
Colson Whitehead trägt einen dunkelgrauen Tweedmantel, er hat sich einen dicken Wollschal um den Hals gewickelt und seine Haare in einen Schopf kurzer Rastalocken gedreht. Damit sieht er so aus, wie man sich im Rest der Welt einen New Yorker Intellektuellen vorstellt. Für das Porträt eines jungen Schriftstellers, der mit seinem zweiten Roman „John Henry Days” für einen Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award nominiert war, mag das vielleicht irrelevant sein, aber nicht für einen 34jährigen schwarzen New Yorker, den die Grundlagenrecherche in die Blauen Berge von West Virginia führte. Nach Talcott, um genau zu sein, ein Kaff mit 500 Einwohnern, in dem Whitehead die „John Henry Days” angesiedelt hat.
„Ich bin mit einem Freund dorthin gefahren”, erzählt er beim Lunch im Café Luluc auf Brooklyns neuer Restaurantmeile Smith Street. Das war auch gut so. Man ist als schwarzer Kosmopolit im Hinterland der amerikanischen Südstaaten zwar nicht mehr in Lebensgefahr, aber auf eine feindselige Art exotisch ist so ein Besuch noch immer. Vor allem in einem Landkreis, in dem 96 Prozent aller Einwohner Weiße sind, von denen über ein Viertel unterhalb der Armutsgrenze leben, seit die Kohlebergwerke in der Gegend geschlossen haben. „Da wird man schon mal angestarrt”, sagt Whitehead. Und muss lachen, als er von dem Jungen erzählt, der ihn an den schwachsinnigen Buben mit der Gitarre aus „Beim Sterben ist jeder der Erste” erinnerte, dem Film, mit dem John Boorman Anfang der 70er Jahre die tumbe Brutalität gezeichnet hatte, die hinter der Freundlichkeit des Südens lauern kann.
Muss lachen, weil er weiß, dass sich da für ihn im Bild des inzestuösen Südstaatendorftrottels eines der ältesten amerikanischen Ressentiments bestätigte. Ressentiments aber liefern nur die einfachsten aller Erklärungen, und so leicht, Rassismus als Produkt eines genetisch bedingten Schwachsinns abzutun, würde es sich Colson Whitehead nie machen. Nein, Rassismus ist nur eines der vielen Fragmente und Motive der amerikanischen Gesellschaft, die er in den Teilchenbeschleuniger seiner virtuosen Sprache gepackt hat, um sie zu einem hochambitionierten Ganzen zu verdichten, das größer sein soll, als die Summe seiner Einzelteile. Und so reduziert er den Rassismus zu einem bedrohlichen Unterton, der sich zunächst einmal nur in den subtilen Gesten nivellierter Vorurteile und politisch korrekter Schuldgefühle artikuliert. Dort, wo ihn nur der spüren kann, dem der fast vergessene Hass auch gilt.
Ausgangspunkt des Romans ist ein Festival, bei dem die Post in Talcott eine Briefmarke zu Ehren des schwarzen Volkshelden John Henry vorstellt. Dessen Legende gilt als historisch unbelegt, doch es heißt, in Talcott sei der Gleisbauarbeiter bei einem gefährlichen Tunneldurchstich in den 1870er Jahren gegen einen Dampfhammer angetreten, um zu beweisen, dass der Mensch der Maschine immer noch überlegen ist. John Henry besiegte den Dampfhammer, bevor ihn Herz- und Hirnschlag dahinrafften.
Spesenritter am Gratisbuffet
Das moderne Pendant, das Whitehead John Henry entgegensetzt, ist der schwarze Journalist und Spesenritter J. Sutter. Der kämpft einen ganz unheroischen Kampf. Er will den Rekord eines Kollegen schlagen, und sich mehr als drei Monate lang nur von den Gratisbuffets der Pressetermine ernähren. Kein Tag soll vergehen, an dem er nicht einen Krieg führt im Namen des „grundlegenden amerikanischen Rechts auf die Freiheit der Rede, um ohne Furcht vor dem Zensor das Volk in die mühsame Huldigung des Pop hineinzutäuschen, verwirren und abzulenken.”
