John Rabe (1882-1950) lebte von 1908 bis 1938 in China, zuletzt als Vertreter eines deutschen Konzerns in Nanking. Hier erlebte er 1937 die Eroberung der Stadt durch japanische Truppen - Beginn unvorstellbarer Massaker, dem Hunderttausende von Chinesen zum Opfer fielen. Rabe stand an der Spitze jener, die verzweifelt um das Leben von Zivilisten, von Frauen und Kindern kämpften. Seine Tagebücher, nach über einem halben Jahrhundert in Deutschland aufgefunden, beschreiben die Vorgänge in Nanking und schildern zahlreiche Einzelschicksale. Sie wurden, ergänzt durch Aktenberichte des Auswärtigen Amtes, von Erwin Wickert herausgegeben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.1999Der gute Deutsche von Nanking
Die Tagebuchaufzeichnungen John Rabes
Erwin Wickert (Herausgeber): John Rabe. Der gute Deutsche von Nanking. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 448 Seiten, 32 Abbildungen, 48,- Mark.
Zu den Scheußlichkeiten des Zweiten Weltkriegs zählt das Massaker von Nanking. Im Winter 1937 marschierten die Japaner in der damaligen chinesischen Hauptstadt ein, erschossen Zivilisten, quälten, vergewaltigten und töteten die Frauen. Die Zahl der Opfer des schrecklichen Wütens wird auf mehr als zweihunderttausend geschätzt. Doch weiß man hierzulande wenig von den Grausamkeiten, die die japanische Armee bei ihrer Eroberung Chinas verübte. Bis vor kurzem wußte man auch nicht, daß es in der Zeit der japanischen Besetzung Nankings einen Deutschen gab, dem es zu verdanken ist, daß nicht noch mehr Menschen Opfer des japanischen Mordens wurden. Der Name des Mannes, der damals mehr als 200 000 Menschen das Leben rettete, ist John Rabe.
Als John Rabe im Jahr 1950 starb, gab es keine Gedenkfeiern, keine Dankesreden. John Rabe, der gute Deutsche von Nanking, starb arm und unbeachtet in Berlin. Die Nazis hatten ihm nach seiner Rückkehr aus China im Jahr 1938 verboten, über die Ereignisse von Nanking zu sprechen. Auch nach dem Krieg wurde Rabe nicht Anerkennung noch Dank zuteil. Weil er Parteimitglied war, wurde ihm zunächst sogar die Entnazifizierung verweigert. Dabei hatte John Rabe in China das Hakenkreuz benutzt, um Menschenleben zu retten. Aber ein "guter Nazi" war damals undenkbar. John Rabes Heldentat blieb vergessen.
Als Erwin Wickert jetzt Rabes Tagebücher veröffentlichte, kam späte Anerkennung für den Deutschen weniger aus seinem Heimatland. In Amerika wurde Rabe als " The good Nazi" oder gar "The Schindler of China" gewürdigt. Die Chinesen errichteten dem Deutschen ein Denkmal. Selbst in Japan stieß die Veröffentlichung des Tagebuches auf große Resonanz. Die Deutschen haben John Rabe noch nicht gewürdigt. Er hätte es verdient.
John Rabe war Kaufmann und lebte von 1908 bis 1938 in China. Zu Kriegsbeginn war er Leiter der Siemens-Vertretung in Nanking. Als im Jahr 1937 der japanische Eroberungskrieg in China begann, setzten sich die meisten Ausländer und die reichen Chinesen aus Nanking ab. Rabe blieb, obwohl seine Firma ihn zurückbeorderte; er wollte niemanden im Stich lassen. Angesichts der Brutalität der japanischen Truppen beschloß Rabe, eine neutrale Sicherheitszone für Zivilisten in Nanking einzurichten. Zusammen mit amerikanischen Missionaren und Ärzten setzte er den Plan unter Lebensgefahr durch. Polizeipräsident und Bürgermeister hatten die Stadt verlassen. Rabe übernahm ihre Aufgaben, organisierte Unterkünfte und Versorgung. Mit der Hakenkreuzbinde, dem einzigen Symbol, vor dem die japanischen Soldaten Respekt zeigten, trat er marodierenden Truppen erfolgreich entgegen. Immer wieder intervenierte er bei japanischen Offizieren, ihre Mannschaften zu zügeln. Sie konnten oder wollten es nicht.
