Einst - als Magie in England etwas ganz Selbstverständliches war - war der Rabenkönig der größte aller Zauberer. Anfang des 19. Jahrhunderts ist er nur noch eine Legende. Kein Mensch glaubt mehr an Magie! Doch eines Tages bewirkt der eher zurückgezogen lebende Mr. Norell, das die Statuen in der Kathedrale zu sprechen beginnen ...
Ein neues Kapitel englischer Magie nimmt seinen Anfang.
Ein neues Kapitel englischer Magie nimmt seinen Anfang.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.11.2004Die schönen Verwirrungskünste der Phantasie
Einführung in den Fußnoten-Trick: Susanna Clarkes augenzwinkernder Zauberer-Roman „Jonathan Strange & Mr. Norrell”
Es war weder eine Überraschung noch Zauberei, dass Susanna Clarkes Debütroman vom ersten Tag an als „Harry Potter für Erwachsene” gehandelt wurde. Gut, die 45-jährige britische Autorin hat ein Nicht-Kinderbuch über die Zauberei geschrieben und es bei Bloomsbury - auch „Harry-Potter-Verlag” genannt - veröffentlicht. Interessanter als die Frage, ob sich dahinter ein Marketing-Trick verbirgt, ist jedoch, welcher Zauber eigentlich in „Jonathan Strange & Mr. Norrell” vonstatten geht.
Auffällig ist gleich auf der ersten Seite folgende Fußnote: „1Geschichte und Ausübung der englischen Zauberei von Jonathan Strange, Band I, 2. Kap., verlegt von John Murray, London 1816.” Wieso wird hier eine historische Quelle zitiert, wenn wir uns doch in einem Roman befinden? Gibt es diese Quelle wirklich? Wie kann der Titelheld Jonathan Strange gleichzeitig der Verfasser dieses Geschichtsbuchs sein? Hat man sich diese Fragen gestellt, so hat man bereits die entscheidende Taktik an Susanne Clarkes Buch begriffen: das Prinzip der literarischen Ironie. Durch Fußnoten wie diese reflektiert der Text sich selbst und versetzt den Leser in den Schlegelschen Idealzustand der „schönen Verwirrung der Phantasie”.
Die Verwirrung wird dadurch verstärkt, dass die Erzählinstanz mehrfach die Perspektive wechselt oder sich plötzlich eine angeblich allwissende Dame mit spitzfindigen Kommentaren einschaltet: „Es wurde einmal (von einer Dame, die unendlich viel klüger war als die Verfasserin) bemerkt, wie stark die Welt normalerweise an jungen Leuten Anteil nimmt, die sterben oder heiraten.”
Auch wenn die Handlung in Büchern wie diesem eigentlich nebensächlich ist, soll sie hier ihrer Unterhaltsamkeit halber nicht völlig unterschlagen werden: Jonathan Strange und Mr. Norrell sind zwei Zauberer im England des beginnenden 19. Jahrhunderts, die einer Prophezeiung zufolge die zur nüchternen Wissenschaft verkümmerte Zauberkunst zu neuem Leben erwecken sollen. Die beiden gegensätzlichen Charaktere - Norrell ist ein spröder, schrulliger Stubenhocker ohne jegliches Charisma, sein Schüler Strange ein so charmanter wie arroganter Lebemann - werden durch einige Elfen, magische Bösewichte und andere zweifelhafte Gestalten ergänzt, die Clarke wohl aus einer alten Märchenkiste hervorgekramt hat. Außerdem hat sie fleißig in Geschichtsbüchern gestöbert, so dass Mr. Norrell sich - beinahe historisch korrekt - in den napoleonischen Krieg einschalten und die Häfen der Franzosen mit silbrig schillernden Flotten aus Regen blockieren kann.
Auch Clarkes Anleihen bei Jane Austen und Charles Dickens erweisen sich als überaus lohnend: Die Berichte von den rauschenden Partys, auf denen Mr. Norrell sich in die Londoner High Society einzuschleimen versucht, oder vom Unfall zweier Lastfuhrwerke, deren auslaufende Sherryfässer ein kollektives Straßenbesäufnis herbeiführen, gehören zu den amüsantesten Passagen des Romans.
In der gelungenen Übersetzung von Annette Grube und Rebekka Göpfert lässt sich das Buch, dicker als die ersten drei Harry-Potter-Bände zusammen, in wenigen Tagen oder Nächten verschlingen - das hat es vielleicht wirklich mit Rowlings Originalen gemeinsam.
KATRIN SCHULTZE
SUSANNA CLARKE: Jonathan Strange & Mr. Norrell. Roman. Aus dem Englischen von Annette Grube und Rebekka Göpfert. Verlag Bloomsbury Berlin, Berlin 2004. 1040 Seiten, 29,80 Euro.