Whitehead kennt diesen Bodensatz der Medienindustrie aus der Zeit, als er bei der New Yorker Wochenzeitung Village Voice als Fernsehkritiker gearbeitet, und für Popzeitschriften wie Vibe und Spin geschrieben hat. Vergleichsweise luxuriöse Jobs, mit denen er sich nicht allzu tief in die Niederungen bezahlter Pressereisen und –termine begeben musste. Trotzdem gehört er zu genau jener Generation der Autoren, die als Plattenkritiker beginnen und nur zu oft als so genannte „Junketeers” enden – freischaffende Spesenritter ohne Inhalt und Perspektive. Manche von ihnen schaffen es vielleicht, ihre Stilparameter mit Moral und Psychologie zu kurzweiliger Popliteratur zu veredeln. Whitehead aber ist kein popversessener Autodidakt. In Harvard hat er Literatur studiert, sich dort ein gewaltiges Vokabular und ein breit gefächertes Instrumentarium der Formen und Stile angeeignet, das er dann in „John Henry Days” auch voll ausschöpft. Zum Vergnügen der Leser.
Das zentrale Bild des Romans erschließt sich rasch. Auf der einen Seite der Volksheld und sein vergebliches letztes Aufbäumen gegen die Industrialisierung. Auf der anderen der Medienknecht mit seinem erbärmlichen Versuch einer wirklichen Leistung. Um diese zwei Figuren kreisen außerdem ganze Kompanien von Nebendarstellern auf Nebenschauplätzen. Die Fragmentierung des Erzählbogens ist aber Programm. Kurze Szenen fügen sich zu einem Gesamtbild, das für eine schlichte lineare Struktur zu komplex wäre.
John Henry eignet sich deswegen perfekt als Ausgangspunkt für ein so breites Bild amerikanischer Kultur und Gesellschaft, weil seine Legende schon seit über einem Jahrhundert die Grenzen dieser Kultur und Gesellschaft hinter sich gelassen hat. Seine Figur hatte den Schritt von der Sagengestalt zum Popmythos vollzogen, bevor es Pop überhaupt gab. Folkpionier Woody Guthrie hat genauso über John Henry gesungen, wie die Bluessänger Leadbelly und Muddy Waters, und Country-Rebell Johnny Cash bei seinem legendären Auftritt im Folsomgefängnis.
In den Songs mischten sich Klassen- und Kulturkampf zu einem Heldenbild, das dann (auch im wahren Leben) eine der letzten Formen der Ikonisierung der Mediengesellschaft durchlief – die Verewigung auf dem Zahlungsmittel eines selbst schon anachronistischen Kommunikationssystems, über welches das Fußvolk der digitalen Revolution mit dem Zynismus als letztem Mittel des Aufbegehrens herfällt.
So viel allegorische Wucht könnte Leser erschlagen. James Wood, der Literaturkritiker der Zeitschrift New Republic, verriet auch gleich Colson Whiteheads ambitioniertes Vorbild: Don DeLillos Roman „Unterwelt”, der mit ebenso komplexen Erzählebenen und Allegorien ein ebenso paranoides Bild der amerikanischen Gesellschaft zeichnete. Wie DeLillo verarbeitet Whitehead ein geradezu enzyklopädisches Wissen. Das verankert die ausufernde Erzählkunst aber so fest in einem nachvollziehbaren Realismus, dass man als Leser nicht einen Moment lang aus der Bahn der Gedanken des Autors getragen wird.
Er hat genug allegorische Kraft, um nicht mit einem Sperrfeuer von Bildern und inneren Monologen gegen analytische Schwächen kämpfen zu müssen. Um Colson Whitehead als Autor wirklich zu beurteilen, muss man aber sein nächstes Buch lesen – „The Colossus of New York” –, eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt in 13 Stimmungsbildern, die er zu einer Prosa mit der emotionalen Wucht und rhythmischen Finesse von Lyrik verdichtet hat. Die Motivation dafür war allerdings nicht ganz so ehrgeizig wie für „John Henry Days”.
„Wer hier aufgewachsen ist, der liebt seine Stadt”, sagt er. Als er dann aber draußen auf der Smith Street steht, sich eine Zigarette ansteckt und den Rauch in die beißend kalte Winterluft bläst, weil man in Bloombergs New York nirgendwo mehr rauchen darf, muss er noch einmal kurz lachen. Es wäre nur zu leicht gewesen, sich über die Stadt lustig zu machen. Aber wie gesagt - leicht hat es sich Colson Whitehead noch nie gemacht.
ANDRIAN KREYE
COLSON WHITEHEAD: John Henry Days. Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Hanser Verlag, München 2004. 592 Seiten, 24,90 Euro.