Rabe hat in seinem Tagebuch die Grausamkeiten der Japaner geschildert. Es ist ein packender Bericht. Rabe schreibt von Erschießungen von Zivilisten, von barbarischen Quälereien und immer wieder von Vergewaltigungen. "Man hört nur von Vergewaltigungen. Wenn die Männer oder Brüder dazukommen, werden sie erschossen . . . Wir fanden Frauen auf Bierflaschen und Bambusstöcke gespießt. Ich habe die Opfer mit eigenen Augen gesehen, mit den noch Lebenden vor ihrem Tode gesprochen . . . Wir sind damals buchstäblich über Leichen gestiegen", schreibt Rabe. "Wohin man sieht und hört, nur Bestialität der japanischen Soldaten."
Der Tatsache, daß Rabe in dieser Hölle noch regelmäßig Tagebuch geführt hat, verdanken wir jetzt einen einzigartigen Augenzeugenbericht von dem Nankinger Massaker, das von vielen in Japan noch immer geleugnet wird.
In den Tagebüchern wird auch der humorvolle Mensch und besorgte Familienvater sichtbar. John Rabe war ein Mann mit einem guten Herzen und christlichen Grundsätzen. Er glaubte an Gott und litt mit der chinesischen Bevölkerung. John Rabe glaubte aber auch an den Führer. "Wenn doch nur der Führer wüßte" - " Der Führer wird mich nicht im Stich lassen", so liest man immer wieder in seinem Tagebuch. Sein naiver Glaube ging gar so weit, daß er ein Telegramm an den Führer schrieb, indem er um "gütige Fürsprache" bei der japanischen Regierung bat. Er bekam keine Antwort. "War John Rabe ein Nazi?" fragt Erwin Wickert in seinem Nachwort. Er findet nicht viel Schuld bei dem deutschen Kaufmann. Von der deutschen Heimat war man zu jener Zeit von China unendlich weit entfernt. Kurze Heimreisen gab es nicht. Die Nachrichten aus Deutschland kamen aus alten deutschen Zeitungen, die voll des Lobes über Hitler waren. Rabe hat die Nazis gründlich mißverstanden, schreibt Wickert.
Ob Rabe seine Meinung über Hitler nach seiner Rückkehr 1938 geändert hat, wissen wir nicht, darüber gibt das Tagebuch keine Auskunft. Möglicherweise hat ihm schon das Verbot, über die Nankinger Zeit zu reden, die Augen geöffnet. Seine Verdienste um die Zivilbevölkerung von Nanking schmälert seine Parteizugehörigkeit nicht. Sein Eintreten für die chinesische Bevölkerung und die Art, wie er von ihr schreibt, befreit ihn vom Vorwurf des Rassismus, und Antisemitisches hat Wickert im Tagebuch auch nicht gefunden. John Rabe bleibt der gute Deutsche von Nanking.
PETRA KOLONKO
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Tagebuchaufzeichnungen John Rabes
Erwin Wickert (Herausgeber): John Rabe. Der gute Deutsche von Nanking. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 448 Seiten, 32 Abbildungen, 48,- Mark.
Zu den Scheußlichkeiten des Zweiten Weltkriegs zählt das Massaker von Nanking. Im Winter 1937 marschierten die Japaner in der damaligen chinesischen Hauptstadt ein, erschossen Zivilisten, quälten, vergewaltigten und töteten die Frauen. Die Zahl der Opfer des schrecklichen Wütens wird auf mehr als zweihunderttausend geschätzt. Doch weiß man hierzulande wenig von den Grausamkeiten, die die japanische Armee bei ihrer Eroberung Chinas verübte. Bis vor kurzem wußte man auch nicht, daß es in der Zeit der japanischen Besetzung Nankings einen Deutschen gab, dem es zu verdanken ist, daß nicht noch mehr Menschen Opfer des japanischen Mordens wurden. Der Name des Mannes, der damals mehr als 200 000 Menschen das Leben rettete, ist John Rabe.
Als John Rabe im Jahr 1950 starb, gab es keine Gedenkfeiern, keine Dankesreden. John Rabe, der gute Deutsche von Nanking, starb arm und unbeachtet in Berlin. Die Nazis hatten ihm nach seiner Rückkehr aus China im Jahr 1938 verboten, über die Ereignisse von Nanking zu sprechen. Auch nach dem Krieg wurde Rabe nicht Anerkennung noch Dank zuteil. Weil er Parteimitglied war, wurde ihm zunächst sogar die Entnazifizierung verweigert. Dabei hatte John Rabe in China das Hakenkreuz benutzt, um Menschenleben zu retten. Aber ein "guter Nazi" war damals undenkbar. John Rabes Heldentat blieb vergessen.