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Einführung in den Fußnoten-Trick: Susanna Clarkes augenzwinkernder Zauberer-Roman „Jonathan Strange & Mr. Norrell”
Es war weder eine Überraschung noch Zauberei, dass Susanna Clarkes Debütroman vom ersten Tag an als „Harry Potter für Erwachsene” gehandelt wurde. Gut, die 45-jährige britische Autorin hat ein Nicht-Kinderbuch über die Zauberei geschrieben und es bei Bloomsbury - auch „Harry-Potter-Verlag” genannt - veröffentlicht. Interessanter als die Frage, ob sich dahinter ein Marketing-Trick verbirgt, ist jedoch, welcher Zauber eigentlich in „Jonathan Strange & Mr. Norrell” vonstatten geht.
Auffällig ist gleich auf der ersten Seite folgende Fußnote: „1Geschichte und Ausübung der englischen Zauberei von Jonathan Strange, Band I, 2. Kap., verlegt von John Murray, London 1816.” Wieso wird hier eine historische Quelle zitiert, wenn wir uns doch in einem Roman befinden? Gibt es diese Quelle wirklich? Wie kann der Titelheld Jonathan Strange gleichzeitig der Verfasser dieses Geschichtsbuchs sein? Hat man sich diese Fragen gestellt, so hat man bereits die entscheidende Taktik an Susanne Clarkes Buch begriffen: das Prinzip der literarischen Ironie. Durch Fußnoten wie diese reflektiert der Text sich selbst und versetzt den Leser in den Schlegelschen Idealzustand der „schönen Verwirrung der Phantasie”.
Die Verwirrung wird dadurch verstärkt, dass die Erzählinstanz mehrfach die Perspektive wechselt oder sich plötzlich eine angeblich allwissende Dame mit spitzfindigen Kommentaren einschaltet: „Es wurde einmal (von einer Dame, die unendlich viel klüger war als die Verfasserin) bemerkt, wie stark die Welt normalerweise an jungen Leuten Anteil nimmt, die sterben oder heiraten.”
Auch wenn die Handlung in Büchern wie diesem eigentlich nebensächlich ist, soll sie hier ihrer Unterhaltsamkeit halber nicht völlig unterschlagen werden: Jonathan Strange und Mr. Norrell sind zwei Zauberer im England des beginnenden 19. Jahrhunderts, die einer Prophezeiung zufolge die zur nüchternen Wissenschaft verkümmerte Zauberkunst zu neuem Leben erwecken sollen. Die beiden gegensätzlichen Charaktere - Norrell ist ein spröder, schrulliger Stubenhocker ohne jegliches Charisma, sein Schüler Strange ein so charmanter wie arroganter Lebemann - werden durch einige Elfen, magische Bösewichte und andere zweifelhafte Gestalten ergänzt, die Clarke wohl aus einer alten Märchenkiste hervorgekramt hat. Außerdem hat sie fleißig in Geschichtsbüchern gestöbert, so dass Mr. Norrell sich - beinahe historisch korrekt - in den napoleonischen Krieg einschalten und die Häfen der Franzosen mit silbrig schillernden Flotten aus Regen blockieren kann.
Auch Clarkes Anleihen bei Jane Austen und Charles Dickens erweisen sich als überaus lohnend: Die Berichte von den rauschenden Partys, auf denen Mr. Norrell sich in die Londoner High Society einzuschleimen versucht, oder vom Unfall zweier Lastfuhrwerke, deren auslaufende Sherryfässer ein kollektives Straßenbesäufnis herbeiführen, gehören zu den amüsantesten Passagen des Romans.
In der gelungenen Übersetzung von Annette Grube und Rebekka Göpfert lässt sich das Buch, dicker als die ersten drei Harry-Potter-Bände zusammen, in wenigen Tagen oder Nächten verschlingen - das hat es vielleicht wirklich mit Rowlings Originalen gemeinsam.
KATRIN SCHULTZE
SUSANNA CLARKE: Jonathan Strange & Mr. Norrell. Roman. Aus dem Englischen von Annette Grube und Rebekka Göpfert. Verlag Bloomsbury Berlin, Berlin 2004. 1040 Seiten, 29,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit viel Wohlwollen bespricht Katrin Schultze diesen von irgendwem originellerweise als "
"JONATHAN STRANGE & MR. NORRELL ist fraglos der beste englische phantastische Roman der letzten 70 Jahre. Er ist witzig, anrührend, gruselig, unterweltlich, sachlich und voller Zauberei, eine Reise durch Licht und Schatten ... Es ist ein großartiges Buch, angefüllt mit Figuren, denen man mit Vergnügen begegnet, und mit Ereignissen und Schauplätzen, die man nicht vergisst: von Anfang bis Ende ein großes Lesevergnügen!" (Neil Gaiman)