Wer hier aufgewachsen ist, der liebt seine Stadt: Colson Whitehead in Brooklyn
Foto: eye
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Mann gegen Dampfhammer: Heute erscheint Colson Whiteheads Roman „John Henry Days”
Colson Whitehead trägt einen dunkelgrauen Tweedmantel, er hat sich einen dicken Wollschal um den Hals gewickelt und seine Haare in einen Schopf kurzer Rastalocken gedreht. Damit sieht er so aus, wie man sich im Rest der Welt einen New Yorker Intellektuellen vorstellt. Für das Porträt eines jungen Schriftstellers, der mit seinem zweiten Roman „John Henry Days” für einen Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award nominiert war, mag das vielleicht irrelevant sein, aber nicht für einen 34jährigen schwarzen New Yorker, den die Grundlagenrecherche in die Blauen Berge von West Virginia führte. Nach Talcott, um genau zu sein, ein Kaff mit 500 Einwohnern, in dem Whitehead die „John Henry Days” angesiedelt hat.
„Ich bin mit einem Freund dorthin gefahren”, erzählt er beim Lunch im Café Luluc auf Brooklyns neuer Restaurantmeile Smith Street. Das war auch gut so. Man ist als schwarzer Kosmopolit im Hinterland der amerikanischen Südstaaten zwar nicht mehr in Lebensgefahr, aber auf eine feindselige Art exotisch ist so ein Besuch noch immer. Vor allem in einem Landkreis, in dem 96 Prozent aller Einwohner Weiße sind, von denen über ein Viertel unterhalb der Armutsgrenze leben, seit die Kohlebergwerke in der Gegend geschlossen haben. „Da wird man schon mal angestarrt”, sagt Whitehead. Und muss lachen, als er von dem Jungen erzählt, der ihn an den schwachsinnigen Buben mit der Gitarre aus „Beim Sterben ist jeder der Erste” erinnerte, dem Film, mit dem John Boorman Anfang der 70er Jahre die tumbe Brutalität gezeichnet hatte, die hinter der Freundlichkeit des Südens lauern kann.
Muss lachen, weil er weiß, dass sich da für ihn im Bild des inzestuösen Südstaatendorftrottels eines der ältesten amerikanischen Ressentiments bestätigte. Ressentiments aber liefern nur die einfachsten aller Erklärungen, und so leicht, Rassismus als Produkt eines genetisch bedingten Schwachsinns abzutun, würde es sich Colson Whitehead nie machen. Nein, Rassismus ist nur eines der vielen Fragmente und Motive der amerikanischen Gesellschaft, die er in den Teilchenbeschleuniger seiner virtuosen Sprache gepackt hat, um sie zu einem hochambitionierten Ganzen zu verdichten, das größer sein soll, als die Summe seiner Einzelteile. Und so reduziert er den Rassismus zu einem bedrohlichen Unterton, der sich zunächst einmal nur in den subtilen Gesten nivellierter Vorurteile und politisch korrekter Schuldgefühle artikuliert. Dort, wo ihn nur der spüren kann, dem der fast vergessene Hass auch gilt.
Ausgangspunkt des Romans ist ein Festival, bei dem die Post in Talcott eine Briefmarke zu Ehren des schwarzen Volkshelden John Henry vorstellt. Dessen Legende gilt als historisch unbelegt, doch es heißt, in Talcott sei der Gleisbauarbeiter bei einem gefährlichen Tunneldurchstich in den 1870er Jahren gegen einen Dampfhammer angetreten, um zu beweisen, dass der Mensch der Maschine immer noch überlegen ist. John Henry besiegte den Dampfhammer, bevor ihn Herz- und Hirnschlag dahinrafften.
Spesenritter am Gratisbuffet
Das moderne Pendant, das Whitehead John Henry entgegensetzt, ist der schwarze Journalist und Spesenritter J. Sutter. Der kämpft einen ganz unheroischen Kampf. Er will den Rekord eines Kollegen schlagen, und sich mehr als drei Monate lang nur von den Gratisbuffets der Pressetermine ernähren. Kein Tag soll vergehen, an dem er nicht einen Krieg führt im Namen des „grundlegenden amerikanischen Rechts auf die Freiheit der Rede, um ohne Furcht vor dem Zensor das Volk in die mühsame Huldigung des Pop hineinzutäuschen, verwirren und abzulenken.”