Als Erwin Wickert jetzt Rabes Tagebücher veröffentlichte, kam späte Anerkennung für den Deutschen weniger aus seinem Heimatland. In Amerika wurde Rabe als " The good Nazi" oder gar "The Schindler of China" gewürdigt. Die Chinesen errichteten dem Deutschen ein Denkmal. Selbst in Japan stieß die Veröffentlichung des Tagebuches auf große Resonanz. Die Deutschen haben John Rabe noch nicht gewürdigt. Er hätte es verdient.
John Rabe war Kaufmann und lebte von 1908 bis 1938 in China. Zu Kriegsbeginn war er Leiter der Siemens-Vertretung in Nanking. Als im Jahr 1937 der japanische Eroberungskrieg in China begann, setzten sich die meisten Ausländer und die reichen Chinesen aus Nanking ab. Rabe blieb, obwohl seine Firma ihn zurückbeorderte; er wollte niemanden im Stich lassen. Angesichts der Brutalität der japanischen Truppen beschloß Rabe, eine neutrale Sicherheitszone für Zivilisten in Nanking einzurichten. Zusammen mit amerikanischen Missionaren und Ärzten setzte er den Plan unter Lebensgefahr durch. Polizeipräsident und Bürgermeister hatten die Stadt verlassen. Rabe übernahm ihre Aufgaben, organisierte Unterkünfte und Versorgung. Mit der Hakenkreuzbinde, dem einzigen Symbol, vor dem die japanischen Soldaten Respekt zeigten, trat er marodierenden Truppen erfolgreich entgegen. Immer wieder intervenierte er bei japanischen Offizieren, ihre Mannschaften zu zügeln. Sie konnten oder wollten es nicht.
Rabe hat in seinem Tagebuch die Grausamkeiten der Japaner geschildert. Es ist ein packender Bericht. Rabe schreibt von Erschießungen von Zivilisten, von barbarischen Quälereien und immer wieder von Vergewaltigungen. "Man hört nur von Vergewaltigungen. Wenn die Männer oder Brüder dazukommen, werden sie erschossen . . . Wir fanden Frauen auf Bierflaschen und Bambusstöcke gespießt. Ich habe die Opfer mit eigenen Augen gesehen, mit den noch Lebenden vor ihrem Tode gesprochen . . . Wir sind damals buchstäblich über Leichen gestiegen", schreibt Rabe. "Wohin man sieht und hört, nur Bestialität der japanischen Soldaten."
Der Tatsache, daß Rabe in dieser Hölle noch regelmäßig Tagebuch geführt hat, verdanken wir jetzt einen einzigartigen Augenzeugenbericht von dem Nankinger Massaker, das von vielen in Japan noch immer geleugnet wird.
In den Tagebüchern wird auch der humorvolle Mensch und besorgte Familienvater sichtbar. John Rabe war ein Mann mit einem guten Herzen und christlichen Grundsätzen. Er glaubte an Gott und litt mit der chinesischen Bevölkerung. John Rabe glaubte aber auch an den Führer. "Wenn doch nur der Führer wüßte" - " Der Führer wird mich nicht im Stich lassen", so liest man immer wieder in seinem Tagebuch. Sein naiver Glaube ging gar so weit, daß er ein Telegramm an den Führer schrieb, indem er um "gütige Fürsprache" bei der japanischen Regierung bat. Er bekam keine Antwort. "War John Rabe ein Nazi?" fragt Erwin Wickert in seinem Nachwort. Er findet nicht viel Schuld bei dem deutschen Kaufmann. Von der deutschen Heimat war man zu jener Zeit von China unendlich weit entfernt. Kurze Heimreisen gab es nicht. Die Nachrichten aus Deutschland kamen aus alten deutschen Zeitungen, die voll des Lobes über Hitler waren. Rabe hat die Nazis gründlich mißverstanden, schreibt Wickert.
Ob Rabe seine Meinung über Hitler nach seiner Rückkehr 1938 geändert hat, wissen wir nicht, darüber gibt das Tagebuch keine Auskunft. Möglicherweise hat ihm schon das Verbot, über die Nankinger Zeit zu reden, die Augen geöffnet. Seine Verdienste um die Zivilbevölkerung von Nanking schmälert seine Parteizugehörigkeit nicht. Sein Eintreten für die chinesische Bevölkerung und die Art, wie er von ihr schreibt, befreit ihn vom Vorwurf des Rassismus, und Antisemitisches hat Wickert im Tagebuch auch nicht gefunden. John Rabe bleibt der gute Deutsche von Nanking.
PETRA KOLONKO
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