Whitehead kennt diesen Bodensatz der Medienindustrie aus der Zeit, als er bei der New Yorker Wochenzeitung Village Voice als Fernsehkritiker gearbeitet, und für Popzeitschriften wie Vibe und Spin geschrieben hat. Vergleichsweise luxuriöse Jobs, mit denen er sich nicht allzu tief in die Niederungen bezahlter Pressereisen und –termine begeben musste. Trotzdem gehört er zu genau jener Generation der Autoren, die als Plattenkritiker beginnen und nur zu oft als so genannte „Junketeers” enden – freischaffende Spesenritter ohne Inhalt und Perspektive. Manche von ihnen schaffen es vielleicht, ihre Stilparameter mit Moral und Psychologie zu kurzweiliger Popliteratur zu veredeln. Whitehead aber ist kein popversessener Autodidakt. In Harvard hat er Literatur studiert, sich dort ein gewaltiges Vokabular und ein breit gefächertes Instrumentarium der Formen und Stile angeeignet, das er dann in „John Henry Days” auch voll ausschöpft. Zum Vergnügen der Leser.
Das zentrale Bild des Romans erschließt sich rasch. Auf der einen Seite der Volksheld und sein vergebliches letztes Aufbäumen gegen die Industrialisierung. Auf der anderen der Medienknecht mit seinem erbärmlichen Versuch einer wirklichen Leistung. Um diese zwei Figuren kreisen außerdem ganze Kompanien von Nebendarstellern auf Nebenschauplätzen. Die Fragmentierung des Erzählbogens ist aber Programm. Kurze Szenen fügen sich zu einem Gesamtbild, das für eine schlichte lineare Struktur zu komplex wäre.
John Henry eignet sich deswegen perfekt als Ausgangspunkt für ein so breites Bild amerikanischer Kultur und Gesellschaft, weil seine Legende schon seit über einem Jahrhundert die Grenzen dieser Kultur und Gesellschaft hinter sich gelassen hat. Seine Figur hatte den Schritt von der Sagengestalt zum Popmythos vollzogen, bevor es Pop überhaupt gab. Folkpionier Woody Guthrie hat genauso über John Henry gesungen, wie die Bluessänger Leadbelly und Muddy Waters, und Country-Rebell Johnny Cash bei seinem legendären Auftritt im Folsomgefängnis.
In den Songs mischten sich Klassen- und Kulturkampf zu einem Heldenbild, das dann (auch im wahren Leben) eine der letzten Formen der Ikonisierung der Mediengesellschaft durchlief – die Verewigung auf dem Zahlungsmittel eines selbst schon anachronistischen Kommunikationssystems, über welches das Fußvolk der digitalen Revolution mit dem Zynismus als letztem Mittel des Aufbegehrens herfällt.
So viel allegorische Wucht könnte Leser erschlagen. James Wood, der Literaturkritiker der Zeitschrift New Republic, verriet auch gleich Colson Whiteheads ambitioniertes Vorbild: Don DeLillos Roman „Unterwelt”, der mit ebenso komplexen Erzählebenen und Allegorien ein ebenso paranoides Bild der amerikanischen Gesellschaft zeichnete. Wie DeLillo verarbeitet Whitehead ein geradezu enzyklopädisches Wissen. Das verankert die ausufernde Erzählkunst aber so fest in einem nachvollziehbaren Realismus, dass man als Leser nicht einen Moment lang aus der Bahn der Gedanken des Autors getragen wird.
Er hat genug allegorische Kraft, um nicht mit einem Sperrfeuer von Bildern und inneren Monologen gegen analytische Schwächen kämpfen zu müssen. Um Colson Whitehead als Autor wirklich zu beurteilen, muss man aber sein nächstes Buch lesen – „The Colossus of New York” –, eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt in 13 Stimmungsbildern, die er zu einer Prosa mit der emotionalen Wucht und rhythmischen Finesse von Lyrik verdichtet hat. Die Motivation dafür war allerdings nicht ganz so ehrgeizig wie für „John Henry Days”.
„Wer hier aufgewachsen ist, der liebt seine Stadt”, sagt er. Als er dann aber draußen auf der Smith Street steht, sich eine Zigarette ansteckt und den Rauch in die beißend kalte Winterluft bläst, weil man in Bloombergs New York nirgendwo mehr rauchen darf, muss er noch einmal kurz lachen. Es wäre nur zu leicht gewesen, sich über die Stadt lustig zu machen. Aber wie gesagt - leicht hat es sich Colson Whitehead noch nie gemacht.
ANDRIAN KREYE
COLSON WHITEHEAD: John Henry Days. Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Hanser Verlag, München 2004. 592 Seiten, 24,90 Euro.
Wer hier aufgewachsen ist, der liebt seine Stadt: Colson Whitehead in Brooklyn
Foto: eye
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2004Spesen! Spesen! Seid's gewesen!
Colson Whitehead erzählt in "John Henry Days" alte Heldengeschichten in neuer Zeit
"Ist nicht so der allerszenigste Ort Berlins, an den Sie mich hier für dieses Interview gebracht haben?" fragt Colson Whitehead zweifelnd und steckt sich eine Zigarette an. An der Wand des großen holzgetäfelten Saales hängen ein Hirsch und Jagdszenen in Öl, an der Decke tropfenförmige Lampen im Milchglasschein, und an den Nebentischen stopfen kleine ältere Damen mit hochgesprühtem weißen Haar große Mengen Torte in sich hinein. Vor dem Fenster stapfen Enten durch den Matsch, und der Wannsee liegt braun und leer herum. Nein, ist es nicht, zugegeben. Die Moorlake, schwarzwaldartiger Erholungsort, den der Schinkel-Schüler Persius einst erbaut hatte, ist eher ein Berliner Rentner-Traumort. "Im Sommer ist es hier wahrscheinlich ganz schön", sagt Whitehead rauchausatmend. Das soll wohl höflich klingen.
Der vierunddreißig Jahre alte New Yorker Schriftsteller Colson Whitehead ist zum ersten Mal in Deutschland. Als sein erstes Buch, "Die Fahrstuhlinspektorin" vor vier Jahren auf deutsch erschien, war er nicht gekommen. Das Buch, das in Amerika von "Esquire" zum Roman des Jahres und von "GQ" gar zu einem der besten Bücher des Millenniums gewählt worden war, hatte in Deutschland überhaupt keinen Erfolg. Wie viele hier verkauft wurden? "Zwei Exemplare", sagt Whitehead lachend, und er wundert sich nicht, daß sein alter Verlag noch vier Jahre später großzügig Gratisexemplare an Journalisten verschickt. "Die müssen noch Tausende von dem Ding haben."
Sein neues Buch "John Henry Days", das in den Vereinigten Staaten ein noch größerer Erfolg war und von Jonathan Franzen und John Updike ausführlich gerühmt, von den Lesern gefeiert wurde, soll ihm endlich auch in Deutschland den Durchbruch bringen. Sein neuer Verleger, Michael Krüger vom Hanser-Verlag, tut jedenfalls alles dafür, verschickte frühzeitig einen enthusiastischen Whitehead-Begeisterungsbrief an die Literaturredaktionen des Landes, damit diese den Roman nicht wieder zwischen all den anderen amerikanischen Neuerscheinungen übersehen, und holte den Schriftsteller rechtzeitig, mit Unterstützung der Berliner American Academy, zur Buchvorstellung nach Deutschland.
Jetzt ist er da, sitzt in dem dunklen, alten Jagderholungsraum am Berliner Stadtrand bei Rumpsteak und Bier und redet über New York, Berlin, das Rauchen und sein Buch. "John Henry Days" ist die Geschichte einer Schar von abgehalfterten Journalisten, die sich eines Tages bei einer Pressereise in Talcott, West Virginia, treffen, um der Präsentation einer John-Henry-Briefmarke beizuwohnen und dem erstmals veranstalteten Helden-Volksfest namens John-Henry-Days. Und es ist auch die Geschichte eines Mythos. Eines amerikanischen Heldenmythos, den dortzulande jedes Kind kennt. Die Geschichte von John Henry, dem schwarzen Bohrhauer, der bei einer riskanten Tunnelbohrung in der Nähe von Talcott vor mehr als hundertdreißig Jahren sein Leben verlor. Er starb im Kampf gegen eine Maschine, von der behauptet wurde, sie könne die Arbeit der menschlichen Bohrhauer in Zukunft übernehmen. Schneller und besser, sauberer und billiger. "Es war der törichte Traum eines verrückten Wissenschaftlers, und dennoch erstarrten die Eisenbahnarbeiter vor Ehrfurcht. Vor Angst. Außer unserem John Henry, der in diesem komischen, komplizierten Gefüge die nahtlose Konstruktion seines Schicksals erkannte", heißt es in Whiteheads Roman. "John Henry spuckte in die Hände und sagte, er könne es mit jeder von Menschenhand stammenden Maschine aufnehmen und jederzeit schneller bohren als dieser Haufen Schrott. (Hybris, die Sünde der Griechen, jedenfalls eine davon.) Er lasse sich nicht von irgendeiner Großstadtteufelei verdrängen." John Henry kämpfte. Und er gewann sogar gegen die Maschine, wie es im Mythos heißt. Und wenig später war er tot. Hirnschlag. Herzschlag. Ende eines schwarzen Helden.
Doch die Geschichte des Mythos fängt hier erst an. Colson Whitehead wandert erzählerisch mit dieser Heldensage durch das Jahrhundert, findet hier Parallelen auf einem Rolling-Stones-Konzert, dort mögliche John-Henry-Wiedergänger in einer Südstaatenfamilie, zitiert John-Henry-Songs, beschreibt John-Henry-Comics, John-Henry-Filme und kehrt immer wieder in die Gegenwart zurück. Zur Präsentation jenes kleinen postalischen Heldenbildchens in Talcott, West Virginia, und zur Gruppe der reisenden Schnäppchenjournalisten, die außer Gratisreisen, Gratisspeisen und den wohlfeilen Preisen jeder noch so nutzlosen PR-Veranstaltung wenig im Kopf zu haben scheinen. Allen voran der König der Spesenritter, der schwarze Journalist J. Sutter aus New York, "ein dem Trägheitsmoment gehorchender Lohnschreiber, der Quittungen hamstert, denn er ist auf einer dreimonatigen Spesentour, die zu unterbrechen ihm die Bereitschaft und der Mut fehlt." Sutter steht kurz vor einem Rekord. Einem Langzeitrekord des Gratislebens auf Pressereisen. Da läßt man sich besser nicht so einfach rausbringen.
Jedoch: Das Festival, die Briefmarke, die Zeit, der immer noch grassierende Rassismus im West Virginia der Gegenwart, der Mythos, die Liebe und der Roman verändern etwas im Leben des J. Sutter. Er nähert sich dem Helden an, den er eigentlich als kleine Briefmarke in einem schnellen Hundertzeiler von sich wegschreiben wollte.
John Updike hatte in seiner lobenden Kritik im "New Yorker" bei Erscheinen des Buches in Amerika geschrieben, der schwarze Billigjournalist J. Sutter habe leider bei weitem nicht das Zeug zu einem neuen John Henry. Und außerdem erscheine ihm die schwarze Hautfarbe des neuen und des alten Helden etwas überbetont. Die Hautfarbe sei doch letztlich gleichgültig. "Schön, daß er gut über mich schreibt", sagt der Harvard-Absolvent Colson Whitehead und schüttelt die kurzen Rasta-Locken. "Aber leider hat Updike den Roman nicht verstanden. Vielleicht auch nicht wirklich gelesen. Ihn interessiert es nicht wirklich, daß irgendwo ganz da unten junge schwarze Bürschchen auch Bücher schreiben. Rassismus ist natürlich ein wichtiges Thema des Buches."
Das in der Tat geradezu leitmotivisch den Roman durchzieht. Als ständige Bedrohung, Angst und Schrecken: "Ein Schwarzer hat hier nichts verloren", heißt es über Talcott. "Hier ist einfach zuviel Übles, zuviel Geschichte gelaufen. Genau das wollen sie. Sie wollen uns tot sehen."
Doch Rassismus ist keine Frage der Provinz. Whitehead erzählt von seiner Nachbarschaft in Brooklyn, wo er lebt, die fast ausschließlich schwarz ist, und den Polizeibeamten am Ort, die fast ausnahmslos weiß sind. "Einfach damit du jeden Moment siehst, auf welcher Seite die Macht, die Staatsgewalt steht." Und von dem Aufräumer Giuliani erzählt er, dem Saubermann, den nach dem 11. September plötzlich alle liebten, und Michael Bloomberg, dem Mann, den auch wieder fast alle lieben, weil er so kompromißlos gegen die Raucher vorgeht. Whitehead bläst Rauch aus, lächelt und sagt, er sei auch sehr dafür, für das strenge Rauchverbot in Kneipen und Restaurants. Es schweiße die Raucher so zusammen. Zu einer Kältenotgemeinschaft, jetzt, im kalten Winter in New York. Gut, zugegeben, mitunter sei es natürlich doch sehr schön, mal wieder im Warmen zu Rauchen. Wie hier, auf den grünen Cordstühlchen unter dem Hirschgeweih.
Wenigstens ein kleiner Vorteil des unszenigen Tortenparadieses, hier, am Rande von Berlin.
VOLKER WEIDERMANN
Colson Whitehead: "John Henry Days". Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Carl Hanser Verlag, München. 526 Seiten. 24,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Colson Whitehead erzählt in "John Henry Days" alte Heldengeschichten in neuer Zeit
"Ist nicht so der allerszenigste Ort Berlins, an den Sie mich hier für dieses Interview gebracht haben?" fragt Colson Whitehead zweifelnd und steckt sich eine Zigarette an. An der Wand des großen holzgetäfelten Saales hängen ein Hirsch und Jagdszenen in Öl, an der Decke tropfenförmige Lampen im Milchglasschein, und an den Nebentischen stopfen kleine ältere Damen mit hochgesprühtem weißen Haar große Mengen Torte in sich hinein. Vor dem Fenster stapfen Enten durch den Matsch, und der Wannsee liegt braun und leer herum. Nein, ist es nicht, zugegeben. Die Moorlake, schwarzwaldartiger Erholungsort, den der Schinkel-Schüler Persius einst erbaut hatte, ist eher ein Berliner Rentner-Traumort. "Im Sommer ist es hier wahrscheinlich ganz schön", sagt Whitehead rauchausatmend. Das soll wohl höflich klingen.
Der vierunddreißig Jahre alte New Yorker Schriftsteller Colson Whitehead ist zum ersten Mal in Deutschland. Als sein erstes Buch, "Die Fahrstuhlinspektorin" vor vier Jahren auf deutsch erschien, war er nicht gekommen. Das Buch, das in Amerika von "Esquire" zum Roman des Jahres und von "GQ" gar zu einem der besten Bücher des Millenniums gewählt worden war, hatte in Deutschland überhaupt keinen Erfolg. Wie viele hier verkauft wurden? "Zwei Exemplare", sagt Whitehead lachend, und er wundert sich nicht, daß sein alter Verlag noch vier Jahre später großzügig Gratisexemplare an Journalisten verschickt. "Die müssen noch Tausende von dem Ding haben."
Sein neues Buch "John Henry Days", das in den Vereinigten Staaten ein noch größerer Erfolg war und von Jonathan Franzen und John Updike ausführlich gerühmt, von den Lesern gefeiert wurde, soll ihm endlich auch in Deutschland den Durchbruch bringen. Sein neuer Verleger, Michael Krüger vom Hanser-Verlag, tut jedenfalls alles dafür, verschickte frühzeitig einen enthusiastischen Whitehead-Begeisterungsbrief an die Literaturredaktionen des Landes, damit diese den Roman nicht wieder zwischen all den anderen amerikanischen Neuerscheinungen übersehen, und holte den Schriftsteller rechtzeitig, mit Unterstützung der Berliner American Academy, zur Buchvorstellung nach Deutschland.
Jetzt ist er da, sitzt in dem dunklen, alten Jagderholungsraum am Berliner Stadtrand bei Rumpsteak und Bier und redet über New York, Berlin, das Rauchen und sein Buch. "John Henry Days" ist die Geschichte einer Schar von abgehalfterten Journalisten, die sich eines Tages bei einer Pressereise in Talcott, West Virginia, treffen, um der Präsentation einer John-Henry-Briefmarke beizuwohnen und dem erstmals veranstalteten Helden-Volksfest namens John-Henry-Days. Und es ist auch die Geschichte eines Mythos. Eines amerikanischen Heldenmythos, den dortzulande jedes Kind kennt. Die Geschichte von John Henry, dem schwarzen Bohrhauer, der bei einer riskanten Tunnelbohrung in der Nähe von Talcott vor mehr als hundertdreißig Jahren sein Leben verlor. Er starb im Kampf gegen eine Maschine, von der behauptet wurde, sie könne die Arbeit der menschlichen Bohrhauer in Zukunft übernehmen. Schneller und besser, sauberer und billiger. "Es war der törichte Traum eines verrückten Wissenschaftlers, und dennoch erstarrten die Eisenbahnarbeiter vor Ehrfurcht. Vor Angst. Außer unserem John Henry, der in diesem komischen, komplizierten Gefüge die nahtlose Konstruktion seines Schicksals erkannte", heißt es in Whiteheads Roman. "John Henry spuckte in die Hände und sagte, er könne es mit jeder von Menschenhand stammenden Maschine aufnehmen und jederzeit schneller bohren als dieser Haufen Schrott. (Hybris, die Sünde der Griechen, jedenfalls eine davon.) Er lasse sich nicht von irgendeiner Großstadtteufelei verdrängen." John Henry kämpfte. Und er gewann sogar gegen die Maschine, wie es im Mythos heißt. Und wenig später war er tot. Hirnschlag. Herzschlag. Ende eines schwarzen Helden.
Doch die Geschichte des Mythos fängt hier erst an. Colson Whitehead wandert erzählerisch mit dieser Heldensage durch das Jahrhundert, findet hier Parallelen auf einem Rolling-Stones-Konzert, dort mögliche John-Henry-Wiedergänger in einer Südstaatenfamilie, zitiert John-Henry-Songs, beschreibt John-Henry-Comics, John-Henry-Filme und kehrt immer wieder in die Gegenwart zurück. Zur Präsentation jenes kleinen postalischen Heldenbildchens in Talcott, West Virginia, und zur Gruppe der reisenden Schnäppchenjournalisten, die außer Gratisreisen, Gratisspeisen und den wohlfeilen Preisen jeder noch so nutzlosen PR-Veranstaltung wenig im Kopf zu haben scheinen. Allen voran der König der Spesenritter, der schwarze Journalist J. Sutter aus New York, "ein dem Trägheitsmoment gehorchender Lohnschreiber, der Quittungen hamstert, denn er ist auf einer dreimonatigen Spesentour, die zu unterbrechen ihm die Bereitschaft und der Mut fehlt." Sutter steht kurz vor einem Rekord. Einem Langzeitrekord des Gratislebens auf Pressereisen. Da läßt man sich besser nicht so einfach rausbringen.
Jedoch: Das Festival, die Briefmarke, die Zeit, der immer noch grassierende Rassismus im West Virginia der Gegenwart, der Mythos, die Liebe und der Roman verändern etwas im Leben des J. Sutter. Er nähert sich dem Helden an, den er eigentlich als kleine Briefmarke in einem schnellen Hundertzeiler von sich wegschreiben wollte.
John Updike hatte in seiner lobenden Kritik im "New Yorker" bei Erscheinen des Buches in Amerika geschrieben, der schwarze Billigjournalist J. Sutter habe leider bei weitem nicht das Zeug zu einem neuen John Henry. Und außerdem erscheine ihm die schwarze Hautfarbe des neuen und des alten Helden etwas überbetont. Die Hautfarbe sei doch letztlich gleichgültig. "Schön, daß er gut über mich schreibt", sagt der Harvard-Absolvent Colson Whitehead und schüttelt die kurzen Rasta-Locken. "Aber leider hat Updike den Roman nicht verstanden. Vielleicht auch nicht wirklich gelesen. Ihn interessiert es nicht wirklich, daß irgendwo ganz da unten junge schwarze Bürschchen auch Bücher schreiben. Rassismus ist natürlich ein wichtiges Thema des Buches."
Das in der Tat geradezu leitmotivisch den Roman durchzieht. Als ständige Bedrohung, Angst und Schrecken: "Ein Schwarzer hat hier nichts verloren", heißt es über Talcott. "Hier ist einfach zuviel Übles, zuviel Geschichte gelaufen. Genau das wollen sie. Sie wollen uns tot sehen."
Doch Rassismus ist keine Frage der Provinz. Whitehead erzählt von seiner Nachbarschaft in Brooklyn, wo er lebt, die fast ausschließlich schwarz ist, und den Polizeibeamten am Ort, die fast ausnahmslos weiß sind. "Einfach damit du jeden Moment siehst, auf welcher Seite die Macht, die Staatsgewalt steht." Und von dem Aufräumer Giuliani erzählt er, dem Saubermann, den nach dem 11. September plötzlich alle liebten, und Michael Bloomberg, dem Mann, den auch wieder fast alle lieben, weil er so kompromißlos gegen die Raucher vorgeht. Whitehead bläst Rauch aus, lächelt und sagt, er sei auch sehr dafür, für das strenge Rauchverbot in Kneipen und Restaurants. Es schweiße die Raucher so zusammen. Zu einer Kältenotgemeinschaft, jetzt, im kalten Winter in New York. Gut, zugegeben, mitunter sei es natürlich doch sehr schön, mal wieder im Warmen zu Rauchen. Wie hier, auf den grünen Cordstühlchen unter dem Hirschgeweih.
Wenigstens ein kleiner Vorteil des unszenigen Tortenparadieses, hier, am Rande von Berlin.
VOLKER WEIDERMANN
Colson Whitehead: "John Henry Days". Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Carl Hanser Verlag, München. 526 Seiten. 24,90 Euro.
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